„Man möchte als Fotograf immer etwas Neues, Einzigartiges schaffen.“ – Ein Gespräch zwischen den Fotografen Fay Nolan und Jens Pepper
Jens Pepper: Du schließt in diesem Jahr eine dreijährige Ausbildung zur Fotografin am Berliner Lette-Verein ab. Wie sieht die Abschlussprüfung dort aus, was für Aufgaben werden dir gestellt?
Fay Nolan: Am Ende der Ausbildung steht die Abschlussausstellung, auf die man im gesamten letzten Semester hinarbeitet. Dort wird die Abschlussarbeit präsentiert; dieses Jahr zum zweiten Mal in den Schindler Hallen in Alt-Mariendorf mit der Mode und Grafik zusammen. Am 20. Juni ist übrigens die Vernissage. Die Abschlussarbeit ist Teil der Prüfung und wird bewertet. Ein weiteres praktisches Fach sind die Digitale Medien: Photoshop usw. Und Schriftlich wird man in Fotogeschichte und Sozialkunde geprüft, was auch Steuerrecht und Fotorecht einbezieht.
Jens Pepper: Was wirst du für eine Abschlussarbeit machen?
Fay Nolan: Meine Abschlussarbeit wird aus mehreren Kapiteln zu einem Thema bestehen, die dieses aber unterschiedlich abstrakt und assoziativ behandeln. Ich möchte ein bisschen mit dem Medium Fotografie spielen und experimentieren.
Jens Pepper: Kannst du das inhaltlich ein bisschen näher erläutern: Welches Thema interessiert dich und wie wirst du mit dem Medium experimentieren?
Fay Nolan: Ich beschäftige mich mit dem Phänomen der Dekonstruktion von Menschen in der Öffentlichkeit, also von Politikern aber auch von Menschen die in Ungnade gefallen sind oder beispielsweise etwas Kriminelles aufgedeckt haben, Menschen, die öffentlich neue Grenzen abstecken oder es wagen, bestehende Grenzen neu auszuloten. Technisch möchte ich multimedial arbeiten und mal wieder das verstaubte Fotogramm aus der Schublade holen.
Jens Pepper: Lässt Lette euch Studenten Freiraum in Bezug auf die Themenfindung, oder gibt es Vorgaben? Und überhaupt: Wie frei seid ihr in eurer dreijährigen Ausbildung? Ich stelle mir vor, dass die Berufswünsche der angehenden Fotografen und Fotografinnen sehr unterschiedlich sind. Der eine möchte vielleicht in den Fotojournalismus gehen, ein anderer in die Werbe- oder Modefotografie und wieder andere wollen eher künstlerisch arbeiten. Ist eure Ausbildung für all diese Berufswünsche gleich geeignet, oder würdest du sagen, dass der Lette-Verein bevorzugt in eine Richtung ausbildet und manche Bereiche weniger berücksichtigt werden?
Fay Nolan: Am Lette-Verein bekommt man eine sehr fundierte handwerkliche Ausbildung. Die drei Jahre Ausbildung sind so gegliedert: Im ersten Jahr arbeitet man ausschließlich schwarz/weiß, im Labor und mit Groß- und Mittelformat. Im zweiten Jahr kommen dann Farb- und Digitalfotografie dazu. In den ersten beiden Jahren gibt es pro Semester ein festgelegtes Pensum mit Aufgaben zur Porträt-, Architektur-, Sach- und Modefototgrafie sowie zur Reportage.Zusätzlich hat man pro Semester eine freie Serie zu entwickeln, die dann zu Semesterende präsentiert wird. Das ist sozusagen das Herzstück jedes Semesters. Hier ist man technisch und inhaltlich wirklich vollkommen frei. Im letzten Jahr arbeitet man schließlich auf die Abschlussausstellung hin, man hat kein Pensum mehr und ist auch thematisch ohne Vorgaben. Am Lette-Verein gibt es viele unterschiedliche fotografische Richtungen. Insgesamt kann man aber sagen, dass Lette mit den Jahren immer künstlerischer und konzeptioneller wurde. Bei mir im Semester gibt es allerdings eine große Bandbreite: von kommerzieller Mode- und Sachfotografie über großangelegte Reportagen bis hin zu konzeptuellen Langzeitarbeiten. Es kommt aber auch immer auf das Semester an. Meines hat einen ziemlich starken Schwerpunkt in Richtung konzeptionelle und dokumentarische Sichtweisen. Ich persönlich halte die Ausbildung am Lette Verein in Sachen Technik und Handwerk ziemlich gut, damit kann man viel angfangen und insgesamt gibt es auch einen guten Einblick in künstlerische Arbeitsweisen. Wer aber sehr frei und unabhängig arbeiten möchte und seinen Stil schon gefunden hat, dem wäre eine Kunsthochschule eher zu empfehlen.
