"Dominika, 13" aus der Serie "Waiting Room" von Zosia Prominska

Jens Pepper: 2018 hast Du gemeinsam mit Deinem Partner, dem Fotografen, Fotobuchhändler und Dozenten Thomas Gust, den Fotobuchverlag Buchkunst Berlin gegründet. Da Du vom Grafikdesign herkommst und eine eigene Agentur in Berlin betreibst, seid Ihr ja das perfekte Team für so ein Unternehmen. Wer von Euch hatte die Ursprungsidee und hat den anderen dann mit ins Boot geholt?

Ana Druga: Die Idee, einen Verlag zu gründen, schlummerte schon in uns beiden, bevor wir uns kennengelernt haben. Das erste Mal sind wir uns im Herbst 2017 in der Fotobuchhandlung 25 books begegnet und die Liebe zum Fotobuch und zur Fotografie hat uns kurz darauf wieder zusammengebracht. Bei den ersten gemeinsamen Auftragsarbeiten für Fotobücher, haben wir festgestellt, wie sehr wir uns in den Arbeitsprozessen und Ideenfindungen gegenseitig bereichern und ergänzen. Zur selben Zeit hat Thomas Fotografien des bis dahin unbekannten Frontfotografen Valery Faminsky von Arthur Bondar, einem befreundeten Fotojournalisten aus Moskau, zur Ansicht erhalten: Ein Archiv historisch einzigartiger und künstlerisch bedeutender Fotografien aus den letzten Kriegstagen und den ersten Friedenstagen in Berlin im Mai 1945. Diese Bilder stellte Thomas in seiner Fotobuchhandlung Bildband Berlin aus und aufgrund der großen Resonanz und der besonderen Wirkung, die die Bilder auf uns hatten, verfestigte sich der Wunsch, dieses Archiv in der Form eines Fotobuches zu veröffentlichen, und so einen Teil unserer Geschichte zu erzählen. Die Entscheidung der Verlagsgründung ging also von uns beiden aus und war zuerst einmal getragen von der Idee, die Bilder Valery Faminskys zu publizieren.

Jens Pepper: Das Buch war dann ja auch auf Anhieb ein Erfolg. Ich fand es klasse, wie zahlreich und ausführlich die Presse das Buch gewürdigt hat, das ist keinesfalls selbstverständlich, schon gar nicht bei Newcomern, die mal gerade ein einziges Buch publiziert haben. Da ist Euch ein Coup gelungen. Wart Ihr überrascht?

Ana Druga: Bei der Veröffentlichung des Buches waren wir natürlich sehr aufgeregt, haben dann aber direkt bei der ersten Präsentation – mit druckfrischen Büchern in der Hand – auf der Frankfurter Buchmesse ein überwältigendes Feedback von Verlagskollegen, dem Fachpublikum und der Presse erhalten. Von Anfang an erlebten wir die emotionalen Reaktionen der Betrachter auf die Fotografien Faminskys, trotzdem sind wir immer wieder aufs Neue von den Artikeln, den Gesprächen und dem Interesse an dem Buch begeistert und auch überrascht. Wir sind den Autoren dankbar, dass durch ihre Besprechungen das Buch erst so viele Menschen erreichen konnte. Ohne die mediale Sichtbarmachung wäre es nicht möglich, dass diese Bilder jetzt auch Teil unseres kollektiven Gedächtnisses werden.

Jens Pepper: Es wird bald eine große Ausstellung mit den Faminskybildern im Willy-Brandt-Haus in Berlin zusehen geben. War Euch das immer schon ein Anliegen, auch auf eine große Ausstellung hinzuarbeiten oder hat sich das erst ergeben?

Ana Druga: Die Kuration von Ausstellungen sind ein fester Bestandteil unseres Portfolios. Wir sind natürlich sehr glücklich, die Fotografien von Valery Faminsky jetzt auch im Willy-Brandt-Haus vom 10. September bis 25. Oktober 2020 unter dem Titel „Neue Zeit?“ ausstellen zu dürfen. Zudem möchten wir die Ausstellung auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Holland und Großbritannien zeigen. Es ist noch ein langer Weg.

