Zuza Krajewska , aus der Serie IMAGO

Jens Pepper: Ich war sehr beeindruckt von deinen Fotografien in der Ausstellung IMAGO während des letzten Gallery Weekends in Warschau 2016. Dein Galerist Michał Suchowa hatte sie kuratiert und deine Aufnahmen von 14 bis 18 jährigen Jungs, die in einer Art offenen Vollzug in einem Boot Camp leben zusammen mit Fotografien von Anna Grzelewska gezeigt, die über viele Jahre ihre eigene Tochter im Teenageralter portraitiert hat. Das Alter der jungen Leute in beiden Werkgruppen ist also in etwa gleich. Aber deren Lebenssituation unterscheiden sich komplett voneinander. Wer hatte die Idee, Annas und deine Arbeiten gemeinsam in einer Ausstellung zu zeigen?

Zuza Krajewska: Es war Michałs Idee unsere jeweiligen Arbeiten in einer Ausstellung miteinander zu kombinieren. Ich erinnere mich, dass wir über das Ausstellungskonzept gesprochen haben und dass ich mich, anders als zunächst von mir geplant, Jungs in der Ausstellung zeigen wollte und keine Mädchen. Ich habe also meine Pläne geändert um eine weibliche Perspektive zu vermeiden und um einen europäischen Kontext über Jungs in einer Jugendstrafanstalt herzustellen. Der Kontrast zwischen Annas und meinen Fotos hebt die Bedeutung hervor; die Geschichten und sozialen Situationen sind nebeneinandergestellt. Meine Jungs kommen gesellschaftlich von ganz unten. Es ist sehr viel seltener, dass ein Kind mit wohlhabenden Hintergrund und vernünftig aufgewachsen in solch einer Situation zu finden ist. Die Kinder in meiner Serie wurden getreten, nicht respektiert und verachtet. Sie sind daran gewöhnt nicht zu gehorchen und befolgen keine Regeln, sie kennen keine moralische Grenzen. Ihr Ziel war es zu überleben, zu besitzen und zu gewinnen.

Ich denke, diese Jungs zusammen in einer Ausstellung mit Bildern eines Mädchens aus einer Großstadt zu zeigen, das glücklich aufwuchs und glückliche und offene Eltern hat, ist hier von großer Bedeutung. Und die Ästhetik der Fotos unterstreicht das ganze Ausstellungskonzept. In diesem Sinne sind meine Bilder rau und dreckig. Annas Arbeiten dagegen sind schön und poetisch. Die geschmackvolle Einrichtungen auf ihren Fotos und die Art, wie sich ihre Tochter die Zeit vertreibt, wirken ziemlich luxuriös im Vergleich zu dem, was die Jungs in der Haftanstalt erleben. Ich wollte gerne auch Dokumente aus dem Archiv von Studzieniec [dem Ort, wo sich eine der Anstalten befindet] zeigen, was mir auch ermöglicht wurde: Dokumente, Briefe, Spielsachen, Fotografien, Zeichnungen etc. Diese Gegenstände waren – glaube ich – die bewegendsten für die Besucher. Es sind Dinge, die etwas über die Emotionen der Jungen aussagen, über ihre Sehnsucht nach einem besseren Leben, ihre Hoffnungslosigkeit, verursacht durch ihre Herkunft. Die Welten beider Bilderserien, Annas und meiner, finden nur zusammen durch das Alter der Dargestellten. Alles andere scheint so vollkommen anders zu sein. Aus diesem Grund war das so eine kraftvolle Ausstellung.

Jens Pepper: Unglücklicherweise war ich nicht dazu in der Lage diese Dokumente zu lesen, weil ich kein Polnisch spreche. Aber die Fotografien in der Ausstellung waren bewegend genug. Der Großteil deiner täglichen Arbeit dreht sich um Mode, Glamour, Beauty und Werbung da du eine sehr bekannte und beschäftigte Modefotografin in Polen bist. In diesem Arbeitsbereich hast du auch sehr viel mit jungen Leuten zu tun, den Models beispielsweise. Ich vermute, dass diese Models ein relativ abgesichertes Leben vor sich und weniger fundamentale Zukunftsängste auszustehen haben. War es für dich komisch, zur selben Zeit mit benachteiligten Menschen zu tun zu haben und mit Leuten, mit denen du normalerweise zu tun hast? Du musstest dich permanent auf die jeweils andere Situation einlassen, denn so wie ich mich erinnere, sagtest du, dass du ziemlich oft in der Jugendstrafanstalt warst.

