Foto: Roland Pum, www.rolandpum.com

Foto: Roland Pum, www.rolandpum.com

Jens Pepper: Bevor wir richtig loslegen, fände ich es schön, wenn Du ein paar Worte zu Deiner Person sagst.

Lena: Also, nachdem ich ja nicht weiß, was Du genau von mir wissen möchtest, gebe ich Dir jetzt einfach mal die Basics. Ich bin 26 und komme ursprünglich aus Österreich, lebe nun aber schon seit fast zwei Jahren in Berlin und liebe es sehr. Ich studiere hier Humanmedizin an der Charitè, habe aber auch bereits ein abgeschlossenes erstes Studium der Transkulturellen Kommunikation und seit Mai diesen Jahres auch eine abgeschlossene Zusatzausbildung zur Sexualberaterin. Nebenbei arbeite ich als Tutorin an der Uni und eben als Model im Fotokunstbereich.

Jens Pepper: Ich sehe mich manchmal dem Vorwurf ausgesetzt sexistisch zu sein, nur weil ich als Fotograf auch Aktfotos von Frauen mache, die dann in Galerien ausgestellt und in Büchern publiziert werden. Das ist interessant, denn weder mache ich pornografische Aufnahmen – wobei ich nichts gegen Pornografie habe – noch fotografiere ich Frauen gegen ihren Willen. Dennoch gibt es Menschen, die sich negativ äußern, was ja auch erst mal in Ordnung ist. Jeder soll seine eigene Meinung haben und diese äußern dürfen. Mich beginnt es aber dann zu stören, wenn diese Personen sich herausnehmen, auch im Namen der Frauen zu reden, die als Aktmodel arbeiten oder sich aus purer Freude auch mal Akt fotografieren lassen, wenn sie also ein gewisses Sendungsbewusstsein entwickeln. Dieses Phänomen ist ja nicht neu. Ich erinnere mich noch an die Debatte „PorNO“ der Zeitschrift Emma in den 1980er Jahren, in der u. a. gegen Helmut Newton gegiftet wurde. Dabei gibt es kaum einen Aktfotografen, der so massiv starke, dominante Frauen dargestellt hat wie er. Eine Opferrolle kann ich bei Newtons Frauen nur selten erkennen. Alice Schwarzer hatte seinerzeit kaum kein schlechteres Beispiel wählen können.

Wie erlebst Du dieses Unbehagen mancher Menschen der Aktfotografie gegenüber?

Lena: Ich muss sagen: das ist wirklich kein einfaches Thema und dementsprechend schwer fällt es mir auch gerade, Dir eine Antwort zu geben, die dann auch tatsächlich das wiedergibt, was ich denke und mit der ich auch beim zweiten Mal Lesen noch zufrieden bin. Das allein zeigt aber auch schon, wie komplex und auch emotionsbehaftet dieses Thema für mich – und ziemlich sicher auch für viele andere – ist. Ich persönlich wurde noch nie für meine Tätigkeit als Aktmodel angefeindet oder als Antifeministin bezeichnet, muss da aber auch fairerweise dazu sagen, dass ich leider aus karrieretechnischen Gründen häufig verschweigen muss, dass ich nebenbei als Aktmodel arbeite, weshalb das Thema Aktfotografie leider gar nicht so oft zur Sprache kommen kann, und dass jene Menschen in meinem Umfeld, die davon wissen, sehr aufgeschlossene und liberale Personen sind, die an meiner Nebentätigkeit nichts Anstößiges oder gar Falsches finden. Ich kenne das Ganze allerdings aus einem anderen Bereich: ich betreibe schon seit Jahren recht begeistert als sportliches Hobby Poledance und musste mir deshalb schon so manches Mal anhören, wie ich es denn wagen kann, mich als Feministin zu bezeichnen und dann trotzdem „so etwas“ zu tun. Und ich kann das eigentlich ganz leicht beantworten: Ich weiß, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Frauen sehr oft immer noch nicht mal auf Gleichberechtigung hoffen dürfen und die Frauen oft gegen ihren Willen sexualisiert und objektifiziert. Und ich verstehe die Wut dagegen. Die habe ich auch. Deshalb bin ich Feministin. Und deshalb setze ich mich auch privat wie beruflich dafür ein, dass dieser widerwärtige Mist ein Ende hat, sei es in meiner Funktion als Sexualberaterin oder als Privatperson mit Demos, Petitionen, Stellungnahmen und dem konstanten Versuch, ein gutes Vorbild zu sein, was Geschlechtergerechtigkeit angeht. Und ich weiß auch, dass Kunst manchmal als Deckmantel für Sexismus verwendet wird, aber: nur weil manche eine Kunstform auf diese Art und Weise missbrauchen, macht das nicht die ganze Richtung an sich zunichte. Sei es nun Aktfotografie, Poledance oder etwas ganz anderes: Keine Kunstform ist per se sexistisch. Außerdem ist das Ziel des Feminismus meines Erachtens, jeder Person zu ermöglich, so zu leben, wie sie es möchte, sofern sie dabei niemand anderen einschränkt. Soll heißen: egal, ob ich Karriere machen oder hinterm Herd stehen will, egal, ob ich Männer, Frauen, alle darüber hinaus und dazwischen oder gar keine bzw. keinen lieben möchte, egal ob ich mich verhüllen oder als Aktmodel arbeiten will: diese Entscheidungen für mein Leben sind alle valide und ganz allein meine und sie zu treffen ist mein verdammtes Recht. Und das: lasse ich mir von niemandem nehmen.

