Mondlicht, Foto: Marit-Beer

Mondlicht, Foto: Marit-Beer

Jens Pepper: Als ich dich kürzlich um ein Interview gebeten hatte und dir sagte, dass ich deine Arbeit in eine von mir beobachtete neue romantische Fotografie einordnen würde, die ich zur Zeit vor allem bei jüngeren Fotografinnen beobachte, da wusstest du zunächst nicht so richtig etwas mit dieser Einordnung anzufangen. Ich hatte dann geantwortet, dass ich das Poetische, Traumhafte, Märchenhafte und Symbolische meine, das ich in Deiner Arbeit sehe. Und als weiteres Beispiel, das meine Behauptung illustrieren soll, hatte ich die bei Krakau lebende Polin Laura Makabresku angeführt. Wie siehst du selbst deine Arbeit?

Marit Beer: Mit deiner Frage fühlte ich mich auch ziemlich überrumpelt, weil ich normalerweise die Fotografen für das Online-Magazin kwerfeldein ausfrage, warum sie machen was sie tun. Aber ich fand es sehr spannend, wie du meine Arbeiten einordnest und konnte die genannten Begriffe gut mit meiner Arbeit in Verbindung bringen. Ich bin also selbst gespannt wo wir am Ende des Interviews stehen.

Ich sehe meine Arbeiten als das Resultat eines Gespräches, indem nicht zwingend Worte vorkommen. Die Bilder müssen subtil sein, etwas unausgesprochenes soll den Betrachter herausfordern. Ich mag es, wenn sie mir manchmal selbst ein Rätsel sind – diffus, dunkel, eben poetisch.

Jens Pepper: Was meinst du mit dem Gesprächsresultat? Eine stille Zwiesprache mit dem Gegenstand, den du ablichten bzw. inszenieren möchtest? Oder eine – vielleicht einvernehmliche und wortlose – Kommunikation mit einem Modell? Das ist mir jetzt nicht so klar.

Marit Beer: Wenn ich mit Menschen arbeite, dann ist das immer eine Zusammenarbeit, in der beide bereit sind etwas zu geben. Auch in der Inszenierung bleibt genug Freiraum für Entfaltung und Spontanität. Ich habe kein bestimmtes Bild im Kopf, das ich inszenieren und ablichten möchte. Da ist oft nur ein vages Gefühl, das ich vor der Zusammenarbeit kommuniziere und das die Bilder, die entstehen sollen, trägt. Aus diesem Grund arbeite ich vor allem gerne mit anderen Künstlern zusammen, die selbst fotografieren, schreiben, schauspielern oder sich anders künstlerisch betätigen. Ich mag den Gedanken, nicht einen Menschen zu inszenieren, ohne dabei auf seine Persönlichkeit einzugehen. Die Fotos sind dann das Resultat.

Jens Pepper: Du sagst, dass du vor einer Fotosession kein bestimmtes Bild im Kopf hättest, das du gerne inszenieren und ablichten möchtest. Aber wenn ich mir deine Homepage ansehe, so sehe ich doch eine gewisse Orientierung in Deiner Arbeit. Du übertitelst deine Homepage ja auch direkt mit den Worten “Tales & Photography”. Du möchtest Geschichten erzählen, oder? Und du magst eine märchenhafte und poetische Atmosphäre. Also scheint mir eine eigene Grundidee doch vorhanden zu sein, wenn du mit einem Modell arbeitest, oder irre ich mich da?