Seit 2019 vertreten wir Fotografen und planen gemeinsam mit anderen Galerien und Institutionen Ausstellungen, die bisher auch eng mit unseren Publikationen verknüpft sind. So wollten wir in diesem Jahr unter anderem den chinesischen Fotografen Feng Li und den tschechischen Fotografen Jindřich Štreit im Fotohaus ParisBerlin in Arles präsentieren. Wie viele andere mussten wir wegen der aktuellen Situation kurzfristig alle Pläne verwerfen und somit die geplanten Ausstellungen auf den Herbst 2020 oder das Jahr 2021 verschieben.

Jens Pepper: Fotobuchhändler, Buchdesignerin und beide zusammen Verleger. Und nun bewegt Ihr euch auch noch im Ausstellungswesen. Werdet Ihr da nicht als Konkurrenz von der Kuratorenszene und den institutionellen Ausstellungsmachern angesehen? Oder werden Eure Ausstellungsvorschläge immer sofort mit Wohlwollen goutiert und die Türen stehen Euch als Experten für die jeweiligen fotografischen Werke offen?

Ana Druga: Ich denke nicht, dass aktuell eine Konkurrenz zu anderen Kuratoren besteht – ganz im Gegenteil – die Leidenschaft zur Fotografie verbindet. Durch den Austausch mit anderen Kuratoren, Galeristen und Verlegern entstehen enge Verbindungen, und vor allem können gemeinsame Projekte leichter umgesetzt werden. Ich selbst empfinde es als eine wirklich große Bereicherung – sicher kann es in der Szene auch ganz anders aussehen. Bisher kann ich tatsächlich nur von positiven Begegnungen berichten.

Thomas und ich haben in den letzten zehn Jahren für Galerien und Events Ausstellungskonzepte erstellt: jetzt ergeben sich durch die Verlagsarbeit und unsere Visionen immer mehr Möglichkeiten unsere Kreativität und Erfahrung mit unseren Künstlern umzusetzen. Man kennt die Fotografen, deren Arbeiten und Entwicklungen oft über Jahre. Das ist immer eine intensive Auseinandersetzung. Daher vertreten wir einen großen Teil der Künstler, mit denen wir gemeinsam Fotobücher und Special Editions veröffentlichen auch im Bereich Print und Ausstellung. Wir wollen, dass unsere Arbeit spannend bleibt, wir eine Spur in der (Foto)Geschichte hinterlassen, und auch zurückgeben, was man einst selbst erhalten hat – dass alles ist sicher gemeinsam mit anderen Experten besser umsetzbar.

Jens Pepper: Nochmal zu Faminsky. Das, worauf Ihr bzw. Arthur Bondar da ursprünglich gestoßen seid, waren das Negative oder Prints? Und sind jetzt im Willy-Brandt-Haus Originale zu sehen oder Ausstellungsprints?

Ana Druga: Arthur Bondar hat die Negative des „Berliner Archivs“ von den Enkelkindern Valery Faminsky‘s erworben. Die Enkelkinder fanden die Papierboxen mit den knapp 500 Negativen 2016, Faminsky war ja schon 1993 verstorben. Faminsky hatte direkt nach seiner Rückkehr Ende Mai 1945 kleine Kontaktbilder zu den Negativen angefertigt und rückseitig mit Datum, Ort und dem jeweiligen Ereignis beschriftet. Da Faminsky wohl klar war, dass er die Bilder nicht veröffentlichen konnte, da diese nicht in die offiziell gewünschte Lesart des großen Vaterländischen Krieges fielen, hat er die Bilder nie gezeigt oder für eine Veröffentlichung Abzüge erstellt. Faminskys Aufnahmen sind keine Heldenbilder. Die Scans der Negative wurden in Moskau von Arthur Bondar angefertigt und von uns für den Tritone Druck im Buch angepasst. Die Prints für die Ausstellung sind Pigmentprints auf Hahnemühle Fineart Baryta Papier.