Jens Pepper: Ab wann wird denn eine Frau gegen ihren Willen sexualisiert und objektifiziert? Und was genau muss ich mir darunter vorstellen? Ab wann ist es wirklich unzulässig und, wie du sagst, widerlich? Lässt sich das so klar definieren? Eine Art der Sexualisierung und Objektifizierung deiner Person passiert streng genommen doch schon, wenn dich jemand auf der Straße oder im Café mit Interesse ansieht. Und ganz sicher passiert es, wenn sich jemand Aktfotos von dir anschaut und sich dann dabei nur für deinen Körper und dein Gesicht interessiert, nicht aber für die Fotos an sich. Es ist doch Realität, dass die meisten Menschen attraktive Angehörige des Geschlechts, das sie sexuell präferieren, mit Interesse, Neugierde, und manchmal auch mit stillem Begehren anschauen. Das passiert bei alltäglichen Begegnungen genauso wie bei der Konfrontation mit Fotografien. Da ist es dann auch egal, ob die Fotos eine künstlerische Qualität aufzuweisen haben. Das alles geschieht in der Regel gegen deinen Willen, denn du hast keinen Einfluss darauf.

Lena: Das ist schon richtig: was sich Leute denken, die mich anschauen, kann ich nicht wirklich beeinflussen, das wird immer gegen meinen Willen geschehen, ganz egal, um welches Thema es geht. Aber das ist auch egal, denn was andere Leute denken, geht mich nichts an – denn der Punkt ist: solange sie es nur denken, tangiert es mich auch nicht. Meines Erachtens darf man also denken, was man will – der kritische Punkt ist nämlich nicht das Denken, sondern das Tun. Denn da beginnt dann die Sexualisierung und Objektifizierung, die nicht nur heikel, sondern meines Erachtens auch widerlich ist. Wenn ich durch die Straßen laufe und jemand schaut mich an und findet, dass ich einen schönen Körper habe, dann ist das vollkommen ok. Denkt diese Person aber dann, dass sie mir deshalb einfach mal irgendwelche anzüglichen Bemerkungen nachrufen oder vielleicht sogar einfach so, ohne mich zu fragen, meinen Körper berühren und mir so im Vorbeigehen an den Hintern fassen darf, dann haben wir ein massives Problem. Und genau das ist für mich ein ganz großer Teil dieser Sexualisierung und Objektifizierung von Frauen gegen ihren Willen, nach der Du gefragt hast. Die Lösung dieses Problems liegt aber meines Erachtens nicht darin, Dinge wie z.B. die Aktfotografie zu verbieten. Denn nur, weil ich keine nackten Frauen mehr sehe, macht mich das nicht automatisch respektvoller im Umgang mit Frauen. Man braucht sich da ja nur mal die Länder ansehen, in denen Frauen komplett verhüllt durch die Gegend laufen und auch in der Werbung keine halbnackten Frauen zu sehen sind: diese Länder sind trotzdem Meister darin, Frauen zu unterdrücken. Das Problem liegt also nicht an der Sache an sich, sondern am Umgang damit, also quasi auf der Metaebene. Und genau deshalb liegt die Lösung dafür nicht darin, die Sache an sich zu verbieten, sondern darin, den Umgang damit zu verändern – es würde ja auch niemand auf die Idee kommen, Bilder von Menschen verschiedener Hautfarben zu verbieten, um rassistische Kommentare zu vermeiden und genauso bringt es nichts, Bilder von nackten Frauen zu verbieten, um Sexismus zu bekämpfen. Natürlich wäre es schön, wenn das Ungleichgewicht von männlichen und weiblichen Körpern in der Werbung ausgeglichen würde – da gibt es im Übrigen