André Wagner: Coming back from Yamuna River, Indien 2011

André Wagner: Coming back from Yamuna River, Indien 2011

Jens Pepper: Mit deinem aktuellen Buch „Visions of Time“ ist eine Werkübersicht erschienen, die einen schönen Einblick in dein bisheriges Schaffen gibt. Wieso hast du darin auf eine Chronologie verzichtet und die Arbeiten aus mehr als zehn Jahren durchmischt präsentiert?

André Wagner: Weil Gedanken und Visionen bzw. Ideen auch nicht linear zu einem kommen, zumindest geht es mir so. Ich wollte meine eigene Ordnung im Buch finden und nicht diese intellektuelle Idee von einem So-muss-es-sein umsetzen. Mir geht es bei „Visions of Time“ nicht primär um die Darstellung linearer Zeit, auch nicht um Belichtungszeiten usw. Diese Dinge möchte ich eher hinterfragen. Es geht mir um querdenkerische Prozesse und wie man diese fruchtbar macht. Oftmals denke ich einige Jahre über Ideen nach und entsage dabei dem Drang diese sofort umsetzen zu wollen. Daher begleiten mich einige Inspirationen oder Visionen eine ganze Weile lang. Ich kann sie so für mich überprüfen und testen, also, ob sie Bestand haben.

Jens Pepper: Das klingt sehr komplex. Lass uns all dieses ein wenig aufschlüsseln. Lass uns mit deinen Anfängen als Fotograf beginnen. Als Jugendlicher hast du dich vor allem mit Graffiti beschäftigt. Zusammen mit deinem damaligen Kumpel Lars Teichmann, der inzwischen ein erfolgreicher Maler geworden ist, hast du viele Jahre Bilder auf Wände gesprüht. Wie bist du dann zur Fotografie gekommen?

André Wagner: In der 6. Klasse sind Lars und ich in dieselbe Klasse gesteckt worden. Da wir beide während der Unterrichtsstunden gerne vor uns hin gemalt haben, sind uns unsere Gemeinsamkeiten schnell aufgefallen. Daraus ist dann die Idee entstanden, etwas mit Graffiti zumachen. Und so haben wir angefangen, täglich gemeinsam in einer alten Fabrikhalle in der Nähe von unserer Schule zu sprühen. An diesem Ort haben wir uns dann ca. 4 bis 5 Jahre lang mit hunderten von kleinen und großen bunten Bildern verwirklicht. Mit ca. 16 Jahren habe ich von einem Aldi Markt in der Nähe von Chemnitz eine legale Fläche bekommen, die dann unsere erste eigene „Hall of Fame“ wurde. Die Wand war um die 300 Meter lang. Der optimale Ort, um viele Graffiti-Künstler zum gemeinsamen Sprayen einzuladen.

Während dieser Sessions habe ich auch mit dem Fotografieren angefangen. Mein erstes bewusstes Portrait habe ich mit einer Praktica von dem mittlerweile weltbekannten Sprüher TASSO gemacht. Ich war auch derjenige, der unsere Wände fotografisch dokumentiert hat. Die habe ich dann immer als Collagen aus den einzelnen Bildern zusammen gesetzt.

In dieser Zeit wurde mir klar, dass die Fotografie mich inspirierte und sie wurde zu meiner großen Leidenschaft. Es war auch die Zeit, in der eine Entscheidung für Ausbildung oder Studium anstand. Leider konnte meine Familie sich überhaupt nicht vorstellen, was die Fotografie für mich bedeutete und steckte mich über familiäre Kontakte erst einmal in eine Maurerlehre. Das war wie ein Straflager, und nach 6 Monaten habe ich diese Lehre abgebrochen und habe noch am selben Tag ein sechsmonatiges Praktikum bei einem Fotografen begonnen. Dieser Fotograf hat mich dann später auch ausgebildet.

Ich habe übrigens schon während meines zweiten Lehrjahres private Aufträge erhalten und u.a. Laura Bielau für das Cover des UNI Spiegels fotografiert. Sie war später langjährige Assistentin bei Michael Schmidt. Und 2000 war ich Preisträger beim Deutschen Jugend Fotopreis.

André Wagner:

André Wagner: „Coming Down“, New York 2010

Jens Pepper: Wow, toll. Wer war der Fotograf, bei dem du in die Lehre gegangen bist? Hatte er dein Talent erkannt und dich dann entsprechend gefördert?