Jens Pepper: Was für eine berufliche Zielsetzung hattest du, als du vor drei Jahren mit dem Studium begonnen hast, und wie sieht deine Berufsplanung jetzt aus?
Fay Nolan: Meine berufliche Zielsetzung war am Anfang noch ziemlich vage. Ich wollte als Porträtfotografin redaktionell in einem eigenem, kleinem Büro arbeiten, hauptsächlich für die Printmedien. Mittlerweile ist mein “Berufsprofil” wieder bzw. immer noch sehr vage. Ich kann sowieso nicht länger als maximal ein Jahr im Voraus planen. Zurzeit mache ich neben dem Studium eine Assistenz bei einem Fotografen und möchte das erstmal nach meiner Ausbildung weitermachen.
Jens Pepper: Was für eine Assistenz ist das?
Fay Nolan: Die Assistenz mache ich bei Mark Pillai, einem tollen Modefotografen, der lange in Paris gelebet hat und der unter anderem für die französische und italienische Elle gearbeitet hat, für die deutsche und die russische Vogue, für Dazed & Confused und Sleek, aber auch für Givenchy.
Jens Pepper: Und was sind dort deine Aufgaben?
Fay Nolan: Meine Aufgaben umfassen Recherche, die Vor- und Nachbereitung von Produktionen inklusive Casting und Digital Operating während einer Produktion, Kundenkontakt, Archivierung, Datensicherung Buchhaltung, Portfolios zusammenstellen und Layouts erstellen. Für mich ist das Wichtigste, dass der Fotograf mit mir jemanden hat, auf den er sich immer verlassen und auf dessen Meinung er zählen kann.
Jens Pepper: Das klingt, als ob du selbst einen gewissen kreativen Spielraum im Rahmen der gestellten Aufgaben hast. Eine wunderbare Situation für eine Studentin. Ist es bei der Lette-Ausbildung eigentlich üblich, dass man sich bereits während des Studiums so intensiv als Fotoassistentin oder in einem anderen Bereich außerhalb der Schule betätigt?
Fay Nolan: Ja, also der kreative Freiraum bewegt sich aber immer innerhalb des Stils des Fotografen, dem man assistiert. Es ist eher üblich, Assistenzen oder kleine Fotojobs auf Abruf zu machen. Man hat auch nur im letzten Ausbildungsjahr wirklich Zeit für eine Assistenz, weil man da eben weniger Unterricht und dafür mehr Zeit für freie Projekte oder Jobs hat. Eine feste Assistenzstelle ist da eher die Ausnahme. Aber hilfreich ist so eine natürlich immer. Man lernt dabei noch einmal vieles auf ‘ner anderen Art und Weise und viel intensiver als im Studium.
Jens Pepper: Du hattest in den Semesterferien nach Deinem zweiten Jahr ein längeres Praktikum bei einem Fotografen in München gemacht. Wer war das, und was war der Grund zu eben diesem Fotografen zu gehen?
Fay Nolan: Thomas Dashuber. Ein großartiger Porträt- und Theaterfotograf. Ich kenne ihn schon länger und habe vor ein paar Jahren ab und zu bei ihm assistiert, als ich nebenan in einem Büro für Buchgestaltung ein Praktikum gemacht habe. Ich wollte ihm nochmal ein bisschen länger über die Schulter schauen. Thomas Dashuber hab ich schon immer als Vorbild gesehen und er war der Fotograf, wo ich dachte “da möcht ich auch mal hin”. Ich mag die Art, wie er beim Porträtieren vorgeht, wie er mit den Menschen umgeht und seit Jahren bzw. Jahrzehnten seinen Stil beibehält, aber auch weiterentwickelt.
Jens Pepper: Ein interessanter Fotograf, in meinen Augen ein typischer Vertreter der jungen deutschen Fotografie der frühen 90er Jahre. In Deinen Portraits und Stadt- bzw. Landschaftsaufnahmen ist durchaus sein Einfluss zu erkennen, wenn man von dieser Zusammenarbeit weiß, was jetzt keinesfalls negativ gemeint ist. Gibt es noch andere Fotografen und Fotografinnen, die dich inspirieren?
Fay Nolan: Auf jeden Fall Albrecht Fuchs, den ich sehr für seinen klaren Porträtstil bewundere. Sehr inspirierende und große Vorbilder sind für mich Rineke Dijkstra, Gilian Wearing, Pieter Hugo, Viviane Sassen und Taryn Simon. Dann finde ich die Arbeiten von Benten Clay und Simon Menner sehr interessant. … und Wolfgang Tillmans, Duane Michaels und Thomas Demand nicht zu vergessen.
