„Erst denken, dann abdrücken.“ – Peter Bialobrzeski im Gespräch mit Jens Pepper.

"Dominika, 13" aus der Serie "Waiting Room" von Zosia Prominska

Jens Pepper: Geht man auf Ihre Homepage ist das erste, was man dort sieht [Stand 30. März 2020], ein Foto, das die verwüstete Stelle zeigt, auf der sich bis vor kurzem eines der ersten Hochhausensembles der Freien und Hansestadt Hamburgs – der City-Hof – befand, erbaut in den späten 1950er Jahren, nun aber, trotz zahlreicher Proteste, abgerissen. Sie haben die letzten Tage des Gebäudes und den bisherigen Abriss dokumentiert und die Fotografien als aktuelles Projekt auf ihrer Homepage eingestellt, Titel: „A Requiem for the Cityhof“. Ist dies ein Thema, das sie persönlich berührt oder haben Sie die Aufnahmen als neutraler Beobachter gemacht?

Peter Bialobrzeski: Die Cityhof Häuser haben mich schon immer „irgendwie“ fasziniert, ich habe mir allerdings nie die Mühe gemacht, sie zu fotografieren. Als ich von dem Abriss hörte und von den skandalösen Umständen, die ihn ermöglichten, hatte ich den Ehrgeiz, den Prozess fotografisch zu begleiten. Seit diesem Wochenende ist das gesamte Gelände eine Brache.

Jens Pepper: Werden Sie den ganzen Prozess der Transformation begleiten, also auch die kommenden Bauarbeiten, bis hin zur Fertigstellung des neuen Gebäudes, das an dieser Stelle geplant ist?

Peter Bialobrzeski: Nein, das neue Gebäude und der Weg dahin interessieren mich seltsamerweise nicht.

Jens Pepper: Ihre Heimatstadt Hamburg ist eher selten Thema Ihrer Arbeit, zumindest in dem Teil, der publiziert und veröffentlicht ist. Hat das einen bestimmten Grund? Sind Fernweh und Reiselust die bestimmenden Impulsgeber Ihrer Karriere als Fotograf?

Peter Bialobrzeski: Oh, da haben Sie wahrscheinlich die Arbeit „Docklands“ übersehen.

Jens Pepper: Nein, nein, die Bilder kenne ich. Dennoch ist Ihre Heimatstadt nur gelegentlich Ihr Thema. Ein Eugene Atget Hamburgs sind Sie sicherlich nicht.

Peter Bialobrzeski: Nein, ich denke nicht. Das hat aber auch damit zu tun, dass für meine Generation natürlich die Tür zur Welt – zumindest bis zum Ausbruch von SARS 2 – weiter offenstand, als für Atget. Beispielsweise fotografiere ich aber seit den Kontaktbeschränkungen auch in Hamburg in verschiedenen Vierteln. Die Leere ermöglicht Bilder, die sonst viel schwerer zu bekommen wären. Der Prozess in einer stillen Stadt zu arbeiten ist auch ein anderer. Gestern habe ich in Hamburgs Innenstadt fotografiert und war fasziniert von allem bislang Übersehenen.

Jens Pepper: Was haben Sie denn bisher übersehen? Was hat Sie fasziniert?

Peter Bialobrzeski: Das kann man mit Worten nicht wirklich beschreiben. Tatsächlich ist es ja so, dass ich, wie die meisten auch, das mich alltäglich Umgebende mit Scheuklappen und eher funktional wahrnehme. Erst wenn ich konzentriert mit Kamera und Stativ anfange, die Zeichen zu analysieren und zu ordnen wird ein Bild draus.

Jens Pepper: Können Sie diesen Prozess beschreiben? Wie analysieren und ordnen sie mit der Kamera und dem Stativ? Das steht ja beispielsweise konträr zu der Arbeitsweise vieler Straßenfotografen, die intuitiv auf den Auslöser drücken, manchmal auch ohne einen Blick durch den Sucher zu werfen. Analysiert wird da vorab eher selten, eher wird gefühlt, dass eine gewisse Situation auch im Bild ein interessantes Motiv abgeben wird.

Peter Bialobrzeski: Natürlich spielt auch hier Intuition und Erfahrung eine große Rolle. Die digitale Technik erlaubt es mir, einem Scanner gleich Material zu sammeln. Ich bewege mich von Straßenecke zu Straßenecke, ordne den Raum und natürlich findet die endgültige Analyse erst mit der Bildauswahl statt.

Jens Pepper: An guten Tagen: wie viele Aufnahmen machen Sie? Und wie viele Bilder kommen bei der anschließenden Sichtung in die engere Auswahl? Wie schnell nach dem Fotografieren sichten Sie eigentlich die Bilddaten?

Peter Bialobrzeski: Im Schnitt fotografiere ich etwa 20-25 verschiedene Einstellungen pro Session, Minimum zwei Datensätze pro Einstellung, die ich aber über Shiften variiere und später mit Lightroom automatisch zusammensetze. Das Seitenverhältnis ist, abhängig vom Projekt, 3:4 oder 4:5. Nach dem fotografieren, immer abhängig ob es ein Langzeitprojekt oder ein „Diary“ ist, nehme ich eine Vorauswahl vor, so dass ich pro Einstellung einen Datensatz in einem Ordner habe. Die Auswahl reduziere ich dann immer mal wieder.

Bei den „City Diaries“ sitze ich nach meiner morgendlichen Foto-Aktivität meistens drei Stunden am Computer und habe am Ende der Woche vielleicht 120 Takes in der engeren Auswahl. Davon belichte ich 80-100 Bilder zeitnah in einem 13x18cm großen Format aus und sequenziere die Strecke. Relativ häufig nehme ich die Bilder auch mit in meine Masterseminare und schaue, welche Kriterien die Studierenden bei der Auswahl anwenden würden.

Jens Pepper: Vor drei Jahren haben Sie ein „Diary“ in Wuhan gemacht. In Angesicht der Coronakrise, die ihren Anfang wohl genau dort nahm, also eine auch tagesaktuell sehr interessante Wahl. Weshalb war für Sie Wuhan eine ideale Stadt für das Diary-Projekt? Kannten Sie sie bereits?

Peter Bialobrzeski: Ich kannte Wuhan aus dem Jahr 1987, ich stoppte dort auf einer Reise, den Yangtse hinunter, auf dem Weg von Chongching nach Shanghai. Eine völlig andere Stadt. Es gibt eine Reihe von bekannten Fotografien von Thomas Struth aus Wuhan, so dass ich schon eine Vorstellung hatte, als das Goetheinstitut mich einlud gemeinsam mit dem chinesischen Fotografen Tang Jing dort an einer Ausstellung zu arbeiten, die dann im Wuhan Art Museum gezeigt wurde. Insofern war auch die Produktion eines Wuhan Diary aus der Arbeit folgerichtig, zumal die Stadt, bis zur Coronakrise im Westen weitgehend unter dem Radar lief.

Jens Pepper: Das Buch ist bei The Velvet Cell erschienen, ein unabhängiger Verlag, der derzeit in Berlin residiert. Gedruckt wurde es in einer Auflage von 500 Exemplaren. Es ist aktuell ja noch nicht ausverkauft. Hat die Nachfrage nach diesem Buch wegen der plötzlichen Bekanntheit Wuhans eigentlich angezogen?

Peter Bialobrzeski: Soweit ich weiß nicht. Es gab eine kurze Besprechung des Buches auf der Website des ORF. Seltsam… Ich denke, dass Wuhan im Weltgedächtnis ungefähr so populär wie Fukushima, Lockerbie oder Tschernobyl ist. Später, in 20 Jahren wird es natürlich sehr interessant sein, was dann für alle Diaries gelten dürfte.

Jens Pepper: Nach welchen Kriterien werden die Städte für die Diaries ausgewählt? Sind es Sehnsuchtsziele, wird die Auswahl eher strategisch getroffen oder spielt auch der Zufall eine Rolle? In Wuhan hatten Sie die Einladung des Goethe Instituts, sie konnten die Arbeit am Diary also mit einer anderen Aufgabe verbinden. Hier noch eine Nebenfrage: waren es die Fotos für das spätere Diary, die Sie damals auch im Wuhan Art Museum gezeigt haben?

Peter Bialobrzeski: Da kann man nur mit sowohl als auch antworten. Zum einen habe ich relativ häufig das Glück zu Workshops, Vorträgen, Studienreisen etc. eingeladen zu werden. Dann bleibe ich, wie kürzlich noch in Florenz und Turin mindestens eine Woche und fotografiere. Zum anderen habe ich auch Städte wie Yangon und Bangkok aus eigenem Antrieb besucht. Leider sind die beiden Diaries noch nicht erschienen. Und ja, die Fotos im Wuhan Museum wurden später im Diary gedruckt, allerdings konnte ich im Museum eine Reihe von Fotos nicht zeigen. So wurde ich durch eine Schere im Kopf der beteiligten chinesischen Institutionen aus Angst vor dem Zensor freundlich aufgefordert eine alternative Auswahl zu zeigen.

Jens Pepper: Was war auf den Fotografien zu sehen, die nicht ausgestellt werden sollten?

Peter Bialobrzeski: Nicht wirklich etwas, das aus westlicher Sicht zensurwürdig ist, mal ’ne Ruine, vielleicht haben die Bilder die ich wirklich mag, grundsätzlich zu wenig Glamour.

Jens Pepper: Seit 2002 sind Sie Professor an der Hochschule für Künste in Bremen. Als gebürtiger Bremer, der dort auch aufwuchs und in die Lehre ging, würde ich gerne wissen, ob Sie die Hansestadt schon einmal als Objekt für ein Diary ins Auge gefasst haben?

Peter Bialobrzeski: Tatsächlich nicht, mein Verhältnis zu Bremen ist eher ambivalent, vielleicht weiß ich einfach zu viel über die Stadt, dass macht eine flüchtige Begegnung, die den meisten Diaries innewohnt unmöglich. Hamburg und Berlin fände ich wohl ähnlich problematisch.

Jens Pepper: 2016 hatte ich für das Goethe Institut in Warschau mal über Ihr Foto „Heimat 31, Schwarzwald“ einen Text geschrieben; der war für ein Online-Projekt des Instituts gedacht, das dann letztendlich nicht zustande kam. Es hatte mir aber viel Spaß gemacht, über dieses Bild, das ich mir ausgesucht hatte, etwas zu schreiben. Eine Tolle Aufnahme. Was bedeutet Ihnen persönlich eigentlich Heimat? [PB erhielt den Text von mir zusammen mit dieser Frage zugemailt]

Peter Bialobrzeski: Ihre Frage muss ich ausnahmsweise anekdotisch beantworten: Nach einem Jahr in London spazierte ich mit einer aus der Nähe von Düsseldorf stammenden Freundin, die ebenfalls in London lebte einen Bahndamm im Ruhrgebiet entlang. Zwischen Kleingärten und Brachland stieg uns ein unverwechselbarer Geruch in die Nase. Sie sagte: So riecht zu Hause, das ist Heimat. Ich pflichtete ihr bei. Heimat ist ein Amalgam gespeist aus Wahrnehmungen, die sowohl sensorischer als auch individuell historischer Natur sind. Emotionale, wie rationale Erfahrungen prägen das Bild, das sich wiederum zwischen Ratio und emotionaler Erinnerung einpendelt. Und natürlich spielen, wie in Ihrem Text dann auch noch, dem Arbeitsfeld entsprechende Prägungen eine Rolle, wie Caspar David Friedrich, aber auch die Fotos von Dirk Reinartz und Stephen Shore.

Ich zitiere auch mal aus meinem Vorwort zum Buch „Heimat“ von 2005: »Heimat« bedeutet, Wurzeln zu haben, nicht notwendigerweise verwurzelt zu sein. Die Erde, aus der sie stammen, bestimmen den Code, nicht aber die Substanz. So ist „Heimat“ auch kein Buch über Deutschland als Heimat, sondern entwirft ein Bild, das jenseits dunkler Vergangenheit, Wiedervereinigung und
»German Disease« ein persönliches Stück Bild- und Kulturgeschichte fixiert.

Jens Pepper: An welchen Orten fühlen sie sich denn heimisch. Ist es Hamburg oder sind es viele Orte, die sie im Laufe der Jahre liebgewonnen haben?

Peter Bialobrzeski: Tatsächlich fühle ich mich heimisch in Hamburg, aber auch das platte Niedersächsische Land, zwischen meiner Heimatstadt Wolfsburg und meinem jetzigen Wohnort hat was sehr Vertrautes. England ist mir nahe, genauso wie seltsamerweise Indien. Wenn ich den etwas fauligen, feuchten Geruch der Aircondition in der Ankunftshalle von Bombay oder Delhi roch, fühlte ich mich mehr zu Hause, als wenn ich in Paris-Charles de Gaulle in den RER stieg und in traurige Gesichter blickte, während der Regen an die Scheibe schlug und die endlose Banlieue vorbeizog.

Jens Pepper: Wie ist eigentlich Ihre Reiselust entstanden? Haben Sie schon als Jugendlicher davon geträumt, die Welt zu bereisen?

Peter Bialobrzeski: Ja, ich bin als Kind schon gerne verreist, als Jugendlicher sowieso, nach dem Abi bis das Geld alle war nach Griechenland getrampt. Allerdings war die Berufswahl eher von der Liebe zu Bildern geprägt, als vom Reisen, hätte ich mir doch als Junge aus Wolfsburg nicht vorstellen können, dieses jemals zu verbinden. Die Welt schien kleiner in den 1980er Jahren

Jens Pepper: Was für Bilder haben Sie damals inspiriert? Gab es Fotografen und Fotografinnen, deren Arbeiten sie großartig fanden? Oder war da ganz allgemein die Liebe zum fotografischen Bild?

Peter Bialobrzeski: Ganz früher waren es sicher nur die Bilder an sich, später in den frühen 80ern dann André Gelpke, Rudi Meisel, Timm Rauter mit seinen Arbeiten für das ZEITmagazin.

Jens Pepper: Zunächst haben sie dann ja aber erst einmal Politik und Soziologie studiert und dann erst den Schritt hin zum Studium der Fotografie in Essen und London gewagt. Waren Sie anfangs bezüglich der Berufswahl noch unsicher?