Jens Pepper: Kannst Du mir etwas zu Valery Faminsky erzählen? Er war Fotoreporter im Medizinischen Korps der Roten Armee, so habe ich das zumindest in einer Rezension von Andreas Kilb für die FAZ gelesen, wie auch, dass er um 1980 selber niederschrieb, dass er relativ frei fotografieren konnte. Wie umfangreich ist das Archiv, und sind die Berlinbilder als nicht auf Medizinisches fokussierte Dokumente in diesem Konvolut einzigartig?

Ana Druga: Faminsky war sicherlich Fotograf mit Leib und Seele. Er sollte Feinmechaniker in einem Schlossereibetrieb erlernen, aber Aufgrund einer Sehschwäche wechselt er in die Fotoabteilung des Betriebes, leitet kurze Zeit später dieselbe und gründet noch eine Betriebsfotogruppe. Später arbeitet er als Reise-Fotograf für den Allunions Bund (die russische Fotografen-Vereinigung) und auch für das Moskauer Planetarium als Fotograf oder dokumentiert mit der Kamera Pamir-Expeditionen. Mit Kriegsbeginn meldet er sich freiwillig an die Front, aber aufgrund seiner Sehschwäche wird er für untauglich befunden. Doch in einer zweiten Bewerbung bekommt er eine Ausbildung als Telefonist in den Nachrichtenabteilungen, wo er einen Bekannten trifft, der mittlerweile beim Militär-Medizinischen Institut arbeitet und Faminsky den Job als Frontfotografen besorgt. Danach fotografiert Faminsky ab 1943 an verschiedenen Frontabschnitten, meist in großen Schlachten. Seine eigentliche Aufgabe als Frontfotograf war die Dokumentation von Verwundungen und Erster-Hilfe-Leistungen direkt an und hinter der Front. Er hat die Bilder sofort in sogenannten MED-Stützpunkten an der Front oder in den Fotowagen der Kriegsberichterstatter entwickelt und Abzüge mit Kurieren an das Militär-Medizinische Institut in Moskau (später wurde es nach Leningrad evakuiert) zur Auswertung verschickt. Neben diesen „Auftragsarbeiten“, welche wohl immer noch im Archiv schlummern, beginnt Faminsky während der Befreiung Polens ungefähr ab den Seelower Höhen mit einer Leica Kamera und auf Agfa-Kleinbildfilm eigene Fotografien, unabhängig von den Aufträgen und Thematiken, welche ihm vorgegeben waren, zu fotografieren. Das Archiv umfasst knapp 500 Negative, die ersten Aufnahmen entstehen in Bunzlau (Schlesien) wo die 2. ukrainische Armee am Wohn- und Sterbehaus des Generals Kutusow [Held des Vaterländischen Krieges gegen Napoleon Bonaparte; gestorben 1813; Anm. der Red.] auf den Sturm auf Berlin eingeschworen wurde. Danach gibt es Fotos von den Seelower Höhen, den Vormarsch auf Berlin und den Kampf und die Befreiung Berlins. Der größte Teil der Aufnahmen entsteht zwischen der Kapitulation und der Abreise Faminskys aus Berlin, Ende Mai 1945. Er kann sich als Frontfotograf mit den Legitimationen, welche er besitzt, zwischen den Krankenhäusern und MED-Stützpunkten in der Stadt frei bewegen und setzt sich auch über das Verbot der Fotografie hinweg. Eigentlich durften nur noch ausgewählte Propaganda Fotografen in der Stadt arbeiten. Aber seine künstlerische Haltung und Interesse waren größer als die Verbote. Man spürt in seinen Bildern die Lust an einem gültigen, humanistischen Menschenbild dieser Tage, Aufnahmen von beiden Seiten der Front, im Licht des beginnenden Friedens. Vielleicht auch angefertigt für die Nachkommenden, um zu verstehen, sehen zu können. Damit ist auch ein Teil unserer Motivation der Veröffentlichung dieser wichtigen Fotografien benannt.

Jens Pepper: Wie viele der Berlinfotos habt ihr für das Buch ausgesucht und was war euch dabei wichtig. Gab es bestimmte Akzente, die Ihr setzen wolltet?

