"Dominika, 13" aus der Serie "Waiting Room" von Zosia Prominska

Jens Pepper: Du nimmst gerade an der ShowOff Ausstellung beim diesjährigen Krakow Photomonth teil, in der neue Talente einem größeren Publikum vorgestellt werden. Es war der Dokumentarfotograf Michał Szlaga, der dich den Organisatoren von ShowOff vorgestellt hat. Wie ist deine Verbindung zu Michal und weshalb hat er dich für diese Ausstellung ausgesucht?

Zosia Prominska: Ich hatte keine Gelegenheit Michał vor unserer Zusammenarbeit für ShowOff zu treffen. Natürlich kannte ich seine Arbeit ziemlich gut. Darum war es ja auch so eine Ehre, dass er mich aus 700 Teilnehmern ausgewählt hatte und mein Kurator wurde. Die Tatsache, dass er ein Dokumentarfotograf ist, erlaubte es mir, das Projekt von einer neuen Seite aus anzugehen. Das war sehr spannend. Ich möchte jetzt nicht für Michał sprechen, aber ich weiß, dass er den dokumentarischen Wert von „Waiting Room“ mochte, ebenso wie die Tatsache, dass die Sache von einem Insider erzählt wurde, der ein großes Wissen über das Thema hat. Ich war ja selbst seit meinem 15. Lebensjahr ein Model und ging denselben Pfad wie die Teens, die ich für mein Projekt portraitiert habe. Es gibt ein kurzes Video auf Facebook*, in dem Michał erklärt, warum er mich ausgewählt hat. Es hat keinen Untertitel, darum werde ich übersetzen was er sagt.

Er sagt in etwa: „Es ist ein sehr einzigartiger und vielschichtiger Werkkomplex über die Welt des Modelns. Zosia gelang es, eine beeindruckende Anzahl von Teenagern – 100 in ganz Polen – zu portraitieren, die davon träumen professionelle Modelle zu werden. Einzigartig ist diese Bilderzählung für mich, weil sie von einer Insiderin erzählt wird, von Zosia, die Jahre zuvor exakt denselben Weg gegangen ist.“

Jens Pepper: Ah, ok, er hat dich also nicht für die Ausstellung vorgeschlagen weil er deine Arbeit schon kannte, sondern er hat dich aus einer großen Anzahl von Personen ausgewählt, die zuvor in einer ersten Auswahlrunde nominiert oder ausgewählt wurden. Michał war also ein eingeladener Kurator für die diesjährige Ausgabe von ShowOff, richtig?

Zosia Prominska: Das ist korrekt. ShowOff hatte diesmal vier eingeladene Kuratoren. Jeder von ihnen wählte zwei von den Künstlern aus, die Arbeiten eingereicht hatten, und mit denen sie gerne kooperieren wollten. Michał Szlaga war einer der diesjährigen Kuratoren, zusammen mit Monika Szewczyk, Marga Rotteveel und Lukasz Rusznica.

Jens Pepper: Du sagtest, als Michał, der Dokumentarfotograf, dich auswählte, dass es dir dadurch möglich wurde dein eigenes Projekt von einer neuen Seite aus anzugehen. Aus was für einer Perspektive hast du es denn vorher betrachtet? Einer konzeptuellen?

Zosia Prominska: Der Anfang von „Waiting Room“ war insofern konzeptuell, als dass ich gestylte neue Modelgesichter in ihren eigenen Räumen gezeigt habe. Obwohl ich mir des dokumentarischen Aspekts dieser Serie bewusst war, enthüllten sich mir während der Bildauswahl für ShowOff viele weitere Bedeutungsebenen.

Jens Pepper: Erzähl mir, warum du dich für dieses Thema interessiert hast? Du warst selbst Model, ok, aber das alleine erklärt wahrscheinlich noch nicht, warum du – als Fotografin – damit begonnen hast tiefer in dieses Thema – warum junge Menschen sich danach sehnen Model zu werden – vorzudringen.

Zosia Prominska: Ich denke, ich habe dieses Thema aus ganz persönlichen Gründen gewählt. Wie ich dir erzählt habe, war ich beinahe in meiner ganzen Teenagerzeit ein Model, eigentlich war ich es die Hälfte meines Lebens, denn ich begann mit 15 Jahren. Mit einem echten Anfängerenglisch hatte ich damals den Bus von Polen nach Paris genommen, wo ich – weit entfernt von Familie und Freunden – verfrüht ein Erwachsenenleben begann. Als Fotografin dann, die sowohl Kunst als auch Auftragsarbeiten im Modebereich macht, begann ich die Art, wie unser Schönheitskanon konstruiert wird, in Frage zu stellen – mit vorpubertären Models. Ich fand mich dabei auch selbst häufig verführt durch die Schönheit, Reinheit, Jugend und Unschuld der Teenage-Models, die ich fotografierte.