André Wagner: In den ersten Monaten lief alles super, als er aber mal im Krankenhaus war und ich einspringen musste um Babyaufnahmen zu machen, veränderte sich die Situation total. Ich habe das Baby damals nicht so fotografiert wie es Standard war, sondern mit einem Weitwinkel, mit den Füßen ganz groß im Vordergrund. Das  Gesicht hat man nur noch klein im Hintergrund gesehen. Die Eltern waren geschockt und mein Chef nicht glücklich darüber. Ich fand es dagegen innovativ. Er reagierte sehr wütend und ich durfte ab diesen Moment nie wieder Kundenbilder machen. Im Nachhinein empfinde ich das als großes Glück. Ich konnte danach meine eigenen Shootings umsetzen, weshalb ich die restlichen zwei Jahre meiner Ausbildung eigentlich eher als Autodidakt verbrachte. In der Berufsschule kamen meine selbstproduzierten Bilder aber super gut an und ich wurde in meiner eigenen Sicht bestärkt.

Jens Pepper: Was für Themen haben dich in dieser Zeit interessiert?

André Wagner: Ich war sehr experimentell unterwegs.  Ich habe Menschen angemalt und in Landschaften fotografiert, Nackte bei minus 20 Grad posieren lassen und ich habe gerne Selbstportraits gemacht. Mein erstes Shooting habe ich mit zwei nackten Frauen in einer Badewanne gemacht, die sich in einem alten Haus ohne Heizung befand. Das war im Winter. Der kleine ca. zehn Jahre alte Bruder der Freundin, die mir Modell stand, hat eine Lampe für das Licht gehalten. Diese Lampe hatte eine offene Stromleitung und irgendwann während des Shootings wurde mir klar, dass das lebensgefährlich war, auch durch die hohe Luftfeuchtigkeit im Badezimmer. Ich werde dieses Shooting nie vergessen, wir hätten alle sterben können.  Cartell Citycards hat von diesem Motiv damals zehntausende von Postkarten gedruckt und Deutschlandweit verteilt.

Jens Pepper: Wie ging es nach der Ausbildung weiter?

André Wagner: Für mich war es schon damals klar, dass ich nie ein guter Angestellter sein würde, sondern dass ich mein eigener Boss sein musste. Ich habe es immer geliebt, meine eigenen Ideen umzusetzen. Ca. ein Jahr nach meiner Ausbildung habe ich mich im November 2002 als Fotograf selbstständig gemacht.

Jens Pepper: Erzähle mir davon.

André Wagner: Zu diesem Zeitpunkt, mit zwanzig, war ich mir ehrlich gesagt noch gar nicht bewusst darüber was es bedeutet, selbstständig zu sein. Einfach waren die ersten Jahre nicht. Meine damalige Agentin aus Berlin, mit der ich schon während meiner Lehrzeit zusammengearbeitet hatte, hat mir die Selbstständigkeit vorgeschlagen; auch weil ich ja schon während der Ausbildung für Magazine gearbeitet hatte.

"Spirital Architecture - Durga and Hanuman", Indien 2014

„Spirital Architecture – Durga and Hanuman“, Indien 2014

 

Jens Pepper: Kannst du das näher erläutern? Was hast du für Magazine fotografiert? Und wie bist du zu einer Agentin gekommen, wie hat sich das ergeben?

André Wagner: Mein erstes Shooting für ein Magazin war eine Fotostrecke über Brian Molko von der Band Placebo. Und dann habe ich Matthias Schweighöfer fotografiert. Es waren immer Portraits, die sehr schnell gehen mussten. Für ein Shooting hatte ich oft nicht mehr als zwanzig Minuten Zeit. Ergeben hatte sich das alles nach meiner Preisverleihung 2000 auf der Photokina.

Ich hatte damals mit Cartell City Cards aus Chemnitz eine Bewerbungs-CD mit meinen Bildern vorbereitet, die ich auf der Photokina einigen Leute aus der Fotografie-Szene geben wollte. Eine CD hat Edith Stier-Thompsen von der DPA von mir bekommen. Sie hat meine Arbeiten verschiedenen Kontakten gezeigt und so bin ich dem Fotografen Stephan Gabriel aus Hamburg aufgefallen. Er war damals Redakteur bei einer Hamburger Zeitschrift. Er wiederum kannte meine Agentin und so ist schnell der Kontakt entstanden.

Jens Pepper: Wer war denn Cartell City Cards?

André Wagner: Eine Agentur, mit der ich zusammengearbeitet habe.

Jens Pepper: Mit was für einer Kamera oder welchen Kameras hast du damals gearbeitet?

André Wagner: Mit einer Mamiya 645 Pro und einer Canon 500N.

Jens Pepper: Analog ist Dir heute auch noch sehr wichtig, oder?