Zuza Krajewska: Das ist eine sehr interessante Frage. Wir müssen uns aber vergegenwärtigen, dass wir in Polen sind und der Ostblock noch ziemlich arm ist. Ich habe auch schon Models fotografiert, die aus verarmten und hoffnungslosen Gemeinden stammen. Die Modewelt ist also auch nicht immer so rosig. Aber du hast recht, es gibt diesen unbestreitbaren Kontrast zwischen der Modewelt und der Werbung, also dem größten Teil meiner Arbeit und den Besuchen in Studzieniec und Mrozy. Das sind zwei völlig ungleiche Welten innerhalb derer ich mich bewege, doch ich denke dass sie sich auch – in bezug auf meine Arbeit – gegenseitig befruchten. Ich fühle, dass mir diese Erfahrungen einen größeren Blickwinkel verschaffen, dass sie etwas freisetzen in mir. Ich muss meine Ängste überwinden, die reine Empathie in eine rationale Einschätzung der Situation überführen, damit ich nicht meinen Verstand verliere, damit ich an die Arbeit gehen kann, damit ich auch helfen kann, mit den Mitteln die mir zur Verfügung stehen. Ich erlebe auch ein Gefühl der Demut, es beruhigt mich und ich finde wieder zu einer Wertschätzung meines eigenen friedlichen Lebens. Die Herangehensweise an meine Themen ist immer dieselbe, weißt du. Ich bin versessen nach den Berühmtheiten die ich fotografiere und ich höre ihnen genauso zu wie ich den verlorenen Kindern von den Müllhalden der Gesellschaft zuhöre. Ich bewerte nicht und ich versuche zu verstehen. Erinnere dich, dass ich Portraitfotografin geworden bin, weil ich Menschen wirklich mag.

Jens Pepper: Erzähl mir von deinen Anfängen. Wann hattest zu zuerst den Wunsch Fotografin zu werden? Und warst du von Anfang an an Berühmtheiten interessiert? Gab es Fotografen, die du bewundert hast?

Zuza Krajewska: Mein liebstes Hobby war es schon immer Menschen hinterherzuspionieren. Ich habe damit früh begonnen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, auf der Post, in der Schule, im Zug. Ich erinnere mich auch daran, dass mein Vater eine Menge western-style Erwachsenen-Magazine hatte und ich in ihnen meine ersten Helmut Newton Bilder sah. Ebenfalls erinnere ich mich an eine Zeitschrift, die heute ein Kult-Sammlerstück wäre, voller 6×9 Fotos inmitten feuilletonistischer Artikel; ich kenne noch jedes einzelne Bild daraus. Mit 15 habe ich dann meine erste Kamera bekommen, eine Zenit. Später haben wir dann in der Kunstschule Filme bekommen die alle schon ziemlich weit über dem Haltbarkeitsdatum lagen, aber das hat den Fotos dann so etwas von Vintage-Feeling gegeben. Und noch eine Erinnerung: ich überredete eine Freundin mit mir an die Küste zu fahren wo ich sie dann bat ihre Klamotten auszuziehen, alles bis auf die Strumpfhosen. In dieser Zeit habe ich viele erotische Fotos gemacht, schreckliche wie auch lustige.

Mir ist es übrigens egal, ob ich berühmte oder nicht berühmte Menschen fotografiere. Im Unterricht hatten wir ein Buch von Nan Goldin durchgenommen und in meiner Jugend hatte ich tolle Portraits auf den Covern anderer Fotobücher gesehen; von wem die waren weiß ich nicht. Aber es war und ist mir auch egal. Es gab da keinen Unterschied für mich und so ist es noch heute. Bei meiner kommerziellen Arbeit habe ich manchmal weniger Freiheiten, manchmal habe ich keine. Aber wie ich über Portraits denke ist immer dasselbe. Es geht immer um eine Person und ihre Geschichte.

Es gibt eine Menge Fotografen die ich sehr schätze, deren Arbeiten meine Liebe zur Fotografie weckten. Wer mich aber am meisten beschäftigt sind Helmut Newton und Zofia Rydet, weil sie sich relativ spät in ihrem Leben aufgemacht haben. Ich mag die Idee, das Fotografie mein Leben ist, mein ganzes Leben, nicht nur der Moment eines Hypes.

Jens Pepper: Wurdest du für deinen ersten Mode- oder Glamour-Job angefragt weil jemand deine Arbeit bereits kannte und dich nun haben, dir eine Chance geben wollte? Oder musstest du dich bewerben, mit deinem Look Book oder so etwas ähnlichem herumgehen und dich vorstellen um einen Fuß in die Tür zu bekommen?