Peter Bialobrzeski: Das ist ja nicht alles, nach dem Zivildienst bin ich erstmal Taxi gefahren, das Studium habe ich abgebrochen um dann ein Volontariat bei einer Wolfsburger Tageszeitung zu absolvieren. Danach war ich dann 10 Monate in Asien, hab danach in London bei Network Photographers ein Praktikum gemacht, dann habe ich in Essen angefangen zu studieren. Nach London ging ich dann mit einem DAAD Stipendium, wo ich weniger studierte, als vielmehr meine Abschlussarbeit für die Folkwangschule realisierte. Sie erscheint dieser Tage als Buch, zeitgleich in Europa bei Hartmann Books und in England und den USA bei Dewi Lewis.

Jens Pepper: Können Sie mir etwas über diese Abschlussarbeit erzählen? Gelangen die Aufnahmen eigentlich durch diese neuen Publikationen erstmals in die Öffentlichkeit, oder wurden sie vereinzelt oder in Gänze schon vorher ausgestellt oder abgedruckt?

Beter Bialobrzeski: Die Arbeit wurde 1994 mehrfach ausgestellt, in Essen im Kunsthaus, in der Nikon Galerie in Zürich, sowie in der Side Galerie in Newcastle. Es gab kleine, ausschnitthafte Publikationen, aber niemals umfassend. Die Buchpublikation von „Give my Regards to Elizabeth“ jetzt ist in Form und Inhalt identisch mit dem Buch–Dummy, das ich 1993 als Diplomarbeit eingereicht hatte.

Jens Pepper: Ich habe mir die Beispielfotos gerade auf Ihrer Homepage [www.bialobrzeski.net] angesehen – das ist ja einer der Vorteile, wenn man ein Interview online führt, dass man so etwas machen kann. Eine tolle Bildserie. Der Mensch steht noch stark im Vordergrund, die Farbigkeit in den Aufnahmen ist interessant. Was haben die Juroren oder Prüfer damals zu ihrem Buch-Dummy gesagt? Wie wurde das Erreichen des Diploms mit dieser Arbeit begründet?

Peter Bialobrzeski: Es fanden alle gut, an die Begründung erinnere ich mich nicht, nur dass ich das Diplom mit Auszeichnung erhalten habe.

Jens Pepper: Sie unterrichten ja auch Fotografie. Gibt es in Ihrer Lehre etwas, das Ihnen besonders wichtig ist, dass Sie den Studenten unbedingt mit auf den Weg geben möchten?

Peter Bialobrzeski: Ich versuche zu vermitteln, dass ein Einfall noch keine Idee ist und weder Kreativität noch Phantasie ausreichen um ein Fotoprojekt zu realisieren, welches auch von Interesse außerhalb der Hochschule sein könnte. Erst die Verortung im kulturellen Kontext und natürlich kontinuierliches, diszipliniertes Arbeiten am eigenen Thema wird es dann zu einem Projekt von gewisser Relevanz machen können. Also: Erst denken, dann abdrücken.

Jens Pepper: Ein guter Schlusssatz. Dann danke ich Ihnen für das anregende Gespräch.

(Das Interview wurde zwischen dem 30. März und 18. Mai 2020 online via E-mail geführt)

Zosia Prominska. Selbstportrait

Peter Bialobrzeski, Jahrgang 1961, ist gebürtiger Wolfsburger, lebt in Hamburg, unterrichtet als Professor an der Hochschule für Künste in Bremen und ist ein leidenschaftlicher Weltreisender. Die Fotografien des zweifachen World Press Photo Award Gewinners erscheinen nicht nur in der Presse und werden in Ausstellungen gezeigt, sie werden auch in äußerst erfolgreichen Büchern veröffentlicht. Aktuell erschien „Give my Regards to Elizabeth“ bei Hartmann Books in Stuttgart.

www.bialobrzeski.net

„Von so einer Verleger-Legende für unser erstes Buch gelobt zu werden war großartig.“ – Ana Druga im Gespräch mit Jens Pepper.

"Dominika, 13" aus der Serie "Waiting Room" von Zosia Prominska

Jens Pepper: 2018 hast Du gemeinsam mit Deinem Partner, dem Fotografen, Fotobuchhändler und Dozenten Thomas Gust, den Fotobuchverlag Buchkunst Berlin gegründet. Da Du vom Grafikdesign herkommst und eine eigene Agentur in Berlin betreibst, seid Ihr ja das perfekte Team für so ein Unternehmen. Wer von Euch hatte die Ursprungsidee und hat den anderen dann mit ins Boot geholt?

Ana Druga: Die Idee, einen Verlag zu gründen, schlummerte schon in uns beiden, bevor wir uns kennengelernt haben. Das erste Mal sind wir uns im Herbst 2017 in der Fotobuchhandlung 25 books begegnet und die Liebe zum Fotobuch und zur Fotografie hat uns kurz darauf wieder zusammengebracht. Bei den ersten gemeinsamen Auftragsarbeiten für Fotobücher, haben wir festgestellt, wie sehr wir uns in den Arbeitsprozessen und Ideenfindungen gegenseitig bereichern und ergänzen. Zur selben Zeit hat Thomas Fotografien des bis dahin unbekannten Frontfotografen Valery Faminsky von Arthur Bondar, einem befreundeten Fotojournalisten aus Moskau, zur Ansicht erhalten: Ein Archiv historisch einzigartiger und künstlerisch bedeutender Fotografien aus den letzten Kriegstagen und den ersten Friedenstagen in Berlin im Mai 1945. Diese Bilder stellte Thomas in seiner Fotobuchhandlung Bildband Berlin aus und aufgrund der großen Resonanz und der besonderen Wirkung, die die Bilder auf uns hatten, verfestigte sich der Wunsch, dieses Archiv in der Form eines Fotobuches zu veröffentlichen, und so einen Teil unserer Geschichte zu erzählen. Die Entscheidung der Verlagsgründung ging also von uns beiden aus und war zuerst einmal getragen von der Idee, die Bilder Valery Faminskys zu publizieren.

Jens Pepper: Das Buch war dann ja auch auf Anhieb ein Erfolg. Ich fand es klasse, wie zahlreich und ausführlich die Presse das Buch gewürdigt hat, das ist keinesfalls selbstverständlich, schon gar nicht bei Newcomern, die mal gerade ein einziges Buch publiziert haben. Da ist Euch ein Coup gelungen. Wart Ihr überrascht?

Ana Druga: Bei der Veröffentlichung des Buches waren wir natürlich sehr aufgeregt, haben dann aber direkt bei der ersten Präsentation – mit druckfrischen Büchern in der Hand – auf der Frankfurter Buchmesse ein überwältigendes Feedback von Verlagskollegen, dem Fachpublikum und der Presse erhalten. Von Anfang an erlebten wir die emotionalen Reaktionen der Betrachter auf die Fotografien Faminskys, trotzdem sind wir immer wieder aufs Neue von den Artikeln, den Gesprächen und dem Interesse an dem Buch begeistert und auch überrascht. Wir sind den Autoren dankbar, dass durch ihre Besprechungen das Buch erst so viele Menschen erreichen konnte. Ohne die mediale Sichtbarmachung wäre es nicht möglich, dass diese Bilder jetzt auch Teil unseres kollektiven Gedächtnisses werden.

Jens Pepper: Es wird bald eine große Ausstellung mit den Faminskybildern im Willy-Brandt-Haus in Berlin zusehen geben. War Euch das immer schon ein Anliegen, auch auf eine große Ausstellung hinzuarbeiten oder hat sich das erst ergeben?

Ana Druga: Die Kuration von Ausstellungen sind ein fester Bestandteil unseres Portfolios. Wir sind natürlich sehr glücklich, die Fotografien von Valery Faminsky jetzt auch im Willy-Brandt-Haus vom 10. September bis 25. Oktober 2020 unter dem Titel „Neue Zeit?“ ausstellen zu dürfen. Zudem möchten wir die Ausstellung auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Holland und Großbritannien zeigen. Es ist noch ein langer Weg.

Seit 2019 vertreten wir Fotografen und planen gemeinsam mit anderen Galerien und Institutionen Ausstellungen, die bisher auch eng mit unseren Publikationen verknüpft sind. So wollten wir in diesem Jahr unter anderem den chinesischen Fotografen Feng Li und den tschechischen Fotografen Jindřich Štreit im Fotohaus ParisBerlin in Arles präsentieren. Wie viele andere mussten wir wegen der aktuellen Situation kurzfristig alle Pläne verwerfen und somit die geplanten Ausstellungen auf den Herbst 2020 oder das Jahr 2021 verschieben.

Jens Pepper: Fotobuchhändler, Buchdesignerin und beide zusammen Verleger. Und nun bewegt Ihr euch auch noch im Ausstellungswesen. Werdet Ihr da nicht als Konkurrenz von der Kuratorenszene und den institutionellen Ausstellungsmachern angesehen? Oder werden Eure Ausstellungsvorschläge immer sofort mit Wohlwollen goutiert und die Türen stehen Euch als Experten für die jeweiligen fotografischen Werke offen?

Ana Druga: Ich denke nicht, dass aktuell eine Konkurrenz zu anderen Kuratoren besteht – ganz im Gegenteil – die Leidenschaft zur Fotografie verbindet. Durch den Austausch mit anderen Kuratoren, Galeristen und Verlegern entstehen enge Verbindungen, und vor allem können gemeinsame Projekte leichter umgesetzt werden. Ich selbst empfinde es als eine wirklich große Bereicherung – sicher kann es in der Szene auch ganz anders aussehen. Bisher kann ich tatsächlich nur von positiven Begegnungen berichten.

Thomas und ich haben in den letzten zehn Jahren für Galerien und Events Ausstellungskonzepte erstellt: jetzt ergeben sich durch die Verlagsarbeit und unsere Visionen immer mehr Möglichkeiten unsere Kreativität und Erfahrung mit unseren Künstlern umzusetzen. Man kennt die Fotografen, deren Arbeiten und Entwicklungen oft über Jahre. Das ist immer eine intensive Auseinandersetzung. Daher vertreten wir einen großen Teil der Künstler, mit denen wir gemeinsam Fotobücher und Special Editions veröffentlichen auch im Bereich Print und Ausstellung. Wir wollen, dass unsere Arbeit spannend bleibt, wir eine Spur in der (Foto)Geschichte hinterlassen, und auch zurückgeben, was man einst selbst erhalten hat – dass alles ist sicher gemeinsam mit anderen Experten besser umsetzbar.

Jens Pepper: Nochmal zu Faminsky. Das, worauf Ihr bzw. Arthur Bondar da ursprünglich gestoßen seid, waren das Negative oder Prints? Und sind jetzt im Willy-Brandt-Haus Originale zu sehen oder Ausstellungsprints?

Ana Druga: Arthur Bondar hat die Negative des „Berliner Archivs“ von den Enkelkindern Valery Faminsky‘s erworben. Die Enkelkinder fanden die Papierboxen mit den knapp 500 Negativen 2016, Faminsky war ja schon 1993 verstorben. Faminsky hatte direkt nach seiner Rückkehr Ende Mai 1945 kleine Kontaktbilder zu den Negativen angefertigt und rückseitig mit Datum, Ort und dem jeweiligen Ereignis beschriftet. Da Faminsky wohl klar war, dass er die Bilder nicht veröffentlichen konnte, da diese nicht in die offiziell gewünschte Lesart des großen Vaterländischen Krieges fielen, hat er die Bilder nie gezeigt oder für eine Veröffentlichung Abzüge erstellt. Faminskys Aufnahmen sind keine Heldenbilder. Die Scans der Negative wurden in Moskau von Arthur Bondar angefertigt und von uns für den Tritone Druck im Buch angepasst. Die Prints für die Ausstellung sind Pigmentprints auf Hahnemühle Fineart Baryta Papier.

Jens Pepper: Kannst Du mir etwas zu Valery Faminsky erzählen? Er war Fotoreporter im Medizinischen Korps der Roten Armee, so habe ich das zumindest in einer Rezension von Andreas Kilb für die FAZ gelesen, wie auch, dass er um 1980 selber niederschrieb, dass er relativ frei fotografieren konnte. Wie umfangreich ist das Archiv, und sind die Berlinbilder als nicht auf Medizinisches fokussierte Dokumente in diesem Konvolut einzigartig?

Ana Druga: Faminsky war sicherlich Fotograf mit Leib und Seele. Er sollte Feinmechaniker in einem Schlossereibetrieb erlernen, aber Aufgrund einer Sehschwäche wechselt er in die Fotoabteilung des Betriebes, leitet kurze Zeit später dieselbe und gründet noch eine Betriebsfotogruppe. Später arbeitet er als Reise-Fotograf für den Allunions Bund (die russische Fotografen-Vereinigung) und auch für das Moskauer Planetarium als Fotograf oder dokumentiert mit der Kamera Pamir-Expeditionen. Mit Kriegsbeginn meldet er sich freiwillig an die Front, aber aufgrund seiner Sehschwäche wird er für untauglich befunden. Doch in einer zweiten Bewerbung bekommt er eine Ausbildung als Telefonist in den Nachrichtenabteilungen, wo er einen Bekannten trifft, der mittlerweile beim Militär-Medizinischen Institut arbeitet und Faminsky den Job als Frontfotografen besorgt. Danach fotografiert Faminsky ab 1943 an verschiedenen Frontabschnitten, meist in großen Schlachten. Seine eigentliche Aufgabe als Frontfotograf war die Dokumentation von Verwundungen und Erster-Hilfe-Leistungen direkt an und hinter der Front. Er hat die Bilder sofort in sogenannten MED-Stützpunkten an der Front oder in den Fotowagen der Kriegsberichterstatter entwickelt und Abzüge mit Kurieren an das Militär-Medizinische Institut in Moskau (später wurde es nach Leningrad evakuiert) zur Auswertung verschickt. Neben diesen „Auftragsarbeiten“, welche wohl immer noch im Archiv schlummern, beginnt Faminsky während der Befreiung Polens ungefähr ab den Seelower Höhen mit einer Leica Kamera und auf Agfa-Kleinbildfilm eigene Fotografien, unabhängig von den Aufträgen und Thematiken, welche ihm vorgegeben waren, zu fotografieren. Das Archiv umfasst knapp 500 Negative, die ersten Aufnahmen entstehen in Bunzlau (Schlesien) wo die 2. ukrainische Armee am Wohn- und Sterbehaus des Generals Kutusow [Held des Vaterländischen Krieges gegen Napoleon Bonaparte; gestorben 1813; Anm. der Red.] auf den Sturm auf Berlin eingeschworen wurde. Danach gibt es Fotos von den Seelower Höhen, den Vormarsch auf Berlin und den Kampf und die Befreiung Berlins. Der größte Teil der Aufnahmen entsteht zwischen der Kapitulation und der Abreise Faminskys aus Berlin, Ende Mai 1945. Er kann sich als Frontfotograf mit den Legitimationen, welche er besitzt, zwischen den Krankenhäusern und MED-Stützpunkten in der Stadt frei bewegen und setzt sich auch über das Verbot der Fotografie hinweg. Eigentlich durften nur noch ausgewählte Propaganda Fotografen in der Stadt arbeiten. Aber seine künstlerische Haltung und Interesse waren größer als die Verbote. Man spürt in seinen Bildern die Lust an einem gültigen, humanistischen Menschenbild dieser Tage, Aufnahmen von beiden Seiten der Front, im Licht des beginnenden Friedens. Vielleicht auch angefertigt für die Nachkommenden, um zu verstehen, sehen zu können. Damit ist auch ein Teil unserer Motivation der Veröffentlichung dieser wichtigen Fotografien benannt.