André Wagner: Ja, ich liebe es analog zu fotografieren und ich mag speziell den  analogen Film Fuji Reala 100. Leider ist die Produktion dieses Films eingestellt worden.

Jens Pepper: Gibt es digitale Kameras, mit denen du das erreichst, was du fotografisch anstrebst?

André Wagner: Ich finde analog und digital ist überhaupt nicht dasselbe. Jede Kamera und vor allem jedes Objektive hat seinen eigenen Charakter. Es gibt Bilder, die ich nur machen konnte, weil ich genau die eine Kamera dabei hatte. Manche Bilder mache ich nur digital, da weiß ich ganz genau, das ich mit einer Analogen gar nicht erst anfangen muss. Umgekehrt ist es genauso.

"Torchlight", Neuseeland 2006

„Torchlight“, Neuseeland 2006

Jens Pepper: Wofür verwendest du bevorzugt analog und wofür digital?

André Wagner: Ich arbeite sehr intuitiv und habe auf Reisen oft vier Kameras dabei: ein bis zwei digitale, sowie meine Mamiya 7 und eine Panoramakamera mit 6 x 17 cm. Außerdem bis zu zwölf Objektive. Ich hab es noch nie geschafft nur eine einzige Kamera zu verwenden. Ich würde mich eingeengt und in meiner Kreativität limitiert fühlen. Es wäre natürlich eine Form von Freiheit mit nur leichtem Gepäck zu reisen, doch das ist zurzeit nicht das, was ich möchte. Mir gefällt es auch, bei meinen Ausstellungen all die verschiedenen Formate zu sehen.

Jens Pepper: In deinen Ausstellungen dominieren die Landschaften, teilweise kombiniert mit Aufnahmen von deinen Lichtperformances, die ja auch in oft weiten Landschaften inszeniert wurden. All diese Fotos sind Resultate deiner vielen Reisen. Wenn ich mich jetzt richtig erinnere bist Du bereits mit 18 Jahren das erste Mal nach Indien gereist. Das heißt, dass die kommerziellen Aufträge parallel zu diesen eher freien Arbeiten entstanden sind. Ist es jetzt auch noch so, dass es ein Miteinander von freier und Auftragsarbeit bei dir gibt? Oder hast Du Dich irgendwann entschieden nur künstlerisch tätig zu sein?

André Wagner: Anfangs gab es beides. Ab 2006 aber, als ich für vier Monate in Neuseeland war, um dort an meiner Feuerserie “Romance of Elements”zu arbeiten, hat sich einiges verändert. Während dieser Zeit konnte ich ja keine Aufträge in Deutschland annehmen, weshalb andere Fotografen meine regelmäßigen Aufträge bekommen haben, die ich dann auch los war. Ich selbst hatte nach der Reise auch nicht mehr so richtig Lust auf Magazinaufträge. Auch weil ich der Ansicht bin, dass Fotos in Magazinen wie Graffitis in Berlin sind: sie sind nicht lange von Bestand. Bei der künstlerischen Fotografie ist es genau das Gegenteil. Man fotografiert beispielsweise einen Moment in der Natur, hält diesen aber für die Ewigkeit fest. Wenn ein solches Foto in einer Kunstsammlung landet, dann wird es wahrscheinlich ein langjähriger Begleiter für den Menschen. Dafür mache ich Fotos und das ist für mich persönlich sinnvoller als bloß einen Modetrend zu illustrieren und zu bewerben.

Ich liebe es aber für Kunst-am-Bau-Projekte zu arbeiten. Das sind kommerzielle Aufträge, die ich auch heute noch gerne mache, weil dort meine Kunst im Vordergrund steht. Ansonsten möchte ich mich als Fotograf vom kommerziellen Angebot her nicht mehr so breit aufstellen. Ich möchte lieber genug Zeit für die Organisation meiner inzwischen zahlreichen Ausstellungen haben und für die Kommunikation mit Galeristen und Sammlern usw.

Jens Pepper: Was war Deine erste Reise, die Du vor allem wegen einer fotografischen Idee unternommen hast?

André Wagner: 2004 nach Indien.

Jens Pepper: Weshalb Indien? Und was hast Du dort fotografiert?

André Wagner: Ich habe eine Pilgerreise gemacht und dabei ebenfalls an „Romance of Elements“ gearbeitet.

Jens Pepper: Was für eine Pilgerreise und aus welchem Anlass?