Zuza Krajewska: Der ersten Auftrag den ich machte war ein kommerzielles Mode-Shooting. Ich

hatte für den Kunden als Kreativdirektorin gearbeitet und war während der Fotoshootings immer unerträglich. Ich steckte meinen Kopf immer überall rein und folterte die armen Fotografen, weil ich wollte, dass sie meine Vision sahen. Beim dritten Fototermin fragte der Markenchef mich, ob ich die Fotos selber machen wolle. Ich sagte ja. Anschließend haben sie mich ganz aus der Agentur geschmissen, zum Glück.

Interessant ist, dass ich noch nicht einmal wusste, wie die Lampen hießen, als ich mich für die ersten Shootings vorbereitete. Ich sah mir die Sachen an die sie hatten und fragte dann wie ein Kind nach diesem „großen runden Ding“. Heute weiß ich, dass es ein Octa ist. Es war damals auch stressig, da wir alles auf Dias aufnahmen. In der vordigitalen Zeit war es einfach, ein komplettes Shooting zu ruinieren. Im Prinzip hatte ich damals begonnen, mir mein Portefolio mit Werbeaufnahmen zusammenzustellen; nicht unbedingt der typische Weg.

Jens Pepper: Habe ich das richtig verstanden? Du hast als Kreativdirektorin in der Modeindustrie begonnen, bevor du dich der Fotografie als Beruf zuwandtest? Und du hattest deine Jobs als Kreativdirektorin durch eine Agentur bekommen? Wieso wurdest du nach dem ersten Shooting gefeuert?

Zuza Krajewska: Ich habe Grafikdesign und nicht Fotografie studiert. Für Werbeagenturen zu arbeiten war da eine ganz natürliche Entwicklung. Alles in allem ziemlich fruchtbar, es gab Preise, interessante Projekte, die erste professionelle kommerzielle Foto-Produktion in Polen. Weißt du, ich glaube, dass die Jungs nicht damit klar kamen, dass ich hinter meinem Computerbildschirm hervorkroch und Fotos machte und irgendwann das Design Design sein ließ. Sie hatten dafür kein Verständnis. Sie zogen es also vor die harte Nummer zu fahren und sauer zu werden. Mich hatte das nicht im geringsten gestört. Ich bin einfach gegangen und nicht wiedergekommen.

Jens Pepper: Wie lange hat es von diesem Moment an gedauert, bis du dir eine sichere Position als Fotografin erarbeitet hast, mit der du dir deinen Lebensunterhalt verdienen konntest?

Zuza Krajewska: Ich weiß, dass das schwer zu glauben ist, aber ich habe in der Werbung begonnen und sofort an kommerziellen Sachen gearbeitet. Ich denke nicht, dass es das Beste war, so schnell da reinzustolpern, in diese ganze Maschinerie des Geldverdienens und des Fokussieren auf das Geschäft. Ich denke, dass mich meine Bescheidenheit ein wenig vor Schaden bewahrt hat und die Tatsache, dass ich mit ID und Dazed [(… & Confused). Zwei einflussreiche englische Zeitgeistmagazine] aufgewachsen bin, ich daher einen gewissen Foto-Stil im Hinterkopf hatte, so eine menschliche und natürliche Herangehensweise. Du must dir in Erinnerung rufen, dass West-Europa völlig anders ist. Hier in Polen ist die Herangehensweise an Schönheit idealisiert und sehr patriarchalisch. Es gibt hier wenig Raum für das Natürliche.

Jens Pepper: Was denkst du, macht dich so erfolgreich? Ganz offensichtlich hast du Bildideen, die Magazine und andere Kunden veranlassen dich zu buchen.

Zuza Krajewska: Ich denke, dass ich die Jobs kriege, weil ich Dinge in die Tiefe gehend bespreche. Meine Kunden fühlen sich sicher bei mir. Ich arbeite schnell, ich weiß was ich tue. Und dich habe ein offenes Ohr für das, was sie zu sagen haben.

Jens Pepper: Wir haben über deinen Wunsch gesprochen, mehr Freiraum zu erhalten, um die Fotos machen zu können, die du auch machen willst. Denkst du, es ist in Polen schwieriger eigene Ideen umzusetzen als woanders?

Zuza Krajewska: Zunächst einmal muss man sagen, dass es in Polen keine Medien gibt, wirklich,

es gibt nichts außerhalb der kommerziellen Aufträge, na, zumindest beinahe. Die Leute sind hier nicht neugierig, sie wollen nichts Neues entdecken und sie wollen auch nicht für solche Entdeckungen bezahlen. Das ist alles eine ziemlich komplexe Situation. Das hat seine Ursache darin, dass Polen nichts selber entwickeln sondern dazu neigen nur alles zu imitieren. Das hat etwas mit Selbstwertgefühl zu tun. Der polnische Charakter ist bipolar. Sie lieben und hassen sich zugleich. Aus diesem Grund ist es nicht so einfach für sie selbstständig zu denken, sie haben eine geringe Belastbarkeit und es mangelt ihnen an Entschlusskraft. Sie sind schnell verunsichert, wenn es Kritik gibt. Gleichzeitig mögen Polen keine Schwäche, sie respektieren sie nicht und sie zeigen selten Empathie. Meine Serie IMAGO hatte international eine ziemliche Wirkung, aber in Polen steht man ihr ziemlich reserviert gegenüber. Polen erklimmen noch die Erfolgsleiter und das was sie am meisten antörnt sind Reichtum und Erfolg.