Marit Beer: Ich habe eine Weile über deine Fragen nachdenken müssen, aber du hast Recht. Die Idee bin ich wohl selbst. Nehmen wir als Beispiel meine Geisterserie. Am Anfang stand lediglich das Gefühl von Fremdheit. Ich fing gerade an, Menschen zu fotografieren, die ich zuvor nicht kannte. Was ich von ihnen wusste, war lediglich das, was sie mir im Erstgespräch von sich erzählten. Das war für mich etwas komplett Neues, denn bis dato ließ ich nur Freunde und gute Bekannte in meine Wohnung. So kam ich auf die Idee, dieses Fremde zu verbildlichen, und zog zwischen mich und die fremde Person eine durchsichtige Mauer in Form einer einfachen Malerfolie, die Teile des jeweils Anderen nur schemenhaft abbildete. Und je nachdem, wie nah man an die Folie kam, wurden die Konturen der Körper schärfer oder unschärfer. Denn genauso nahm ich die Fremdheit war.

Ich überließ es dann den Menschen hinter der Folie, wie sie sich bewegten. Einige tanzten, andere berührten vorsichtig die Folie oder rissen sie sogar ein und versuchten, hindurchzusteigen. Diesen Prozess fand ich total spannend. Denn ich glaube, Menschen bekommen nicht nur gerne Geschichten erzählt, sondern sie erzählen auch selbst gerne Geschichten. Ich versuche also mit jeder Idee, die ich habe, den Anderen ebenfalls herauszufordern, mitzuwirken. Als letztes ist mir das mit Gloria und Julia gelungen. Wir haben zusammen an einer Serie gearbeitet, die die Spannung zwischen zwei Schwestern widerspiegeln soll. Ich ließ sie vor der Kamera verschiedene Gefühle wie Hingabe, Liebe und Eifersucht selbst ausloten.

Schwestern, Foto: Marit Beer

Schwestern, Foto: Marit Beer

Jens Pepper: Das aktive Mitwirken der Portraitierten ist also von elementarer Bedeutung in deiner Arbeit. In gewisser Weise bist du so etwas wie eine visuell arbeitende Psychologin, die die Menschen vor ihrem Kameraobjektiv aus sich herauskommen lässt. Dabei geben diese dann einiges von sich Preis. Doch, das hat wirklich etwas von der Arbeit eines Psychologen, nur dass Du an keine Schweigeverpflichtung gebunden bist und die Portraitierten das auch gar nicht von Dir erwarten. Du ermunterst sie zum – ich meine das jetzt positiv – Exhibitionismus, zum Offenlegen ihres Seelen- und Gefühlslebens. Die Arbeit mit deinen Modellen Julia und Gloria, so wie du sie schilderst, hat für mich fast etwas therapeutisches.

Marit Beer: Deine Gedanken zu meiner Arbeitsweise sind sehr interessant. Aber ich sehe das eher als eine Kulisse, die ich vorbereite und eine Stimmung, die ich vorgebe. Ich möchte es daher lieber als Theater beschreiben, wo der Mensch eine Bühne erhält auf der er sich austoben darf wie ein Schauspieler. Nur das ich Regisseur und Publikum in einer Person bin und mit der Wahl des Bildausschnitts bestimme, wie das Bild am Ende auf den Betrachter wirken wird. Und ich gehe dabei sehr empathisch vor, weil mich der Mensch an sich interessiert.

Jens Pepper: Das heißt, dass du beim Fotografieren zwar eine Idee von dem erwünschten Ergebnis hast, aber erst durch anschließendes Auswählen eines Bildausschnitts im Negativ oder in der Datei das finale Werk kreierst? Oder sprichst du von dem Bildausschnitt des inszenierten Geschehens, den du bereits im Sucher deiner Kamera festlegst?

Marit Beer: Ein befreundeter Fotograf nannte seine Fotografie einmal Prozessorientiert. Ähnlich sehe ich das bei mir auch. Die Idee kommt während der Aktion. Ich sehe, begreife und wähle dann den Ausschnitt den ich haben möchte. Manchmal wiederholen wir dann auch eine Szene die mir gefiel, wo ich aber nicht schnell genug war, um das Foto zu machen. Das finde ich an dieser Arbeit auch so spannend. Keiner weiß am Anfang, wie das finale Bild aussehen wird. Wir bewegen uns langsam darauf zu. Da ich nur analog arbeite und sehr gern mit Mittelformat, werden es auch maximal 24 Bilder, also zwei Rollfilme, die ich belichte.

