Foto: Janine Graubaum, aus Kosmos Train

 

Jens Pepper: Ich muss gestehen, dass du mir als Fotografin bis vorhin, als ich einen Artikel über dein Buch „Kosmos Train“ auf Spiegel Online gelesen habe, nicht bekannt warst. Mir hat aber die Idee, monatelang mit alten Zügen aus der Sowjetzeit durch Russland, Weißrussland, Moldau, die Ukraine usw. zu reisen und diese Fahrten fotografisch zu dokumentieren, sehr gefallen. Vielleicht, weil ich derzeit auch ein großes Interesse an Osteuropa habe. Und wohl auch, weil ich diese Idee von einem Roadtrip sehr sympathisch finde. Ich habe das Buch noch gar nicht real in den Händen gehalten, sondern kenne nur die Fotos aus dem Internet, so auch das kleine Video, in dem einmal schnell durch das Buch geblättert wird. Es ist eine sehr intensive Publikation, die sehr auf Atmosphäre setzt. Aus wie vielen Aufnahmen wie vieler Reisen hast du letztendlich die Bilder für „Kosmos Train“ ausgewählt?

Janine Graubaum: Ich habe nie alle Bilder gezählt die ich geschossen habe. Da ich aber digital fotografiert habe, waren es unglaublich viele. Ich war 2008 auf meinen ersten beiden Reisen mit dem Zug gen Osteuropa unterwegs. Auf diesen Reisen entstand die Idee, erstmal über das Zugreisen in Osteuropa eine Arbeit zu machen. Von diesen beiden Reisen haben es am Ende insgesamt fünf Bilder ins Buch geschafft. Ab 2013 machte ich dann bis 2015 sieben weitere Reisen, immer ca. drei bis vier Wochen quer durch Osteuropa. Diese sieben Reisen waren gezielt für das Projekt geplant.

Aus wie vielen Bildern ich dann am Ende insgesamt ausgewählt habe ist schwer zu sagen…und da ich, wie du auch an der Arbeit erkennst, eher eine emotionale und weniger eine technische Fotografin bin, möchte ich mich jetzt auch nicht hinsetzen und das durchzählen. Ich hoffe, das verstehst du.

Jens Pepper: Wie ist dein Interesse an diesen Reisen entstanden?

Janine Graubaum: Mein Interesse ist auf meinen ersten beiden Reisen 2008 nach Russland und dann Transnistrien geweckt worden.

Beide Reisen unternahm ich damals mit dem Zug, aber aus anderen Gründen. Nach Russland bin ich mit einer Jugendgruppe gefahren. Ich sollte damals einen Jugendaustausch, ein Projekt in Kooperation mit „Zwanzig Zoll Media“ und dem Streetworker Verein „Gangway“ fotografisch dokumentieren. Wir sind damals von Moskau bis Izhevsk, Udmurtien mit dem Nachtzug gefahren. Da ich schon immer einen großen Faible für Osteuropa und alles altsowjetische hatte, blühte ich in diesem Zug richtig auf. Schon damals spürte ich, dass in diesem Zug für mich eine besondere Welt existiert und ich war die ganze Zeit wach, lief den ganzen Zug einmal von vorne bis hinten und wieder zurück ab. Ich wollte alles entdecken was es zu entdecken gab. Ich war einfach fasziniert von diesem russischen Schlafwagen.

Einen Monat später ging es dann mit zwei Freunden für eine private Reise nach Transnistrien. Damals war das Land noch nicht so sehr touristisch von Backpackern erschlossen bzw. entdeckt wie heute. Meine beiden Kumpels, Till und Gil, studierten damals Filmkamera an der HFF und waren genauso begeistert vom Wilden Osten wie ich. Also buchten wir von Berlin aus Zugtickets in die Ukraine, von dort ging es weiter bis nach Chisinau in Moldawien. Alles mit dem Zug. Schon der Grenzübertritt von Polen in die Ukraine war extrem spannend. Da die Spurweiten ab der Ukraine unterschiedlich sind, wurde unser Zug in eine riesige Halle gefahren, alle Wagons wurden angehoben während wir drin waren und die Radachsen inklusive Räder wurden gewechselt. Quasi von Hand! Von mehreren Arbeitern mit schwerem Eisenwerkzeug. Ich fand es damals wahnsinnig aufregend. So roh, dreckig und echt.