Ana Druga: Insgesamt haben wir 115 Fotos für das Buch ausgewählt. In der Ausstellung werden knapp 70 davon gezeigt. Für uns war es wichtig, das Konvolut in seiner Gesamtheit zu zeigen und auch den Weg zu zeigen, den er mit der Kamera festgehalten hat. Das Buch ist fast chronologisch aufgebaut. Es beginnt wirklich mit Aufnahmen auf den Seelöwen Höhen, dem Marsch auf Berlin, von der Befreiung und der Verlesung der Kapitulation hin zu den ersten Bildern eines sich etablierenden Alltag in den Extremen der völlig zerstörten Stadt, dem Chaos an hunderttausenden Zwangsarbeitern und Flüchtlingen die gehen und ankommen, Soldaten und Ausgebombten. Die Akzente setzen die Bilder selbst, in Ihrer klaren humanistischen Haltung und der Größe der historischen Dimension. Es gibt keine Bilder oder Archive, welche in solch einem Umfang und künstlerischer Qualität, vor allem aber mit solch einer Nähe und Genauigkeit in den Details, diese Tage und Wochen beschreiben. Ein in vielerlei Hinsicht wirklicher Schatz, der da in Moskau entdeckt wurde. Und am Ende fühlt es sich auch schön an, das Faminsky, der den Rest seines Lebens Objekte für den Moskauer Kunstfond fotografierte, jetzt von so vielen Menschen entdeckt und seine Bilder Teil unseres kollektiven Gedächtnisses werden können.

Jens Pepper: Nach Faminsky folgten Bücher von Michael Wolf, Dieter Keller und – ganz frisch – von Wolfgang Mayer. Zu Wolf habt Ihr eine ganz besondere Verbindung und sein unerwarteter Tod muss euch ziemlich getroffen haben, zumal nur kurze Zeit vorher auch Wolfs ursprünglicher Verleger, Hannes Wanderer von pepperoni books verstorben ist. Wie geht Ihr mit so einem Erbe um? Inzwischen vertreibt Ihr auch die von Hannes Wanderer veröffentlichten Wolf-Bücher und arbeitet mit Wanderers Bruder, dem Drucker Jochen Wanderer zusammen. Der Druck der Wolf-Bücher bleibt also in gleicher Hand.

Ana Druga: Es war eine sehr emotionale und traurige Zeit. Keiner hatte damit gerechnet, dass man zwei Menschen, mit denen man sich verbunden fühlt, so kurz nacheinander verliert. Hannes Wanderer hat nicht nur mein Verständnis für Fotobücher geprägt, er war auch Mentor und Freund. 2009 habe ich ihm noch mein eigenes Fotobuch vorgestellt und daraufhin fing eine enge Zusammenarbeit an. Unter anderem habe ich auch das Buch von Michael Wolf, „Tokyo Compression“ designt. So lernte ich Michael schon vor über 10 Jahren kennen und damit auch seine Fotowerke schätzen. Sehr viele Projekte, Events, ja sogar ein gemeinsames Studio mit Hannes sind Teil meiner Biografie. Mit Jochen Wanderer, einem begnadeten Druckermeister und in der Zwischenzeit ein guter Freund, habe ich in den vergangenen Jahren viele Drucksachen realisiert, auch mit meinem Studio für Visuelle Kommunikation. Auch Thomas hatte seit der Gründung seiner Fotobuchhandlung Bildband Berlin eine enge Verbindung zu Hannes. Sie konnten sich stundenlang über Fotobücher austauschen und auf Zusammenhänge stoßen, die kaum ein anderer gesehen hätte. Wir haben uns ja auch bei Hannes im Bookstore „25 books“ kennengelernt. Ich vermisse Hannes nach wie vor und seine wunderbare Art und seine Liebe zur Fotografie.