Schwestern 2, Foto: Marit Beer

Schwestern 2, Foto: Marit Beer

Jens Pepper: Warum hast du dich dazu entschieden, nur analog zu arbeiten?

Marit Beer: Weil es mir ein besseres Gefühl gibt. Ich habe analog und digital damals die gleichen Chancen eingeräumt, aber die Arbeitsweise mit Film gefiel mir am besten, und ich verstehe sie.

Jens Pepper: Nur maximal 24 Aufnahmen zu machen, wenn man ein Model oder mehrere für eine Session einlädt und dafür dann auch ein Setting, eine Art Kulisse arrangiert, das scheint mir doch sehr konzentriert zu sein. Da kann viel schief gehen. Die Models sind anfangs evtl. noch nicht locker genug, um sich auf deine Ideen einzulassen, sie sind vielleicht noch zu steif und gezwungen in ihrer Haltung, in ihrer Mimik. Wenn ich selbst mit neuen Modellen arbeite, und ich bevorzuge Laienmodelle, die noch nicht diese vorgefertigten Posings beherrschen, dann merke ich, dass es schon mal eine Stunde des Fotografierens bedarf, bis ich die Leichtigkeit und Natürlichkeit beim Model sehe, die ich im Bild haben will, bis sich das Model also an die Situation und an mich als fremde Person gewöhnt hat. Ich spreche jetzt natürlich von Laienmodellen, mit denen ich bis dahin noch nicht zusammengearbeitet habe. Würde ich mich also da auf 24 Aufnahmen beschränken, würde ich möglicherweise scheitern.

Sind die Menschen, mit denen du zusammenarbeitest, überwiegend Bekannte und Freunde von Dir oder Menschen, die du durch deinen Freundes- und Bekanntenkreis kennenlernst?

Ich fasse die zwei Fragen noch mal zusammen. Ist die kontingentierte Bildmenge immer ausreichend für dich? Und woher kommen deine Modelle?

Marit Beer: Konzentriertes Arbeiten trifft es. Ich arbeite mittlerweile mit einer Handvoll Leuten die ich über die Jahre kennengelernt habe. Ein Freund fragte mal, ob ich mein „Ensemble“ schon zusammen hätte. Das ist eine schöne Bezeichnung. Die Leute kennen mich, ich kenne sie, und mit einigen bin ich auch gut befreundet. Manchmal kommt es noch vor, dass Menschen auf mich zukommen und fragen, ob ich sie fotografieren möchte, weil sie meine Arbeit schätzen. Auch hier merke ich dann, dass es da keine große Scheu mehr gibt, und dass sie sich drauf einlassen können. Das macht es möglich, konzentriert zu arbeiten und ich bekomme das auch als Rückmeldung: dass sie das langsame Arbeiten angenehm finden.

Ich beschränke mich einfach sehr gern und möchte das Wesentliche aus allem rausarbeiten. Dafür braucht es natürlich Zeit. Aber nicht hinter der Kamera mit dem Finger auf dem Auslöser, sondern schon vorher. Sich mit den Leuten beschäftigen, eine angenehme Beziehung aufbauen, nimmt den Leuten die Angst vor dem Unsichtbaren.

Geister, Foto: Marit Beer

Geister, Foto: Marit Beer

Jens Pepper: Gibt es einen bestimmten Typus Mensch, den du bevorzugt fotografierst?

Marit Beer: Ich fotografiere gerne Menschen die sich ebenfalls künstlerisch betätigen. Das gibt oft sehr gute Gespräche und bringt auch mich im Denken weiter. Weniger gute Erfahrungen habe ich gleich ganz am Anfang mit Freizeit-Modellen gemacht. Da gab es oft eine Diskrepanz zwischen dem was die wollten und dem was ich wollte. Anfänglich hatte ich da noch probiert einen Weg zu finden der beide Seiten glücklich machte. Aber mit der Zeit war mir klar, dass so nicht die Bilder entstehen, die mich glücklich machen.