auch schon ein paar sehr lustige Projekte dazu -, damit einfach auch auf dieser Basis ein Gleichberechtigungsgefühl entsteht. Aber alle anderen Lösungsansätze müssen gesellschaftspolitisch sein, um eine Welt zu schaffen, in der Menschen sich so geben dürfen, wie sie sind, natürlich immer mit dem Zusatz „ohne jemand anderen dabei in seiner/ihrer Freiheit einzuschränken“. Denn derzeit ist es so, dass man es als Frau eigentlich nur falsch machen kann, da wir in einer Gesellschaft leben, die sagt, wie Margarete Stokowski kürzlich so schön in einem Artikel für die TAZ geschrieben hat: „Falls ihr eine Burka tragen wollt: bloß nicht! Zeigt mehr Haut! Falls ihr gerade nackt seid: Zieht euch gefälligst was an, ihr Schlampen!“ Worauf ich hinaus will: wer sich dafür einsetzt, dass Frauen sich nicht an- oder ausziehen dürfen, setzt sich meines Erachtens für eine Kultur der Unfreiheit und der Limitation ein und das: ist kein Feminismus.

Jens Pepper: Du hast auf der Internetseite von Model-Kartei eine Sedcard, was bedeutet, dass du dich als Fotomodell selbst vermarktest. Was muss man dabei beachten, und was ist dir bei der Selbstpräsentation wichtig?

Lena: Was dabei wichtig ist, hängt natürlich immer auch ein bisschen von dem ab, was man über diese Plattform machen möchte und von den individuellen Präferenzen des jeweiligen Models. Ich finde, dass es wichtig ist, dass man neben hochwertigen Bildern von sich selbst, die man auch selbst mögen sollte, vor allen Dingen auf klare Kommunikation achten sollte. Allein der SC-Text sollte unmissverständlich zeigen, wofür man gebucht werden kann und wofür nicht, und die Kommunikation mit den einzelnen FotografInnen sollte dies ebenso tun. Denn Menschen, die hier nach Darstellerinnen für Pornos und Models für pornografische Bilder oder nach – ich sage es jetzt mal plakativ – einem hübschen, aber dummen Mädchen zum Vögeln oder anderen eher unseriösen Dinge suchen, sind hier leider keine Seltenheit. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man nicht zu leichtgläubig an das Ganze rangeht und sich den Fotografen/die Fotografin gut anschaut, bevor man zum ersten Mal mit ihm/ihr shootet – in welchem Stil schreibt er/sie mir, was hat er/sie für Bewertungen, wie sehen seine/ihre Bilder aus, können wir konstruktiv über den Shooting- und den Vertragsinhalt sprechen, usw.? Und dann ist es natürlich ebenso wichtig, dass man sich selbst gut präsentiert – ich versuche, eine möglichst große Bandbreite an Bildern zu zeigen, damit die FotografInnen einerseits sehen können, was ich akrobatisch und tänzerisch drauf habe und andererseits dass ich auch recht wandlungsfähig sein kann, und ich versuche auch, in regelmäßigen Abständen immer wieder neue Fotos hochzuladen, damit man sieht, wie ich derzeit aussehe und dass ich immer aktiv am Shooten bin. Und ansonsten: versuche ich einfach höflich, klar und ich selbst zu sein – das ist ein Satz, der zwar wahrscheinlich auch in jeder zweiten Teenie-Dating-Ratgeber-Kolumne steht, aber eine gewisse Wahrheit besitzt er halt trotzdem. Ich habe in den letzten Jahren dazu jedenfalls viele sehr gute Rückmeldungen bekommen – und auch die Menge an hübschen und interessanten Bildern, sowie die vielen, mittlerweile zum Teil schon langjährigen Shootingkontakte sprechen da sehr für sich, wie ich finde.