Dass auch Michael Wolf nach so kurzer Zeit von uns gegangen ist, war fast unwirklich, da ich ihn noch ein paar Wochen zuvor in Hong Kong getroffen hatte, um unter anderem unsere erste gemeinsame Publikation „Cheung Chau Sunrises“ während der Art Basel HK vorzustellen. Er war voller Tatendrang und Ideen. Michael wollte noch so viel verwirklichen und plante quasi ein Fotobuch nach dem anderen. Nach einer gemeinsamen Vereinbarung vertrieben wir nach der Auflösung des Verlages „Peperoni Books“ die letzten Exemplare seiner zuvor veröffentlichten Bücher. Er hatte sich auch gewünscht, dass wir alle seine noch verfügbaren Bücher während der Retrospektive „Live in Cities“ in der Urania Berlin präsentieren. Sein letztes Buch, „Hong Kong Lost Laundry“ aus der auf zehn einzelne Bände angelegten „Hong Kong Back Alleys“ Serie, welche Hannes Wanderer über Jahre mit Michael Wolf entwickelt hatte, habe ich mit Michael in Hong Kong konzipiert. Der Abschluss dieser Buchreihe war Michael sehr wichtig, „Hong Kong Lost Laundry“ wurde im Sommer 2019 während der Retrospektive in Berlin gelauncht, leider ohne Michael Wolf und Hannes Wanderer, aber in Gedanken und schönster Erinnerung an die Zeit, die wir zusammen verbringen durften.

Dennoch würde ich nicht von einem Erbe sprechen wollen. Wir verfolgen einen eigenen Weg mit unseren Veröffentlichungen und Künstlern, vertrauen unseren eigenen Ideen. Peperoni Books kann und konnte nur Hannes Wanderer sein – viele wunderbare Bücher bleiben für immer. Wir helfen gern, diese weiterhin sichtbar zu machen.

Jens Pepper: Sag mir bitte noch ein paar Sätze zu den Büchern von Keller und Mayer. Weshalb habt Ihr euch für diese Bildautoren entschieden?

Ana Druga: Dr. Norbert Moos, Leiter des Forums für Fotografie Köln, ist mit den Fotografien von Dieter Keller an uns herangetreten, weil er die Umsetzung des Faminsky Archivs in eine Fotobuch-Form sehr gelungen fand. Die Aufnahmen Dieter Kellers an der Front in der Ukraine 1941/42 haben uns wortwörtlich nicht mehr losgelassen. Die Schrecken des Krieges in einer modernen, fast zeitgenössischen fotografischen Darstellung, welche die bloße Funktion des Dokumentes verlassen. Auch diese Bilder gehören zu unserer Geschichte, das müssen wir aushalten können und durch die Erweiterung unseres kritischen historischen Bewusstseins mit diesen Bildern auch eine klare Haltung gegenüber den Kriegen unserer Zeit übernehmen. Im September werden sich in der Ausstellung „Neue Zeit?“ im Willy-Brandt-Haus in Berlin die Fotografien von Dieter Keller und Valery Faminsky gegenüber hängen, Ursache und Wirkung aufzeigen und die Wichtigkeit von Zivilisierung beschreiben.

Die Fotografien von Josef Wolfgang Mayer haben uns vom ersten Betrachten an in ihren Bann gezogen. Triptychen der Berliner Mauer, aufgenommen im Sommer 1990, also noch vor der Wiedervereinigung. Ein deutsch-deutsches Niemandsland voller Zeichen und Geschichte erzählenden Details. Das Buch besteht komplett aus Faltseiten, man öffnet sich die Landschaften selbst. Das war eine technische Herausforderung und an dieser Stelle muss ich dem Drucker Jochen Wanderer und seinem Team ein großes Kompliment für die Umsetzung machen. Es war eine sehr schöne und enge Zusammenarbeit mit dem Fotografen und im Besonderen auch mit der Galeristin und Herausgeberin des Buches, Annette Koschmieder.

