Foto: Pawel Jaszczuk

Jens Pepper: Bevor ich dich persönlich kennengelernt habe, kannte ich bereits dein Buch Kinky City, das bei dienacht publishing erschien, Everything you do is a Balloon, veröffentlicht von Lieutenant Willsdorff in Frankreich sowie den Gemeinschaftskatalog zusammen mit Nobuyoshi Araki, der anläßlich der Ausstellung in der Leica Galerie in Warschau 2014 herausgegeben wurde. Sie alle zeigen Fotografien, die du in Tokyo gemacht hast. Auf deiner Homepage gibt es noch weitere Serien aus Tokyo. Erzähl mir von deinem Fokus auf japanische Szenerien und warum du keine Fotos zeigst, die hier in Warschau entstanden sind.

Paweł Jaszczuk: Wenn du dich mit Tokyo beschäftigst ist das eine nie enden wollende Geschichte. So viele Möglichkeiten. Es ist wie ein Buch mit Tausend Geschichten, das aber nie zuende ist. Als ich ca. 2003, 2004 ankam war ich vom ersten Moment an sprachlos. Alles, und ich meine alles, war vollkommen anders als alles was ich bisher gesehen hatte und ich war schon viel gereist. Die Stadt ist wie von einem anderen Planeten. Liebe auf den ersten Blick. Mir sind sofort die Menschenmassen aufgefallen, was nicht weiter schwer ist, und ich wusste, ich würde mich darauf konzentrieren den Trubel und die Hektik in der Stadt zu fotografieren. Warschau? Ich lebe und arbeite jetzt in Warschau, nach fast einem Drittel meines Lebens im Ausland komme ich jetzt zurück. Also sei geduldig, die Fotos aus Warschau kommen. Allerdings glaube ich nicht, dass es von Bedeutung ist wo du lebst und woher du bist, sondern was du zu sagen hast. Der Inhalt ist am wichtigsten.

Jens Pepper: Was hat dich überhaupt nach Japan verschlagen? Warum hast du Polen verlassen?

Paweł Jaszczuk: Ich habe Polen auf der Jagd nach Abenteuern verlassen. In meinen frühen Zwanzigern hatte ich nicht die Prüfungen für die Kunstakademie in Łódz bestanden. Zu dieser Zeit plante mein bester Freund eine Reise nach Sydney und eines Tages haben wir beschlossen, dass wir gemeinsam dorthin gehen. In Sydney habe ich dann Reiko getroffen, ein japanisches Mädchen, das mein Leben veränderte. Sie ist heute meine Frau, aber das ist nur eine weitere romantische Geschichte. Nach meinem Abschluss an der Schule für Bildende Künste in Sydney 2004 sind wir dann beide nach Tokyo gezogen. Sie musste dorthin zurück und ich bin ich gefolgt.

Jens Pepper: Wie wolltest du in Tokyo deinen Lebensunterhalt verdienen? Hast du Japanisch gesprochen?

Paweł Jaszczuk: Von Anfang an war es mein Wunsch und mein Bedürfnis Fotos zu machen. Das hatte bei mir immer größte Priorität, auch heute noch. Nach unserer Ankunft habe ich sehr viel fotografiert, alles und jeden Tag. Später, als ich mich ein bisschen beruhigt hatte, begann ich mehr nachzudenken, zu planen und mich besser zu organisieren. Und die Sprache? Ich habe eine Sprachschule besucht, so dass ich ein Basisjapanisch lernte. Nachdem meine Tochter geboren wurde, hörte ich auf mit der Schule und habe zumeist Englisch gesprochen.

Jens Pepper: Ist Reiko auch eine Künstlerin?

Paweł Jaszczuk: Sie hat einen Abschluss von einer Kunstschule, aber nein, sie ist keine Künstlerin. Reiko arbeitet als Redakteurin für Kultur-, Reise- und Lifestyle-Magazine und genießt das sehr. In Polen hat sie eine Internetplattform gegründet, ZPOLSKI, auf der du alles findest, was zum Besten in der Kunst und Kultur in Polen gehört. Sie promotet polnische Kunst in Japan.

Jens Pepper: Wenn Reiko eine Redakteurin ist, kooperiert ihr für Zeitschriftenprojekte?