Jens Pepper: Die Aufzählung spiegelt Dein Interesse am Portrait wider, vor allem an den Arbeiten der jetzt mittleren Generation von Fotografen. Vom Alter und von der Art seiner Arbeiten her fällt in dieser Liste der 82jährige Duane Michals auf. Was reizt dich an seinem Werk?
Fay Nolan: Ich finde es spannend, wie er in Bildabfolgen eine Geschichte erzählt, aber den Betrachter dabei vollkommen verwirrt und eine Erklärung offen lässt. Er ist sehr cineastisch oder?
Jens Pepper: Hast du selbst schon mal mit narrativen Bildfolgen gearbeitet?
Fay Nolan: Am ehesten könnte ich da meine Serie “Der letzte Blick” nennen. Dort ergibt sich das Narrative aus Fakten, also den Bildtiteln sowie der Anordnung als Serie. Die Bilder sind sehr sachlich aufgenommen, immer dieselbe Kameraeinstellung und -aufstellung. Die Serie ist oder wird spannend, wenn man die Hintergrundinformationen dazu hat. Ich mag es, mich solchen Themen behutsam und sensibel zu nähern. Gerade wenn man – wie ich – die Ära der Berliner Mauer gar nicht miterlebt hat und es jetzt eine “neue”, sehr vom Geschehen distanzierte Generation gibt, die dazu Standpunkt bezieht.
Jens Pepper: In der Serie “Der letzte Blick” imaginierst du den letzten Blick von jungen Menschen, die zwischen 1980 und 1989 aus der DDR fliehen wollten und, beim Versuch die Mauer zu überwinden, erschossen wurden. Du verwendest also fotografische Mittel, um ein historisches Thema präsent zu machen, und indem du ausschließlich das Schicksal junger Menschen zwischen 18 und 25 vorstellst, sprichst du natürlich auch gerade deine Generation an. Du machst sie auf schreckliche Zustände und Ereignisse aufmerksam, die zwar rund drei Jahrzehnte zurückliegen, für jemanden wie mich aber, der ich Berlin und Europa noch zu Mauerzeiten erlebt habe, in der Erinnerung ziemlich gegenwärtig sind. Je nach Alter der Betrachter erreichst du also Unterschiedliches. Bei Älteren weckst du Erinnerungen, bei Jüngeren machst du Geschichte bewusst und regst zum nachdenken über die Gegenwart an, die ja auch anders hätte aussehen können, wenn beispielsweise die DDR nicht aufgelöst worden wäre. Wozu ist in deinen Augen Fotografie fähig, die sich historischer Themen annimmt?
Fay Nolan: Ich denke, dass Fotografie viel vermitteln kann. Ich finde es nur spannender, wenn historische Themen subtil und eher abstrakt und assoziativ behandelt werden. Wenn Fotos also nicht moralisieren sondern lediglich Möglichkeiten aufzeigen und Raum für Interpretation lassen.
Jens Pepper: Kannst du dir vorstellen politische oder soziale Reportagen zu machen?
Fay Nolan: In dem Bereich der Reportage sehe ich mich nicht. Gerade bei politischen Themen bevorzuge ich eine abstraktere, konzeptionelle Herangehensweise. Man wird so mit Pressebildern des aktuellen Tagesgeschehens überflutet. Da prägen sich mir viel eher solche distanzierten, sachlichen Kriegsbilder im Großformat von Luc Delahaye ein oder lang angelegte Serien von Taryn Simon wie “A Living Man Declared Deadand Other Chapters”.
Jens Pepper: Luc Delahaye ist in meinen Augen ein Reporter mit einem großartigen Blick, aber wenn ich mir beispielsweise seine Fotos aus Afghanistan und den Irak ansehe, fällt mir das Wort distanziert dazu nicht so recht ein. Er ist doch mittendrin im Geschehen und zeigt die fürchterliche Wahrheit, gerade in seinen Kriegsberichten. Taryn Simons Arbeit ist dagegen klar konzeptuell angelegt – so wie du es ja auch beschreibst – und stellt das Portrait in den Mittelpunkt. Ich mag beide Positionen, wobei mich Delahaye mehr berührt und Simons eher kalt lässt.
Fay Nolan: Ich dachte da jetzt an die späten Sachen von Luc Delahaye, als er sich schon der Kunst zugewandt hat. Ich finde, er hat da schon eine sehr andere Herangehensweise und einen anderen Blick als die “typischen” Kriegsfotografen. Das zeigt ja letztendlich auch die Hängung seiner Großformate in Galerien… Und ja, dasskann ich nachvollziehen, dass Taryn Simon einen kaltlassen kann. Aber ich finde, dass ihre aufwendigen, über Jahre sich entwickelnden Arbeiten meist ein größeres Puzzleteil in einem ganz bestimmten Zusammenhang zeigen, was eine noch viel stärkere erschüttendere Wirkung auf mich hat.