Jens Pepper: Du bist mit 15 mit dem Bus nach Paris gereist? Ganz alleine? Wie hast du das Angebot erhalten, dort zu modeln?

Zosia Promnska: Ich bin ein paar Tage vor meinem sechzehnten Geburtstag nach Paris gegangen. Mir wurde ein Vertrag von einem Scout angeboten, der mich bei einem Casting meiner sogenannten Mutteragentur in meinem Heimatort in Polen gesehen hatte. Aber es war die Schwester meiner Freundin die vorschlug, dass ich mein Glück bei der Agentur versuchen sollte. Ich habe auf sie gehört und 2000 begann dann mein Model-Abenteuer, das mich die nächsten 16 Jahre beschäftigen sollte.

Jens Pepper: Wurden deine eigenen Träume, die du als Mädchen über die Modeindustrie hattest, wahr?

Zosia Prominska: Model zu sein war das Resultat eines Zufalls und nie mein Traum. Aber im Rückblick gelang es mir mehr zu erreichen als ich mir je hätte erträumen können. Es war eine Ehre für Idole wie Vivianne Westwood, Alexander Wang, Botega Veneta arbeiten zu können oder für Karl Lagerfeld bei Fendi auf der Großen Mauer in China laufen zu dürfen oder in fünf internationalen Ausgaben der Vogue drin zu sein.

Jens Pepper: Welches waren die interessantesten Fotografen, mit denen du in dieser Zeit gearbeitet hast?

Zosia Prominska: Der berühmteste Fotograf, mit dem ich gearbeitet habe, war Mario Testino. Die Art wie Signe Vilstrup arbeitet hat mich sehr inspiriert. Es war auch während eines Shootings mit ihr für Vanity Fair, als ich mich letztendlich entschied Menschen zu fotografieren.

Jens Pepper: Wann kam dir der Gedanke, dass die Fotografie als Job auch ein Weg sein könnte, sich den Lebensunterhalt zu verdienen?

Zosia Prominska: Ich war immer an Fotografie interessiert und seit meinen frühen Teennagerjahren hatte ich immer eine Kamera dabei. Das war damals nur eine Leidenschaft. Anfangs musste ich auch noch meine Ängste beim Fotografieren einer Person überwinden. Ich wusste aber sofort, dass ich dafür bestimmt war. Der wegweisende Moment war ein Portrait, das ich 2013 machte und das von der Agentur des Models das ich fotografiert hatte gemocht und sofort kommerziell verwendet wurde. Das hat mir die Möglichkeiten gezeigt, die vor mir lagen. Ich hatte schon viel mit Selbstportraits experimentiert, aber nun wollte ich auch andere fotografieren. Ich fing an eine Menge zu lernen und Testshootings mit Freunden únd Models zu machen und beinahe jeden Tag zu arbeiten. Mit der Zeit konnte ich mich dann auf mein Talent verlassen und damit Geld verdienen.

Jens Pepper: Hast du dich wegen deines Alters nicht mehr als Model gesehen und dich deshalb nach neuen Karrieremöglichkeiten umgesehen? Oder war es einfach Zeit für einen Wechsel in deinem Leben?

Zosia Prominska: Ich habe noch Vollzeit als Model gearbeitet als ich Fotografin wurde. Aber die Fotografie wurde immer wichtiger und irgendwann hatte ich einfach keine Zeit mehr für das Modeln. Außerdem fühlte es sich, nachdem ich mit dem Fotografieren begonnen hatte, unnatürlich an, Subjekt zu sein; ich fühlte mich in dieser Position nicht mehr wohl.

Jens Pepper: Lebtest du noch in Paris, als du mit dem professionellen Fotografieren begonnen hast?

Zosia Prominska: Am Ende meiner Modelkarriere begann ich mir die selteneren und interessanteren Orte auszusuchen, an die ein Model mit einem Kontrakt fliegen kann. Ich wollte das letzte Jahr nutzen, um die Welt zu bereisen. Es war auch in Kapstadt, Südafrika, wo ich die Kamera das ersten Mal nutzte.