Jens Pepper: Wie viele der Berlinfotos habt ihr für das Buch ausgesucht und was war euch dabei wichtig. Gab es bestimmte Akzente, die Ihr setzen wolltet?

Ana Druga: Insgesamt haben wir 115 Fotos für das Buch ausgewählt. In der Ausstellung werden knapp 70 davon gezeigt. Für uns war es wichtig, das Konvolut in seiner Gesamtheit zu zeigen und auch den Weg zu zeigen, den er mit der Kamera festgehalten hat. Das Buch ist fast chronologisch aufgebaut. Es beginnt wirklich mit Aufnahmen auf den Seelöwen Höhen, dem Marsch auf Berlin, von der Befreiung und der Verlesung der Kapitulation hin zu den ersten Bildern eines sich etablierenden Alltag in den Extremen der völlig zerstörten Stadt, dem Chaos an hunderttausenden Zwangsarbeitern und Flüchtlingen die gehen und ankommen, Soldaten und Ausgebombten. Die Akzente setzen die Bilder selbst, in Ihrer klaren humanistischen Haltung und der Größe der historischen Dimension. Es gibt keine Bilder oder Archive, welche in solch einem Umfang und künstlerischer Qualität, vor allem aber mit solch einer Nähe und Genauigkeit in den Details, diese Tage und Wochen beschreiben. Ein in vielerlei Hinsicht wirklicher Schatz, der da in Moskau entdeckt wurde. Und am Ende fühlt es sich auch schön an, das Faminsky, der den Rest seines Lebens Objekte für den Moskauer Kunstfond fotografierte, jetzt von so vielen Menschen entdeckt und seine Bilder Teil unseres kollektiven Gedächtnisses werden können.

Jens Pepper: Nach Faminsky folgten Bücher von Michael Wolf, Dieter Keller und – ganz frisch – von Wolfgang Mayer. Zu Wolf habt Ihr eine ganz besondere Verbindung und sein unerwarteter Tod muss euch ziemlich getroffen haben, zumal nur kurze Zeit vorher auch Wolfs ursprünglicher Verleger, Hannes Wanderer von pepperoni books verstorben ist. Wie geht Ihr mit so einem Erbe um? Inzwischen vertreibt Ihr auch die von Hannes Wanderer veröffentlichten Wolf-Bücher und arbeitet mit Wanderers Bruder, dem Drucker Jochen Wanderer zusammen. Der Druck der Wolf-Bücher bleibt also in gleicher Hand.

Ana Druga: Es war eine sehr emotionale und traurige Zeit. Keiner hatte damit gerechnet, dass man zwei Menschen, mit denen man sich verbunden fühlt, so kurz nacheinander verliert. Hannes Wanderer hat nicht nur mein Verständnis für Fotobücher geprägt, er war auch Mentor und Freund. 2009 habe ich ihm noch mein eigenes Fotobuch vorgestellt und daraufhin fing eine enge Zusammenarbeit an. Unter anderem habe ich auch das Buch von Michael Wolf, „Tokyo Compression“ designt. So lernte ich Michael schon vor über 10 Jahren kennen und damit auch seine Fotowerke schätzen. Sehr viele Projekte, Events, ja sogar ein gemeinsames Studio mit Hannes sind Teil meiner Biografie. Mit Jochen Wanderer, einem begnadeten Druckermeister und in der Zwischenzeit ein guter Freund, habe ich in den vergangenen Jahren viele Drucksachen realisiert, auch mit meinem Studio für Visuelle Kommunikation. Auch Thomas hatte seit der Gründung seiner Fotobuchhandlung Bildband Berlin eine enge Verbindung zu Hannes. Sie konnten sich stundenlang über Fotobücher austauschen und auf Zusammenhänge stoßen, die kaum ein anderer gesehen hätte. Wir haben uns ja auch bei Hannes im Bookstore „25 books“ kennengelernt. Ich vermisse Hannes nach wie vor und seine wunderbare Art und seine Liebe zur Fotografie.

Dass auch Michael Wolf nach so kurzer Zeit von uns gegangen ist, war fast unwirklich, da ich ihn noch ein paar Wochen zuvor in Hong Kong getroffen hatte, um unter anderem unsere erste gemeinsame Publikation „Cheung Chau Sunrises“ während der Art Basel HK vorzustellen. Er war voller Tatendrang und Ideen. Michael wollte noch so viel verwirklichen und plante quasi ein Fotobuch nach dem anderen. Nach einer gemeinsamen Vereinbarung vertrieben wir nach der Auflösung des Verlages „Peperoni Books“ die letzten Exemplare seiner zuvor veröffentlichten Bücher. Er hatte sich auch gewünscht, dass wir alle seine noch verfügbaren Bücher während der Retrospektive „Live in Cities“ in der Urania Berlin präsentieren. Sein letztes Buch, „Hong Kong Lost Laundry“ aus der auf zehn einzelne Bände angelegten „Hong Kong Back Alleys“ Serie, welche Hannes Wanderer über Jahre mit Michael Wolf entwickelt hatte, habe ich mit Michael in Hong Kong konzipiert. Der Abschluss dieser Buchreihe war Michael sehr wichtig, „Hong Kong Lost Laundry“ wurde im Sommer 2019 während der Retrospektive in Berlin gelauncht, leider ohne Michael Wolf und Hannes Wanderer, aber in Gedanken und schönster Erinnerung an die Zeit, die wir zusammen verbringen durften.

Dennoch würde ich nicht von einem Erbe sprechen wollen. Wir verfolgen einen eigenen Weg mit unseren Veröffentlichungen und Künstlern, vertrauen unseren eigenen Ideen. Peperoni Books kann und konnte nur Hannes Wanderer sein – viele wunderbare Bücher bleiben für immer. Wir helfen gern, diese weiterhin sichtbar zu machen.

Jens Pepper: Sag mir bitte noch ein paar Sätze zu den Büchern von Keller und Mayer. Weshalb habt Ihr euch für diese Bildautoren entschieden?

Ana Druga: Dr. Norbert Moos, Leiter des Forums für Fotografie Köln, ist mit den Fotografien von Dieter Keller an uns herangetreten, weil er die Umsetzung des Faminsky Archivs in eine Fotobuch-Form sehr gelungen fand. Die Aufnahmen Dieter Kellers an der Front in der Ukraine 1941/42 haben uns wortwörtlich nicht mehr losgelassen. Die Schrecken des Krieges in einer modernen, fast zeitgenössischen fotografischen Darstellung, welche die bloße Funktion des Dokumentes verlassen. Auch diese Bilder gehören zu unserer Geschichte, das müssen wir aushalten können und durch die Erweiterung unseres kritischen historischen Bewusstseins mit diesen Bildern auch eine klare Haltung gegenüber den Kriegen unserer Zeit übernehmen. Im September werden sich in der Ausstellung „Neue Zeit?“ im Willy-Brandt-Haus in Berlin die Fotografien von Dieter Keller und Valery Faminsky gegenüber hängen, Ursache und Wirkung aufzeigen und die Wichtigkeit von Zivilisierung beschreiben.

Die Fotografien von Josef Wolfgang Mayer haben uns vom ersten Betrachten an in ihren Bann gezogen. Triptychen der Berliner Mauer, aufgenommen im Sommer 1990, also noch vor der Wiedervereinigung. Ein deutsch-deutsches Niemandsland voller Zeichen und Geschichte erzählenden Details. Das Buch besteht komplett aus Faltseiten, man öffnet sich die Landschaften selbst. Das war eine technische Herausforderung und an dieser Stelle muss ich dem Drucker Jochen Wanderer und seinem Team ein großes Kompliment für die Umsetzung machen. Es war eine sehr schöne und enge Zusammenarbeit mit dem Fotografen und im Besonderen auch mit der Galeristin und Herausgeberin des Buches, Annette Koschmieder.

Herstellung und Sichtbarmachung, also Vertrieb und Verkauf eines Bildbandes, stellen einen umfangreichen und arbeitsintensiven Prozess dar. Wir übernehmen ja alle Aufgabenbereiche, von Werbung und Kommunikation bis hin zu der Organisation von Ausstellungen und Präsentation unserer Künstler und Bücher. Das geht nur mit einer bedingungslosen Leidenschaft und dem festen Glauben an die fotografische Qualität und Einzigartigkeit des Künstlers und Projektes. Hierfür ist dann Jindřich Štreit ein gutes Beispiel. Für Thomas geht ein lang gehegter Traum in Erfüllung, dass wir das Fotobuch „Village People 1965–1990“ mit dem tschechischen Fotografen veröffentlichen können. Das Sichten seiner umfangreichen Archive in Sovinec, wo er lebt, die langen Scan-Orgien, die finale Auswahl der Bilder für das Fotobuch und die vielen Reisen nach Tschechien in den vergangenen zwei Jahren, haben ein richtiges Abenteuer aus dieser Buchproduktion gemacht. Die Gastfreundschaft und das Wissen des tschechischen Fototheoretikers Vladimir Birgus waren eine wichtige Hilfe und die gemeinsame Veröffentlichung des Buches mit dem Prager Kunstbuchverlag KANT Books in fünf verschiedenen Sprachen ist ein neuer Schritt für unseren Verlag. Es macht uns stolz, so viele verschiedene Menschen mit den grandiosen Fotografien Jindřich Štreits bekanntmachen zu können. Sein realistisches, wie poetisch aufgeladenes Menschenbild hat ihm im Sozialismus Gefängnis und Berufsverbot eingebracht, aber er hat immer weiter fotografiert, mit Hausdurchsuchungen und der Beschlagnahme seiner Negative gelebt. Nach der „Samtenen Revolution“ in Tschechien wurde er rehabilitiert und bekam seine Negative zurück, welche die Geheimpolizei sorgsam archiviert hatte. Da er immer und immer noch in denselben Mährischen Region auf den Dörfern fotografiert, ist eine homogene Dokumentation inmitten Europas entstanden, welche Aufgrund ihres Umfanges und der Nähe zu den Menschen und den Ereignissen ihres Alltages, eine gültige Beschreibung des Zusammenlebens in den verschiedenen gesellschaftlichen Systemen darstellt. Jindřich Štreit wird 74 und fotografiert immer noch, unterrichtet und gibt Workshops. Seine Bilder hängen im Department of Photography im MoMA und in Osteuropa sind mehr als 50 Bücher über ihn veröffentlicht worden. Im „Westen“ bisher kein einziges Buch. Hier ist er eigentlich nur Insidern bekannt. Das zeigt auch, das die osteuropäische Fotografie, bis auf wenige etablierte Ausnahmen, immer noch keinen wirklichen Zugang zu den Märkten und Strukturen findet. Die historisch bedingte Abkoppelung einer so reichen Fotoszene und Fotografiegeschichte von 1939 bis 1990 hat scheinbar eine Trennung bewirkt, wo vorher ein intensiver Austausch stattfand. Unsere Monografie von Jindřich Štreit beschwört ein wenig die alte Foto-Connection Prag-Berlin- Paris.

Jens Pepper: Ihr legt gesteigerten Wert auf ein schlichtes und elegantes Buchdesign und auf hohe Qualität in der gesamten Produktion. Das ist kostenintensiv und für euch risikobehaftet. Wie läuft bei euch die Planung der finanziellen Aspekte? Was muss ein Projekt mit sich bringen, damit Ihr glaubt, dass es sich finanziell rechnen wird. Ich spreche da noch nicht mal von einem großen Gewinn, aber doch von genug Einnahmen, dass es euch nicht ruiniert.

Ana Druga: Eine positive Einstellung, viel Wissen über das Medium Fotografie und Fotobuch, der Glauben an eine erfolgreiche Buchproduktion, ein sehr gutes Team und vor allem einen begnadeten Fotografen benötigt man allemal, um ein erfolgreiches Buch zu publizieren. Fleiß, Leidenschaft und Begeisterung für das Medium sind natürlich Voraussetzung. Wir erarbeiten ein zeitgenössisches Design, welches sich trotzdem an klassische Fotobuch-Konzepte anlehnt. Die richtige Präsentation der Bilder und deren Wirkung stehen klar im Mittelpunkt. Für uns ist es wichtig, mit dem Fotografen zusammen, ein breites Publikum zu erreichen, Bücher herzustellen, welche sowohl auf dem Independent-Markt funktionieren, aber auch in den klassischen Buchhandlungen und Kultur-Kaufhäusern zu finden sind. Es gelingt uns über unsere Empathie Mitstreiter zu gewinnen, wie z.B. den Historiker und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Peter Steinbach, der für zwei unserer Veröffentlichungen sehr intensive wie kluge Texte beigesteuert hat, mit uns an die Projekte glaubt, oder, wie auch Adam Broomberg, der für „Das Auge des Krieges“ von Dieter Keller einen Essay verfasst hat. Wir sind dankbar für die Wahrnehmung und die Unterstützung von den Autoren und Journalisten, die über unsere Bücher berichten und die Magazine, die diese Artikel veröffentlichen. Intensives Marketing und PR sind nach der Buchpublikation der wichtigste Faktor, um die Bücher bekannt zu machen und zu kommunizieren.

Wenn ich von vornherein annehmen würde, dass mich ein Buchprojekt ruinieren könnte, dann würde ich es definitiv nicht herausbringen. Wir glauben an unsere Ideen, wir verwirklichen unsere Visionen und behandeln jedes Buch mit größter Sorgfalt. Wir wünschen uns, dass die Begeisterung, die wir mit den Bildern und Büchern erfahren an die Kunden weitergeben wird, und sich die Intensität und inhaltliche Auseinandersetzung die wir führen, überträgt. Wir wollen mit unseren Fotografen wachsen und unseren Verlag weiterentwickeln. Wir haben keinen Druck und müssen keine Projekte verwirklichen, an die womöglich nur der Gewinn oder eine gute Finanzierung geknüpft ist. Allerdings hilft es sehr, wenn sich die Bücher gut verkaufen, um weitere hochwertige Publikationen zu ermöglichen.