Jens Pepper: Wenn Du erlebt hast, dass ein Model seine Ideen mit einbringen wollte, dann hast du aber immer auf einer Time for Print Basis gearbeitet. Bei bezahlten Fotosessions könnte Dir das nicht passieren. Eine Gefahr bei TfP liegt doch darin, dass ein Model dir irgendwann untersagen kann, die gemeinsam gemachten Fotos zu verwenden, denn rechtlich hast du in so einer Situation keinen Anspruch darauf. Hast du da keine Angst, dass du Teile Deines Werkes, das mit viel Mühe und Engagement entsteht, irgendwann einmal nicht mehr zeigen darfst? Vielleicht trifft solch ein Bann dann ausgerechnet deine besten Fotos? Mir wäre das Risiko zu hoch.

Marit Beer: Das ist ganz richtig. Aber als ich anfing Menschen zu fotografieren, habe ich nicht im Traum daran gedacht eines Tages Bilder irgendwo auszustellen, geschweige denn zu verkaufen. Im Vordergrund stand für mich etwas ganz anderes: Der Umgang mit Menschen, die man für kurze Zeit trifft; zu üben, auf sie einzugehen und herauszufinden, wo meine Fotografie hingeht bzw. was ich mit ihr zu sagen habe. Und um diese Anfangszeit bin ich auch sehr dankbar und auch um alle Erfahrungen, die positiven wie auch die negativen. Sie haben mich zu Entscheidungen gezwungen und ich habe mir über diese Zeit meinen philantropischen Umgang bewahrt sowie eine eigene Bildsprache entwickelt.

Seit Jahren nun habe ich eine Handvoll Leute mit denen ich immer wieder zusammen arbeite und im vorletzten Jahr hatte ich meine erste Ausstellung mit Dvorah Kern zusammen in der aff Galerie. Bei der Vorauswahl der Bilder passierte dann auch genau das, von dem du sprichst. Ich durfte zwei Bilder nicht zeigen und der Grund war für mich auch nachvollziehbar. Auf dem Bild war ein Paar zu sehen das mittlerweile nicht mehr zusammen ist und sich genau zur Zeit der Ausstellung in der Trennungsphase befand. Das Model hatte kein gutes Gefühl mit den Bildern an der Wand. Für mich war das vollkommen ok und mir fiel auch kein Zacken aus der Krone als ich diese Bilder dann eben nicht zeigen konnte.

Mittlerweile gibt es jedoch mehr Interessenten an meinen Bildern und auch mehr Ausstellungsmöglichkeiten. Für die bereits freigegebenen Bilder für Ausstellungen in Galerien und Magazinen werde ich in Zukunft die beteiligten Personen und mich noch besser absichern, damit das Moma keine Angst haben muss die Bilder wieder abhängen zu müssen.

Metamorphosis, Foto: Marit Beer

Metamorphosis, Foto: Marit Beer

Jens Pepper: Du arbeitest gerne mit Frauen deiner Generation. Weil ihr generationsbedingt möglicherweise ähnlich empfindet, gerade in bezug auf Themen und Bildinhalte?

Marit Beer: Die Frauen sind zwischen zwanzig und vierzig, ich muss also verneinen. Allerdings muss ich zugeben, das sich jüngere Frauen ungezwungener vor einer Kamera bewegen können. Ältere Frauen vergleichen sich oft mit jüngeren Modellen, die sie auf Fotos anderer sehen. Ich habe mir schon den Mund fusselig geredet über Stereotype und Schönheitsideale. Hängende Brüste, schlaffe Haut an den falschen Stellen, das lässt das Selbstwertgefühl ganz schnell sinken und macht mich manchmal regelrecht wütend. Aber nicht auf die Frauen, sondern auf das Ideal, das wir alle überall mit Bildern produzieren und ich schließe mich da nicht aus. Ich hoffe wirklich, ich kenne meine Handvoll Leute auch noch in zwanzig und dreissig Jahren und darf sie dann immer noch mit all ihren wundervollen Lebensfalten und grauen Haaren fotografieren. Ich würde auch gern mit älteren Menschen arbeiten, aber es ist gar nicht so einfach an diese heran zu kommen. Meine bisherigen Versuche waren diesbezüglich leider vegebens. Wenn du aber ältere Damen kennst die Geistergeschichten mögen, dann sag mir bitte Bescheid.