Jens Pepper: War es anfangs dein Ziel kommerzielle Fotos zu machen, Modefotos, um Geld zu verdienen? Du hattest ja schon etliche Kontakte in die Szene.

Zosia Prominska: Mein Ziel war es, so gut zu werden als Fotografin wie es nur ging. Ich wollte üben, Wissen erlangen und experimentieren. Mit der Mode zu beginnen war für mich ein sehr natürlicher erster Schritt. Und weil ich ziemlich viel Erfahrungen in diesem Bereich hatte, bekam ich auch schnell Jobs. Ich liebe Modefotografie.

Jens Pepper: Ich bin neugierig. Mit was für einer Kamera hast du deine professionelle Karriere begonnen? Mit was für Material hast du gearbeitet, auch in der Postproduktion? Hast du dir anfangs Hilfe gesucht, Assistenten?

Zosia Prominska: Meine erste professionelle Kamera mit der ich gearbeitet habe war eine Canon 6D. Anfangs habe ich Null Postproduktion gemacht. Auf Details zu achten und die Bilder so gut wie möglich aufzunehmen, ohne auf eine Retusche zu zählen, war eine gute Übung. Ich habe zu Beginn für mich selbst experimentiert, vor allem mit Tageslicht. Jetzt, wo ich ein Studio mit Lichtanlage habe, arbeite ich oft mit Assistenten und einem Post-Produktions-Team.

Jens Pepper: Was war dein erster Auftrag?

Zosia Prominska: Das war ein Portrait von einer des besten Schauspielerinnen Polens, Magdalena Boczarska. Das war für ein Magazin.

Jens Pepper: Du nanntest Signe Vilstrups Art Modefotos zu machen inspirierend. Meinst du die Fotos selbst oder die Art, wie sie am Fotoset agiert?

Zosia Prominska: Ich war fasziniert von der Art wie Signe arbeitete. Die Passion, die Kreativität und kleine Gesten, die einen großen Unterschied machten. Ich sah das Ergebnis erst später, als das Magazin erschienen war und das war sehr beeindruckend.

Jens Pepper: Was oder wer hat dich am Anfang deiner Karriere als Fotografin noch inspiriert?

Zosia Prominska: In verschiedenen Perioden meines Lebens habe ich mich von verschiedenen Künstlern inspirieren lassen. Ich erinnere mich an eine Diane Arbus Ausstellung, in die ich gegangen bin als ich noch in Paris unter Vertrag stand, bevor ich Fotografin wurde. Ich wusste damals nichts von ihr aber der Besuch hat starke Gefühle in mir hervorgerufen. Mir wurde damals klar, dass es entscheidend ist, Betrachtern deiner Fotos solche Gefühle zu vermitteln. Das erste Mal in Arles zu sein war auch ein großer Meilenstein für mich.

Jens Pepper: Hast du anfangs Stile kopiert oder hattest du von Anfang an eine eigene Bildsprache?

Zosia Prominska: Ich habe nie Stile kopiert. Ich verstehe auch nicht das Konzept des Kopierens. Wenn du jemanden kopierst, dann liegst du immer einen Schritt zurück. Und das ist kein gute Platz. Am Anfang wusste ich nicht viel über Fotografiegeschichte und andere Fotografen. Autodidaktisch zu beginnen war eine gute Sache, weil ich nicht durch einen Lehrer oder eine dritte Person beeinflusst wurde. Ich war frei Dinge auszuprobieren und konnte sehen, was funktioniert und Sinn für mich ergibt und was nicht. Etwas zu kopieren muss langweilig sein. Du entscheidest dich für eine kreative Arbeit wegen der Kreativität die sie bietet. Warum solltest du dich selbst dieser Möglichkeit berauben?

Jens Pepper: Wie nahm die Serie über diese Jugendlichen, die davon träumen Models zu werden, ihren Anfang? Sie alle tragen Designstücke von polnischen Modemachern. War das also zunächst eine Idee für ein Modemagazin oder war es vom ersten Foto an als Kunstprojekt konzipiert?

Zosia Prominska: „Waiting Room“ war von Anfang an ein persönliches Kunstprojekt und begann mit einem Konzept. Ich wusste, was ich mit meinen Fotos aussagen wollte. Die Idee entwickelte sich über Jahre. Nachdem ich verschiedene Herangehensweisen ausprobiert hatte, ging das Projekt dann formal in die Richtung die du jetzt siehst. Ich verwende die Sprache der Modefotografie als Werkzeug. Das ist nur eine Geste, die es zu entschlüsseln, zu lesen gilt. Das Styling fungiert als Kostüm, das es erlaubt diese jungen Models im Rampenlicht der Modewelt zu sehen, also der Welt, zu der sie gerne gehören wollen.