Jens Pepper: Habe ich das richtig in Erinnerung? Ihr habt nach dem ersten Buch einen lobenden Brief von dem Verleger Lothar Schirmer erhalten? Was stand drin?

Ana Druga: Ja, das stimmt. Zuerst kam per Mail von seinem Assistenten eine Anfrage für ein Exemplar von „Berlin Mai 1945“ mit Kollegenrabatt. Dann haben wir ihm ein Buch als Geschenk zugesendet. Kurze Zeit später kam aus München ein handschriftlicher Brief von Lothar Schirmer. Das war ein wirklich aufregender und irgendwie sehr surrealer Moment, als wir den Brief geöffnet haben. Von so einer Verleger-Legende für unser erstes Buch gelobt zu werden war großartig. Genauer gesagt, hat er das Buch als „eine der besten Publikationen der letzten 10 Jahre“ bezeichnet. Ein paar Verbesserungsvorschläge waren aber auch dabei! So fand er den schwarzen Faden nicht ganz passend. Das hat uns sehr bewegt und sicher auch motiviert. Im Jahr darauf haben wir ihn auf der Frankfurter Buchmesse getroffen und er hat aus dem Kopf präzise nicht nur Bilder Faminskys aus unserem Buch geschildert, sondern dazu immer auch die Seitenzahl genannt, ohne das Buch vor sich liegen zu haben. Das war dann wirklich sehr beeindruckend. Diese vielen schönen und auch sehr intensiven Begegnungen sind dann häufig Grund genug, um das nächste Fotobuch zu planen, um den nächsten interessanten Fotografen treffen zu wollen, ein neues Archiv zu erforschen. Thomas und ich sind voller Leidenschaft dabei, empfinden die Arbeit mit unserem Verlag und der Agentur „Buchkunst Berlin“ als eine Art von „fröhlicher Wissenschaft“ und sind sehr dankbar für unsere Begegnung und Liebe.

Das Gespräch wurde im August 2020 via Email geführt.

Zosia Prominska. Selbstportrait

Ana Druga ist Fotografin und Gestalterin. 2010 hat sie das Studio für visuelle Kommunikation DRUGA DESIGN in Berlin gegründet. Seit 2018 betreibt sie gemeinsam mit Ihrem Partner Thomas Gust den Verlag BUCHKUNST BERLIN.

„Etwas zu kopieren muss langweilig sein.“ – Zosia Prominska im Gespräch mit Jens Pepper.

"Dominika, 13" aus der Serie "Waiting Room" von Zosia Prominska

Jens Pepper: Du nimmst gerade an der ShowOff Ausstellung beim diesjährigen Krakow Photomonth teil, in der neue Talente einem größeren Publikum vorgestellt werden. Es war der Dokumentarfotograf Michał Szlaga, der dich den Organisatoren von ShowOff vorgestellt hat. Wie ist deine Verbindung zu Michal und weshalb hat er dich für diese Ausstellung ausgesucht?

Zosia Prominska: Ich hatte keine Gelegenheit Michał vor unserer Zusammenarbeit für ShowOff zu treffen. Natürlich kannte ich seine Arbeit ziemlich gut. Darum war es ja auch so eine Ehre, dass er mich aus 700 Teilnehmern ausgewählt hatte und mein Kurator wurde. Die Tatsache, dass er ein Dokumentarfotograf ist, erlaubte es mir, das Projekt von einer neuen Seite aus anzugehen. Das war sehr spannend. Ich möchte jetzt nicht für Michał sprechen, aber ich weiß, dass er den dokumentarischen Wert von „Waiting Room“ mochte, ebenso wie die Tatsache, dass die Sache von einem Insider erzählt wurde, der ein großes Wissen über das Thema hat. Ich war ja selbst seit meinem 15. Lebensjahr ein Model und ging denselben Pfad wie die Teens, die ich für mein Projekt portraitiert habe. Es gibt ein kurzes Video auf Facebook*, in dem Michał erklärt, warum er mich ausgewählt hat. Es hat keinen Untertitel, darum werde ich übersetzen was er sagt.

Er sagt in etwa: „Es ist ein sehr einzigartiger und vielschichtiger Werkkomplex über die Welt des Modelns. Zosia gelang es, eine beeindruckende Anzahl von Teenagern – 100 in ganz Polen – zu portraitieren, die davon träumen professionelle Modelle zu werden. Einzigartig ist diese Bilderzählung für mich, weil sie von einer Insiderin erzählt wird, von Zosia, die Jahre zuvor exakt denselben Weg gegangen ist.“

Jens Pepper: Ah, ok, er hat dich also nicht für die Ausstellung vorgeschlagen weil er deine Arbeit schon kannte, sondern er hat dich aus einer großen Anzahl von Personen ausgewählt, die zuvor in einer ersten Auswahlrunde nominiert oder ausgewählt wurden. Michał war also ein eingeladener Kurator für die diesjährige Ausgabe von ShowOff, richtig?

Zosia Prominska: Das ist korrekt. ShowOff hatte diesmal vier eingeladene Kuratoren. Jeder von ihnen wählte zwei von den Künstlern aus, die Arbeiten eingereicht hatten, und mit denen sie gerne kooperieren wollten. Michał Szlaga war einer der diesjährigen Kuratoren, zusammen mit Monika Szewczyk, Marga Rotteveel und Lukasz Rusznica.

Jens Pepper: Du sagtest, als Michał, der Dokumentarfotograf, dich auswählte, dass es dir dadurch möglich wurde dein eigenes Projekt von einer neuen Seite aus anzugehen. Aus was für einer Perspektive hast du es denn vorher betrachtet? Einer konzeptuellen?

Zosia Prominska: Der Anfang von „Waiting Room“ war insofern konzeptuell, als dass ich gestylte neue Modelgesichter in ihren eigenen Räumen gezeigt habe. Obwohl ich mir des dokumentarischen Aspekts dieser Serie bewusst war, enthüllten sich mir während der Bildauswahl für ShowOff viele weitere Bedeutungsebenen.

Jens Pepper: Erzähl mir, warum du dich für dieses Thema interessiert hast? Du warst selbst Model, ok, aber das alleine erklärt wahrscheinlich noch nicht, warum du – als Fotografin – damit begonnen hast tiefer in dieses Thema – warum junge Menschen sich danach sehnen Model zu werden – vorzudringen.

Zosia Prominska: Ich denke, ich habe dieses Thema aus ganz persönlichen Gründen gewählt. Wie ich dir erzählt habe, war ich beinahe in meiner ganzen Teenagerzeit ein Model, eigentlich war ich es die Hälfte meines Lebens, denn ich begann mit 15 Jahren. Mit einem echten Anfängerenglisch hatte ich damals den Bus von Polen nach Paris genommen, wo ich – weit entfernt von Familie und Freunden – verfrüht ein Erwachsenenleben begann. Als Fotografin dann, die sowohl Kunst als auch Auftragsarbeiten im Modebereich macht, begann ich die Art, wie unser Schönheitskanon konstruiert wird, in Frage zu stellen – mit vorpubertären Models. Ich fand mich dabei auch selbst häufig verführt durch die Schönheit, Reinheit, Jugend und Unschuld der Teenage-Models, die ich fotografierte.

Jens Pepper: Du bist mit 15 mit dem Bus nach Paris gereist? Ganz alleine? Wie hast du das Angebot erhalten, dort zu modeln?

Zosia Promnska: Ich bin ein paar Tage vor meinem sechzehnten Geburtstag nach Paris gegangen. Mir wurde ein Vertrag von einem Scout angeboten, der mich bei einem Casting meiner sogenannten Mutteragentur in meinem Heimatort in Polen gesehen hatte. Aber es war die Schwester meiner Freundin die vorschlug, dass ich mein Glück bei der Agentur versuchen sollte. Ich habe auf sie gehört und 2000 begann dann mein Model-Abenteuer, das mich die nächsten 16 Jahre beschäftigen sollte.

Jens Pepper: Wurden deine eigenen Träume, die du als Mädchen über die Modeindustrie hattest, wahr?

Zosia Prominska: Model zu sein war das Resultat eines Zufalls und nie mein Traum. Aber im Rückblick gelang es mir mehr zu erreichen als ich mir je hätte erträumen können. Es war eine Ehre für Idole wie Vivianne Westwood, Alexander Wang, Botega Veneta arbeiten zu können oder für Karl Lagerfeld bei Fendi auf der Großen Mauer in China laufen zu dürfen oder in fünf internationalen Ausgaben der Vogue drin zu sein.

Jens Pepper: Welches waren die interessantesten Fotografen, mit denen du in dieser Zeit gearbeitet hast?

Zosia Prominska: Der berühmteste Fotograf, mit dem ich gearbeitet habe, war Mario Testino. Die Art wie Signe Vilstrup arbeitet hat mich sehr inspiriert. Es war auch während eines Shootings mit ihr für Vanity Fair, als ich mich letztendlich entschied Menschen zu fotografieren.

Jens Pepper: Wann kam dir der Gedanke, dass die Fotografie als Job auch ein Weg sein könnte, sich den Lebensunterhalt zu verdienen?

Zosia Prominska: Ich war immer an Fotografie interessiert und seit meinen frühen Teennagerjahren hatte ich immer eine Kamera dabei. Das war damals nur eine Leidenschaft. Anfangs musste ich auch noch meine Ängste beim Fotografieren einer Person überwinden. Ich wusste aber sofort, dass ich dafür bestimmt war. Der wegweisende Moment war ein Portrait, das ich 2013 machte und das von der Agentur des Models das ich fotografiert hatte gemocht und sofort kommerziell verwendet wurde. Das hat mir die Möglichkeiten gezeigt, die vor mir lagen. Ich hatte schon viel mit Selbstportraits experimentiert, aber nun wollte ich auch andere fotografieren. Ich fing an eine Menge zu lernen und Testshootings mit Freunden únd Models zu machen und beinahe jeden Tag zu arbeiten. Mit der Zeit konnte ich mich dann auf mein Talent verlassen und damit Geld verdienen.

Jens Pepper: Hast du dich wegen deines Alters nicht mehr als Model gesehen und dich deshalb nach neuen Karrieremöglichkeiten umgesehen? Oder war es einfach Zeit für einen Wechsel in deinem Leben?

Zosia Prominska: Ich habe noch Vollzeit als Model gearbeitet als ich Fotografin wurde. Aber die Fotografie wurde immer wichtiger und irgendwann hatte ich einfach keine Zeit mehr für das Modeln. Außerdem fühlte es sich, nachdem ich mit dem Fotografieren begonnen hatte, unnatürlich an, Subjekt zu sein; ich fühlte mich in dieser Position nicht mehr wohl.

Jens Pepper: Lebtest du noch in Paris, als du mit dem professionellen Fotografieren begonnen hast?

Zosia Prominska: Am Ende meiner Modelkarriere begann ich mir die selteneren und interessanteren Orte auszusuchen, an die ein Model mit einem Kontrakt fliegen kann. Ich wollte das letzte Jahr nutzen, um die Welt zu bereisen. Es war auch in Kapstadt, Südafrika, wo ich die Kamera das ersten Mal nutzte.

Jens Pepper: War es anfangs dein Ziel kommerzielle Fotos zu machen, Modefotos, um Geld zu verdienen? Du hattest ja schon etliche Kontakte in die Szene.

Zosia Prominska: Mein Ziel war es, so gut zu werden als Fotografin wie es nur ging. Ich wollte üben, Wissen erlangen und experimentieren. Mit der Mode zu beginnen war für mich ein sehr natürlicher erster Schritt. Und weil ich ziemlich viel Erfahrungen in diesem Bereich hatte, bekam ich auch schnell Jobs. Ich liebe Modefotografie.

Jens Pepper: Ich bin neugierig. Mit was für einer Kamera hast du deine professionelle Karriere begonnen? Mit was für Material hast du gearbeitet, auch in der Postproduktion? Hast du dir anfangs Hilfe gesucht, Assistenten?

Zosia Prominska: Meine erste professionelle Kamera mit der ich gearbeitet habe war eine Canon 6D. Anfangs habe ich Null Postproduktion gemacht. Auf Details zu achten und die Bilder so gut wie möglich aufzunehmen, ohne auf eine Retusche zu zählen, war eine gute Übung. Ich habe zu Beginn für mich selbst experimentiert, vor allem mit Tageslicht. Jetzt, wo ich ein Studio mit Lichtanlage habe, arbeite ich oft mit Assistenten und einem Post-Produktions-Team.

Jens Pepper: Was war dein erster Auftrag?

Zosia Prominska: Das war ein Portrait von einer des besten Schauspielerinnen Polens, Magdalena Boczarska. Das war für ein Magazin.

Jens Pepper: Du nanntest Signe Vilstrups Art Modefotos zu machen inspirierend. Meinst du die Fotos selbst oder die Art, wie sie am Fotoset agiert?

Zosia Prominska: Ich war fasziniert von der Art wie Signe arbeitete. Die Passion, die Kreativität und kleine Gesten, die einen großen Unterschied machten. Ich sah das Ergebnis erst später, als das Magazin erschienen war und das war sehr beeindruckend.

Jens Pepper: Was oder wer hat dich am Anfang deiner Karriere als Fotografin noch inspiriert?

Zosia Prominska: In verschiedenen Perioden meines Lebens habe ich mich von verschiedenen Künstlern inspirieren lassen. Ich erinnere mich an eine Diane Arbus Ausstellung, in die ich gegangen bin als ich noch in Paris unter Vertrag stand, bevor ich Fotografin wurde. Ich wusste damals nichts von ihr aber der Besuch hat starke Gefühle in mir hervorgerufen. Mir wurde damals klar, dass es entscheidend ist, Betrachtern deiner Fotos solche Gefühle zu vermitteln. Das erste Mal in Arles zu sein war auch ein großer Meilenstein für mich.

Jens Pepper: Hast du anfangs Stile kopiert oder hattest du von Anfang an eine eigene Bildsprache?