Jens Pepper: Du würdest gerne Geistergeschichten mit älteren Menschenen inszenieren? Weisst du, dass Elemente des englischen Schauerromans von der Literatur der Romantik aufgenommen wurden? Da nähern wir uns ja ganz allmählich meiner These, dass deine Fotografie etwas Romantisches an sich hat.

Marit Beer: Als du meine Bilder mit dem Wort romantisch beschriebst, ging ich von der Bedeutung in unserem heutigen Sprachgebrauch aus und sah vor mir eher bunte Blumenbuketts. Dass die Romantik, bzw, die schwarze Romantik Elemente des englischen Schauerromans aufnahm kann ich daher mit ja beantworten. Du möchtest sicher auf die gequälte Seele hinaus, die zu einem Grundthema der Romantik gehört?

Waiting for the fox, Foto: Marit Beer

Waiting for the fox, Foto: Marit Beer

Jens Pepper: Nicht nur, aber auch, ja. Gerade in den Arbeiten der eingangs von mir erwähnten Laura Makabresku ist das ja überdeutlich zu spüren. Soweit ich weiß, leidet die Fotografin unter Schizophrenie und lebt ziemlich zurückgezogen in der Nähe von Krakau. Ihre Fotografie scheint ihre Art der Kommunikation mir der Außenwelt zu sein, mit der sie sich mitteilt. Das ist bei anderen Fotografen auch so, aber für jemanden, der so abgeschieden lebt, ist das vielleicht noch von größerer Bedeutung. In ihren Arbeiten kommen Selbstverletzungen bzw. Verletzungen vor, aber auch große Zärtlichkeit. Zudem ist die Natur in ihren Aufnahmen wichtig: Laub, ausgestopfte Tiere, Wald. Und diese Hinwendung zur Natur ist ja ebenfalls ein Aspekt der Romantik.

Allerdings habe ich bei meiner Begriffswahl nicht nur an die Romantik des 19. Jahrhunderts gedacht, sondern ich sehe das zeitloser. Es ist eher eine zarte Empfindung, die sich mir in vielen aktuellen Fotografien vermittelt. Zwischenmenschliche Zärtlichkeit ist ein auffälliges Thema, manchmal sehr poetisch und in gewisser Weise verschwommen, unscharf gestaltet.

Dann fällt mir die Verwendung alter Requisiten, wie beispielsweise Mobiliar und Wohnaccessoires aus den 1920er und 1930er Jahren auf, und die Verwendung von Kleidungsstücke aus Vorkriegsjahrzehnten (ich meine den zweiten Weltkrieg). In deiner Serie Gloria & Juliet arbeitest Du ja auch in solch einem Interieur. Dieser Rückgriff auf Altes hat für mich auch etwas Romantisierendes an sich, zumindest in der Art wie sie von Dir und anderen – vielleicht ja unbewusst – eingesetzt wird.

Ich habe vor nicht allzu langer Zeit ein paar interessante Fotos gesehen, deren Urheber ich allerdings nicht kenne. Zu sehen ist auf ihnen ein zartes junges weibliches Wesen, das auf einem Teich oder einem Flüsslein treibt, bekleidet mit einem wallenden Kleid. Ich musste sofort an das Gemälde Ophelia von dem Präraffaeliten John Everett Millais aus der Mitte des 19. Jahrhunderts denken.

