Foto: Michal Szlaga, part of the '' Poland '' series, made from 2004 to 2016

Jens Pepper: Ich habe gehört, dass das Cente Pompidou kürzlich Arbeiten aus deiner Serie über die alte Schiffswerft in Danzig erworben hat, also Bilder aus deiner Langzeitdokumentation, die das langsames Verschwinden der Werft, die Demontage zeigen. War das eigentlich die Lenin-Werft? Ich hatte diese Fotos 2014 im Polnischen Institut in Berlin gesehen und war ganz fasziniert von ihnen. Gut zu wissen, dass sie nun in solch einer wichtigen Sammlung sind. In Berlin war das damals ja deine erste Einzelausstellung außerhalb Polens. Ist diese Erwerbung nun der erste Museumsankauf für dich?

Michał Szlaga: Das ist richtig, im Dezember 2016 hat das Centre Pompidou die gesamte Ausstellung, die du in Berlin gesehen hast, für seine Sammlung gekauft. Das sind 32 Fotos mit Breitenmaßen zwischen 25 und 180 cm, 24 Dias und 12 Sets mit Objekten von der Werft aus der Zeit vor und nach der Demontage, das Buch mit dem Titel ‚The Shipyard‘ und ein Film aus dem Jahr 2012. Meine Verhandlungen mit dem Vertreter des Centre Pompidou haben vier Jahre gedauert und nun ich bin wirklich froh, dass es im Besitz des gesamten Materials ist, einfach weil ich glaube, dass nur solch vollständiges Material die ganze Geschichte wiedergeben kann, die ich hier dokumentieren konnte. Für mich ist es das erste große Konvolut von Arbeiten, das ich einer Fotografie sammelnden Institution verkaufen konnte. Ein Foto von mir, das Portrait eines Arbeiters von 2004, ist in der Sammlung des Centre for Contemporary Art ‚Zamek Ujazdowski‘ in Warschau, eine weitere Arbeit, das Portrait der legendären Solidarność-Aktivistin Anna Walentynowicz, ebenfalls von 2004, befindet sich im Depot des National-Museums in Gdańsk.

Jens Pepper: Polnische Fotografie wird noch nicht so viel außerhalb Polens gesammelt. Ich nehme an, dass es in deinem Fall hilfreich war, dass die bekannte polnische Ausstellungsmacherin und Kunsthistorikerin Karolina Ziębińska-Lewandowska seit 2014 Kuratorin am Centre Pompidou ist. Eine kraftvolle Stimme auf dem Feld der Fotografie. Anders sieht es beim reinen Interesse an polnischer Fotografie außerhalb Polens aus. Dort scheint es ein langsam wachsendes Interesse zu geben, gefördert von jungen polnischen Kuratoren die im Ausland leben und arbeiten. Wie wichtig ist es für dich, im Ausland auszustellen? Und wie wird deine Arbeit bisher im Ausland rezipiert?

Michał Szlaga: Du hast recht, unglücklicherweise gibt es nicht viel polnische Fotografie in wichtigen Sammlungen. Wir freuen uns daher über jeden polnischen Kurator, der an einer bekannten ausländischen Institution arbeitet. Überraschenderweise ist die Situation in Polen aber nicht besser. Das Sammeln ist hier eher eine neugeborene Sache, es gibt keine Kultur des Erwerbens und Sammelns von Fotografie, weder institutionell noch privat. Sammlungen sind sehr ängstlich. Ich wage es zu behaupten, dass ich keinen einzigen polnischen Fotografen kenne, der zu 100% vom Verkauf seiner Arbeiten leben kann. Wir alle machen Nebenjobs, beispielsweise Presse- und Werbegeschichten oder Lehraufträge. Das ist typisch für meine Generation. Trotz mehr als ein dutzend Jahre der Aktivitäten die auf eine Errichtung eines Marktes für künstlerische Fotografie abzielten, erleben wir noch immer keine finanzielle Stabilität. Meistens finanzieren wir unsere künstlerische Arbeit mit eigenem Geld, das wir woanders verdienen.