Dann stiegen wir in der Ukraine in einen moldawischen Nachtzug. Auf der Strecke nach Chisinau kamen Händler aller Art in die Wagons und verkauften alles was man so brauchte oder auch nicht brauchte. Von Lebensmittel- über kleine Elektronikgoodie-Händler bis hin zu Geldwechslern war alles dabei. Auf den längeren Stopps ,an einigen Bahnhöfen, taten sich kleine, temporäre Minimärkte auf. Frauen aus dem Dorf oder Ort verkauften selbst gemachte Backwaren, Bier und gräucherten Fisch. Ich fand es fabelhaft. So einfach, so bunt und so menschlich war das ganze Geschehen.

Ich hatte mich verliebt in diese Züge, in diese kleinen Mikrokosmen, die immer wieder aufplopten.

Diese Erlebnisse haben mich dann über die nächsten Jahre lange begleitet und ich trug die Idee daraus ein Projekt zu machen schon lange in mir.

Jens Pepper: Als du das erste mal die Zuggänge entlangliefst, warst du da befangen, oder trautest du dich von Anfang an, auch die Mitreisenden in allen Situationen zu fotografieren. Es ist ja nicht leicht, in einem fremden Land, umgeben von einer fremden Sprache, einfach so mit der Kamera draufzuhalten.

Janine Graubaum: Es ist nie einfach, völlig fremde Menschen in der Öffentlichkeit zu fotografieren. Wenn ich dokumentarisch fotografiere, möchte ich meinen Portraitierten mit möglichst viel Respekt für ihre Person entgegen treten. D.h., ich fotografiere nie aus der Hüfte oder verstecke mich mit der Kamera. Ich versuche immer möglichst offen mit der Kamera unterwegs zu sein. Natürlich gab es oft Situationen in denen ich mich etwas befangen gefühlt habe, oder es selber komisch gefunden hätte, jetzt einfach drauf los zu fotografieren. Andererseits geht es bei der dokumentarischen Fotografie immer um den Moment, und manchmal muss man dann eben einfach die Kamera heben und fotografieren und schauen, wie die Person reagiert. Oft versuche ich aber mit den Menschen vorher Kontakt aufzunehmen, mich mit Ihnen zu unterhalten und sie an die Kamera zu gewöhnen. Wenn dir die Leute vertrauen, kannst du viel vertrauensvollere und ehrlichere Bilder schießen. Das ist mir in meiner Fotografie sehr wichtig. Auch, um Ihnen damit den nötigen Respekt entgegen zu bringen und sie nicht einfach bloß zu stellen. Mit vielen Menschen in meinen Bildern habe ich einige Zeit verbracht. Manchmal Stunden, manchmal Tage. Einige Bilder sind aber auch in einer tollen Situation entstanden, in der ich einfach fotografiert habe. Manchmal fühle ich mich dabei wohl, weil ich merke, dass es den Menschen nichts ausmacht ,oder ihnen sogar gefällt. Manchmal fühle ich mich aber auch unwohl, dann versuche ich die Situation anders anzugehen, sie zu verändern, oder ich lasse es bleiben zu fotografieren. Da ich selber nicht gern einfach so fotografiert werde, ist es mir wichtig dies auch in meiner dokumentarischen Fotografie zu berücksichtigen. Es gab zum Beispiel eigentlich ein No go für mich: Schlafende Menschen zu fotografieren. Nun sind in meinem Buch trotzdem zwei Bilder mit schlafenden Menschen. In diesen Situationen habe ich etwas sehr schönes gesehen und konnte nicht anders als diese Bilder zu schießen. Beide Bilder stellen für mich keine Bloßstellung der Personen dar und man erkennt sie auch auf beiden Bildern eher schwer. In solchen Momenten muss man dann abwegen. Das muss jeder Fotograf für sich entscheiden.

Menschen einfach so zu fotografieren ohne sie vorher zu fragen, braucht aber auf jeden Fall Übung. Man lernt irgendwann, wann es ok sein könnte, man interagiert mit den Menschen und spricht hinterher mit ihnen und erklärt eventuell die Situation. Wenn man mit der Sprache nicht weiter kommt, hilft oft ganz einfach Menschlichkeit. Mit Mimik den Personen verstehen geben das es ok ist, das man nichts schlechtes will. Sympathie funktioniert auch ohne Worte.