André Wagner: Ich war an verschiedenen Orten, in Vrindavana, Navadvip, Rishikesh. In Mayapur, einer spirituellen Stadt im Westen Bengalens, war ich in einem Tempel, in dem eine große Einweihungszeremonie für die Gottheit Sri Pancha-Tattva stattfand, die von hunderttausenden Pilgern besucht wurde. Dort bin ich für ca. zwei Wochen geblieben und habe das Fest fotografiert. Dort habe ich auch sehr viele inspirierende Menschen getroffen. Die mystische Atmosphäre, die ich dort kennenlernen durfte, hat mich im Leben und in meiner künstlerischen Arbeit nachhaltig beeinflusst.

Jens Pepper: Wie hat sich dein Leben und deine Arbeit dadurch verändert?

André Wagner: Ich habe das Kiffen für die Meditation aufgegeben [lacht]. Ja wirklich. Durch Berauschung verliert man Entschlossenheit. Wenn man nicht mehr kifft, hat man auf einmal viel mehr Zeit für seine Kunst und für das Leben. Alles wird dadurch ehrlicher. Außerdem bin ich in Indien zum Vegetarier geworden. Ich habe ein anderes Weltbild gewonnen und ein größeres Mitgefühl entwickelt.

Jens Pepper: Erzählst du mir etwas über die Bildserie „Romance of Elements“? Wie ist die Idee dazu entstanden und wie bzw. wo hast du sie umgesetzt?

André Wagner: Es geht mir in dieser Serie um die fünf Elemente: Feuer, Wasser, Luft, Erde und Raum. Jedes dieser Elemente ist in allen Lebewesen vorhanden. Zum Beispiel das Feuer, das ich durch den Raum trage und mittels Langzeitbelichtung fotografiere, symbolisiert die Seele bzw. die Energie, die wir wahrnehmen. Es sind für mich Selbstportraits, nicht im Sinne von einer Darstellung des Körpers sondern von menschlicher Energie.

Jens Pepper: Kannst du mir noch etwas zu den fünf Elementen sagen?

André Wagner: Das Feuer ist Träger von Farbe und Licht, die Erde trägt den Geruch, das Wasser den Geschmack, der Raum den Klang und die Luft ist die Berührung.

"Vrindavan Parikrama", Indien 2014

„Vrindavan Parikrama“, Indien 2014

Jens Pepper: Weshalb hast Du für uns Europäer exotische Orte aufgesucht, um Deine Bildideen zu realisieren?

André Wagner: Ich habe Indien für mich aufgesucht, weil ich dieses Land kennenlernen und erfahren wollte. Viele Bildideen haben sich dann vor Ort entwickelt.
Für mich sind die Orte auch gar nicht exotisch. Es sind Orte, die mich emotional inspirieren. Und die liegen bei mir eben häufig in der Ferne. Ich mag Orte, die mystisch und geheimnisvoll sind.

Jens Pepper: Im Frühjahr warst du auf Island. Mystisch und geheimnisvoll ist die Insel ja auf jeden Fall. Was hast du dort fotografiert?

André Wagner: Vor allem Gletscher, die Landschaften und Steinkegel.

Jens Pepper: Reine Landschaftsfotografie? Was war dir bei den Aufnahmen wichtig? Wolltest du ein bestimmtes Bild von Island zeigen?

André Wagner: Nein, ich bin nicht nach Island gereist, um ein bestimmtes Bild zu produzieren. Für mich stellte sich eher die Frage: was macht das Land mit mir? Das war eine neue Erfahrung; diese Ruhe dort, diese weiten Landschaften und dann vor allem diese hellen Nächte. Um in dieser ungewohnten Situation fotografieren zu können habe ich das Land auf mich einwirken lassen, habe mir erst einmal ein Bild gemacht.

Jens Pepper: Wie muss ich mir das vorstellen, wenn du sagst, dass du dir erst einmal ein Bild machst bevor du loslegst? Reist du umher, suchst geeignete Orte und kehrst dann zu diesen Orten zurück um die Aufnahmen zu machen?

André Wagner: Das ist jedes Mal anders. Manchmal komme ich nach Jahren wieder zurück, ein anderes Mal kommt mein erster Besuch genau zur richtigen Zeit. Ich meine übrigens, dass wir nicht nur mit den Augen sehen. Manchmal kann man ein Motiv erst durch eine gewisse Erfahrung, oder durch hinzugewonnenes Wissen erkennen.

Jens Pepper: Kannst du noch mal auf deine Motivsuche in Island zurückkommen?

André Wagner: Nach Island bin ich komplett ohne eine visuelle Idee für meine Fotos gekommen. Ich hatte nur ein bestimmtes Gefühl, eine Emotion. Und es war ein Land, das ich bis dahin noch nicht kannte.

Jens Pepper: Wenn du die Bildergebnisse in Prints umsetzt, hast du bestimmt eine Vorstellung wie groß diese sein müssen. Was für Präferenzen hast du beispielsweise bei den Landschaften?