Jens Pepper: Ist es in der Regel so, dass du von Fotografen und Fotografinnen angefragt wirst, und dich dann für oder gegen eine fotografische Position entscheidest, oder gibt es auch Fotografen, deren Arbeiten dir gefallen und zu denen du dann initiativ den Kontakt aufnimmst?

Lena: Also, bisher war es immer so, dass mich Fotografen und Fotografinnen angeschrieben und für verschiedene Projekte bei mir als Model angefragt haben und ich dann, wenn vom Projekt, der Zeit und auch vom Vertrag her alles gepasst hat, zu ausgewählten Projekten zugesagt habe. Da ich bisher allein durch diese Anfragen immer alle meine freien Shootingtermine besetzen konnte, bin ich eigentlich gar nicht auf die Idee gekommen, aktiv nach Fotografen oder Fotografinnen für Projekte zu suchen. Und da ich den größten Teil meiner Zeit doch mit meinem Studium verbringe, bin ich eigentlich auch ganz froh, wenn der organisatorische Aufwand für meinen Model-Nebenjob so auf einem angenehmen Minimum bleibt. Was ich aber schon manchmal mache ist, dass ich bei ausgewählten Projekten, also wenn mir die Bilder eines Fotografen/einer Fotografin, der/die mich angeschrieben hat, besonders gut gefallen oder wenn sie mir anbieten, langgehegte Shootingwünsche von mir – davon habe ich immer eine ganze Liste auf meiner Sedcard – zu erfüllen, ich diese dann auf TfP Basis mache. Denn auch wenn Modeln für mich hauptsächlich ein Nebenjob ist, so geht es mir dann doch nicht ausschließlich ums Geld. Die Freude am Shooten und an schönen Bildern, die ich auch gern meine „ideelle Altersvorsoge“ nenne, ist auch ein gewichtiger Grund, das Ganze zu machen.

Jens Pepper: Ideelle Altersvorsorge ist ja ein schöner Begriff.

Möchtest du nach Abschluss des Studiums weiter modeln? Es wird dir bestimmt gefallen, wenn du später Fotos von dir aus mehreren Jahrzehnten hast. Und falls du eines Tages Kinder haben solltest, wird das für die bestimmt auch interessant sein. Es ist natürlich auch ein Zeugnis des Verfalls und der Vergänglichkeit.

Lena: Ja, ich finde, der Begriff trifft’s ganz gut. Wie lange ich vor der Kamera stehen möchte, weiß ich noch nicht, aber ich kann mir gut vorstellen, auch nach dem Studium und auch in späteren Lebensaltern noch Bilder von mir machen zu lassen – sicherlich nicht in dem Ausmaß, wie ich das heute mache, aber immer wieder mal ein Projekt mit einem Fotografen/einer Fotografin, mit dem/der ich schon immer gerne gearbeitet habe, das, glaube ich, ist gut möglich. Und ich stelle mir das eigentlich auch ganz schön vor, denn dann habe ich neben der ideellen Altersvorsorge zum Schluss quasi auch noch ein Lebensbilderbuch meines Körpers – eine Vorstellung, die mir eigentlich ganz gut gefällt.

Jens Pepper: Ich höre jetzt schon die Stimmen, die da sagen: mein Gott, Bilderbuch meines Körpers, wie oberflächlich. Viele andere Frauen, und sicherlich auch Männer, werden dich aber für diese Einstellung und deine diesbezüglichen Aktivitäten beneiden. Ich kann mir denken, dass es viele Menschen gibt, die auch gerne solch ein Lebensbilderbuch von sich hätten, sich aber nicht trauen, das anzugehen, oder sich nicht attraktiv genug finden, oder in einer gesellschaftlichen Umgebung leben, die eine Tätigkeit als Aktmodell nicht zulässt. Was würdest du einer Person sagen, die dich als Sexualtherapeutin aufsucht, und dir von solch einem, vielleicht unterdrückten Wunsch, erzählt?