Marit Beer: Die Hinwendung zur Natur in unserer Zeit ist sicher ein Zeichen dafür, das wir etwas vermissen oder suchen. Die Natur ist ausgesperrt, jene, die vor den Toren der Stadt liegt, und jene in uns drinnen. Der Mensch wird gemaßregelt, die Natur beschnitten. Ich sehe viele Bilder anderer Fotografen als das Resultat eines Gefühls von Verlorenheit und die Suche nach dem Ursprung. Die Fotografien, die du ansprichst, werte ich als Spiegelbild unserer Zeit. Darin werden ausgestopfte Tiere an den Kaffeetisch eingeladen, wie bei Laura Makrabesku, oder Unmengen von Ophelias in Seen, Badewannen oder Schwimmbädern „ertränkt“. Und in all dem Schönen, Leichtem und Zartem schwingt etwas Dunkles mit. Bei den toten Tieren von Laura stockt mir manchmal der Atem. Sie schafft es ein oberflächliches Gefühl von Poesie und Zärtlichkeit zu vermitteln, doch schaut man weitere Arbeiten von ihr an, ist das Unaussprechliche in den Bildern bemerkbar – nämlich die geschundene Seele und damit wären wir wieder in der Romantik angekommen.

Jens Pepper: In diesem Sinne siehst du also auch einen romantischen Aspekt in der Arbeiten einiger junger Fotografen und Fotografinnen. Wen von ihnen schätzt du denn besonders? Und warum?

Marit Beer: Ich sehe das eher als Konglomerat und mir fällt keiner im speziellen ein, den ich einem anderen vorziehen würde. Es ist eine Strömung aus der ich mich manchmal bediene und damit arbeite, wie in der von dir angesproche Serie mit Gloria und Julia. Ich schätze aber Künstler wie Francesca Woodman, Mascha Kaleko oder Sylvia Plath sehr. Und ich denke das diese Künstler auch großen Einfluss auf viele andere junge Künstler haben. Weil in ihren Arbeiten ihre wahre Natur sichtbar ist, ihr Leiden, aber auch immer Humor, versteckt zwischen den Zeilen.

Jens Pepper: Wovon laesst du dich noch in deiner fotografischen Arbeit beeinflussen und inspirieren?

Marit Beer: Skurille und bizarre Dinge inspirieren mich. Ein Thema, von dem ich nie ganz weg komme, ist der Tod und der Umgang damit allerorten. Auch die Unterweltansichten verschiedener Religionen spielen da mit hinein. Wie stellen sich Menschen die Hölle vor, was ist die Hölle auf Erden usw. Oder Fragen nach dem Bösen, was ist das genau, wie wird es beschrieben. Jetzt kommen wir vom romantischen Mädchenthema aber ganz schön weg, oder?

Waiting for the fox 2, Foto: Marit Beer

Waiting for the fox 2, Foto: Marit Beer

Jens Pepper: Das macht doch nichts. Unser Gespräch handelt ja auch von deiner eigenen Fotografie. Und da ist es spannend zu hören, was dich noch so umtreibt. Wie thematisierst du in deiner Arbeit den Tod?

Marit Beer: Ich versuche meine Bilder nicht in einer bestimmten Zeit zu verorten aber gleichzeitig mit bestimmten Hilfsmitteln den Tod zu realisieren. Bilder sollen wie eine Erinnerung wirken, die nichts direkt mit der Gegenwart zu tun hat. So ist es mit dem Tod ja auch. Er liegt irgendwie in der Ferne, irgendwie aber auch hinter uns mit all unseren Ahnen und Urahnen. Das ganze wird dann noch mit abgestorbenen Blüten, Knochenwirbeln oder bestimmten Lichtstimmungen verziert. Am Ende wünsche ich mir ein Gedicht, das jeder selber lesen kann.

Jens Pepper: Schaffst du eigentlich auch literarische Gedichte, die eine Ergänzung zu deiner visuellen Lyrik darstellen? Vielleicht ist das ja klischeehaft, aber das würde jetzt perfekt zu dem Bild passen, dass sich gerade vor meinem inneren Auge auftut.