Jens Pepper: Gibt es nationale Unterschiede, wenn du in den Zügen und auf den Bahnhöfen fotografierst? Also, reagieren die Menschen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich? Und gibt es Gesetze, die die eine oder andere Aufnahme in bestimmten Ländern erschweren oder gar verhindern, zum Beispiel, weil ein Ort oder ein Gebäude als militärisch wichtig gilt?

Janine Graubaum: Ja, es gibt durchaus Unterschiede in den verschiedenen Ländern. Man kann wirklich sagen, je wärmer das jeweilige Land, desto einfacher ist es zu fotografieren bzw. desto offener und freundlicher sind die Menschen.

In Weißrussland beispielsweise ist es offiziell nicht erlaubt auf Bahnhöfen zu fotografieren. Man sieht sehr viel Polizei auf den Bahnhöfen und einmal wurde ich abgemahnt, weil ich auf einem Bahnhof einfach über die Gleise zum nächsten Bahnsteig gelaufen bin, um eine Situation zu fotografieren, die sich schnell hätte auflösen können. Die Kamera, die ich dann schnell unter meine Jacke gesteckt habe, hat der Polizist dann aber nicht bemerkt. Auch die Passanten und Reisenden sind im allgemeinen sehr misstrauisch. In Weißrussland hatte ich das Gefühl, dass man bloß nicht auffalllen möchte und jeder möglichst schnell seiner Wege geht.

In der Ukraine ist es offiziell erlaubt auf den Bahnhöfen zu fotografieren. Trotzdem versuchen es Polizeibeamte, die auch hier stark vertreten sind, immer wieder, etwas für sich raus zu schlagen. Einmal nahm mir ein Beamter den Pass und das Ticket ab und führte mich in sein kleines Polizeibüro. Dort saßen wir 20 Minuten und führten ein absurdes Gespräch über meinen Aufenthalt in der Stadt, warum ich acht Stunden auf den nächsten Zug warten muss, und warum ich in der Stadt spazieren gehe. Ich solle doch lieber den Bus nehmen. „Ich gehe halt gern spazieren und außerdem habe ich acht Stunden Zeit“, entgegnete ich. Nach 20 Minuten gab er mir meine Unterlagen wieder und führte mich zur nächsten Bushaltestelle. Dass er bestochen werden und mir Angst einjagen wollte, wurde mir erst hinterher so richtig bewusst.

Anders ist es an Bahnbrücken in der Ukraine, die immer noch stark militärisch bewacht werden. An einem Abend wollte ich eine kleine wunderschöne Hütte am Ende einer Brücke, auf einem Bahndamm fotografieren. Dazu musste ich über eine Wiese, an deren Anfang ein kleines Tor stand mit einem Schild, welches ich bewusst ignorierte und durch das kleine Tor lief. Es war schon recht dunkel und ich wollte die Hütte mit einer Langzeitbelichtung und Stativ fotografieren. Erste Fotos machte ich schon von der Wiese aus. Plötzlich fing ein Hund an zu bellen und aus einem Haus unterhalb der Brücke kam eine Gestalt mit Taschenlampe auf mich zu. Diese richtete die Taschenlampe auf mich, so lange, bis sie einen Meter vor mir stand und befahl, zu verschwinden, die Kalaschnikow über der Schulter hängend. Später sah ich in meinen Bildern, dass auch oben an der Brücke ein Soldat mit Kalaschnikow stand und mich schon die ganze Zeit beobachtet hatte.

Und wieder anders ist es in der Balkangegend zu fotografieren. Meist sind die Menschen sehr offen und freundlich und interessieren sich für dich. Sie posen oder lassen dich machen oder laden dich auf ein Getränk ein. In Albanien verbrachte ich mehrere Tage an bestimmten Bahnhöfen und lernte die Angestellten kennen. Das waren sehr schöne Bekanntschaften, wir haben viel erzählt und gelacht. Auch unter den Passagieren und Passanten gab es wenig Misstrauen mir gegenüber. Das war im Vergleich zu manchen Situationen in der Ukraine sehr erfrischend und ich fühlte mich freier zu fotografieren.

