georgia Krawiec und Marek Noniewicz - Katalog Torun

Jens Pepper: Ihr werdet bald gemeinsam in Toruń ausstellen. Ihr kennt euch schon eine ganze Weile und arbeitet beide mit alten Fototechniken. Wann habt ihr euch dazu entschlossen gemeinsam auszustellen und was ist euer Konzept für diese Ausstellung?

georgia Krawiec: 2007 haben wir uns im winterlichen Boston kennengelernt, bei einem Projekt von Jesseca Ferguson, die eine Ausstellung zur Lochkamerafotografie kuratierte und dazu sieben Künstler aus Polen in den USA einlud. Wir hatten das Glück zu diesen zu gehören! Schon dort tauchten dieselben Grundgedanken auf, die jetzt dem Konzept der Ausstellung in Toruń zugrunde liegen: Ursprünglichkeit, Entschleunigung, die Nähe zum Material, zum Medium, das Haptische. Natürlich haben wir uns nicht schon damals entschieden diese Ausstellung zu machen, aber ich dachte in den vergangenen Jahren immer wieder: „Irgendwann mal will ich doch mit Marek ein Projekt machen!”

Marek Noniewicz: Als wir uns 2007 begegnet sind, war die Lochkamerafotografie das verbindende Element. Danach hatten wir noch häufiger Gelegenheit, uns während anderer Projekten zu begegnen, die ebenfalls mit alten fotografischen Techniken zu tun hatten. Dabei fiel mir auf, dass wir einen ähnlichen Zugang zu dem Medium haben. Wir sind nicht so sehr von der Technik an sich fasziniert, sondern von den Versuchen, zeitgenössische Kontexte zu entdecken. Heute sind wir erstaunt darüber, dass jeder für sich trotz dieser räumlichen Entfernung ähnliche Herausforderungen angegangen ist. Wir mussten uns also treffen!

Jens Pepper: Auf was für ähnliche Herausforderungen beziehst du dich, Marek?

Marek Noniewicz: Betrachte doch mal Fotografie als Prozess. Da findet man organische Verbindungen. Fotografie ist ein Prozess, Natur ist ein Prozess. Vielleicht sollte man nochmals André Bazin lesen, der schrieb, dass „Fotografie auf uns als ’natürliches‘ Phänomen wirkt: ähnlich wie eine Blume oder ein Schneekristall, deren Schönheit unteilbar mit der Entstehung einer Pflanze oder einem Mineral verbunden ist.” Bazin schrieb das vor siebzig Jahren, aber es klingt ziemlich aktuell.

georgia Krawiec: Ja, Marek, das Prozesshafte ist für uns beide wirklich zentral. Ich zeige in Toruń zum Beispiel Arbeiten, bei deren Belichtung der Besucher zusehen kann. Man könnte sagen, die Fotografien performen sich selbst. Und apropos Schnee: Du hast doch mal Fotogramme mit Schneekristallen belichtet, oder? Dabei stand, so wie ich mich erinnere, eher der Schmelzprozess im Mittelpunkt?

Marek Noniewicz: Ich habe Eis belichtet. Ich habe das Eisblättchen in den Vergrößerer gegeben und es auf dem Fotopapier belichtet. Dann habe ich ein bisschen gewartet bis es geschmolzen war und habe erneut belichtet. Ich bin sehr interessiert an deinen Baumstammbildern und wie es dir gelungen ist, sie herauszuarbeiten. Es ist schon klasse, dass wir an ähnlichen Experimenten gearbeitet haben, ohne voneinander zu wissen.

Jens Pepper: Ihr beide verwendet Fotografie ganz offensichtlich recht experimentell. Der Prozess, der zu einem Bild führt ist genauso wichtig wie das finale Bildergebnis selbst, vielleicht sogar wichtiger. Sich Zeit zu nehmen bei der Produktion von Bildern ist ebenfalls etwas, das ihr beide teilt. georgia beispielsweise lässt manchmal Bilder im Verlauf eines Jahres oder so entstehen. Eure Arbeitsweisen werden dem einen oder anderen recht antiquiert vorkommen. Es wirkt fast so, als ob ihr zeitgenössische Arten Bilder zu produzieren ablehnt aber dennoch Bilder schaffen möchtet die in unsere Zeit passen. Wie haben sich eure jeweiligen Einstellungen zum Medium Fotografie entwickelt? Und was sind eigentlich eure Einstellungen dazu?