Im Ausland polnische Fotografie zu promoten ist auch nicht einfach. Wenn wir einmal dort sind, werden wir in der Regel mit positiven Emotionen empfangen. Dieses Interesse ist gut nachzuvollziehen, soweit es unsere westlichen Nachbarn betrifft; die wollen uns kennenlernen und besser verstehen. Ich erinnere mich aber auch an Ausstellungen in den USA oder China, dort machen wir einen vollkommen anderen Eindruck; wir gelten dort als exotisch.

Jens Pepper: Wieso hast du dich entschlossen, eine Dokumentation über die Danziger Schiffswerft zu machen? Weil sie ein Symbol für die Solidarność wurde, für das Ende des Kommunismus in Polen, für das Ende der Ost-West-Konfrontation? Oder eher, weil du dich für die Veränderungen in der Urbanität interessiert hast? Oder beides oder was ganz anderes?

Michał Szlaga: Nein, eigentlich nichts davon. Ich bin 1999 erstmals auf die Werft gekommen, als Fotografiestudent der Kunstakademie. Ich berief mich auch auf den Studentenstatus, um Zugang zu dem Werftgelände zu bekommen und dort ein Routine-Foto-Training machen zu können. Einer unserer Professoren hatte jeden von uns gebeten, einen Ort zum Fotografieren zu finden. Ich war zu der Zeit 21 Jahre alt und zuvor noch nie dort gewesen. Ich hatte es immer interessant gefunden, wie die Schiffswerft von außen aussah. Vor allem die Krähne sah man ja von vielen Stellen in Danzig aus sehr gut. Ich schaffte es also, legal Zugang zur Werft zu erhalten. Nach dem ersten Besuch folgte der zweite und die Werft begann mich immer mehr zu faszinieren. Alles in allem hatte ich Zugang zu rund 100 Hektar Gelände, das zu der Zeit noch Arbeitsfläche war. Damals wusste noch niemand von den Plänen, dass hier ein neues Stadtviertel entstehen sollte.

Das wurde erst 2001 bekannt, als publik gemacht wurde, dass der größte Teil des Geländes an einen Entwickler verkauft worden war. Man könnte sagen, dass die Firma, die das Geläne erworben hatte mein natürlicher Partner bei der Arbeit wurde. 2002 entschloss sich der Entwickler Künstler auf das Werftgelände zu holen und so kam es, dass bis 2007 ein paar Dutzend Künstler in ein paar Gebäuden auf dem Gelände lebten und arbeiteten. Ich selbst arbeitete in der sogenannten ‚Künstlerkolonie‘, die in dem ehemaligen Gebäude der Telefonzentrale beheimatet war. Anfangs war ich nur an den Arbeitern interessiert, an der Technik für den Schiffsbau und ich genoss die Zeit. Später begann ich mich auch für die urbanen Veränderungen zu interessieren. Der Entwickler fütterte uns mit schönen und positiven Visionen. Als ich dann die Uni abschloss, begann ich meine ersten seriösen Jobs für der Presse zu machen, vor allem für Newsweek Polska, für die ich u.a. 2004 das Portrait einer der legendären [Solidarność-] Führerinnen machte, das von Anna Walentynowicz. Nach Anna kamen dann die nächsten Legenden und die nächsten Aufträge.

Du siehst, dass das alles eher unschuldig und zufällig passierte. Später wurde es zu einer vielschichtigen und multi-thematischen Erkundung der Schiffswerft und der Dinge, die damit verknüpft waren. Was die Solidarność angeht, so habe ich mich erst nach fünf Jahren auf der Werft damit beschäftigt.

Jens Pepper: Habe ich das richtig verstanden? Du hast auch auf dem Werftgelände gelebt, in der Künstlerkolonie?