Alles in allem habe ich auf meinen Reisen aber immer sehr tolle Bekanntschaften gemacht.

Jens Pepper: Womit hast du auf deinen Reisen fotografiert? Und welche fotografische Ausrüstung hast du noch mitgenommen?

Janine Graubaum: Ich hatte eine Canon 5D Mark III dabei und habe fast ausschließlich mit einem lichtstarken 35 mm Objektiv fotografiert. Zusätzlich hatte ich noch ein kleines Reisestativ von Manfrotto dabei. Und zur Sicherheit immer ein 28er und ein 50er Objektiv, habe aber beide fast nicht benutzt.Zum Datensichern war ein Mini Acer Netbook dabei. Ich wollte möglichst frei von unnötigem Equipment sein.

Jens Pepper: Die Mark III ist ja noch nicht so lange auf dem Markt. Hast du davor mit dem Vorgängermodell gearbeitet, oder ein ganz anderes System benutzt?

Janine Graubaum: Die Mark III hatte ich damals schon etwa ein bis zwei Jahre. Davor hatte ich in der Tat mit einer Canon 5D Mark I gearbeitet. Und davor mit einer analogen Canon EOS und einer Yashica mit einem 50mm/1,4. Eine Zeit lang hatte ich auch mal eine Mamiya RB 67. Diese ist mir für meine Arbeit aber etwas zu klobig und unflexibel geworden. Ich mag es leicht und schnell. Mittlerweile können die digitalen Mamiyas und PhaseOne da aber auch mithalten.

Jens Pepper: Hast du Vorbilder gehabt, also Fotografen, die dich inspiriert haben?

Janine Graubaum: Ja, Joakim Eskildsens Arbeit finde ich wunderbar, besonders die „Romareisen“. Er hat einen wunderschönen Bildstil und geht sehr gefühlvoll mit den Farben um. Auch Martin Parrs Arbeiten vom Brighton Beach bewundere ich sehr. Diese sind sehr intensiv und man spürt, dass er mittendrin ist und manchmal auch ganz unsichtbar scheint.

Jens Pepper: Viele Fotografen entwickeln einen Stil, der zu ihnen passt, der ihnen liegt. Das ist dann ihr Markenzeichen und oft sofort als der ihre zu erkennen. Das kann spannend sein, insb wenn dieser Stil sich entwickelt. Bei manchen Fotografen wird der Stil ein ganzes Fotografenleben ohne große Variationen durchgezogen. Das kann dann schnell langweilig werden, auch wenn der Kunstmarkt das oftmals gerne hat. Wie hältst du es als junge Fotografin? Wie wichtig ist es dir, einen eigenen Stil zu entwickeln?

Janine Graubaum: Ein fotografischer Stil ist natürlich wichtig. Auch für mich. Ich glaube aber, es gibt mindestens zwei Wege solch einen zu generieren. Entweder man übt ganz bewusst und arbeitet daran, oder er entsteht über die Jahre und mit wachsender Erfahrung von ganz selbst. Bei mir ist es, denke ich, eher letzteres. Dennoch hinterfrage ich meine Art zu fotografieren immer wieder mal. Ich würde von mir selber nicht behaupten, dass ich einen starken eigenen Stil habe. Es gab aber schon Leute, die mir sagten, dass man meine Fotografie wiedererkennt. Ich arbeite ja in sehr unterschiedlichen Bereichen der Fotografie, im Kommerziellen zum Beispiel eher im Werbe- und Peoplebereich. Inzwischen mache auch immer mehr Bewegtbild, und dann ist da noch meine starke Liebe zur Dokumentarfotografie. In allen Bereichen arbeite ich ähnlich, aber mit unterschiedlichen Ansätzen, und daher kann der Stil auch variieren. Für die nächsten Jahre möchte ich mich aber ein wenig mehr spezialisieren und noch mehr an einem eigenen Stil arbeiten. Ich denke, dass ein eigener Stil wichtig sein kann, um sich von der Masse an Fotografen, die es ja immer mehr gibt, abzusetzen und dauerhaft von der Fotografie leben zu können.