Lena: Also, wenn jemand zu mir in die Beratung käme – Achtung, ich bin Sexualberaterin, keine Therapeutin! – und im Rahmen unseres Gesprächs herauskommt, dass zumindest ein Teil der sexuellen Problematik vielleicht auf ein, sagen wir mal, wenig liebevolles Verhältnis zum eigenen Körper zurückzuführen ist, dann würde ich natürlich in erster Linie versuchen, herauszufinden, woher das kommt. Und dann kann man schauen, wie man das vielleicht mit Übungen, näherer Erforschung der Hintergründe oder anderen Tricks aus der Beratungskiste angehen und besser machen kann – was aber genau zum Einsatz käme, das ist individuell ganz verschieden. Ich finde es jedenfalls sehr schade, dass so viele Menschen ein schlechtes Verhältnis zu ihrem Körper haben bzw. dass all jene, die ein gutes Verhältnis zu ihrem Körper haben als oberflächlich abgestempelt und in die Feindbildecke gestellt werden. Mir ist jedenfalls schon oft aufgefallen, dass man sich keine Freunde und Freundinnen macht, wenn man offen dazu steht, dass man den eigenen Körper voll und ganz liebt – und ich glaube, dass sich auch deshalb viele Menschen verbieten, ihren eigenen Körper wunderschön zu finden, einfach, weil wir es als einen unsympathischen Charakterzug, als „oberflächlich“, definiert haben, wenn das jemand tut. Nur das Äußere zu schätzen mag problematisch sein, auch das Äußere zu schätzen ist wundervoll, vor allem, wenn es das eigene Äußere betrifft. Denn das macht auch noch etwas ganz Entscheidendes: es macht nicht nur zufriedener mit sich selbst, sondern es macht auch oft eine Ausstrahlung, die andere erstaunen lässt. Mein Lieblingsbeispiel ist die Sedcard eines Models, auf die ich vor ewigen Zeiten mal zufällig gestoßen bin: Das Model hatte über 120 Kilo, aber man hat auf jedem einzelnen Bild gemerkt, dass sie sich in dem Moment total sexy und wohl in ihrem Körper fühlt und ich habe beim Betrachten der Bilder vermutlich aus genau diesem Grund ganz unwillkürlich sofort gedacht: Wow, schöne Frau.

Jens Pepper: Toll. Es gibt übrigens einige Fotografen und Fotografinnen sowie Maler und Malerinnen, die sich auf eine Zusammenarbeit mit beleibteren Modellen spezialisiert haben. Leonard Nimoy zum Beispiel, den die meisten wohl eher als Mr. Spock aus Enterprise kennen, fotografiert stark übergewichtige Frauen in Schwarz/Weiss. Das sind sehr lebensfrohe Aufnahmen. Und die Malerin Jenny Saville ist in den 1990er Jahren mit Portraits sehr, sehr dicker Frauen bekannt geworden.

Angenommen, Du selbst würdest Lust bekommen zur Kamera zu greifen. Wen oder was würdest Du fotografieren? Wären Akte für Dich interessant? Wie würden dann Deine Fotos aussehen? Und mit was für Modellen würdest Du in dem Fall arbeiten: schlanke oder dicke, junge oder alte, männliche oder weibliche?