Zosia Prominska: Ich habe nie Stile kopiert. Ich verstehe auch nicht das Konzept des Kopierens. Wenn du jemanden kopierst, dann liegst du immer einen Schritt zurück. Und das ist kein gute Platz. Am Anfang wusste ich nicht viel über Fotografiegeschichte und andere Fotografen. Autodidaktisch zu beginnen war eine gute Sache, weil ich nicht durch einen Lehrer oder eine dritte Person beeinflusst wurde. Ich war frei Dinge auszuprobieren und konnte sehen, was funktioniert und Sinn für mich ergibt und was nicht. Etwas zu kopieren muss langweilig sein. Du entscheidest dich für eine kreative Arbeit wegen der Kreativität die sie bietet. Warum solltest du dich selbst dieser Möglichkeit berauben?

Jens Pepper: Wie nahm die Serie über diese Jugendlichen, die davon träumen Models zu werden, ihren Anfang? Sie alle tragen Designstücke von polnischen Modemachern. War das also zunächst eine Idee für ein Modemagazin oder war es vom ersten Foto an als Kunstprojekt konzipiert?

Zosia Prominska: „Waiting Room“ war von Anfang an ein persönliches Kunstprojekt und begann mit einem Konzept. Ich wusste, was ich mit meinen Fotos aussagen wollte. Die Idee entwickelte sich über Jahre. Nachdem ich verschiedene Herangehensweisen ausprobiert hatte, ging das Projekt dann formal in die Richtung die du jetzt siehst. Ich verwende die Sprache der Modefotografie als Werkzeug. Das ist nur eine Geste, die es zu entschlüsseln, zu lesen gilt. Das Styling fungiert als Kostüm, das es erlaubt diese jungen Models im Rampenlicht der Modewelt zu sehen, also der Welt, zu der sie gerne gehören wollen.

Jens Pepper: In gewisser Weise ist diese Serie eine Kritik an der Modewelt, zum Beispiel ihren Fokus auf sehr junge, oft minderjährige Menschen, die auf den Catwalks laufen und Mode in Editorials präsentieren. Wie hast du die Modemacher, die ihre Arbeiten für dieses Projekt gaben, davon überzeugt mitzumachen? Waren sie nicht besorgt über mögliche negative Publicity, falls die Presse deine Serie als kritisch ansehen würde?

Zosia Prominska: Es war nicht nötig oder von mir gewollt jemanden davon zu überzeugen bei „Waiting Room“ mitzumachen. Jeder hat mein Projekt freiwillig unterstützt und wusste worum es dabei geht. Ich wollte den Betrachter dazu bringen zu reflektieren und vielleicht das Konzept zu hinterfragen, wie Schönheit konstruiert wird. Hat die Kunst nicht zu allen Zeiten die Jugend als Definition für Schönheit benutzt? Liegt es nicht in der menschlichen Natur die Frische, Unschuld und Naivität zu bewundern? Wir heben die Jugend und nicht das Alter auf den Sockel. Mode, eine unbestreitbar narzisstische und oberflächliche Industrie, ist hier keineswegs anders als andere Kulturbereiche oder die kreativen Künste. Wir können von den Modedesignern keinen Wechsel in ihrer künstlerischen Herangehensweise erbitten, den wir dann nicht auch bei Malern, Schriftstellern oder Filmregisseuren haben wollen. Meine Hoffnung ist, dass durch diese kritische Dokumentation, in dieser Zeit der verbesserten Wahrnehmung von Diversität und Inklusion in allen Industrien, dass wir uns künftig auch um bessere Unterstützungssysteme für unsere Jugend kümmern werden.

Jens Pepper: Was meinst du mit einem besseren Unterstützungssystem für unsere Jugend?

Zosia Prominska: Wir sehen einen verbesserten Ansatz von Top-Industrieunternehmen, die Plattformen schaffen, um integrative und diverse Organisationen am Arbeitsplatz zu fördern. Es wurden auch einige positive Plattformen von der Modebranche ins Leben gerufen, die für junge Models bestimmt sind, die private Nachhilfelehrer für Jugendliche zur Verfügung stellen, die während Castings und Jobs die Schule verpassen. Erst kürzlich wurden Ernährungsberatungsdienste von den Agenturen eingerichtet, die einen gesunden Lebensstil fördern sollen und auch spezielle Gesundheitsdienste für die Models der Agenturen. Es wäre großartig, wenn sich dieser Ansatz beschleunigen würde.

Jens Pepper: In Krakau hast du mir erzählt, wenn ich mich recht erinnere, dass diese Serie noch nicht abgeschlossen ist. Wie viele Fotos umfasst sie bisher und wieviel mehr würdest du gerne noch haben?

Zosia Prominska: Für „Waiting Room“ habe ich 100 Personen fotografiert. Es ist ein laufendes Projekt und ich werde mich mit denselben Leuten noch einmal in ein paar Jahren treffen und sie in den Räumen fotografieren, in denen sie dann leben.

Jens Pepper: Ist das deine bisher einzige künstlerische Fotoserie oder gibt es noch weitere? Und wirst du mit der kommerziellen Fotografie parallel zur künstlerischen weitermachen oder hast du vor dich auf eine Sache zu fokussieren?

Zosia Prominska: Ich bin derzeit mit ein paar Kunstprojekten beschäftigt und plane beide Wege, den künstlerischen und den kommerziellen, weiter zu verfolgen.

Zosia Prominska. Selbstportrait

Zosia Prominska stammt aus Posen/Poznan, Polen. Sie studierte Ethno Lingustik an der Adam Mickiewicz Universität in Posen und später Fotografie an der Warsaw Academy of Photography. Nach eineinhalb Jahrzehnten Arbeit als Model mit Standort Paris lebt sie seit ein paar Jahren als freiberufliche Fotografin in Zürich und Portugal, wo sie auch ihr Studio hat. 

www.zosiaprominska.com

Foto links: Zosia Prominska

„Bei uns kommen sie alle zusammen.“ – Jens Pepper interviewt Pauline Friesecke, Tobias Laukemper, Vanya Pieters und Anna Charlotte Schmid.

Fototreff Talk mit Jessica Backhaus, Moderation: Matthias Harder, Fototreff 29, April 2019, Foto: Uwe von Loh

Jens Pepper: 2014 wurde der Fototreff Berlin ins Leben gerufen; von euch vieren oder war die Anfangscrew eine andere? Und warum wolltet ihr dieses Treffen überhaupt organisieren? Fehlte euch irgendetwas in der Stadt, eine Lücke, die ihr füllen wolltet?

Anna Charlotte Schmid: 2014 waren es Tobias und ich, die den Fototreff Berlin ins Leben gerufen haben. Damals noch in einer völlig anderen Dimension. Da haben wir keine Technik besorgt, wie z.b. die LED Lampen, ganz zu schweigen von Mikrofonen oder so. Da waren maximal zehn Personen anwesend und wir nutzten Neonröhren, um den Tisch für die Präsentationen auszuleuchten. Es fehlte mir damals eine Plattform, ein Ort des Austauschs und der Begegnung mit anderen Fotografen, um über Entwicklungen von Arbeiten und neue Projekte sprechen zu können. In Berlin, wo du jeden Abend zu einer Veranstaltung gehen kannst und auf viele, interessante Menschen triffst, die in demselben Bereich arbeiten, kannst du dich als Künstler bzw. Künstlerin im Prozess des Schaffens ziemlich alleine fühlen. Ich sah und fühlte selbst diese Lücke. Und die musste gefüllt werden.

Tobias Laukemper: Genau, unser eigener Bedarf war der Ausgangspunkt einer langen Reise. Diese war ja damals noch nicht abzusehen. Ich wollte beispielsweise mein Verhältnis zur Fotografie neu bestimmen, und dafür in den Austausch mit anderen treten. Charlotte und ich hatten im Gespräch miteinander beide das Gefühl: eine solche Möglichkeit fehlt – die muss geschaffen werden. Direkte Kommunikation und Vernetzung ist für mich sehr wichtig, wo doch das meiste heute über die verschiedensten Medien und Kanäle läuft. Da wir beide in einer Community unterwegs sind, in der es zwar die regelmäßigen Treffen bei Ausstellungseröffnungen gibt, aber damals kein Ort existierte, der die Möglichkeit bot Diskurs und Netzwerk miteinander in einem intimen Rahmen zu erleben – und Charlotte diese großartige Möglichkeit in der Küche ihrer Studiogemeinschaft hatte – hat es sich einfach angeboten, den Treff ins Leben zu rufen.

Jens Pepper: Ok, Anna Charlotte und Tobias gaben den Startschuss. Wie kamt ihr dazu, Vanya und Pauline?

Vanya Pieters: Für mich ergab sich im September 2018 die Möglichkeit mitzumachen. Das war, als ich gerade die Bildredaktionsklasse an der Ostkreuzschule absolvierte. Ich erinnere mich noch gut an einen Gespräch mit Tobias auf dem Unseen Photo Gelände in Amsterdam, wo er mir die Besonderheiten und die neuen, aufregenden Pläne für den Fototreff erläuterte.

Pauline Friesecke: Und bei mir war es so, dass ich Charlotte und Tobias in Berlin kennengelernt habe, weil wir in der Kehrer Galerie ein Veranstaltungsformat hatten, bei dem ähnliche technische Vorraussetzungen nötig waren. Aus diesem Grund haben wir uns damals ausgetauscht. Nachdem wir uns dann im Sommer 2018 auch in Arles wiedergetroffen hatten, kam Charlotte im Herbst auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte beim Fototreff einzusteigen. Das war natürlich eine schöne Möglichkeit, um auch außerhalb der Galerie mein Networking in der Fotoszene voranzutreiben.

Jens Pepper: Was sind eigentlich eure beruflichen Hintergründe? Tobias und Vanya arbeiten u.a. als Bildredakteure, Anna Charlotte fotografiert und Pauline war für die Kehrer-Galerie in Berlin tätig, aber das ist bei allen ja noch nicht alles. Was sind eure Berufsprofile?

Anna Charlotte Schmid: Durch den Fototreff habe ich erst meine Faszination für das Kuratieren entdeckt. Neben der Tätigkeit als Fotografin, die ich auch weiterhin leidenschaftlich ausführe, mag ich es sehr, dass Programm für die Veranstaltungen beim Fototreff zu entwickeln. Die Idee mit anderen Institutionen auch außerhalb Deutschlands zu kooperieren, öffnen im kuratorischen Sinne noch mal ganz andere Türen. Die internationale Vielfältigkeit in der Fotografie bildet auch die Basis des Austauschs bei den Veranstaltungen des Fototreff Abroad. Auch hier steht das persönliche Aufeinandertreffen im Vordergrund, und nicht nur die mediale Vernetzung.

Vanya Pieters: Ich bin freiberuflicher Bildredakteur und seit 2017 bei der Welt tätig. Daneben schreibe ich Texte für Fotografieprojekte, mache Interviews, organisiere Veranstaltungen u.a. für die Narrative Journalism Foundation und berate Künstler und Fotografen. Ich besitze ich einen MA für Film & Photographic Studies von der Universität Leiden.

Tobias Laukemper: Ich komme ursprünglich aus der bildenden Kunst und habe lange als Künstler, und später viel für andere Künstler gearbeitet. Dort habe ich erst assistiert, und dann Projektleitungen übernommen. Die Bildredaktion kam später dazu. Nun arbeite ich als Freier Bildredakteur, meistens im Editorial – d.h. für Magazine wie die GEO oder die brand eins. Für mich ist dieses Arbeitsumfeld aus der erneuten Beschäftigung mit der Fotografie entstanden, die ich ursprünglich mal, genauso wie Kunst, studiert hatte. Mir gefällt bei meiner Editorialarbeit ebenso wie bei der Tätigkeit für den Fototreff die Kombination aus Kuration, Organisation und Editing. Ich bewege mich da vor allem im dokumentarfotografischen und künstlerischen Bereich.

Pauline Friesecke: Und ich bin Kunsthistorikerin. Das Studium der europäischen Kunstgeschichte legt ja keinen besonderen Fokus auf Fotografie, doch nach dem Studium in Heidelberg, ergab sich die Möglichkeit das 5. Fotofestival in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen – heute Biennale für aktuelle Fotografie – mit zu organisieren. Dort konnte ich vor allem die Portfolio Reviews betreuen. Anschließend war ich ein gutes Jahr beim Badischen Kunstverein in Karlsruhe für die Pressearbeit zuständig und habe dann 2015 bei der Kehrer Galerie angefangen und mich beruflich wieder vornehmlich mit der Fotografie beschäftigt. Nachdem ich zunächst als Assistentin anfing, habe ich ab Sommer 2016 die Galerie alleine gemanagt.

Jens Pepper: Wie hat sich der Fototreff seit 2014 gewandelt, also wie sah seine erste Ausgabe im Vergleich zu dem anspruchsvollen Programm, das er heute ist, aus? Charlotte hat ja bereits Andeutungen gemacht.

Tobias Laukemper: Der Fototreff ist organisch gewachsen. Anfänglich war es ja nur ein Treffen im Freundeskreis – es kamen vielleicht zehn Personen, manchmal auch weniger. Langsam wurden die Veranstaltungen größer, und so ab dem zehnten Treffen kamen dann mehr Leute. Wir haben zu diesem Zeitpunkt auch das Konzept umgestellt und erstmalig beworben – vorher waren es ja nur mündliche Einladungen an Freunde. Da haben wir dann auch verstanden, das es einen Bedarf gibt, ein solches Treffen anzubieten, weil wirklich viele Leute gekommen sind. Das hat uns natürlich sehr gefreut. Das Konzept hat sich dann nach und nach auch verändert, und wir haben angefangen Gespräche zu machen, Bücher vorzustellen und weiterhin Portfolios zu sichten und vorzustellen.

Jens Pepper: Die jeweiligen Treffen unterteilen sich in aktuell drei Programmpunkte die allesamt für sich genommen schon einen Abend erlebenswert machen würden. Warum diese Fülle bei jedem Treff?

Tobias Laukemper: Wir haben drei Module, die unterschiedlich kombiniert werden können, und versuchen die Treffs nicht zu überfüllen, in dem wir meist zwei der drei Module auswählen. Manchmal sind unsere Gäste gerade in der Stadt – dann macht es Sinn sie kurzfristig mit ins Programm zu nehmen. So kamen sicher auch Abende zu Stande, in denen das Publikum viel Information auf einmal aufnehmen musste. Normalerweise versuchen wir jedoch nur zwei Programmteile zu konzipieren. Diese ergeben eine interessante Reichhaltigkeit, können sich ergänzen oder zuwiderlaufen, und so das Publikum inspirieren weiterzudenken, die Informationen miteinander zu kombinieren und einen Diskurs zu führen.