Ich beneide Sharon Lockhart [amerikanische Künstlerin, die vor allem mit den Medien Film und Fotografie arbeitet] ein wenig, weil es ihr gelingt, von ihren sozialen Projekten zu leben. Sie beschäftigt sich künstlerisch mit Armut, Unglück, Ausgrenzung und kann davon anständig leben. Von so einem Leben träume ich.

Jens Pepper: Kannst du dir vorstellen deinen Arbeitsort zu wechseln, also die Stadt, das Land? Du hattest mit der New York Times Kontakt nachdem die deine Arbeit gesehen haben, insbesondere das soziale Projekte IMAGO. Was wäre der Ort, an dem du gerne sein möchtest? Vielleicht würdest du ja aber auch gerne in zwei Städten leben, in Warschau und noch irgendwo?

Zuza Krajewska: Schwierige Frage. Ich weiß es nicht. Ich liebe Polen und es inspiriert mich ohne Ende. Meine Familie und Freunde sind hier und ich hänge an ihnen. Ich schau einfach, wohin mich meine Arbeit führt. Das Interesse an IMAGO und der Respekt, der diesem Projekt im Ausland entgegengebracht wurde, hat Dinge in Bewegung gesetzt und mich nachdenklich gemacht. Wir werden sehen. Ich bin ziemlich mutig und habe keine Angst vor Veränderungen.

Jens Pepper: Gibt es ein soziales Projekt, an dem du derzeit arbeitest?

Zuza Krajewska: Ja, ich arbeite gerade an zwei Projekten mit sozialen Themen. Ich möchte aber noch nicht so viel darüber erzählen.

Jens Pepper: Fotografierst du die Mode- und Portraitfotos, die du für Magazine machst, überwiegend in Polen?

Zuza Krajewska: Gerade jetzt sind einige der Aufnahmen die ich mache für internationale Publikationen und Kunden aus Europa. Ich denke, dass das eine ganz natürliche Entwicklung ist. Die Welt wird ein wenig kleiner, wenn es darum geht, wie weit ein Foto seine Wirkung entfalten kann. Es ist einfacher zu arbeiten weil wir durch die Ästhetik kommunizieren.

Jens Pepper: Wie fühlt es sich für dich an, wenn du am Kiosk Cover siehst, die du für K-Mag, Elle etc. gemacht hast?

Zuza Krajewska: Ich schaue mir meine Fotografien nach ihrer Entstehung gar nicht an. Natürlich gefällt es mir, sie zu machen und ich mag es auch, wenn die Leute darauf reagieren, aber ich folge nicht ihrer Spur. Nur ab und zu überprüfe ich mal die Druck- und Farbqualität.

Jens Pepper: Was war dein bisher spannendstes Modeshooting?

Zuza Krajewska: Ich mag am liebsten Off-Editorials, die ich nach meinen eigenen Ideen zusammenstelle. Dann fühle ich mich wie eine Filmregisseurin.

Jens Pepper: Du arbeitedst mit der LAF Agentur zusammen. Wie wichtig ist es für eine Mode- und Lifestylefotografin in Polen mit solch einer Agentur zu kooperieren?

Zuza Krajewska: Gute Frage. Ich bin gerade dabei, mich außerhalb Polens nach einer Agentur umzusehen und es kann durchaus sein, dass ich meine Agentur wechseln werde. Eine die mehr Gewicht in Sachen PR hat wäre gut.

Dieses Gespräch wurde 2017 für mein Buch „Gespräche über polnische Fotografie“  (Klak-Verlag, Berlin) via Email geführt. 

Zuza Krajewska fotografiert von Jens Pepper

Zuza Krajewska (*1975). Grafikdesign-Studium an der Kunstakademie in Danzig. Anschließend Arbeit für Werbeagenturen. Mehr oder weniger zufällig erste Fotojobs in der Modeindustrie. Heute freischaffend mit Basis in Warschau. Aufträge und Cover u.a. für Vice, Elle, K-Mag etc. Diverse Preise. Nebenher fotografiert sie Sozialreportagen.

www.zuzakrajewska.com

Foto links: Zuza Krajewska, fotografiert von pepper