Michał Szlaga: Eigentlich war das aus mehreren Gründen gut. Zunächst einmal konnte ich an einem besonderen Ort leben und diesen kennenlernen. Fast alle, die dort ein Atelier hatten, malten, machten Theater oder Musik. Es war eine insprierende Erfahrung, für ein paar Jahre miteinander zu leben. Ein weiterer Vorteil waren die vielen Möglichkeiten und Freiheiten. Wir hatten zu der Zeit kaum Zugang zu den Galerien in der Stadt, aber das spielte auf einmal keine Rolle mehr, weil wir unsere eigene Galerie gründeten. Wir haben Ausstellungen und Konzerte organisiert, Filmvorführungen in unseren Ateliers oder in den Fluren der Künstlerkolonie. Wenn wir wollten, konnten wir umsonst eine Ausstellung oder eine Veranstaltungsreihe in einem der vielen Lagerhäuser organisieren. Beispielsweise co-organisierte ich 2003 gemeinsam mit Tomek Sikora and Andrzej Świetlik eine Ausstellung unter dem Titel ‚Homeless Gallery‘. Wir siedelten sie im sogenannten U-Boot-Lagerhaus an, das während des Dritten Reichs errichtet wurde und in dem zu Beginn der 1940er Jahre U-Bootmotoren gebaut wurden. Dieses Lagerhaus hatte drei außergewöhnliche Räume, jeder 3000 Quadratmeter groß. Unsere ‚Homeless Gallery‘ wurde während der paar Tage seines Bestehens von tausenden Menschen aus der Dreistadt [Danzig, Gdingen und Zoppot] besucht. Für mich war das eine wirklich inspirierende Erfahrung gewesen. Ein weiterer unbestreitbarer Vorteil für mich war, dass ich auch permanenten und unlimitierten Zugang zu dem Gelände und den Fertigungsstätten in der Zeit nach dem ursprünglichen Werftbetrieb hatte. Dort wurde ja immer noch gearbeitet. Um also legal reinzukommen, hatten wir spezielle Arbeitspässe, ähnlich denen, die auch die Werftarbeiter hatten. Für mich markiert diese Zeit den Anfang einer langjährigen und intensiven Beschäftigung mit der Werft. Zu allem kam noch, dass die Ateliermiete dort extrem niedrig war, weshalb ich mir einen 100 Quadratmeter großen Raum leisten konnte. Außerhalb der Werft wäre das sicherlich nicht möglich gewesen. 2007 wurde die Künstlekolonie aufgelöst, gleichzeitig mit einem erfolgten Besitzerwechsel. Danach begannen die Demontagen, die bis 2012 andauerten. Da ich diesen Ereignissen nah sein wollte, habe ich die Werft nicht verlassen. Zunächst wohnte ich für zwei Jahre ein paar hundert Meter innerhalb des Geländes, in einer anderen Kunstenklave mit Namen ‚Modelarnia‘. 2009 kaufte ich mir eine Wohnung genau außerhalb der Werftzäune, am Solidarność Platz, von der aus ich das Gelände überblicken konnte. Ich behielt auch mein Atelier auf der Werft. In gewisser Weise ist es noch immer so.

Jens Pepper: In Deutschland wurde Anna Walentynowicz ein wenig bekannt durch Volker Schlöndorffs Film ‚Strajk‘, dennoch sind es vor allem die Männer der Solidarność, die man allgemein kennt. Wie hast du sie portraitiert. Und wie war sie als Person, als du sie trafst?