Paweł Jaszczuk: Dank Reiko bekam ich viele kommerzielle Aufträge. Ich habe für ihr Magazin gearbeitet und sie hat mich anderen Magazinen vorgestellt. Das hat Dinge für mich einfacher gemacht. Ich hatte Glück. Ohne ihre Verbindungen wäre es sehr viel schwieriger gewesen, einen Job in Japan zu bekommen.

Jens Pepper: Erzähl mir von deinen kommerziellen Arbeiten. Was fotografierst du da und für welche Lifestyle- und Reisemagazine arbeitest du?

Paweł Jaszczuk: Auftragsarbeiten und Editorials waren nur eine kurze Episode in meinem Leben, nur ein paar Jahre. Interessant, gut bezahlt aber nicht wirklich befriedigend. Verschiedene Sachen; ich habe CD-Cover fotografiert, DENKI GROOVE zum Beispiel, Accessoires wie Handtaschen; für Louis Vuitton habe ich eine Reihe für das Verita Magazin gemacht, für Top Shop oder Hunting World. In Japan habe ich mit dem Modemagazin Fashion Color zusammengearbeitet. Dann habe ich ein paar Portraitfotos für die New York Times gemacht, für D Donna Di la Repubblica in Italien und für Twoj Styl in Polen, nur um ein paar zu nennen. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, da es zehn Jahre her ist.

Jens Pepper: Womit verdienst du heute als Fotograf dein Geld?

Paweł Jaszczuk: Fotoprints, Bücher, Workshops. Ich unterrichte auch Fotografie.

Jens Pepper: Was kosten Prints von dir. Sind deine Fotos limitiert oder unlimitiert?

Paweł Jaszczuk: Das fängt bei 1.600 € an. Meistens gibt es zwei Größen: 60 x 40 cm und 80 x 120 cm. Jede der Größen ist auf 6 plus 2 AP [Künstlerexemplare] limitiert.

Jens Pepper: Du arbeitest mit Galerien zusammen?

Paweł Jaszczuk:Klar mache ich das. Manchmal ist es nur für die Dauer einer Ausstellung, aber da draußen sind Galerien, wo du meine Arbeiten kaufen kannst: OstLicht Galerie in Österreich, Zen Foto Galerie in Japan, Leica Galerie in Polen und Photo Edition Berlin in Deutschland.

Jens Pepper: Wo werden deine Fotos am meisten geschätzt? Und wo verkaufen sie sich am besten?

Paweł Jaszczuk: Deutschland, Großbritannien, die Niederlande; Westeuropa kann man sagen. Seit kurzem gibt es ein wenig Interesse in den USA, was mich sehr freut. Ich habe auch Fotos nach Australien geschickt.

Jens Pepper: Wie sieht es mit Polen aus? Ich habe gesehen, dass das Auktionsunternehmen Fotografia Kolekcjonerska ein Foto aus der Kinky City Serie angeboten hat, ein Bondage-Foto. Wurde es verkauft?

Paweł Jaszczuk: Ahhh, ja, Polen natürlich auch, sorry. Ich muss zugeben, dass ich hier ziemlich gut verkauft haben und es wird von Jahr zu Jahr besser. Das Bild von Fotografia Kolekcjonerska wurde verkauft. Mir wurde gesagt, dass es von einem polnischen Sammler erworben wurde.

Jens Pepper: Wie reagieren Polen auf deine Kinky City Serie? Hat der Katholizismus Auswirkungen auf die Rezeption deiner Arbeiten in Polen?

Paweł Jaszczuk: Wie alle Kunstformen ist auch die Fotografie unterschiedlichen Interpretationen ausgesetzt, diese sind zahlreich und hängen von den jeweiligen Perspektiven ab. Ich habe Glück und erlebe ein sehr positives Feedback, wirklich. Selbst für Menschen mit anderen visuellen Vorlieben war die Leica Galerie-Ausstellung ein faszinierendes Erlebnis. Auch die Presse und die Medien waren daran wirklich interessiert. Ich wurde von Fernseh- und Radiostationen eingeladen. Als ich erzählte, wovon dieses Projekt handelt, waren die Leute weniger argwöhnisch, weniger erschreckt. Sie lernen ein wenig über andere und sich selbst. Katholizismus mag eine Wirkung haben, sicher. Seit den 1990ern gibt es in den öffentlichen Schulen Religionsunterricht. Dort bekommen reine Kinder eine Gehirnwäsche verpasst. Das muss JETZT aufhören. Katholizismus in Polen ist eine lange Geschichte.