georgia Krawiec: Was ist noch zeitgenössische Kunst, und was schon nicht mehr? Ob ein Künstler, der das 0/1-Binärsystem verwendet, automatisch auch zeitgenössischer Künstler ist? Für mich stellt sich die Frage nach der Einordnung in eine Zeitrechnung gar nicht. Zentral sind für mich der Prozess selbst und die in ihm enthaltene Zeit. Sie enthalten etwas Transzendentales; das Gestalten wird zur Schöpfung, der Künstler zum Schöpfer. Die Fokussierung auf den Prozess hat hierbei nicht nur einen Einfluss auf uns selbst, sondern auch auf den Betrachter, der Teil des Ganzen wird. Dabei sind Fotogramme die vermutlich ursprünglichste Methode der Bildgebung, ich denke, die der Natur am nächsten liegende. Über Monate und Jahre hinweg kumulieren sie [während des Belichtungsprozesses (Anm. JP)] Zeit. Sie sind jeden Tag bei mir; ich beobachte sie an den Wänden meiner Wohnung und meines Ateliers, ich schaue sie an und genieße sie, ohne zu wissen, wann ich ein fotografisches Bild von einem dieser Stillleben [beispielsweise aus Blättern (Anm. JP)] mal als Fotogramm entwickeln werde. Für mich sind sie auf jeden Fall zeitgemäß!

Marek Noniewicz: Das Wichtigste für mich sind Impulse und genaue Beobachtung. Ich beobachte die Realität, aber ich schaue mir ebenso Veränderungen an, die es in der Fotografie gibt. Ich suche nach Anwendungen für digitale Fotografie, aber diese Technik ist für mich nicht transparent. Es gibt Unterschiede zur fotochemischen Fotografie. Irgendwann fiel mir auf, wie sich der Fixierer kristallisierte, der in der Dunkelkammer zurückgeblieben war. Dann habe ich den Fixierer in eine Petrischale gegeben und beim Kristallisieren nochmals auf Fotopapier kopiert. Es sieht wie eine alte Astrofotografie aus! Herschel, der ja den Fixierer erfand, war bekanntlich Astronom! Ich habe dann die Arbeit „Planet Herschel” genannt. Man kann es als Dialog mit der Fotogeschichte ansehen, oder einfach nur als großen Spaß.

Jens Pepper: Spaß und Freude sind die Begriffe, die ihr gerade verwendet habt, als ihr von euren Arbeitsprozesse spracht. Spaß und Freude der Ausstellungsbesucher werden anders sein, da sie natürlich nicht am Kreativprozess teilhaben können. Sie werden nur die finalen Resultate eurer Experimente sehen. Sagt mir, was sind das für Arbeiten, die die Besucher in Toruń sehen werden?

Marek Noniewicz: Ich habe schon immer geglaubt, dass ein Bild eine Einladung zu einer tiefer gehenden Reflektion darstellen kann. Manchmal denke ich, dass meine Fotografien Fragen sind, die für mich und die Betrachter bestimmt sind. Das sind keine leichten Fragen, ebenso wie die Fotos nicht einfach sind. Sie haben nichts mit einer herkömmlichen Betrachtungsweise zu tun. Wie auch immer, es bleibt die Frage nach der Form. Kann man ein Ästhet sein und gleichzeitig bis zu einem gewissen Grad Konzeptualist? Die Form bedeutet mir sehr viel, oftmals visualisiere ich die Dinge, die ich in meinen Experimenten erreichen möchte. Ich bin offen für Chancen, aber wenn die letzten Ergebnisse weit entfernt von den vorhergegangenen Visualisierungen sind, verschiebe ich solch eine fotografische Arbeit; ich lehne sie nicht ab, aber ich lege sie zur Seite. Ich weiß nicht, was die Ausstellungsbesucher sehen werden. Ich zeige Cyanotypien aus der Iliaster-Serie, die inspiriert wurde von der Cosmologie Paracelsus‘, von Montagen aus Röntgenbildern, von Naturfragmenten und anderen Fundstücken. Dann Silver Prints, die ohne Kamera entstanden sind, die so etwas sind wie Aufzeichnungen einer Entropie. Vielleicht eine Art von überbelichtetem Lochkameranegativ das in einem Astloch entstanden ist. Ich glaube, dass beim Aufbau der Ausstellung noch eine Menge passieren wird.