Anna Charlotte Schmid: Die Idee des Show & Tell gab es ja schon von Anfang an, seit dem es den Fototreff Berlin gibt. Heute wird er durch einen Open Call kuratiert, um ein bisschen den Überblick und eine Struktur zu behalten. Der Programmpunkt Book Slot kam erst später dazu. Wir haben die Nachfrage nach Präsentationen und Gesprächen über das Machen von Fotobüchern und Magazinen ernst genommen und versucht, sie in unseren Abend zu integrieren. Der Fototreff Talk ist in unseren Augen ein guter Start für die Abendveranstaltung, den wir immer als Basis für das Event nehmen. Wie Tobias sagte, ist das alles zusammen gesehen ein ganz schön volles Programm und wir schauen immer, dass wir zumindest die Module Show & Tell und Book Slot variieren, um die Abende nicht zu überreizen.

Pauline Friesecke: Deine Frage ist aber trotzdem berechtigt. Wir müssen immer wieder schauen, dass die Abende nicht zu voll werden und unser Publikum auch bis zum Ende Freude an der Veranstaltung hat. Das ist manchmal ein schmaler Grat zwischen zu viel und zu wenig.

Jens Pepper: Jetzt habt ihr, wie schon angesprochen wurde, auch noch begonnen, im Ausland aktiv zu werden. Im Frühjahr habt ihr einen Fototreff in Budapest organisiert. Habt ihr keine Angst, dass ihr euch übernehmt?

Tobias Laukemper: Ja unser erster Fototreff Abroad war ganz große klasse, wir sind immer noch ganz voll davon. Die Idee den Fototreff auch extern zu veranstalten gibt es schon lange. Im letzten Jahr haben wir dann angefangen, eine Location zu suchen und uns intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Budapest bot sich an, da wir in Berlin schon mit dem Collegium Hungaricum zusammengearbeitet haben, wir viele Kontakte nach Budapest unterhalten, unsere Gäste mit Budapest in Zusammenhang stehen – und nicht zu letzt, weil wir denken, dass eine qualitativ hochwertige Kulturarbeit in Ungarn sicher auch ein politisches Signal ist. Wir möchten sehr gern weiter gehen, und pro Jahr ein paar externe Veranstaltungen durchführen. Diese sind für uns in der Organisation etwas Besonderes, und werden mit viel Aufmerksamkeit bedacht und kuratiert. Gleichzeitig müssen wir unsere Ressourcen bündeln und geschickt einsetzen. So werden wir darauf achten, dass auch die Berliner Veranstaltung sich weiter entwickelt und mit einem interessanten Programm überzeugen kann – klar.

Vanya Pieters: Um zurückzukommen auf deine Frage, ob wir Angst haben uns zu übernehmen: Die Ausflüge des Fototreffs ins Ausland geben uns viel Energie. Und die Zusammenarbeit mit den Institutionen, mit denen wir bei solchen Gelegenheiten zu tun haben, verschaffen uns Raum, um uns auf die Inhalte konzentrieren zu können, denn die übernehmen oftmals die Technik, das Catering, viele logistische Angelegenheiten, also alles Dinge, die wir in Berlin selber machen müssen. Diese interkulturellen Verbindungen herzustellen ist für uns sehr wertvoll.

Anna Charlotte Schmid: Übernehmen? Nein. Ich habe noch während der Veranstaltung in Ungarn über weitere Ideen für Kooperationen nachgedacht. Das Feedback dort war unglaublich und wir haben gemerkt, dass nicht nur in Berlin diese Lücke gefüllt werden will, sondern auch woanders. Ich persönlich hatte von Anfang an die Idee, eine internationale Vernetzung von Akteuren zu schaffen, die in der Fotowelt aktiv sind. Dafür muss man sich aber erst einmal einen Standpunkt schaffen. Und den haben wir in Berlin, wo wir auch zu Hause sind. Nach fast fünf Jahren waren wir dann auch so weit, um den Fototreff außerhalb Deutschlands stattfinden zu lassen. Alles in allem ist das viel Arbeit, aber es macht ja auch glücklich, etwas, das man selbst auf die Beine gestellt hat, international wachsen zu sehen. In solchen Momenten spielt es keine Rolle, wie viel Arbeit drin steckt.

Pauline Friesecke: Vielleicht ist es auch wichtig, das im Kontext zu sehen. Der Fototreff ist nach und nach gewachsen und jetzt haben wir einfach die Kapazitäten, um auch ins Ausland zu gehen.

Jens Pepper: Eure Veranstaltungen sind inzwischen krachend voll. Also an Aufmerksamkeit und Zuspruch mangelt es euch keinesfalls. Die Gäste werden gebeten, eine Spende als Eintritt zu bezahlen. Damit und mit dem Verkauf von Getränken finanziert ihr was? Das Equipment? Die Aushilfen am Tresen? Ihr selbst macht die Arbeit – so wie ich es verstehe – nach wie vor ehrenamtlich. Wie sieht es mit euren Gesprächsgästen aus, erhalten die eine Vergütung?

Tobias Laukemper: Oh ja – alles. Was bei einer Veranstaltung eingespielt wird ist nicht viel Geld, selbst wenn alle Eintritt bezahlen. Wir haben viele kleine Kostenfresser: die Aushilfe am Tresen, die neue Verlängerungsschnur, die Raummiete, wir drucken Postkarten, gestalten verschiedene Printprodukte und stellen ein Online-Programm zur Verfügung. Für uns persönlich bleibt da nichts hängen, sondern es fliesst alles wieder ins Projekt. Gäste bekommen die Fahrtkosten bezahlt und/oder wir versuchen eine Vergütung durch ein gutes gemeinsames Essen. Es soll niemand Unkosten haben und WinWin aus der Veranstaltung gehen – das ist wichtig für uns.

Vanya Pieters: Wir hoffen natürlich, dass sich das im Laufe der Zeit ändern wird und wir ein gesundes Ertragsmodell finden. Für Künstlerhonorare beispielsweise.

Anna Charlotte Schmid: Ja, und dass wir irgendwann Sponsoren finden oder Fördermittel erhalten. Es würde unter anderem der Realisation von geplanten Konzepten mit Gästen aus dem Ausland helfen; um diese einfliegen zu lassen und angemessen zu vergüten. Und ganz generell uns als Team.

Jens Pepper: Wie geht ihr bei der Auswahl der Gäste vor? Hat jeder ein Vorschlagsrecht und entschieden wird gemeinsam?

Tobias Laukemper: Natürlich kann jeder vorschlagen und die kollektiven Ressourcen nutzen, um seine Vorschläge umzusetzen. Oft ergeben sich Veranstaltungsideen über die Zeit, und werden dann umgesetzt. Es gibt Ideen die brennen und welche, die Themen kommentieren, die im Schwung sind. Wir haben sozusagen einen Zettel, auf dem schon einiges steht und vieles hinzukommt, was auf Verwirklichung wartet. Ein Teammitglied ist verantwortlich für die Veranstaltung, und die anderen arbeiten ihm zu. Dadurch ergibt sich eine eigene Handschrift, die sehr eng mit dem Fototreff verknüpft ist.Wir versuchen den Spagat zwischen individueller Vorstellung und einem gemeinsamen Streben.

Anna Charlotte Schmid: Das Schöne an der gemeinsamen Tätigkeit ist das Zusammenbringen von Netzwerken, die jeder ursprünglich einmal für sich geknüpft hat. Oftmals ist es dann so, dass ein Teammitglied die Idee für den Fototreff Talk hat, der dann die Basis für die Veranstaltung ist. Also übernimmt auch dieses Teammitglied die Verantwortung für diese Veranstaltung. Alle anderen arbeiten ihm dann zu. Jeder von uns hat einen klar definierten Arbeitsbereich, der für jede Veranstaltung gilt.

Vanya Pieters: Die Auswahl der Gäste und die Konzeption des Programm funktionieren eigentlich immer sehr organisch und zügig.

Jens Pepper: Über welche bisherigen Gäste habt ihr euch besonders gefreut, vielleicht weil sie so bekannt sind und nicht alles mitmachen würden oder weil sie gar nicht in Deutscchland oder Europa leben und deshalb nicht mal so einfach eingeladen werden können? Und welche Traumgäste gibt es noch?

Anna Charlotte Schmid: Das ist eine schwere Frage, weil wirklich alle Gäste etwas Besonderes sind. Klar, der ein oder andere ist bekannter, aber das macht nicht gleich das Gespräch interessanter. Wir versuchen für die Talks passende Gesprächspartner suchen, da dieser Teil als Einstieg sehr wichtig ist. Es hat mir z.B sehr viel Spaß gemacht, die Veranstaltung mit Peter Bialobrzeski und Loredana Nemes zu kuratieren. Die beiden kannten sich nur flüchtig und waren sehr daran interessiert, sich auf diese Weise das erste mal richtig zu treffen. Und es war auch für uns das erste Mal, dass wir zwei Fotografen als Gesprächsteam einladen, wobei es bei diesem Talk in erster Linie um die Arbeit von Peter ging. Ich hatte mir vorweg viele Interviews und Videos von Loredana angeschaut und wusste, dass ich nur sie Peter gegenübersetzen möchte. Sie arbeiten beide unterschiedlich und verfolgen andere Ansätze in der Fotografie. Peter fotografiert – grob zusammengefasst – Städte, Megastädte, ihre Architektur und Infrastruktur, Loredana hingegen geht nah an den Menschen heran, sehr intim und persönlich. Diese konträren Herangehensweisen an Themen fand ich spannend für ein Gespräch. Und es hat wunderbar funktioniert. Traumgäste gibt es natürlich viele. Wir verraten hier aber noch nichts.

Pauline Friesecke: Diese Frage ist für mich noch etwas früh, so viele Veranstaltungen habe ich ja noch gar nicht mitgemacht. Der Abend mit Peter Bialobrzeski und Loredana Nemes war wirklich sehr schön, aber diese Frage würde ich gerne in einem Jahr beantworten.

Tobias Laukemper: Jeder Abend hat seine Reiz, und wir freuen uns auf alle Gäste. Es gibt keine Hierarchie und wir versuchen, für alle eine gastfreundliche und offene Atmosphäre zu schaffen. Ganz subjektiv hat mir das Gespräch von Tobias Kruse und Feng Li besonderen Spaß gemacht. Feng kommt wirklich von weit her, aus China, und ich fand die Situation mit einer Dolmetscherin, die ihren Job wirklich sehr gut gemacht hat, dazwischen eine sehr interessante Situation. Feng spricht nur chinesisch und so gab es keine Vorbereitung sondern nur den Moment. Das Gespräch war sehr lustig, und hatte interessante Themen – ja das war sehr gelungen.

Jens Pepper: Ist euch auch schon mal ein Abend daneben gegangen?

Anna Charlotte Schmid: Bestimmt! Aber das ist ja auch sehr subjektiv. Es kam vor, dass wir am Ende eines Abends mal nicht ganz so zufrieden waren – beispielsweise wegen kleinerer organisatorischer Fehler – während das Publikum und die Gäste die Veranstaltung super fanden. Die Neonröhren bei 120 Besuchern, da würde ich vielleicht sagen, dass das technisch nicht ganz optimal ist. Aber was das Programm angeht, da versuchen wir das Optimale herauszuholen.

Pauline Friesecke: Es gibt eigentlich immer Kleinigkeiten, die man beim nächsten Mal ein bisschen anders machen möchte. Aber wir entwickeln uns da ja auch immer weiter.

Jens Pepper: Ein Freund wies mich noch mal auf euer vorzügliches Marketing hin, online aber auch mit Flyern etc. Ihr betreibt ein regelrechtes Branding. Wäre der Fototreff ohne diese Maßnahmen ebenso erfolgreich wie er jetzt ist?

Pauline Friesecke: Das ist natürlich immer schwer zu sagen, aber ich denke, dass das für unsere Außenwirkung unerlässlich ist.

Anna Charlotte Schmid: Weil Wiedererkennungsmerkmale wichtig sind, haben wir uns auch mit Grafikern zusammengesetzt und eine Corporate Identity entwickelt, die zum Fototreff passt; online und print. Die Postkarten funktionieren wunderbar als Give away. Sie sind etwas Besonderes, das wir nicht einfach nur auslegen, sondern gezielt verteilen. Es wird peu a peu weiter an einem Auftritt gearbeitet, der auch für eine internationale Vernetzung hilfreich ist.

Tobias Laukemper: Die Ressource Aufmerksamkeit ist sehr knapp, da ist der Wiedererkennungswert sehr wichtig. So haben wir uns vor längerer Zeit dazu entschieden besonderes Augenmerk auf eine hochwertige Präsentation unserer Veranstaltung zu legen. Unsere Marketingprodukte zeigen Qualität statt Quantität, und wir freuen uns natürlich, das das beim Betrachter und Publikum auch ankommt.

Jens Pepper: Wer ist euer Publikum? Nur Fachleute aus der Fotoszene oder auch neugierige Bürger, die sich einfach nur für Fotografie interessieren? Erreicht ihr auch Studenten der Udk [Universität der Künste], von der Ostkreuzschule oder der Freien Schule für Fotografie?

Pauline Friesecke: Ich denke schon, dass unsere Besucher größtenteils aus der Fotoszene kommen, aber es gibt auch Fachfremde, die neugierig sind.

Tobias Laukemper: Wir sprechen jeden an, der sich für dokumentarische Fotografie interessiert. Unser besonderes Augenmerk gilt jedoch den Profis, also Fotografen, Bildredakteuren und Menschen, die sich jeden Tag im professionellen Kontext mit Fotografie auseinander setzen. Wir versuchen dieser Zielgruppe ein besonderes Programm zu bieten. Unsere Veranstaltung sind inhaltlich ausgelegt, und wir möchten Diskurs auf hohem Niveau präsentieren. So richten wir uns natürlich auch an die Studenten der unterschiedlichen staatlichen oder privaten Schulen für Fotografie, Kunst und Design. Wir freuen uns, wenn das Publikum generationsübergreifend ist, und verschiedene Altersklassen und Karrierestufen miteinander agieren und voneinander inspiriert sind.

Anna Charlotte Schmid: Die geladenen Gäste des Fototreff Talks bringen ja auch noch mal Leute aus ihren Netzwerken mit. Bei uns kommen sie alle zusammen.

Jens Pepper: Wie sieht die Zukunftsplanung aus?