Michał Szlaga: Nach meinem Uniabschluss konnte ich keinen richtigen Job finden. Gelegentlich wurde ich als Schiffsmaler auf der Werft angestellt. Das war eine harte und schlecht bezahlte Arbeit, so dass ich mich entschloss, von der Fotografie zu leben. Ich begann damit, mein Portefolio an Redaktionen zu schicken und schaffte es, das Interesse des Fotoredakteurs von Newsweek Polska zu wecken. So wurde ich deren Korrespondent im Norden. Einer meiner ersten Aufträge war es, Anna Walentynowicz zu fotografieren. Das Foto war für einen Artikel, in dem darüber berichtet wurde, wie Menschen, die von dem kommunistischen Regime unterdrückt wurden, Einsicht in ihre Unterlagen beim Geheimdienst, dem Urząd Bezpieczeństwa, erhalten konnten. Anna Walentynowicz wurde zeitweilig von dutzenden von Agenten gleichzeitig überwacht. Mein Wissen über Anna war ziemlich dünn, weil sich die Führer der Solidarność nach dem Kriegsrecht miteinander zerstritten und ein Teil von Ihnen, auch Anna, bei der Machtübernahme durch die Solidarność 1989, keine Posten innerhalb der Strukturen des neuen Staates erhielt und auch nicht in den Medien auftauchte. Sie gerieten in Vergessenheit. Deshalb konnte ich auch nicht viel über sie wissen. Umso neugieriger war ich natürlich auf dieses Treffen. Ich dachte, das ich eine zerstörte und müde Frau in den Ruinen der Schiffswerft zeigen würde. Anna wurde die Mutter der Solidarność genannt und die Werft bezeichnete man als die Wiege der Solidarność. Ich wollte also Mutter und Wiege zusammen, in schlechtem Zustand zeigen, sozusagen als mein persönliches Statement zur Lage der Dinge. Ich rief sie also an. Es stellte sich heraus, dass sie seit mehr als einem dutzend Jahren nicht mehr auf der Werft gewesen war, was mich ziemlich überraschte. Sie stimmte einem Spaziergang über die Werft zu. Und so ist eines meiner wichtigsten und bekanntesten Portraits entstanden. Das Redaktionsbüro war allerdings nicht so glücklich mit dem Foto, weshalb ich Anna einen Tag später noch einmal in ihrem Apartment in Gdańsk-Wrzeszcz fotografierte. Nach einem Jahr erschien mein Werftfoto dann noch einmal aus Anlass des 25jährigen Bestehens der Solidarność-Bewegung. Und noch ein paar Jahre später ist eine 1,5 Meter große Version des Bildes in die Sammlung des Nationalmuseums in Danzig aufgenommen worden. Tatsächlich, als der Film ‚Strajk‘ gedreht wurde, bat mich Volker Schlöndorff vorher um ein Treffen, da er das Foto kannte und davon beeindruckt war. In dem Film ist auch die heutige, ältere Anna zu sehen. Die Art, wie man Katharina Thalbach für den Film stylte, wurde durch mein Foto inspiriert.

Jens Pepper: Polen scheint dein Thema zu sein. Deine Ausstellung im Instytut Fotografii Fort in Warschau war das aktuellste Beispiel. Du hast dort Schnappschüsse gezeigt, die das Alltagsleben und die Kultur in Polen zeigen und die du während einer Reise durch Polen gemacht hast. Was entdeckst du, wenn du durch Polen reist? Und wonach suchst du?

Michał Szlaga: In der Tat taucht Polen als Thema in meinen Arbeiten häufig auf. Mein Debut war eine Serie von Selbstportraits, die 2002 in dem Fotomagazin Kwartalnik Fotografia erschienen. In diesem Projekt schlüpfte ich in die Rollen von verschiedenen Menschen, die mit der polnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden sind. Seit 2004 bis heute beschäftige ich mich auch mit dem Thema Solidarność, indem ich beispielsweise deren Helden portraitiere. Mein Flaggschiff-Projekt ‚The Shipyard‘ dreht sich vor allem um die Frage, welchen Preis man für den Wechsel des politischen Systems nach 1989 zahlt. Das ‚Global Prosperity‘-Projekt dagegen habe ich in Indien, am Strand von Alang gemacht, dort wo Schiffe, die an der Wende der 1970er zu den 1980er Jahren in Danzig gebaut wurden, abgewrackt werden.