georgia Krawiec: Ich denke, Marek, natürlich JA! Du kannst gleichzeitig ein Konzeptualist und ein Ästhet sein, für mich sind dies keine Gegensätze, sondern zwei verschiedene Aspekte. Diesmal jedoch sind die Arbeiten, die ich in Toruń zeige, eindeutig nicht konzeptuell – deshalb auch der Titel. Ursprünglich habe ich sie als Stillleben gestaltet, um mich nach den engagierten Themen davor abzureagieren. Ich brauchte einen Abstandhalter in einer unangestrengten, meditativen und problembefreiten Wolke, um von dort aus alles aus der Ferne entspannt zu beobachten und neue Kraft für andere Projekte zu schöpfen. Ich genieße also diese reine Ästhetik und schäme mich gar nicht für sie [lacht].

In der Wozownia in Torun werde ich die Fotogramm-Serie „antyKONCEPCYJNE” zeigen, die ich wegen der bereits erwähnten langen Belichtungszeiten entschleunigt nenne. Ein Teil der Serie, „FLUXA”, ist für mich eine eine Art Spiel, nicht unbedingt ein fotografisches. Diese Arbeiten sind unkonkret, sie zeigen weitgehend die Bilder, die jeder anhand seines eigenen Erfahrungshorizontes im Kopf entstehen lässt. Die mit „MANU” betitelten Arbeiten sind Papierschnitte und die „LUNA” genannten sind mit einer Zeichnung versehen. Diese formale Seite distanziert sie von der Fotografie als solchen. In letzter Zeit sehe ich meine Arbeit in einem größeren Zusammenhang, vielleicht weil ich in Berlin Mitglied in einer Galerie mit Künstlern aus verschiedenen Bereichen bin oder weil ich das Atelierhaus mit vierzig anderen Künstlern teile, von denen sich nur zwei mit Fotografie befassen. In Warschau war ich hauptsächlich in der Welt der Fotografie tätig, in einer Welt, die viel hermetischer war. Außerdem hast Du die These aufgestellt, dass der Besucher nicht am Entstehungsprozess beteiligt ist. Ja, in der Fotografie ist dies selbstverständlich, aber in meinem Fall wird es anders sein: Wenn ich doch schon an den Wänden meiner Wohnung Ewigkeiten belichten kann, beinahe zumindest, warum dann nicht auch in der Galerie!

Jens Pepper: georgia, du lebst seit einigen Jahren in Berlin und kannst die polnische und die deutsche Fotoszene miteinander vergleichen. Wird deine Arbeit, die ja auch die Entschleunigung in einer immer schneller agierenden Welt zum Thema hat, in Polen anders gesehen als in Deutschland? Gibt es da Erfahrungswerte?

georgia Krawiec: Bereits ab Anfang der 90er Jahre reiste ich häufiger nach Berlin, jedoch als Touristin. Später dorthin reisend, als ich bereits in Warschau lebte und daher mit einer Warschauer Perspektive versehen, hatte ich von Berlin den Eindruck einer entschleunigten Gesellschaft. Ich nahm an, dass dies nur eine Illusion eines entspannten Kulturreisenden ist, der aus der zehrenden Warschauer Beschleunigung kommend überall woanders eine Langsamkeit vorfindet. Aber ich habe mich geirrt. Berlin ist auch für seine Bewohner langsamer, entspannter, weniger gestresst und weniger zielorientiert. Und diese positive Einstellung zur Entspannung – die sicherlich nicht preußisch ist – wirkt sich auch positiv auf die Rezeption von entschleunigter Kunst aus. Selbst an solch verrückten Wochenenden wie dem Gallery Weekend oder der Eröffnung des Europäischen Monats der Fotografie, wenn die ganze Stadt brodelt und überall gleichzeitig eine Ausstellung eröffnet wird, gibt es Menschen die sich Zeit nehmen, eine Galerie zu betreten um vor einer Lochkamera 20 Minuten reglos zu verharren. Ich hatte die Gelegenheit, eine solche performative Aktion bei C/O Berlin durchführen zu können, und fragte mich damals, ob es wirklich einen Freiwilligen geben würde? Es sind dann viele entspannte Freiwillige gekommen!