Jens Pepper: Bei Leica hast du mit Nobuyoshi Araki ausgestellt, oder?

Paweł Jaszczuk: Habe ich wirklich. Das war ein Privileg.

Jens Pepper: Hattest du Gelegenheit, Araki während deines Aufenthalts in Tokyo zu treffen?

Paweł Jaszczuk: Ich bin noch nie in seinem Studio gewesen. Ich habe aber eine seiner Ausstellungseröffnungen besucht. Das war an seinem Geburtstag. Eine wirklich energiegeladene Person. Pures Entertainment. Das war, als ich ihn zum ersten und bisher auch letzten Mal sah. Ich bin übrigens nicht so ein großer Fan von Eröffnungen; zu viele Leute. Ich bevorzuge es Galerien während der Öffnungszeiten zu besuchen, damit ich die Kunstwerke genießen kann.

Jens Pepper: Weißt du, was Araki zu dieser Doppelausstellung mit dir sagte? Es gab ja auch diesen Doppelkatalog.

Paweł Jaszczuk: Araki wusste über alles bescheid. Ich musste von ihm akzeptiert werden und mir wurde erzählt, dass ihm meine Arbeiten gefielen. Es war seine erste Zusammenarbeit mit einem polnischen Künstler. Das war alles sehr spannend damals. Araki war ziemlich zufrieden mit dem Katalog und er hat ein Exemplar mit einer speziellen Nachricht von mir erhalten und hat laut gelacht, als er sie las. Eine echte Geschichte. Ich werde ihn bei meiner nächsten Reise nach Tokyo treffen.

Jens Pepper: Was war das für eine spezielle Nachricht?

Paweł Jaszczuk: Grüße aus Polen du verrückter Motherfucker.

Jens Pepper: Warum hast du diese Kinky-Serie in Tokyo begonnen?

Paweł Jaszczuk: Neugierde, Passion, Umstände. Ich habe mich schon immer für menschliches Verhalten interessiert. Tue ich immer noch. Warum, das werde ich nie verstehen, ich muss es eben akzeptieren. Aber diese Neugierde und der Wille über die Dinge zu sprechen, von denen ich glaube, dass sie wichtig sind, die geben mir meine Energie. Ich werde nie damit aufhören. Bevor ich nach Japan aufbrach hatte ich schon viele Stories über die Sex-Szene in Tokyo gehört. Die wirkten so unreal. Ich beschloss also, sie zu erkunden, Nacht für Nacht und Ort für Ort. Das hat mich süchtig gemacht.

Jens Pepper: Du kannst in Japan einfach Menschen in dieser sehr privaten Situationen fotografieren? Wie ist dort die Rechtslage in Bezug auf das Fotografieren in der Öffentlichkeit und in Clubs?

Paweł Jaszczuk: Ich spreche mit den Menschen, erkläre ihnen wer ich bin und was ich mache. Ich frage immer nach der Erlaubnis. Sie wissen, dass ich da bin. Häufig wurde ich zuerst dem Besitzer der Orte vorgestellt, so dass sie von Anfang an wussten, was ich vorhatte. Ich wurde lediglich gebeten höflich zu sein und immer um Erlaubnis zu bitten. Und so habe ich es gemacht. Heimlich zu fotografieren ist nicht mein Stil, überhaupt nicht. Wenn du anderen Menschen mit Respekt und Freundlichkeit begegnest, dann musst du dich nicht um das japanische Gesetz sorgen, um kein Gesetz denke ich.

Jens Pepper: Gibt es in Warschau eine Kinky Szene? Und falls ja, würdest du sie gerne fotografieren?

Paweł Jaszczuk: Kann sein, ich nehme an, dass da eine ist. Aber um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich bin mit dem Thema durch. Es würde mich nicht mehr interessieren. Der Fall ist geschlossen.