Jens Pepper: Über Stil im Werk eines Fotografen muss ich irgendwann mal ein separates Interview führen, mit einem Kurator oder Kritiker. Ich finde das Thema sehr interessant, weshalb ich dich ja auch gefragt habe. Ich sehe Stil als festlegendes Element eher kritisch. Erst gestern habe ich das Buch „Bonkers“ von Bettina Rheims gesehen, das ca. 2014 erschienen ist. Das ist stilistisch ziemlich gleich wie „Chambre Close“ vom Anfang der 1990er Jahre. Ich fand das deshalb auch eher langweilig, obwohl es natürlich absolut solide Fotografie ist. Ich weiß, dass viele Kunden diese Wiedererkennbarkeit wollen. Ich habe das bei dem Künstler Anselm Reyle persönlich erlebt. Der hat vor ein paar Jahren, trotz Welterfolgs, aufgehört Kunst zu machen. Er hat ganz radikal seinen riesigen Atelierbetrieb aufgegeben, in dem zeitweise bis zu 50 Mitarbeiter tätig waren. Da fast alle Sammler aus allen Ecken der Welt immer nur seine berühmt gewordenen Folienbilder, vor allem die Reliefs haben wollten, hatte er einfach keine Lust mehr. Ihm fehlte das Experimentelle, und der wirtschaftliche Zwang, den Markt bedienen zu müssen mit Dingen, die er gar nicht mehr machen wollte, war ihm einfach zuwider. Der radikalen Schritt, zumindest für eine gewisse Zeit die Kunstproduktion vollständig einzustellen, wurde natürlich durch den Wohlstand, den er sich in den Jahren davor erarbeitet hatte, leichter für ihn.

Ich springe jetzt zwischen den Kunstgattungen, aber wenn ich beispielsweise David Bowies Werk betrachte, dann besteht dieses aus regelmäßigen stilistischen Totalbrüchen. Er wäre nicht dieser dauerhaft erfolgreiche Künstler geworden, hätte er sich zeitlebens auf seinen ersten erfolgreichen Stil festgelegt. Ich glaube, dass sich Künstler und eben auch Fotografen, auf ihre innere Stimme verlassen sollten. Wenn sie das Gefühl haben etwas machen zu wollen, das nicht zu ihren bisherigen Werken passt, sollten sie es machen, egal was der Markt dazu sagt. Vielleicht sehe ich das aber auch zu sehr aus der Kunstecke heraus und ignoriere die ökonomische Realität zu stark.

Jetzt aber zu der nächsten Frage. In welche Richtung möchtest du die Spezialisierung deiner Arbeit vorantreiben?

Janine Graubaum: Deine Gedanken finde ich sehr spannend und teile deine Meinung, dass der immer gleiche Stil langweilig werden kann. Ich gehe jetzt gleich zur Beantwortung der Frage über. Ähnlich geht es mir nämlich beim Thema „Spezialisierung in eine Richtung“. Wir sollen als Mensch immer besonders vielseitig sein, als Arbeitnehmer flexibel und möglichst viele Talente mitbringen, viele unterschiedliche Spagate machen können im Leben. Ich finde das für mich als Person schon lange toll. Ich bin sehr spontan und probiere sehr gern neue Dinge aus, und möchte mich eigentlich nicht festlegen lassen. Leider ist es in der kommerziellen Fotografie genau anders rum. Die Kunden und Agenturen verstehen nicht, dass ein Fotograf nicht nur Portrait kann oder Landschaft oder Transportation. Ich stelle immer wieder fest, dass mich Leute eingrenzen wollen, oder mir empfehlen, mich mehr zu spezialisieren. Ich finde das manchmal schwierig, weil ich das, was ich mache in den unterschiedlichen Bereichen, liebe. Aber je mehr es darum geht, mit meiner Fotografie wirklich Geld zu verdienen, desto mehr merke ich, dass man möchte, dass ich mich auf eine Sache konzentriere. Viele wollen es nicht akzeptieren, dass ich dokumentarisch und kommerziell, also in der Werbung arbeite. Und schließen das eine für das andere aus. Ich liebe es aber, einerseits Momente einzufangen und dabei möglichst unsichtbar zu sein, die Situation mit meiner Anwesenheit nicht zu zerstören, zu beobachten, und die Bilder zu finden, und dafür ganz viel Zeit zu haben. Und andererseits habe ich große Freude daran, mir Bilder im Vorhinein zu überlegen und zu inszenieren, ein Set aufzubauen und die Personen darin agieren zu lassen, und sie anzuweisen. Im Team zu arbeiten und gemeinsam zu einem tollen Ergebniss zu kommen. Dies sind zwei ganz unterschiedliche Aspekte der Fotografie. Dennoch möchte ich mich nicht davon abbringen lassen, beides weiterhin zu tun. Ich möchte es aber vorerst insoweit eingrenzen, als das meine Themen eher Menschbezogen sind. Zum einen People- und Lifestylefotografie im kommerziellen Bereich, und dann dokumentarische Geschichten von Menschen.