Die Rezeption meiner Arbeit in Polen und Deutschland kann ich allerdings nicht vergleichen, weil sie hier und dort verschieden eingeordnet wird. Wenn man die polnischen so genannten fotografischen Kreise bemüht, für die ist meine Arbeit, wie auch die von Marek, nischenhaft und wird mit einem Augenzwinkern betrachtet. Es ist vielleicht wie zwei Baobab-Bäume in einem Kiefernwald. Wenn man diesen fotografischen Horizont überwindet, lassen die von uns erstellten Experimente und ihre Ergebnisse eine andere Fauna auf einem anderen Planeten entstehen. Vielleicht sind es dann zwei Kiefern? Aber wenn, dann im Dschungel, und dort sind sie gleichberechtigt, exotisch.

Jens Pepper: Wie siehst du das mit der unterschiedlichen Rezeption von Kunst, Marek? Wie wird dein Werk im Ausland rezipiert. Ihr beide hattet ja beispielsweise in Boston Erfahrungen mit amerikanischen Betrachtern sammeln können. Ist der Zugang zu deinen Themen durch unterschiedliche historische und soziale Prägung im Ausland anders als in Polen?

Marek Noniewicz: Außerhalb Polens ist die Rezeption der Arbeiten wirklich anders. Die Neugier und Offenheit der Amerikaner ist beeindruckend. Mir ist schon klar, dass meine Experimente weit vom Mainstream entfernt sind. Ich wurde sogar von akademischen Kreisen meiner Alma Mater angegriffen, die meinten, dass meine Arbeit zu fotografisch sei. Aber es ist keine Fetischisierung des Analogen, so wie sie gerade ziemlich populär ist. Wie bei Georgias Arbeiten ist da etwas anderes. Ich spüre, dass die Kombination unserer Arbeiten zu einer interessanten Situationen führen kann, die eine eindeutige Interpretation verhindert.

Jens Pepper: Leider werde ich nicht in der Lage sein, mir eure Ausstellung in Toruń anzuschauen. Habt ihr eigentlich Pläne, die Schau auf Reisen zu schicken, vielleicht nach Deutschland?

georgia Krawiec: Schade! Es ist schade, dass du diese Ausstellung nicht persönlich sehen wirst. Ich denke, wir könnten dann noch ein weiteres, aber ganz anderes Interview führen. Arbeiten, die in Mappen verpackt, auf einem Monitor oder als Druck in Katalogen betrachtet werden, können nicht miteinander kommunizieren und somit kann auch kein neues Ganzes entstehen. Wir, also Marek und ich, hatten bisher selten Gelegenheit, sie miteinander zu konfrontieren, und wenn, dann in einem mehrstimmigen Dialog. Somit ist diese Ausstellung eine Premiere. Ich freue mich sehr über diese neue Konstellation!

Die Ausstellung in Toruń ist insofern einzigartig, als dass es derzeit keine konkreten Pläne gibt, sie in Deutschland zu wiederholen. Darüber hinaus ist Wozownia ein spezifischer, ein historischer Ort, und ich denke, dass seine Atmosphäre nicht wiederholbar ist. Wenn eine solche Ausstellung doch beispielsweise in Berlin entstehen würde, dann würdest du ein völlig anderes Projekt zu sehen bekommen, was aber spannend und aufschlussreich sein kann! Mein Teil der Ausstellung wandert im August in die IHK-Galerie im westdeutschen Siegen. Dort bleibt sie aber ein Monolog.

 

Dieses Interview erschien im Frühjahr 2019 in Englisch und Polnisch im Ausstellungskatalog „georgia Krawiec / Marek Noniewicz – Anomalia Naturalia“ der Galeria Sztuki Wozownia in Toruń, Polen. 

georgia Krawiec (*1972). Polnisch-deutsche Fotokünstlerin mit derzeitigem Wohnsitz in Berlin.

http://georgiakrawiec.net/de/

Marek Noniewicz (*1971). Polnischer Fotograf.