der david und der louis

berlin – der david und der louis

der graham

berlin – der graham

die kaya

berlin – die kaya

Christian Reister: Florian, bevor wir auf deine fotografische Arbeit zu sprechen kommen, ein paar Worte zu dir. Du bist Österreicher und Ende der Nuller Jahre in Berlin aufgeschlagen. Wie alt warst du damals und warum gerade Berlin?

Florian Reischauer: 2007 bin ich in Berlin angekommen und ich war 22 Jahre alt. Berlin war für mich damals eine große Unbekannte, aber ich wollte und musste eine neue Heimat für mich finden. Mein Bild der Stadt, die ich noch nie zuvor besucht hatte und die ich ausprobieren wollte, war geprägt durch Herr Lehmann und den Leuten die sagten: „zum Geld verdienen brauchst du hier her nicht kommen, zum Leben schon.“.

Christian Reister: Hast du in Berlin angefangen zu fotografieren oder schon vorher? Was hast du in deiner alten Heimat gemacht?

Florian Reischauer: Ich hatte bereits in Wien damit angefangen und an der Graphischen Fotografie studiert. Ich bin direkt nach dem Abschluss nach Berlin mit dem Ziel als Fotograf zu arbeiten.

Christian Reister: Nun, das klingt nun wirklich nach Herrn Lehmann: mit dem Ziel, als Fotograf zu arbeiten, bist du ausgerechnet in die Stadt gezogen, von der man dir erzählt hat, dass es hier kein Geld zu verdienen gibt. Wie einfach war es für dich, hier Fuß zu fassen? Was waren die ersten Jobs?

Florian Reischauer: Nun ja, ich wollte mich von diesen Stimmen nicht beirren lassen, und dachte mir, dass schon irgendwie alles klappen wird. Nach dem Motto: Berlin – alles ist möglich. Ich hatte gleich anfangs die Chance für eine Künstlerin zu arbeiten. Neben Dunkelkammer, Lichtbestimmen, Kommunikation und Ausstellungsvorbereitungen bekam ich da einen tollen und inspirierenden Einblick in den Künstleralltag. Gleichzeitig hatte ich eine Assistenz für einen Fotografen begonnen und nebenbei entwickelten sich eigene Fotojobs und es blieb eben auch noch Zeit eigene Projekte zu realisieren.

Christian Reister: …und eines dieser freien Projekte war dann „Pieces Of Berlin“, ein Langzeitprojekt, das ich damals zuerst über deinen Blog kennengelernt habe. Es gab dort Stadtansichten, aber hauptsächlich immer wieder neue Porträts von Menschen auf der Straße, kombiniert mit kurzen Texten, in denen du die Person beschreibst. Wie ist die Idee für das Projekt entstanden und wie wichtig war von vornherein der Blog, der ja sehr bekannt wurde und über den man das Wachstum der Serie quasi „live“ verfolgen konnte?

Florian Reischauer: Als ich hier ankam war vieles neu für mich. Der ganze Platz, die urbanen Wastelands, die vielen Möglichkeiten, das unvergleichbar Improvisierte. Da mir am Anfang auch noch nicht klar war, wie lange ich wohl in Berlin bleiben würde, hatte ich immer meine alte Kamera dabei, um für mich, etwas tagebuchartig, die Stadt zu erkunden beziehungsweise zu dokumentieren. Schnell wurde mir klar, dass gerade solche Brachen sehr schnell verschwinden und wie rasant sich sowieso alles verändert in Berlin. So begann das Sammeln. Durch die Neugier nach mehr und auch wegen des gewonnen Bewusstseins, eine neue Heimat gefunden zu haben, wollte ich die Stadt vor allem durch ihre Einwohner kennen lernen. Der Blog war natürlich in dem Sinne wichtig, da es eine einfache Methode war etwas zu publizieren und es für alle zugänglich zu machen.

Christian Reister: Die Porträtierten sind in der Regel Zufallsbekanntschaften von der Straße, richtig? Nach welchen Kriterien gehst du vor, wenn du Menschen ansprichst?

Florian Reischauer: Genau, hier spielt der Faktor Zufall eine große und wichtige Rolle. Ich spreche im Prinzip jede*n an, und versuche so uneingenommen wie möglich zu sein. Für jeden Spaziergang nehm ich mir in der Regel einen Rollfilm mit, 12 Fotos, pro Person auch nur ein Bild. Das Einzige auf das ich bei der Auswahl jedoch achte, ist ein ausbalanciertes Geschlechterverhältnis der Porträtierten.

Christian Reister: Gibt es viele Ablehnungen?