Mein Projekt ‚The Children of the Revolution‘ ist eine Serie von Portraits junger Arbeiter, die 1980 geboren wurden – eine symbolische Verknüpfung mit der Solidarność [die ebenfalls 1980 gegründet wurde]. ‚The Gate‘ besteht aus Fotos und Filmen aus einem Zeitraum von sechs Jahren und hinterfragt den heutigen Zustand der Solidarność als Symbol. 2015 habe ich für ein Buch des Museums des Warschauer Aufstands Portraits von Teilnehmern dieses Ereignisses gemacht, an das bis zur Mitte der 1950er Jahre im kommunistischen Polen bei Strafandrohung nicht erinnert werden durfte.

Und schließlich das Projekt ‚Polska‘, entstanden zwischen 2004 und 2016, das mehr umfasst als Danzig und die Solidarność. Es ist der Versuch, ein Gemeinschaftsportrait der Polen zu konstruieren. Mich interessierten hierbei das Alltagsleben, die Veränderungen der Infrastruktur, Kultur, Ökonomie, Politik, alles was offensichtlich ist.

Ich habe an unterschiedlichen Orten in der Welt kommerzielle Aufträge gemacht und auch wenn es merkwürdig klingt, jedes Mal, wenn ich von einem Trip zurückkam, hatte ich eine neue Idee für Polen. Ich meine jetzt nicht, dass ich irgendwie wegen des Themas oder der Fotogenität Polens verblendet wäre; ich sehe vielmehr eine Notwendigkeit und die Möglichkeit über die Probleme des Landes mit dem Medium der Fotografie zu arbeiten.

Als ich ein Teenager war, dachte ich allen ernstes an ein Geschichts- oder Forstwirtschaftsstudium. Ich bin allerdings froh, dass ich mich für Fotografie entschieden hatte, denn mit ihr kann ich mich auch mit diesen alten Passionen beschäftigen. Ich verknüpfe in meiner Fotografie Dinge miteinander. Und wonach suche ich? Die Antworten auf Fragen, die mich brennend interessieren.

Jens Pepper: Politisch entwickelt sich Polen in eine Richtung, die vielen Menschen – in Polen und im Ausland – Sorgen bereitet. Demokratie scheint unter der gegenwärtigen Regierung abgebaut zu werden und viele Polen scheint das nicht zu interessieren, Oder zumindest zeigen sie nicht ihre Sorge und Missbilligung. Ich habe allerdings eher das Gefühl, dass zu viele Polen nicht wirklich interessiert sind an dem, was da vor sich geht. Als Fotograf beschäftigst du dich mit polnischen Themen. Du lernst durch deine Arbeit die polnische Seele kennen. Bist du wegen der gegenwärtigen Situation besorgt? Versuchst du Dinge, die du siehst, in deinen Fotos sichtbar zu machen? Ist das jetzt eine Zeit für Fotografen und Künstler mit ihren Arbeiten politisch aktiv zu werden?

Michał Szlaga: Das ist wahr, die Ereignisse der vergangenen Monate sind ziemlich einzigartig. Die neue Regierung denkt, dass ihre Mehrheit im Parlament ihnen das Recht gibt, ein neues Rechtssystem zu schaffen. Die nach 1989 erzielten demokratischen Errungenschaften gelten ihr als unvollendet und destruktiv. Deswegen demontiert sie wichtige Strukturen des polnischen Staates und baut sie neu auf. Die letzten Ereignisse konzentrieren sich auf das Verfassungsgericht und die Jurisdiktion im Allgemeinen.