Jens Pepper: In gewisser Weise ist diese Serie eine Kritik an der Modewelt, zum Beispiel ihren Fokus auf sehr junge, oft minderjährige Menschen, die auf den Catwalks laufen und Mode in Editorials präsentieren. Wie hast du die Modemacher, die ihre Arbeiten für dieses Projekt gaben, davon überzeugt mitzumachen? Waren sie nicht besorgt über mögliche negative Publicity, falls die Presse deine Serie als kritisch ansehen würde?

Zosia Prominska: Es war nicht nötig oder von mir gewollt jemanden davon zu überzeugen bei „Waiting Room“ mitzumachen. Jeder hat mein Projekt freiwillig unterstützt und wusste worum es dabei geht. Ich wollte den Betrachter dazu bringen zu reflektieren und vielleicht das Konzept zu hinterfragen, wie Schönheit konstruiert wird. Hat die Kunst nicht zu allen Zeiten die Jugend als Definition für Schönheit benutzt? Liegt es nicht in der menschlichen Natur die Frische, Unschuld und Naivität zu bewundern? Wir heben die Jugend und nicht das Alter auf den Sockel. Mode, eine unbestreitbar narzisstische und oberflächliche Industrie, ist hier keineswegs anders als andere Kulturbereiche oder die kreativen Künste. Wir können von den Modedesignern keinen Wechsel in ihrer künstlerischen Herangehensweise erbitten, den wir dann nicht auch bei Malern, Schriftstellern oder Filmregisseuren haben wollen. Meine Hoffnung ist, dass durch diese kritische Dokumentation, in dieser Zeit der verbesserten Wahrnehmung von Diversität und Inklusion in allen Industrien, dass wir uns künftig auch um bessere Unterstützungssysteme für unsere Jugend kümmern werden.

Jens Pepper: Was meinst du mit einem besseren Unterstützungssystem für unsere Jugend?

Zosia Prominska: Wir sehen einen verbesserten Ansatz von Top-Industrieunternehmen, die Plattformen schaffen, um integrative und diverse Organisationen am Arbeitsplatz zu fördern. Es wurden auch einige positive Plattformen von der Modebranche ins Leben gerufen, die für junge Models bestimmt sind, die private Nachhilfelehrer für Jugendliche zur Verfügung stellen, die während Castings und Jobs die Schule verpassen. Erst kürzlich wurden Ernährungsberatungsdienste von den Agenturen eingerichtet, die einen gesunden Lebensstil fördern sollen und auch spezielle Gesundheitsdienste für die Models der Agenturen. Es wäre großartig, wenn sich dieser Ansatz beschleunigen würde.

Jens Pepper: In Krakau hast du mir erzählt, wenn ich mich recht erinnere, dass diese Serie noch nicht abgeschlossen ist. Wie viele Fotos umfasst sie bisher und wieviel mehr würdest du gerne noch haben?

Zosia Prominska: Für „Waiting Room“ habe ich 100 Personen fotografiert. Es ist ein laufendes Projekt und ich werde mich mit denselben Leuten noch einmal in ein paar Jahren treffen und sie in den Räumen fotografieren, in denen sie dann leben.

Jens Pepper: Ist das deine bisher einzige künstlerische Fotoserie oder gibt es noch weitere? Und wirst du mit der kommerziellen Fotografie parallel zur künstlerischen weitermachen oder hast du vor dich auf eine Sache zu fokussieren?

Zosia Prominska: Ich bin derzeit mit ein paar Kunstprojekten beschäftigt und plane beide Wege, den künstlerischen und den kommerziellen, weiter zu verfolgen.

Zosia Prominska. Selbstportrait

Zosia Prominska stammt aus Posen/Poznan, Polen. Sie studierte Ethno Lingustik an der Adam Mickiewicz Universität in Posen und später Fotografie an der Warsaw Academy of Photography. Nach eineinhalb Jahrzehnten Arbeit als Model mit Standort Paris lebt sie seit ein paar Jahren als freiberufliche Fotografin in Zürich und Portugal, wo sie auch ihr Studio hat. 

www.zosiaprominska.com

Foto links: Zosia Prominska