André Wagner: Da gibt es keine Vorzüge, egal ob es sich um Landschaftsaufnahmen oder Stadtaufnahmen handelt. Zum Beispiel: das Panoramaformat lasse ich in drei Größen, in 40 x 120 cm, 60 x 180 cm und 100 x 300 cm als limitierte Edition produzieren.

Jens Pepper: Und auf was für Papierarten fertigst du die Arbeiten bevorzugt?

André Wagner: Ich stimme jedes Bild individuell ab und mache verschiedene Proofs auf mehreren guten Papierarten. Dann entscheide mich für das geeignetste.

Jens Pepper: Welche Rolle spielt Licht in Deinen Arbeiten? Sowohl in Deinen Aufnahmen, in denen performative Elemente die Grundlage darstellen, als auch in den meisten Landschafts- und Stadtaufnahmen ist es von elementarer Bedeutung. Du arbeitest ja auch bevorzugt in der Nacht.

André Wagner: Ja, Du hast schon recht. Licht ist die Farbe in meinen Bildern und es ist mir wichtiger als die Orte an sich. Manchmal ist es mir auch wichtiger als die Personen. Licht, oder auch die Abwesenheit davon, macht ein Bild in meinen Augen oft besonders.

Jens Pepper: Ich merke in vielen Deiner Antworten, dass Du beinahe spirituell an Deine Fotografie herangehst. Es kommt Dir eigentlich gar nicht so sehr auf die Motive an. Dich interessiert eher das, was dahinter steckt, Dinge, die Dich in irgendeine Weise persönlich berühren, bewegen, zum Nachdenken anregen. Die Motive scheinen Vehikel zu sein, die Dir behilflich sind, irgendetwas dahinter zu entdecken, das mit Deinen Gefühlen und Empfindungen einhergeht. Liege ich mit dieser Interpretation daneben?

André Wagner: Nein, das hast Du absolut richtig beobachtet. Ich versuche ohne Zwang an meine Arbeit heranzugehen.

Jens Pepper: Du wirst in diesem Spätsommer auf der Photokina in Köln einer Einladung folgen und eine umfangreiche Präsentation deiner Fotos zeigen. In 2016 wirst du eine erste große Einzelausstellung im Museum Moritzburg Halle an der Saale haben. In beiden Ausstellungen werden die Besucher begeistert und angerührt vor deinen Aufnahmen aus Indien und Island stehen und vor all den anderen Bildern, die du möglicherweise zeigen wirst. Denkst du, dass diese Betrachter wirklich in der Lage sind, das, was du eigentlich zeigen möchtest, auch zu sehen bzw. zu erleben? Bleibt das, was du mit deinen Aufnahmen für dich selbst anstrebst, nicht eigentlich allen anderen verborgen?

André Wagner: Ich würde mich natürlich freuen, wenn ich die Besucher mit meinen Arbeiten begeistern kann. Aber letztendlich hängt es von jedem einzelnen Betrachter und seinen persönlichen Interessen ab. Ich habe darauf keinen Einfluss und ich finde, dass das auch gut so ist. Ein schönes Erlebnis hatte ich mal bei einer Ausstellung meiner Serie „Romance of Elements“. Da ist eine Gruppe von Kindern total inspiriert gewesen und die sind dann direkt auf mich zugekommen und haben mir ihre Wahrnehmungen und Kinderphantasien als Reaktion auf meine Bilder mitgeteilt. Das fand ich toll. Ein anderes Mal stand eine Frau weinend vor einem Indienbild und hat mir erzählt, wie stark sie diese Arbeit berührt.

Ein Kunstwerk trägt meist eine Spannung in sich, hat eine gewisse Energie, die meiner Meinung nach ein Spiegel des Bewusstseins des Künstlers ist.

Das Gespräch wurde im August 2014 geführt und ist zuvor in der Aktuellen Ausgabe des Brennpunkt erschienen.

Von links nach rechts: Kanhaiya Lal Verma, André Wagner und Durgesh Goshwami, Indien 2014.

André Wagner ist ein Fotograf aus Berlin. Seit über zehn jahren reist er an Orte, die ihn spirituell anregen und deren Aura er mit der Kamera einfängt. Seine Fotos aus Neuseeland, Indien, Island etc. sind in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen gewesen. Aktuell sind seine Bücher „Visions of Time“ und „Reflections of India“ im Handel erhältlich.

Foto: André Wagner mit seinen Assistenten Durgesh Goshwami und Kanhaiya Lal Verma nach dem Holi-Farbenfest, Indien 2014.

www.andre-wagner.com