Häufig werden Veränderungen im Rechtssystem im Schnelldurchlauf durchgeführt, unter Umgehung regulärer Prozeduren. Der Verdacht liegt nahe, dass hier auch konstitutionelles Recht gebrochen wird. Das alles führte zu sozialen Protesten, die dazu führten, dass der gegenwärtige Präsident [Andrzej Duda], der der Regierungspartei angehört, erstmals aus der Parteilinie ausgebrochen ist und eines der Gesetzesvorhaben des Parlaments ablehnte. Ich denke nicht, dass das jetzt das Ende des Konflikts ist, sondern dass unsichere Zeiten vor uns liegen. Aber paradoxerweise glaube ich auch, dass die Zivilgesellschaft gestärkt aus diesen Geschehnissen hervorgehen wird. Es ist an der Zeit, dass wir uns selber Fragen stellen: Was ist mir wichtig? Was fühle ich? Woran glaube ich? Kann ich diese gefährlichen Trends akzeptieren? Etc.

Während der vergangenen [knapp drei] Dekaden haben keine Aktivitäten von polnischen Regierungen solch einen bürgerlichen Widerstand versursacht, wie es gegenwärtig der Fall ist. Es ist positiv, dass die Menschen ihre fundamentalen Gesetze und Werte verteidigen wollen und es auch tun. Zu deiner Theorie, dass die Leute sich nicht kümmern – ich denke nicht so. Die starke Unterstützung der jetzigen Regierungspartei durch einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung hängt sehr mit der sozialen Unterstützung [u.a. eine Erhöhung des Kindergeldes] zusammen, die sie von der gegenwärtigen Regierung erhalten. Die weniger wohlhabenden Leute, zuvor oft marginalisiert, fühlen sich jetzt finanziell bahaglicher, manchmal zum ersten Mal in ihrem Leben. Es kann auch nicht gesagt werden, dass alle vorhergegangenen Regierungen gut waren; es gab soziale Ungleichheiten, da waren soziale Probleme und diese Probleme spitzten sich zu. Aus diesem Grund unterstützt so ein nennenswerter Teil der Bevölkerung die derzeitige Regierung und akzeptiert die popularisierte Ideologie der PiS.

Die nächste Wahl wird der wahre Test sein sowie die Frage, ob die Opposition in der Lage sein wird, das aktuelle politische Arrangement zu gefährden. Wir müssen abwarten und sehen. Der Künstler als Bürger hat immer das Recht auf Grundlage seines Bewusstseins entsprechend zu agieren. Er hat das Recht kritisch zu sein in Bezug auf Themen, die er für wichtig hält. In meiner eigenen Arbeit untersuche ich beispielsweise das Erbe von Solidarność, im Projekt ‚The Gate‘ zum Beispiel. Ich frage nach ihrem Zustand, nach ihren Resten 30 Jahre nach ihrer Gründung, ich beobachte wie sie bewertet wird, ich frage nach den Kosten der Veränderungen seit 1989. Für mich ist das alles sehr wichtig, weil diese Bewegung – im Moment ihrer Entstehung – Millionen von Menschen vereint und zu den politischen Veränderungen von 1989 geführt hat. Sie hat das Land seitdem viele Male regiert und tut es in gewisser Weise noch immer. Der gegenwärtige Konflikt ist eigentlich ein Konflikt zwischen ehemaligen Freunden, man kann wohl sagen, dass der rechte Flügel den rechten Flügel bekämpft. Zu diesem Thema zu recherchieren, darüber zu arbeiten und es zu kommentieren ist für mich sehr wichtig. Werden Betrachter meine Arbeit benutzen, um zu ihren eigenen Schlussfolgerungen zu gelangen? Ich habe darauf keinen Einfluss. Nichtsdestotrotz gebe ich mein Bestes, um Gedankenfutter zur liefern.

Michał Szlaga

Michał Szlaga wurde 1978 in Polen geboren. Von 1999 bis 2004 studierte er Fotografie an der Akademie der Bildenden Künste in Danzig. Er arbeitet als Fotojournalist und Dokumentarfotograf. 2017 ist er von Danzig nach Warschau gezogen.

www.szlaga.blogspot.com

Foto links: Michał Szlaga