Tobias Laukemper: Wir möchten auch in Zukunft ein sorgfältig kuratiertes und fachspezifisch interessanten Programm zusammenstellen. Unsere Aktivitäten konzentrieren sich ja inzwischen nicht mehr nur auf den Berliner Raum, sondern wir streben internationale Zusammenarbeiten an. Der Schritt nach Budapest in Kooperation mit dem Goethe-Institut geht in die richtige Richtung. Wir möchten mehr mit Institutionen und Festivals im In- und Ausland kooperieren und hoffen so, weitere Publikumsschichten zu erreichen und für unsere Veranstaltung zu interessieren.

Jens Pepper: Zum Schluss. Ihr fahrt alle nach Arles und werdet euch dort präsentieren. Wie? Und wie wichtig ist Arles für euch?

Tobias Laukemper: Das Fotofestival in Arles ist das Highlight und einer der Branchentreffpunkte der dokumentarischen und künstlerischen Fotografie. Da dürfen wir natürlich nicht fehlen. Für uns ein Event mit interessanten Ausstellungen und ein Treffen mit vielen Kollegen und Gleichgesinnten. In diesem Jahr sind wir als Gäste dabei, möchten neue und interessante Kontakte knüpfen, und Ausstellungen ansehen. Oftmals ergeben sich auch vor Ort für uns neue Ideen und Weiterentwicklungen von schon geplanten Events. So sind wir auch in diesem Jahr wieder sehr gespannt, was diese sieben Tage in der südfranzösischen Sonne mit sich bringen. Für die Zukunft wäre natürlich auch eine Kooperation mit dem Festival des Rencontres interessant.

Pauline Friesecke: Ich werde leider nicht mit nach Arles fahren können in diesem Jahr. Aber es ist toll, dass die anderen drei alle fahren.

Das Team vom Fototreff Berlin, Gruppenbild Frühjahr 2019, v.l.n.r.: Tobias Laukemper, Vanya Pieters, Anna Charlotte Schmid und Pauline Friesecke

Das Team vom Fototreff Berlin, Gruppenbild Frühjahr 2019, v.l.n.r.: Tobias Laukemper, Vanya Pieters, Anna Charlotte Schmid und Pauline Friesecke

Foto Tobias Kruse

www.fototreff-berlin.de

 

„Zentral ist für mich der Prozess selbst und die in ihm enthaltene Zeit.“ – georgia Krawiec und Marek Noniewicz im Interview mit Jens Pepper.

georgia Krawiec und Marek Noniewicz - Katalog Torun

Jens Pepper: Ihr werdet bald gemeinsam in Toruń ausstellen. Ihr kennt euch schon eine ganze Weile und arbeitet beide mit alten Fototechniken. Wann habt ihr euch dazu entschlossen gemeinsam auszustellen und was ist euer Konzept für diese Ausstellung?

georgia Krawiec: 2007 haben wir uns im winterlichen Boston kennengelernt, bei einem Projekt von Jesseca Ferguson, die eine Ausstellung zur Lochkamerafotografie kuratierte und dazu sieben Künstler aus Polen in den USA einlud. Wir hatten das Glück zu diesen zu gehören! Schon dort tauchten dieselben Grundgedanken auf, die jetzt dem Konzept der Ausstellung in Toruń zugrunde liegen: Ursprünglichkeit, Entschleunigung, die Nähe zum Material, zum Medium, das Haptische. Natürlich haben wir uns nicht schon damals entschieden diese Ausstellung zu machen, aber ich dachte in den vergangenen Jahren immer wieder: „Irgendwann mal will ich doch mit Marek ein Projekt machen!”

Marek Noniewicz: Als wir uns 2007 begegnet sind, war die Lochkamerafotografie das verbindende Element. Danach hatten wir noch häufiger Gelegenheit, uns während anderer Projekten zu begegnen, die ebenfalls mit alten fotografischen Techniken zu tun hatten. Dabei fiel mir auf, dass wir einen ähnlichen Zugang zu dem Medium haben. Wir sind nicht so sehr von der Technik an sich fasziniert, sondern von den Versuchen, zeitgenössische Kontexte zu entdecken. Heute sind wir erstaunt darüber, dass jeder für sich trotz dieser räumlichen Entfernung ähnliche Herausforderungen angegangen ist. Wir mussten uns also treffen!

Jens Pepper: Auf was für ähnliche Herausforderungen beziehst du dich, Marek?

Marek Noniewicz: Betrachte doch mal Fotografie als Prozess. Da findet man organische Verbindungen. Fotografie ist ein Prozess, Natur ist ein Prozess. Vielleicht sollte man nochmals André Bazin lesen, der schrieb, dass „Fotografie auf uns als ’natürliches‘ Phänomen wirkt: ähnlich wie eine Blume oder ein Schneekristall, deren Schönheit unteilbar mit der Entstehung einer Pflanze oder einem Mineral verbunden ist.” Bazin schrieb das vor siebzig Jahren, aber es klingt ziemlich aktuell.

georgia Krawiec: Ja, Marek, das Prozesshafte ist für uns beide wirklich zentral. Ich zeige in Toruń zum Beispiel Arbeiten, bei deren Belichtung der Besucher zusehen kann. Man könnte sagen, die Fotografien performen sich selbst. Und apropos Schnee: Du hast doch mal Fotogramme mit Schneekristallen belichtet, oder? Dabei stand, so wie ich mich erinnere, eher der Schmelzprozess im Mittelpunkt?

Marek Noniewicz: Ich habe Eis belichtet. Ich habe das Eisblättchen in den Vergrößerer gegeben und es auf dem Fotopapier belichtet. Dann habe ich ein bisschen gewartet bis es geschmolzen war und habe erneut belichtet. Ich bin sehr interessiert an deinen Baumstammbildern und wie es dir gelungen ist, sie herauszuarbeiten. Es ist schon klasse, dass wir an ähnlichen Experimenten gearbeitet haben, ohne voneinander zu wissen.

Jens Pepper: Ihr beide verwendet Fotografie ganz offensichtlich recht experimentell. Der Prozess, der zu einem Bild führt ist genauso wichtig wie das finale Bildergebnis selbst, vielleicht sogar wichtiger. Sich Zeit zu nehmen bei der Produktion von Bildern ist ebenfalls etwas, das ihr beide teilt. georgia beispielsweise lässt manchmal Bilder im Verlauf eines Jahres oder so entstehen. Eure Arbeitsweisen werden dem einen oder anderen recht antiquiert vorkommen. Es wirkt fast so, als ob ihr zeitgenössische Arten Bilder zu produzieren ablehnt aber dennoch Bilder schaffen möchtet die in unsere Zeit passen. Wie haben sich eure jeweiligen Einstellungen zum Medium Fotografie entwickelt? Und was sind eigentlich eure Einstellungen dazu?

georgia Krawiec: Was ist noch zeitgenössische Kunst, und was schon nicht mehr? Ob ein Künstler, der das 0/1-Binärsystem verwendet, automatisch auch zeitgenössischer Künstler ist? Für mich stellt sich die Frage nach der Einordnung in eine Zeitrechnung gar nicht. Zentral sind für mich der Prozess selbst und die in ihm enthaltene Zeit. Sie enthalten etwas Transzendentales; das Gestalten wird zur Schöpfung, der Künstler zum Schöpfer. Die Fokussierung auf den Prozess hat hierbei nicht nur einen Einfluss auf uns selbst, sondern auch auf den Betrachter, der Teil des Ganzen wird. Dabei sind Fotogramme die vermutlich ursprünglichste Methode der Bildgebung, ich denke, die der Natur am nächsten liegende. Über Monate und Jahre hinweg kumulieren sie [während des Belichtungsprozesses (Anm. JP)] Zeit. Sie sind jeden Tag bei mir; ich beobachte sie an den Wänden meiner Wohnung und meines Ateliers, ich schaue sie an und genieße sie, ohne zu wissen, wann ich ein fotografisches Bild von einem dieser Stillleben [beispielsweise aus Blättern (Anm. JP)] mal als Fotogramm entwickeln werde. Für mich sind sie auf jeden Fall zeitgemäß!

Marek Noniewicz: Das Wichtigste für mich sind Impulse und genaue Beobachtung. Ich beobachte die Realität, aber ich schaue mir ebenso Veränderungen an, die es in der Fotografie gibt. Ich suche nach Anwendungen für digitale Fotografie, aber diese Technik ist für mich nicht transparent. Es gibt Unterschiede zur fotochemischen Fotografie. Irgendwann fiel mir auf, wie sich der Fixierer kristallisierte, der in der Dunkelkammer zurückgeblieben war. Dann habe ich den Fixierer in eine Petrischale gegeben und beim Kristallisieren nochmals auf Fotopapier kopiert. Es sieht wie eine alte Astrofotografie aus! Herschel, der ja den Fixierer erfand, war bekanntlich Astronom! Ich habe dann die Arbeit „Planet Herschel” genannt. Man kann es als Dialog mit der Fotogeschichte ansehen, oder einfach nur als großen Spaß.

Jens Pepper: Spaß und Freude sind die Begriffe, die ihr gerade verwendet habt, als ihr von euren Arbeitsprozesse spracht. Spaß und Freude der Ausstellungsbesucher werden anders sein, da sie natürlich nicht am Kreativprozess teilhaben können. Sie werden nur die finalen Resultate eurer Experimente sehen. Sagt mir, was sind das für Arbeiten, die die Besucher in Toruń sehen werden?

Marek Noniewicz: Ich habe schon immer geglaubt, dass ein Bild eine Einladung zu einer tiefer gehenden Reflektion darstellen kann. Manchmal denke ich, dass meine Fotografien Fragen sind, die für mich und die Betrachter bestimmt sind. Das sind keine leichten Fragen, ebenso wie die Fotos nicht einfach sind. Sie haben nichts mit einer herkömmlichen Betrachtungsweise zu tun. Wie auch immer, es bleibt die Frage nach der Form. Kann man ein Ästhet sein und gleichzeitig bis zu einem gewissen Grad Konzeptualist? Die Form bedeutet mir sehr viel, oftmals visualisiere ich die Dinge, die ich in meinen Experimenten erreichen möchte. Ich bin offen für Chancen, aber wenn die letzten Ergebnisse weit entfernt von den vorhergegangenen Visualisierungen sind, verschiebe ich solch eine fotografische Arbeit; ich lehne sie nicht ab, aber ich lege sie zur Seite. Ich weiß nicht, was die Ausstellungsbesucher sehen werden. Ich zeige Cyanotypien aus der Iliaster-Serie, die inspiriert wurde von der Cosmologie Paracelsus‘, von Montagen aus Röntgenbildern, von Naturfragmenten und anderen Fundstücken. Dann Silver Prints, die ohne Kamera entstanden sind, die so etwas sind wie Aufzeichnungen einer Entropie. Vielleicht eine Art von überbelichtetem Lochkameranegativ das in einem Astloch entstanden ist. Ich glaube, dass beim Aufbau der Ausstellung noch eine Menge passieren wird.

georgia Krawiec: Ich denke, Marek, natürlich JA! Du kannst gleichzeitig ein Konzeptualist und ein Ästhet sein, für mich sind dies keine Gegensätze, sondern zwei verschiedene Aspekte. Diesmal jedoch sind die Arbeiten, die ich in Toruń zeige, eindeutig nicht konzeptuell – deshalb auch der Titel. Ursprünglich habe ich sie als Stillleben gestaltet, um mich nach den engagierten Themen davor abzureagieren. Ich brauchte einen Abstandhalter in einer unangestrengten, meditativen und problembefreiten Wolke, um von dort aus alles aus der Ferne entspannt zu beobachten und neue Kraft für andere Projekte zu schöpfen. Ich genieße also diese reine Ästhetik und schäme mich gar nicht für sie [lacht].

In der Wozownia in Torun werde ich die Fotogramm-Serie „antyKONCEPCYJNE” zeigen, die ich wegen der bereits erwähnten langen Belichtungszeiten entschleunigt nenne. Ein Teil der Serie, „FLUXA”, ist für mich eine eine Art Spiel, nicht unbedingt ein fotografisches. Diese Arbeiten sind unkonkret, sie zeigen weitgehend die Bilder, die jeder anhand seines eigenen Erfahrungshorizontes im Kopf entstehen lässt. Die mit „MANU” betitelten Arbeiten sind Papierschnitte und die „LUNA” genannten sind mit einer Zeichnung versehen. Diese formale Seite distanziert sie von der Fotografie als solchen. In letzter Zeit sehe ich meine Arbeit in einem größeren Zusammenhang, vielleicht weil ich in Berlin Mitglied in einer Galerie mit Künstlern aus verschiedenen Bereichen bin oder weil ich das Atelierhaus mit vierzig anderen Künstlern teile, von denen sich nur zwei mit Fotografie befassen. In Warschau war ich hauptsächlich in der Welt der Fotografie tätig, in einer Welt, die viel hermetischer war. Außerdem hast Du die These aufgestellt, dass der Besucher nicht am Entstehungsprozess beteiligt ist. Ja, in der Fotografie ist dies selbstverständlich, aber in meinem Fall wird es anders sein: Wenn ich doch schon an den Wänden meiner Wohnung Ewigkeiten belichten kann, beinahe zumindest, warum dann nicht auch in der Galerie!

Jens Pepper: georgia, du lebst seit einigen Jahren in Berlin und kannst die polnische und die deutsche Fotoszene miteinander vergleichen. Wird deine Arbeit, die ja auch die Entschleunigung in einer immer schneller agierenden Welt zum Thema hat, in Polen anders gesehen als in Deutschland? Gibt es da Erfahrungswerte?

georgia Krawiec: Bereits ab Anfang der 90er Jahre reiste ich häufiger nach Berlin, jedoch als Touristin. Später dorthin reisend, als ich bereits in Warschau lebte und daher mit einer Warschauer Perspektive versehen, hatte ich von Berlin den Eindruck einer entschleunigten Gesellschaft. Ich nahm an, dass dies nur eine Illusion eines entspannten Kulturreisenden ist, der aus der zehrenden Warschauer Beschleunigung kommend überall woanders eine Langsamkeit vorfindet. Aber ich habe mich geirrt. Berlin ist auch für seine Bewohner langsamer, entspannter, weniger gestresst und weniger zielorientiert. Und diese positive Einstellung zur Entspannung – die sicherlich nicht preußisch ist – wirkt sich auch positiv auf die Rezeption von entschleunigter Kunst aus. Selbst an solch verrückten Wochenenden wie dem Gallery Weekend oder der Eröffnung des Europäischen Monats der Fotografie, wenn die ganze Stadt brodelt und überall gleichzeitig eine Ausstellung eröffnet wird, gibt es Menschen die sich Zeit nehmen, eine Galerie zu betreten um vor einer Lochkamera 20 Minuten reglos zu verharren. Ich hatte die Gelegenheit, eine solche performative Aktion bei C/O Berlin durchführen zu können, und fragte mich damals, ob es wirklich einen Freiwilligen geben würde? Es sind dann viele entspannte Freiwillige gekommen!