Jens Pepper: Was sind deine fotografischen Themen in Warschau?

Paweł Jaszczuk: Ich wende meinen Blick auf die Katholische Kirche. Das Projekt heißt ¥€$U$ und ist fast fertig. Es geht ausschließlich um Scheinheiligkeit, Doppelzüngigkeit, Geschäft und Geld. Alles in Farbe.

Jens Pepper: Wird Radio Maria es mögen?

Paweł Jaszczuk: Radio Maria wird es lieben! ¥€$U$ hat mehrere Ebenen, du kannst eine Menge darin finden: Groteske, Absurdität, Heuchelei, Gier. Der Untergang. Die Katholische Kirche kommt auch vor. Zwei Jahre lang, vielleicht etwas länger, habe ich Schnickschnack gekauft und gesammelt, das irgendwie mit Jesus und die Jungfrau Maria zu hat. Figure, Devotionalien aus aller Welt. Die verrücktesten, lustigsten und absurdesten Dinge, die es zu kaufen gab. Ich habe dann versucht, die in alltägliche Situationen zu bringen und dann zu fotografieren. Zum Beispiel Damenunterhosen mit der Jungfrau Maria vorne drauf. Ich habe ein Model gebeten, sie zu tragen und ich habe sie dann fotografiert. Es wurde eines der besten Fotos, das ich je gemacht habe. Ich liebe es. Da ist immer dieser sehr wichtige Aspekt in meiner Arbeit – ich will deine Aufmerksamkeit bekommen. Ich möchte, dass du unter die Oberfläche schaust.

Jens Pepper: Bist du gläubig? Hättest du gerne, dass die Kirche spiritueller, sozialer und weniger geschäftstüchtig ist?

Paweł Jaszczuk: Ich glaube an die Wissenschaften und nicht an Märchen. Ich hätte gerne, dass die Menschen mehr an sich selbst glauben ohne all diesen Bullshit. Ich würde die Leute gerne dazu bringen zu verstehen, dass sie keine Organisation brauchen die so voller Lügen, Scheinheiligkeit und krimineller Aktivitäten ist. Alle Religionen, nicht nur die Katholische, sollten verschwinden.

Jens Pepper: Werden diese Fotos für sich stehen oder von Texten, deinen Texten, begleitet sein, von einer niedergeschriebenen Nachricht, warum es dir hierbei geht?

Paweł Jaszczuk: Die Bilder werden für sich stehen, sicher, dennoch wird es auch einen Text geben, der sich auf die Ausstellung bezieht. Das sind dann Worte eines Freundes, eines Künstlers, der dieselben Gedanken hat, diese aber anders ausdrücken wird.

Jens Pepper: Ist schon eine Ausstellung geplant? Und ein neues Buch?

Paweł Jaszczuk: Das Projekt läuft noch, aber es ist beinahe fertig. Nur noch ein paar Kleinigkeiten. Deshalb habe ich es auch noch nicht beworben. Aber am 27. Oktober, Leica Galerie in Warschau, zu 100 Prozent. Ich werde auch ein Buch machen, aber da gibt es noch keine Details zu. Sei geduldig.

Jens Pepper: Was ist dein größter Wunsch in Bezug auf die Entwicklung der Fotoszene in Polen?

Paweł Jaszczuk: Mich interessieren Fotoszenen nicht so sehr, nirgendwo. Ich möchte gesund bleiben und weitermachen bis ich in Frieden Ruhe. Ich mache einfach mein Ding, egal was da kommt.

Dieses Gespräch erschien erstmals im Buch „Gespräche über polnische Fotografie“ von Jens Pepper, KLAK Verlag, Berlin 2017 (www.klakverlag.de/programm/literatur-und-reportage/)

 

Pawel Jaszczuk fotografiert von Jens Pepper in Warschau 2016

Pawel Jaszczuk wurde 1978 in Warschau geboren. Er studierte Kunst an der School of Visual Arts in Sydney. Danach viele Jahre in Tokyo. Inzwischen lebt er wieder in Warschau.

http://paweljaszczuk.com/

Foto links:  Pawel Jaszczuk, fotografiert von Jens Pepper im Fort Mokotow, Warschau (Dezember 2016)