Weiterhin möchte ich mehr im Bewegtbildbereich als Regisseurin und Kamerafrau machen. Hier stelle ich mir vor, meine Erfahrungen aus beiden Aspekten der Fotografie in kurzen Geschichten zu vereinen. Meine Eindrücke und Begegnungen, die ich auf meinen Reisen für die dokumentarische Fotografie mache, als Inszenierung im Bewegtbild aufzugreifen.

Jens Pepper: Ich möchte jetzt wieder auf dein Buch zurückkommen. Wie ist Hannes Wanderer von peperoni books auf dich bzw. die Fotos aus kosmos-train aufmerksam geworden?

Janine Graubaum: Hannes Wanderer von Peperoni Books habe ich 2015 auf dem Kasseler Fotobook Festival kennengelernt. Ich hatte mit ihm eine Portfoliobesprechung und habe ihm mein Projekt gezeigt. Er war sofort begeistert, da auch er früher viel im Schlafwagen nach Russland gereist ist. Noch in unserem Portfoliogespräch habe ich ihn ganz direkt gefragt, ob er sich vorstellen könne, das Buch zu verlegen. Er wollte sich natürlich nicht festlegen lassen und hat mir vorgeschlagen, mal in Berlin in seinem Fotobuchladen 25books vorbei zu kommen, was ich dann gleich in der Woche darauf getan habe. Einige Gespräche später stand fest, dass wir das Buch gemeinsam publizieren wollen.

Jens Pepper: Hattest du eine Vorstellung davon, wie das Buch aussehen sollte und welche Fotos mit aufgenommen werden sollten, und ist das dann so umgesetzt worden? Oder habt ihr die Fotografien gemeinsam ausgewählt und die Gestalt des Buches zusammen entwickelt?

Janine Graubaum: Es gab ein paar Eckpunkte die für mich von Vornherein klar waren. Ich wollte z.B. ein Buch im Hochformat haben, trotz der Tatsache, dass fast alle meine Bilder im Querformat fotografiert wurden, und ich wusste, dass ich damit den Pfalz in der Mitte eines jeden Bildes würde in Kauf nehmen müssen. Das Leinencover war auch ein Wunsch von mir, den wir dann zum Glück am Ende auch verwirklichen konnten, da es finanziell noch gepasst hat. Beim Edit habe ich Hannes zunächst freie Bahn gelassen. Er hat die Reihenfolge so aufgebaut, dass der Betrachter wie auf einer Zugfahrt im Nachtzug mitgenommen wird. Man steigt Abends in den Zug ein, fährt über den nachsten Tag und kommt am Abend oder den darauf folgenden Morgen wieder im Dunkeln am Ziel an. Hannes hat auch einige Bilder ausgewählt, die ich nicht unbedingt mit rein genommen hätte, die für mich im Nachhinein aber das Gefühl, auf dieser Reise dabei zu sein, noch verstärken, da sie Übergänge schaffen oder das Gefühl der langen Reisezeit verstärken. Einige wenige Bilder habe ich aber auch wieder rausgenommen. Wir haben das Buch gemeinsam gemacht und so lange abgewogen bis es am Ende perfekt war. Hannes Erfahrung und sein Gespür für jedes Thema die passende Fotobuchgestaltung zu finden hat mich sehr fasziniert.

Jens Pepper: Mit welcher Auflage ist Kosmos-Train in den Handel gekommen?

Janine Graubaum: Es hat eine 600er Auflage.

Janine Graubaum

Das Gespräch wurde im August 2016 geführt.

Die Fotografin Janine Graubaum lebt in Berlin.

www.kosmos-train.de
www.janinegraubaum.de