Florian Reischauer: Im Schnitt würde ich sagen, dass ca. die Hälfte der Leute mitmacht. Aber es kommt natürlich auch auf Faktoren wie Wetter und Jahreszeit an. Generell ist es einfacher junge und alte Menschen davon zu überzeugen. Das „Mittelalter“ ist da bei weitem nicht so offen, bzw. auch oft sehr misstrauisch. Im Grunewalder Villenviertel ist es zum Beispiel auch schwieriger, in Kreuzberg oder Nordneukölln deutlich einfacher. Man kann da natürlich Tendenzen aufzeigen, aber im Endeffekt wird man sehr oft überrascht, und das ist das spannende und schöne daran. Man muss halt hartnäckig bleiben.

Christian Reister: Lässt du dir ein Model Release für die Veröffentlichung unterschreiben?

Florian Reischauer: Nein, es gibt tatsächlich kein Model Release. Es basiert quasi alles auf Vertrauen. Ganz am Anfang hatte ich eins mit, aber das war zumindest für mich eine unangenehme Situation, jemanden dem man gerade kennen gelernt hat, eben das Vertrauen gewonnen hat, ein Formular unter die Nase zu halten.

Christian Reister: Apropos Vertrauen: 2013 hast du dein erstes Buch über Crowdfunding finanziert. Erzähle doch mal, wie das lief – wie viele haben mitgemacht, um welche Summe ging es und wie hast du die Supporter erreicht? Von deinem Blog haben wir schon gesprochen, das Projekt hatte offensichtlich schon eine gewisse Fanbase.

Florian Reischauer: Das Crowdfunding hatte sehr gut funktioniert. Ich hatte dazu lediglich eine eigene Seite am Blog online gestellt mit allen Infos und Unterstützungsmöglichkeiten, wie Pre-orders usw. Das Ganze lief so zusagen autark ohne einer der bekannten Crowdfunding-Plattformen. Auch ein Experiment so zu sagen, da ich damit überhaupt keine Erfahrung hatte.

Voraussetzung, dass es geklappt hat, waren natürlich die vielen Follower, die sich in den 5 Jahren davor gesammelt hatten und der Zeitpunkt war auch nicht verkehrt, da die Kampagne kurz vor der Einführung der „sponsored posts“ auf Facebook gelaunched wurde. Man konnte daher noch eine sehr hohe Reichweite mit der Facebook Fanpage generieren. Am Ende waren es über 100 Unterstützer und eine Summe von ca. 5000 € die das erste Buch möglich gemacht haben, bzw. einen Großteil des ganzen Budgets eingespielt haben.

Christian Reister: Das Buch ist gestalterisch nichts von der Stange. Offene Fadenbindung, Graukarton-Cover mit ausgepartem Rahmen für ein Bild, das dahinter eingeklebt ist. Ich glaube das ist sogar ein Original-Fotoprint? Außerdem gestempelt, nummeriert, signiert, alles mit sehr viel Liebe gemacht. Das ist alles sehr stimmig bis ins Detail, weshalb das Buch auch zu Recht für den Deutschen Fotobuchpreis nominiert wurde. Wie bist du damals an die Gestaltung rangegangen und wo hast du das Buch drucken lassen?

Florian Reischauer: Das Buch kam tatsächlich quasi als „Rohling“ von der Druckerei (Livonia Print in Riga) und ich habe den „Cover Print“ dann selbst reingeklebt. Ich mochte den Gedanken, jedes einzelne Buch noch in der Hand zu haben und selbst das i-Tüpfelchen draufzumachen – sprich nach der maschinellen Erzeugung noch bisschen eigene Handarbeit. Das hat Spaß gebracht. Beide Bücher sind mit dem Wiener Gestalter Stefan Bauernberger (http://stefanbauernberger.com/) entstanden. Das Erste hatte ich ganz am Anfang schon sehr klar im Kopf wie es aussehen sollte, Stefan hat alles verfeinert und sich vor allem dann um die Typo und Textlayout gekümmert.

Das zweite Buch war deutlich herausfordernder. Die Frage war, wie schafft man eine intensive Weiterentwicklung, packt symbolisch Stadtentwicklungen mit rein und wie kann man den Wiedererkennungswert der Serie beibehalten. Wie kann man Kontraste, die das Berliner Stadtbild so stark bietet, auch gestalterisch mit einfließen lassen – usw.! Gleichzeitig hatte ich mir vorgenommen, viel freier und frecher zu agieren. Auch der Fotografie oder dem Foto an sich gegenüber: weg vom starren 6×6 Quadrat, das für mich vor 5 Jahren und im ersten Buch quasi noch unantastbar war.

Am Ende war es viel Recherche und ein geniales Ping-Pong Spiel, in dem wir uns Ideen und Vorschläge permanent hin und her geschickt hatten, bis das Buch immer klarer wurde. Eine inspirierende und spannende Zusammenarbeit.

Christian Reister: Wie im ersten Buch, das die Jahre 2009-2013 umfasst, sind auch im zweiten (2014 – 2018) die Themen der Protagonisten breit gefächert. Es fällt aber auf, daß sich jetzt viele um die steigenden Mieten und generell um die Gentrifizierung Berlins große Sorgen machen. Zu diesem Thema hast du auch mehrere Texte verschiedener Autoren mit aufgenommen, u.a. von Andrej Holm und Michael Prütz, einem Vertreter der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“. Damit beziehst du klar Stellung. Wie wichtig ist dir die gesellschaftspolitische Komponente des Buchs? Und generell in deiner Arbeit als Künstler?