Herstellung und Sichtbarmachung, also Vertrieb und Verkauf eines Bildbandes, stellen einen umfangreichen und arbeitsintensiven Prozess dar. Wir übernehmen ja alle Aufgabenbereiche, von Werbung und Kommunikation bis hin zu der Organisation von Ausstellungen und Präsentation unserer Künstler und Bücher. Das geht nur mit einer bedingungslosen Leidenschaft und dem festen Glauben an die fotografische Qualität und Einzigartigkeit des Künstlers und Projektes. Hierfür ist dann Jindřich Štreit ein gutes Beispiel. Für Thomas geht ein lang gehegter Traum in Erfüllung, dass wir das Fotobuch „Village People 1965–1990“ mit dem tschechischen Fotografen veröffentlichen können. Das Sichten seiner umfangreichen Archive in Sovinec, wo er lebt, die langen Scan-Orgien, die finale Auswahl der Bilder für das Fotobuch und die vielen Reisen nach Tschechien in den vergangenen zwei Jahren, haben ein richtiges Abenteuer aus dieser Buchproduktion gemacht. Die Gastfreundschaft und das Wissen des tschechischen Fototheoretikers Vladimir Birgus waren eine wichtige Hilfe und die gemeinsame Veröffentlichung des Buches mit dem Prager Kunstbuchverlag KANT Books in fünf verschiedenen Sprachen ist ein neuer Schritt für unseren Verlag. Es macht uns stolz, so viele verschiedene Menschen mit den grandiosen Fotografien Jindřich Štreits bekanntmachen zu können. Sein realistisches, wie poetisch aufgeladenes Menschenbild hat ihm im Sozialismus Gefängnis und Berufsverbot eingebracht, aber er hat immer weiter fotografiert, mit Hausdurchsuchungen und der Beschlagnahme seiner Negative gelebt. Nach der „Samtenen Revolution“ in Tschechien wurde er rehabilitiert und bekam seine Negative zurück, welche die Geheimpolizei sorgsam archiviert hatte. Da er immer und immer noch in denselben Mährischen Region auf den Dörfern fotografiert, ist eine homogene Dokumentation inmitten Europas entstanden, welche Aufgrund ihres Umfanges und der Nähe zu den Menschen und den Ereignissen ihres Alltages, eine gültige Beschreibung des Zusammenlebens in den verschiedenen gesellschaftlichen Systemen darstellt. Jindřich Štreit wird 74 und fotografiert immer noch, unterrichtet und gibt Workshops. Seine Bilder hängen im Department of Photography im MoMA und in Osteuropa sind mehr als 50 Bücher über ihn veröffentlicht worden. Im „Westen“ bisher kein einziges Buch. Hier ist er eigentlich nur Insidern bekannt. Das zeigt auch, das die osteuropäische Fotografie, bis auf wenige etablierte Ausnahmen, immer noch keinen wirklichen Zugang zu den Märkten und Strukturen findet. Die historisch bedingte Abkoppelung einer so reichen Fotoszene und Fotografiegeschichte von 1939 bis 1990 hat scheinbar eine Trennung bewirkt, wo vorher ein intensiver Austausch stattfand. Unsere Monografie von Jindřich Štreit beschwört ein wenig die alte Foto-Connection Prag-Berlin- Paris.

Jens Pepper: Ihr legt gesteigerten Wert auf ein schlichtes und elegantes Buchdesign und auf hohe Qualität in der gesamten Produktion. Das ist kostenintensiv und für euch risikobehaftet. Wie läuft bei euch die Planung der finanziellen Aspekte? Was muss ein Projekt mit sich bringen, damit Ihr glaubt, dass es sich finanziell rechnen wird. Ich spreche da noch nicht mal von einem großen Gewinn, aber doch von genug Einnahmen, dass es euch nicht ruiniert.