Lena: Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, da ich bisher zwar wirklich gerne vor der Kamera gestanden bin und stehe, aber zumindest bis jetzt noch nie den Wunsch verspürt habe, selbst Bilder zu machen. Ich denke, wenn ich Bilder machen würde, dann ziemlich sicher fast ausschließlich in schwarz-weiß, weil ich finde, dass solche Bilder eigentlich immer, egal, was sie zeigen, eine ganz eigene Stimmung und Eleganz besitzen, die mir sehr gefallen. Und dann würde ich wahrscheinlich einfach mal durchprobieren, mit welcher Art von Modellen ich am besten arbeiten kann bzw. welche Bildergebnisse mir dann am meisten zusagen, wobei ich mir vorstellen könnte, dass es mich dann doch zu Körpern und Gesichtern ziehen würde, die man tendenziell wahrscheinlich als „weiblich“ bezeichnen würde, weil ich diese Art von Körper einfach auch privat am hübschesten bzw. anziehendsten finde. Ansonsten glaube ich, dass Bilder, die verwirren und ein bisschen vor den Kopf stoßen, die durch irgendetwas provozieren, durchaus auch meins sein könnten – ich denke da an unkonventionelle Kompositionen, Spiele mit Genderstereotypen und an Sichtbarmachung von Menschen, Körpern und Lifestyles, die für die meisten Menschen nicht zum Alltag gehören oder die für manche gar ein rotes Tuch darstellen. Ich merke allein schon beim Schreiben: macht mir dieser Gedanken Spaß. Aber für jemanden, die die Provokation auch ab und an als privates Hobby pflegt, ist das wahrscheinlich nichts Ungewöhnliches.

Jens Pepper: Wie pflegst du denn die Provokation als privates Hobby. Du meinst jetzt nicht dein Modeln und den Poledance, oder? Denn diese Beschäftigungen würde ich als ehrliche, lebensbejahende und selbstbewusste Statements verstehen, als authentischen Ausdruck deiner selbst.

Lena: Nein, Modeln und Poledance meine ich da in der Tat nicht, die sind tatsächlich einfach nur Nebenjob und Hobby. Obwohl, sie lassen sich manchmal auch für mein „Provokations-Hobby“ nutzen, auch wenn es nicht ihr Hauptzweck, sondern nur ein schöner Nebeneffekt ist. Es ist überhaupt so, dass ich nichts in meinem Leben wirklich dezidiert mache, um zu provozieren – ich mache alles nur, weil ich es schön finde, es mich erfüllt oder es einen anderen hübschen Zweck hat oder auch einfach ein Teil von mir ist. Was ich mit Provokation als Hobby meine, ist, dass ich es mag, sehr offen über Details aus meinem Leben zu sprechen und das bewusst einzusetzen, um Leute ab und an kurz und unerwarteterweise aus ihrer gedanklichen Komfortzone zu stoßen. Da spielt mir natürlich auch in die Hände, dass man, wenn man mich so im Alltag sieht, mich meist für das brave, biedere Mädchen von nebenan hält, dem man beim ersten Hinsehen auch nichts großartig Exzentrisches oder auch einfach nur „Anderes“ zutraut. Da war und ist die Überraschung für manche dann schon manchmal groß, wenn sie erfahren, dass ich eine Ausbildung zur Sexualberaterin mache. Oder gerne auch Frauen date. Eine polyamore Veranstaltungsreihe mit ins Leben gerufen habe. Oder auch einfach nur die Tatsache, dass ich in einer glücklichen Beziehung mit einem wunderbaren, transidenten Mann bin. Und für manche: reicht auch schon die Erwähnung von Poledance, um in kurzes mentales Stocken zu geraten. Das Wichtige dabei für mich ist, dass ich diese Dinge nie reißerisch verkünde oder sie ohne Zusammenhang auf Leute einregnen lasse – ich erwähne sie dann, wenn es auch ins Gespräch passt, und vor allem: erzähle ich ganz normal darüber. Denn, auch wenn ich den kurzen, minimalen Schock-Zustand meines Gegenübers schon sehr genieße, so geht es mir bei meinem ganzen „Provokations-Hobby“ vor allem um eins: zeigen, dass auch „anders“ ganz normal ist.

Obst und Muse zeigt, in Absprache mit Lena, an dieser Stelle nur Fotografien, auf denen ihr Gesicht nicht zu erkennen ist, denn leider besteht für sie in unserer Gesellschaft noch immer die Gefahr, dass sie wegen der Aktfotos Schwierigkeiten in ihrem Beruf bekommt, verursacht durch Intoleranz und zum Dogma erhobene Moralvorstellungen anderer.

 

Foto: Marcus Weber