Marit Beer: Gedichte schreibe ich nicht. Wenn überhaupt, dann mal Vignetten. Aber erzähl mir mal was zu dem Bild vor deinem inneren Auge. Beschreib es!

Jens Pepper: Das wäre jetzt ein schönes, kischeebeladenes Bild: Junge Fotografin schafft träumerisch-nachdenkliche Fotos mit Vanitassymbolen darin, und nach getaner Arbeit, oder in einer Pause, gibt es einen Tee, vielleicht in diesem alten Ambiente, zusammen mit dem Modell, das noch in dem leichten Kleid oder worin auch immer gewandet ist, und dann wird sich über Gedichte ,eventuell ja Selbstgedichtetes unterhalten. Das wäre doch auch ein schönes Bild; Mädchenromantik vielleicht?

Also das ist jetzt nicht als Werkkritik zu sehen, aber das Bild poppte gerade vor meinem inneren Auge einfach auf. Ein bisschen denke ich auch an meine eigene Jugend, als ich, so mit 18, in einem Lyrikkreis war.

Marit Beer: Das ist doch ein schönes Bild und mit 17 war ich auch so wildromantisch. Nur das ich damals die Mädels lieber mit Artur Rimbaud ersetzt habe. Liest du eigentlich gern Gedichte? Es gibt ja auch recht unromantische.

Jens Pepper: Gelegentlich. Derzeit Heiner Müllers gerade neu bei Suhrkamp erschienenen Gesammelten Gedichte. Sehr viel schönes dabei, vom Sprachklang vor allem. Aber ich bin kein Lyrik-Vielleser. Es hat bisher auch nur wenige Autoren gegeben, die mich wirklich interessiert haben. Erich Fried habe ich gerne gelesen, und Albert Ostermaier. Einiges von Brasch. Na, ein paar mehr Autoren sind es wohl doch. Von den Klassikern natürlich Celan., insbesondere die Todesfuge, das für mich bis heute eines der wichtigsten Gedichte ist. Ich habe es mal von Gert Fröbe gelesen gehört, das war der pure Wahnsinn.

Haben literarische Leseerfahrungen oder visuelle Seherfahrungen aus Theater und Film Einfluss auf deine Bildfindungen?

Marit Beer: Ich habe über die Zeit bestimmte Vorlieben entwickelt und schaue mir beispielsweise gern die Arbeitsweisen von Regisseuren wie Lars von Trier, Jim Jarmusch, Tarantino oder Terry Gilliam an. Und ohne Zweifel haben mich deren Filme in ihrer Groteskheit und Intensivität stark beeinflusst.

Jens Pepper: Gib mir doch zum Schluss unseres Gesprächs noch einen Ausblick auf dein fotografisches 2015. Woran arbeitest du, was für Projekte möchtest du realisieren?

Marit Beer: Ich werde in diesem Jahr an einer dritten Serie arbeiten und mir viel Zeit dafür nehmen. Sie wird die Weiterführung der Geister und Metamorphis Reihe sein und sich inhaltlich mit dem Thema „wahre Natur“ beschäftigen.

Das Gespräch wurde Anfang 2015 geführt.

Blind, Foto: Marit Beer

Blind, Foto: Marit Beer

Marit Beer, Foto: Lisa Zappe

Marit Beer geht auf Geistersuche in den Köpfen der Menschen und versucht die Essenz in zeitlosen, meist schwarzweiss gehaltenen Bildern zu manifestieren. Sie ist Autodidaktin und hat sich während ihes Studiums mit Totenkulten und den Gebeinen 4000 Jahrer alter Menschen beschäftigt. Die Fotografie ist ihre liebste Sprache weil sie gern in Bilder denkt. Sie ist auch als Autorin für das Onlinemagazin kwerfeldein tätig.

www.maritbeer.de
www.flickr.com/photos/einuhr