Ana Druga: Eine positive Einstellung, viel Wissen über das Medium Fotografie und Fotobuch, der Glauben an eine erfolgreiche Buchproduktion, ein sehr gutes Team und vor allem einen begnadeten Fotografen benötigt man allemal, um ein erfolgreiches Buch zu publizieren. Fleiß, Leidenschaft und Begeisterung für das Medium sind natürlich Voraussetzung. Wir erarbeiten ein zeitgenössisches Design, welches sich trotzdem an klassische Fotobuch-Konzepte anlehnt. Die richtige Präsentation der Bilder und deren Wirkung stehen klar im Mittelpunkt. Für uns ist es wichtig, mit dem Fotografen zusammen, ein breites Publikum zu erreichen, Bücher herzustellen, welche sowohl auf dem Independent-Markt funktionieren, aber auch in den klassischen Buchhandlungen und Kultur-Kaufhäusern zu finden sind. Es gelingt uns über unsere Empathie Mitstreiter zu gewinnen, wie z.B. den Historiker und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Peter Steinbach, der für zwei unserer Veröffentlichungen sehr intensive wie kluge Texte beigesteuert hat, mit uns an die Projekte glaubt, oder, wie auch Adam Broomberg, der für „Das Auge des Krieges“ von Dieter Keller einen Essay verfasst hat. Wir sind dankbar für die Wahrnehmung und die Unterstützung von den Autoren und Journalisten, die über unsere Bücher berichten und die Magazine, die diese Artikel veröffentlichen. Intensives Marketing und PR sind nach der Buchpublikation der wichtigste Faktor, um die Bücher bekannt zu machen und zu kommunizieren.

Wenn ich von vornherein annehmen würde, dass mich ein Buchprojekt ruinieren könnte, dann würde ich es definitiv nicht herausbringen. Wir glauben an unsere Ideen, wir verwirklichen unsere Visionen und behandeln jedes Buch mit größter Sorgfalt. Wir wünschen uns, dass die Begeisterung, die wir mit den Bildern und Büchern erfahren an die Kunden weitergeben wird, und sich die Intensität und inhaltliche Auseinandersetzung die wir führen, überträgt. Wir wollen mit unseren Fotografen wachsen und unseren Verlag weiterentwickeln. Wir haben keinen Druck und müssen keine Projekte verwirklichen, an die womöglich nur der Gewinn oder eine gute Finanzierung geknüpft ist. Allerdings hilft es sehr, wenn sich die Bücher gut verkaufen, um weitere hochwertige Publikationen zu ermöglichen.

Jens Pepper: Habe ich das richtig in Erinnerung? Ihr habt nach dem ersten Buch einen lobenden Brief von dem Verleger Lothar Schirmer erhalten? Was stand drin?

Ana Druga: Ja, das stimmt. Zuerst kam per Mail von seinem Assistenten eine Anfrage für ein Exemplar von „Berlin Mai 1945“ mit Kollegenrabatt. Dann haben wir ihm ein Buch als Geschenk zugesendet. Kurze Zeit später kam aus München ein handschriftlicher Brief von Lothar Schirmer. Das war ein wirklich aufregender und irgendwie sehr surrealer Moment, als wir den Brief geöffnet haben. Von so einer Verleger-Legende für unser erstes Buch gelobt zu werden war großartig. Genauer gesagt, hat er das Buch als „eine der besten Publikationen der letzten 10 Jahre“ bezeichnet. Ein paar Verbesserungsvorschläge waren aber auch dabei! So fand er den schwarzen Faden nicht ganz passend. Das hat uns sehr bewegt und sicher auch motiviert. Im Jahr darauf haben wir ihn auf der Frankfurter Buchmesse getroffen und er hat aus dem Kopf präzise nicht nur Bilder Faminskys aus unserem Buch geschildert, sondern dazu immer auch die Seitenzahl genannt, ohne das Buch vor sich liegen zu haben. Das war dann wirklich sehr beeindruckend. Diese vielen schönen und auch sehr intensiven Begegnungen sind dann häufig Grund genug, um das nächste Fotobuch zu planen, um den nächsten interessanten Fotografen treffen zu wollen, ein neues Archiv zu erforschen. Thomas und ich sind voller Leidenschaft dabei, empfinden die Arbeit mit unserem Verlag und der Agentur „Buchkunst Berlin“ als eine Art von „fröhlicher Wissenschaft“ und sind sehr dankbar für unsere Begegnung und Liebe.

Das Gespräch wurde im August 2020 via Email geführt.

Zosia Prominska. Selbstportrait

Ana Druga ist Fotografin und Gestalterin. 2010 hat sie das Studio für visuelle Kommunikation DRUGA DESIGN in Berlin gegründet. Seit 2018 betreibt sie gemeinsam mit Ihrem Partner Thomas Gust den Verlag BUCHKUNST BERLIN.