Jens Pepper: Was ist übrigens ein gutes Portrait für dich?
Fay Nolan: Ich mag den fotografischen Blick sehr, der zwar distanziert und sachlich ist, aber dennoch ein ganz besonderes Vertrauen zur fotografierten Person herstellt Das ist für mich die Kunst. Deshalb bewundere ich Albrecht Fuchs so sehr, er hat dies meiner Meinung nach gemeistert. Ich selbst freue mich immer besonders, wenn ich merke, dass sich die Person mir gegenüber öffnet, die ich fotografiere, auch wenn ich sie gar nicht kenne. Und einen starken, durchdringenden Ausdruck im fertigen Bild, der etwas in einem Betrachter aufwühlt, dass finde ich stark. …wenn der Betrachter merkt, dass es zwischen Fotograf und Modell “klick” gemacht hat.
Jens Pepper: Portrait scheint ja definitiv dein großes Thema zu sein. Wen würdest du gerne portraitieren, oder was für ein Portraitprojekt würdest du gerne realisieren?
Fay Nolan: Ich hab in meiner Serie “Die Neuen” junge Künstler und Kulturschaffende fotografiert. Das war eine Herausforderung, bei der ich viel gelernt hab. Ich würde mich ganz gern à la Albrecht Fuchs auf Künstler, Fotografen, Maler usw. spezialisieren. All diejenigen also, die man schwer vor die Kamera bekommt und die sich ungern fotografieren lassen. Das ist eine echte Aufgabe!
Jens Pepper: Wieso lassen die sich schwerer fotografieren? Fotos von Künstlern etc. gibt es doch reichlich. Die Ausstellung von Barbara Klemm im Gropiusbau mit all den Portraits von Kulturschaffenden ist gerade erst zu Ende gegangen. Wenn ich mir Zeitschriften wie Interview, Vogue, Zoo Magazine und wie sie alle heißen ansehe, sind sie doch voll von Künstler- , Musiker- , Schauspieler- und Fotografenportraits. Dass diese Menschen eine Herausforderung darstellen, dass verstehe ich allerdings schon. Du als Fotografin möchtest Dich ja vor einer bekannten Person ungern blamieren und möchtest etwas Besonderes machen, etwas Außergewöhnliches. Ich glaube, dass hierin eher die Herausforderung liegt, oder?
Fay Nolan: Fotografen und Schauspieler wissen wie sie wirken und wie sie sich inszeniert haben wollen, wie sie gesehen werden wollen. Hier ist’s also schwer, den eigenen Stil beizubehalten und gleichzeitig dem Portraitierten entgegen zu kommen. Das kann eine Gratwanderung sein. Und dazu kommt auch, dass diese “Typen” exzentrisch, scheu oder arrogant sein können. Und klar, man möchte als Fotograf immer etwas Neues, Einzigartiges schaffen. Dieser Frage gehen wir auch im neu gegründeten “Triptyk Magazin” nach, das im Mai erscheint. Ziel ist, die Fotografierten so zu zeigen, wie sie sich selbst noch nicht gesehen haben, so dass sie eine neue Facette an sich selbst entdecken können.
Jens Pepper: Was ist das für ein neues Magazin?
Fay Nolan: Das “Triptyk Magazin” wurde von den diesjährigen Abschlussjahrgängen der Foto-, Mode- und Grafikklassen des Lette-Vereins gegründet. Der visuelle Teil stammt von Letteschülern aller Jahrgänge. Die Essays, journalistischen Texte und experimentellen Fragmente stammen von unterschiedlichen, externen Autoren, die sich mit Fotografie, Musik und Philosophie beschäftigen. Das Thema der ersten Ausgabe ist “Über das Neue”. Was ist das Neue? Was ist neu? Was nur frisch aufgebrüht? Was kommt erst noch und was war schon da, aber keiner hat es gesehen?!
Jens Pepper: Ah ja, davon hast Du mir ja schon erzählt. Ein schönes Abschlussprojekt für ein kreatives Studium. Du bist in der Redaktion von Tryptik, oder? Und wird das Heft über den Buch- und/oder Zeitschriftenhandel vertrieben werden?
Fay Nolan: Ja genau. Wir werden es in den Zeitschriftenhandel geben und wir planen dazu ein Release Event im Juni. Ursprünglich sollte das “Triptyk Magazin” nur der Aufmacher für die Abschlussausstellung der Lette-Design-Klassen am 20. Juni sein. Wir hatten aber tolle Zuläufe, so dass wir uns entschieden haben, das Heft als Ausgabe eins und als unabhängiges Magazin zu gestalten.
Das Gespräch wurde Anfang März 2014 in Berlin geführt und wurde erstmals in der Zeitschrift Brennpunkt, Ausgabe 2/2014 (Heft April – Juni), veröffentlicht.