Florian Reischauer: Die rasant steigenden Mieten, Angst aus dem Kiez verdrängt zu werden, usw. waren mit Abstand die am häufigsten genannten Sorgen der porträtierten Berliner*innen. Das war eben der Anlass diese Themen zu vertiefen und dazu wollte ich Experten aus dem wissenschaftlichen, aktivistischen und juristischen Bereich zu Wort kommen lassen. Ziel war es den Status Quo zu erörtern, Möglichkeiten zur Veränderung aufzuzeigen und einen Ausblick in die Zukunft zu geben. Es war ein Versuch einer positiven Herangehensweise an dieses Problem und auch das Herausstreichen einer Berliner Tugend bzw. eines Zeitgeistes der meiner Meinung nach noch immer gültig ist: “Berlin – Alles ist möglich” Die Stadt beheimatet eine ausgeprägte kritische Masse wie keine andere, und die ist auch das A und O in dieser Frage. Mir persönlich ist es wichtig, dass das Buch diesbezüglich zu Diskussionen anregt und Inputs gibt.

Christian Reister: Ein anderes großes Thema der letzten Jahre waren natürlich „die Flüchtlinge“. Du hast einen Extra-Teil im Buch mit kurzen Interviews, die du zusammen mit Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien gemacht hast. Wie kam das?

Florian Reischauer: Wir hatten Workshops für minderjährige unbegleitete geflüchtete Kids organisiert. Die waren voller Datendrang und natürlich sehr neugierig. Wir sind in kleinen Gruppen los, wie Reporterteams. Sie haben sich vorher Fragen überlegt, die sie ihren quasi neuen Mitmenschen in Berlin stellen möchten. So haben wir nach dem „Pieces Of Berlin-Schema“ zufällig Leute auf der Straße angesprochen, porträtiert und interviewt. Den Kids hat das sehr viel Freude bereitet und es war toll mal den Spieß umzudrehen, sprich, nicht über Geflüchtete zu berichten sondern umgekehrt Geschichten zu erzählen.

Christian Reister: Es fällt auf, dass der „normale Berliner“ unter deinen sonstigen Protagonisten ein recht entspanntes Verhältnis zur Zuwanderung hat. Man sieht das eher gelassen oder auch durchaus positiv. Nun kann ich mir aber schwerlich vorstellen, dass dir nicht auch der ein oder andere AfD-Wähler oder sonstige zumindest latent rassistische Berliner vor die Kamera gekommen ist. Was machst du mit solchen Positionen? Einfach weglassen, weil du solchen Stimmen kein Sprachrohr liefern willst?

Florian Reischauer: Das ist ein sehr interessantes Thema, und hat mich in den letzten Jahren auch sehr beschäftigt. Also wie gehe ich damit um, wenn jemand etwas Menschenverachtendes sagt. Da ich die Texte nicht kommentiere, habe ich mich dazu entschlossen derartiges nicht zu publizieren. Aus dem einfachen Grund, da es sonst solchen Aussagen eine offene Bühne bietet und noch mehr zur Normalität wird.

Das Interessante ist jedoch, dass es in all den Jahren nie zu so einem Fall gekommen ist, und ich muss auch dazu sagen, dass ich bei den Interviews sehr neugierig sein kann, und ich keineswegs versuche, Themen zu umgehen, sondern das Gegenteil. Ich kann mir das nur so erklären, dass dieser Prozentsatz an Menschenfeinden in unserer schönen Stadt sich in den ca. 50% verbergen muss, der auf meine Anfragen hin nicht mitmachen will. Es ist halt einfacher, feige im Netz zu haten.

Christian Reister: letzte Frage: Seite 89 sieht aus wie ein Fehler – wo sonst das Porträt ist, ist ein weißer Freiraum. Hat sich der namenlose 23jährige, dessen Zitat daneben abgebildet ist, nicht fotografieren lassen wollen?

Florian Reischauer: Genau, er wollte sich nicht fotografieren lassen, hat mir aber sehr viel aus seinem Leben erzählt. Großteils Lebensgeschichten die man niemanden wünschen möchte. Ich wollte keinenfalls im Buch darauf verzichten und fand gestalterisch die weiße Seite sehr stark und aussagekräftig. Beim Durchblättern wird man dadurch irritiert und es werden auch Fragen aufgeworfen bezüglich dem sich fotografieren lassen.

Florian Reischauer, porträtiert von Christian Reister

Florian Reischauer, geb. 1985 in Ried im Innkreis (Österreich)
Seit 2007 als Fotograf in Berlin tätig.

www.piecesofberlin.com
www.florianreischauer.com