Die Rezeption meiner Arbeit in Polen und Deutschland kann ich allerdings nicht vergleichen, weil sie hier und dort verschieden eingeordnet wird. Wenn man die polnischen so genannten fotografischen Kreise bemüht, für die ist meine Arbeit, wie auch die von Marek, nischenhaft und wird mit einem Augenzwinkern betrachtet. Es ist vielleicht wie zwei Baobab-Bäume in einem Kiefernwald. Wenn man diesen fotografischen Horizont überwindet, lassen die von uns erstellten Experimente und ihre Ergebnisse eine andere Fauna auf einem anderen Planeten entstehen. Vielleicht sind es dann zwei Kiefern? Aber wenn, dann im Dschungel, und dort sind sie gleichberechtigt, exotisch.

Jens Pepper: Wie siehst du das mit der unterschiedlichen Rezeption von Kunst, Marek? Wie wird dein Werk im Ausland rezipiert. Ihr beide hattet ja beispielsweise in Boston Erfahrungen mit amerikanischen Betrachtern sammeln können. Ist der Zugang zu deinen Themen durch unterschiedliche historische und soziale Prägung im Ausland anders als in Polen?

Marek Noniewicz: Außerhalb Polens ist die Rezeption der Arbeiten wirklich anders. Die Neugier und Offenheit der Amerikaner ist beeindruckend. Mir ist schon klar, dass meine Experimente weit vom Mainstream entfernt sind. Ich wurde sogar von akademischen Kreisen meiner Alma Mater angegriffen, die meinten, dass meine Arbeit zu fotografisch sei. Aber es ist keine Fetischisierung des Analogen, so wie sie gerade ziemlich populär ist. Wie bei Georgias Arbeiten ist da etwas anderes. Ich spüre, dass die Kombination unserer Arbeiten zu einer interessanten Situationen führen kann, die eine eindeutige Interpretation verhindert.

Jens Pepper: Leider werde ich nicht in der Lage sein, mir eure Ausstellung in Toruń anzuschauen. Habt ihr eigentlich Pläne, die Schau auf Reisen zu schicken, vielleicht nach Deutschland?

georgia Krawiec: Schade! Es ist schade, dass du diese Ausstellung nicht persönlich sehen wirst. Ich denke, wir könnten dann noch ein weiteres, aber ganz anderes Interview führen. Arbeiten, die in Mappen verpackt, auf einem Monitor oder als Druck in Katalogen betrachtet werden, können nicht miteinander kommunizieren und somit kann auch kein neues Ganzes entstehen. Wir, also Marek und ich, hatten bisher selten Gelegenheit, sie miteinander zu konfrontieren, und wenn, dann in einem mehrstimmigen Dialog. Somit ist diese Ausstellung eine Premiere. Ich freue mich sehr über diese neue Konstellation!

Die Ausstellung in Toruń ist insofern einzigartig, als dass es derzeit keine konkreten Pläne gibt, sie in Deutschland zu wiederholen. Darüber hinaus ist Wozownia ein spezifischer, ein historischer Ort, und ich denke, dass seine Atmosphäre nicht wiederholbar ist. Wenn eine solche Ausstellung doch beispielsweise in Berlin entstehen würde, dann würdest du ein völlig anderes Projekt zu sehen bekommen, was aber spannend und aufschlussreich sein kann! Mein Teil der Ausstellung wandert im August in die IHK-Galerie im westdeutschen Siegen. Dort bleibt sie aber ein Monolog.

 

Dieses Interview erschien im Frühjahr 2019 in Englisch und Polnisch im Ausstellungskatalog „georgia Krawiec / Marek Noniewicz – Anomalia Naturalia“ der Galeria Sztuki Wozownia in Toruń, Polen. 

georgia Krawiec (*1972). Polnisch-deutsche Fotokünstlerin mit derzeitigem Wohnsitz in Berlin.

http://georgiakrawiec.net/de/

Marek Noniewicz (*1971). Polnischer Fotograf.

 

„Wir möchten die Menschlichkeit in der Fotografie zurückholen“ Sebastian Gansrigler im Interview mit Christian Reister

Die erste Ausgabe des Auslöser

Christian Reister: Im März erscheint die erste Ausgabe des Magazins „Auslöser“. Braucht die Welt tatsächlich noch ein neues Fotomagazin?

Sebastian Gansrigler: Ich denke es gibt momentan genug Medien am Markt, die sich auf einer technischen und oberflächlichen Weise mit Fotografie auseinandersetzen. Also so gesehen braucht die Welt wirklich kein neues Fotomagazin. Was wir mit dem Auslöser erreichen möchten, ist die Menschlichkeit in der Fotografie zurückzuholen, die Fotografie allgemein zu entschleunigen und wirklich diese wundervollen, persönlichen Geschichten hinter den Fotos zu erzählen. Das machen sehr wenige Magazine und können auch nur wenige, und wenn dann nur in einer sehr kurzen, reduzierten Form. Das ganze Projekt hat natürlich auch alles viel mit Zeitlosigkeit zu tun. Wir bringen keine Ausstellungsnews und berichten auch nicht über die neueste Kamera und wie viele Megapixel die hat. Wir versuchen da wirklich in die Tiefe zu gehen und alles zu hinterfragen, Traditionen aufzubrechen und in einer verstaubten Medienlandschaft etwas Lebendiges, Frisches durchzusetzen.

Christian Reister: Wer ist „wir“?

Sebastian Gansrigler: Ich bin selbst Fotograf und medienübergreifend, von Webdesign bis Print, unterwegs. Arbeite hauptsächlich für Museen und Galerien in Wien, aber auch sehr gemischt Aufträge für verschiedenste Firmen. Durch den Auslöser kann ich alle diese Bereiche verbinden, was wirklich viel Spaß macht. Und dazu habe ich für den Auslöser ein kleines Team aufgebaut. Ich wollte nicht, dass die Ansichten und Aussagen alle nur an mir hängen und von mir kommen.

Mit Kay von Aspern und Niko Havranek mache ich die Auswahl und Zusammenstellung der FotografInnen, das ist schon ein langer Rechercheprozess für jede Ausgabe. Wir stellen den Inhalt sehr kontrastreich zusammen und haben kein Thema und keine Kategorien. Kay und Niko sind beide großartige Fotografen, die sich in dem Bereich auch richtig auskennen und sich damit intensiv beschäftigen. Martina Schreiner übernimmt das Marketing, Social Media und Eventplanung. Meine Schwester, Veronika Gansrigler, macht das Lektorat und die Übersetzung von Deutsch zu Englisch bzw. Englisch zu Deutsch. Das sind auch wieder zwei große Bereiche, die sehr wichtig sind. Im Grunde ist der Auslöser jetzt von einer kleinen Idee zu einem großen Team- und Communityprojekt gewachsen. Eigentlich verrückt und ich versuche das selbst noch alles zu realisieren. Das ging alles sehr schnell.

Christian Reister: Ein Verlag steht also nicht dahinter, viel mehr ein Team aus Wiener Enthusiasten.

Sebastian Gansrigler: Ja, genau.

Christian Reister: Wie finanziert ihr den Auslöser und wie wird er vertrieben?

Sebastian Gansrigler: Es war von Anfang wichtig, dass das ein unabhängiges Magazin werden soll. Natürlich, ganz unabhängig ist nie etwas. Wir sind sehr dankbar, dass wir ein paar Firmen gefunden haben, die uns finanziell unterstützen können. Die Druckkosten sind doch recht hoch. So eine sehr positive Rückmeldung habe ich mir anfangs gar nicht erwartet. Zu der Zeit war das Magazin ja noch gar nicht am Markt, trotzdem haben wir schon großartige Partner und Supporter wie z.B. in Wien das WestLicht, Kunstforum, Kunsthalle, Secession gewinnen können, die uns auch dieses Vertrauen geschenkt haben. Teilweise sind da auch größere Kooperationen geplant und teilweise sind das reine Anzeigenplatzierungen im Magazin. Also es gibt durchaus Werbung in jeder Ausgabe. Die ist sehr reduziert und einheitlich mit einem Logo gestaltet. Das fällt fast nicht als Werbung auf, weil sie sich so schön und harmonisch in das Layout einfügt. Das hat eine Zeit gedauert bis das überhaupt verstanden wurde und angekommen ist, ich glaube das ist ein sehr neues Konzept. Aber einige Indie Magazine machen das so, finde ich richtig großartig. Man liest die Werbung dann sogar gerne. Mit dem Auslöser haben wir da echt jetzt sehr viel Kontrolle über die Gesamtgestaltung, das ist weit entfernt von selbstverständlich. Wenn bei einem gedruckten Magazin schon die ersten 12 Seiten mit kunterbunter Werbung vollgestopft sind, mache ich das meistens gleich wieder zu. Da vergeht mir die Lust am Lesen.

Den Vertrieb machen wir auch selbst, über unseren Onlineshop. Wir bringen jede Bestellung selbst händisch zur Post und jede/r BestellerIn bekommt eine persönliche Notiz dazu. Immer wenn ich jetzt über den Onlineshop eine neue Vorbestellung sehe, bin ich total aufgeregt und freue mich riesig und muss gleich nachschauen, woher die Person kommt und was die macht. Das wäre bei einem großen Verlag oder Vertriebspartner gar nicht möglich. Da würde mir die persönliche Verbindung zum/r LeserIn fehlen. Wir beliefern dann auch einige ausgewählte Buchhandlungen, Galerien, Museums- und Magazinshops für den Anfang in Österreich und Deutschland, wo man den Auslöser dann auch einfach physisch ansehen und kaufen kann. In Berlin und München gibt es großartige, die speziell nur Indie Magazine verkaufen. Das ist eine sehr schöne Szene.

Christian Reister: Kommen wir zum Inhalt der ersten Ausgabe. Ihr habt vier recht unterschiedliche Fotograf*innen
im Heft, mit denen ihr Interviews geführt habt. Diese Interviews erscheinen im Heft zusammen mit Fotografien der Interviewten und haben eine Länge, die weit über den üblichen Rahmen hinausgehen.

Sebastian Gansrigler: Ja, das sind wirklich Langforminterviews. Jede/r FotografIn bekommt 26 bis 30 Seiten im Magazin. Das ist so toll, weil man dadurch wirklich in die Materie, Arbeit und Persönlichkeit eintauchen kann. Ich habe jetzt selbst durch diese Gespräche extrem viel gelernt. Das kann man gar nicht mit dem Lernstoff eines Workshops, einer Fotoschule oder Universität vergleichen. Das ist viel intensiver, was wir hier versuchen.

Christian Reister: Nach welchen Kriterien seid ihr bei der Auswahl vorgegangen?

Sebastian Gansrigler: Zur Auswahl des Inhalts fließen viele verschiedene Kriterien mit rein. Da wir keine Themenvorgaben haben, stellen wir die FotografInnen so unterschiedlich wie nur möglich zusammen. Wir mischen das auch bunt durch, was das Alter, die Herkunft, die Sprache, die Fototechnik, den Stil und den Bekanntheitsgrad betrifft. Wir setzen berühmte FotografInnen neben sehr unbekannte, sehr junge neben ältere. Dadurch entsteht ein sehr spannender Kontrast und sehr unterschiedliche Ansichten. Wir beleuchten dadurch die Fotografie aus vielen verschiedenen Perspektiven und zeigen, wie breit gefächert sie sein kann.

Wichtig ist uns, dass wir pro Ausgabe immer zwei Frauen und zwei Männer zeigen. Ich denke, dass in der Fotografieszene und generell noch immer eine größere Repräsentation von Frauen und deren Arbeiten fehlt. Gegen genau das kämpfen wir auch an. Abgesehen davon, suchen wir in erster Linien nach guten Geschichten, nicht nur guten Fotos. Der/die FotografIn muss einen bestimmten, bewussten Zugang und Reflektion über die eigene Arbeit haben. Das ist natürlich bei manchen mehr, bei anderen weniger der Fall.

Christian Reister: Wie wurden die Interviews geführt? Klassisch bei einem persönlichen Treffen oder per Email-Ping-Pong, so wie wir das gerade tun?

Sebastian Gansrigler: Unterschiedlich. Immer was zeitlich oder auf Grund der Location möglich ist. Wolfgang Zurborn, der in Köln lebt, konnten wir in Salzburg persönlich treffen. Er hat dort im Fotohof gerade sein neues Buch „Karma Driver“ vorgestellt und davor haben wir das Interview mit ihm gemacht. Das war, glaube ich, sogar das längste Gespräch von den vier. Wolfgang kann sehr gut und sehr genau über seine Arbeiten reden, und auch sehr viel, wir mussten sogar große Teile davon streichen, war sehr schade war, aber wir möchten uns natürlich auf die Essenz und die Kernaussagen fokussieren. Ich habe schon überlegt nach ein paar Jahren dann eine eigene Publikation mit den Outtakes zu machen. Das wäre sicher lustig.

Friedl Kubelka hat ihr Atelier in Wien, wir konnten sie auch persönlich treffen. Ich war jetzt sogar schon zweimal bei ihr und jedes Mal entstehen sehr schöne Gespräche. Es ist sehr unterschiedlich wie jede Person auf die Interviewfragen reagiert und antwortet. Manche introvertiert und man muss das Interview mehr lenken, andere weniger und der Redefluss entsteht von selbst. Bei unserer Recherche notieren wir viele Fragen, aber beim tatsächlichen Interview entstehen oft ganz andere Dinge, die wir vorher gar nicht absehen oder einplanen konnten, da sind wir dann auch flexibel und passen die Fragen an. Wir möchten die Gespräche auf jeden Fall als natürlich und sehr flüssig zeigen.

Mit Yanina Boldyreva und Brian Finke war das etwas schwieriger. Yanina lebt in Novosibirsk, im tiefsten Russland. Ich wäre sogar gerne hingereist, aber das Reisebudget reicht noch nicht ganz aus. Mit ihr haben wir das Interview schriftlich über Skype gemacht und es wurde sehr spannend, obwohl sie viel besser Russisch als Englisch spricht und schreibt. Mir ist dann im Nachhinein bei der Übersetzung ins Deutsche und der Korrektur des englischen Textes vieles noch klarer geworden. Die Sprache und Kommunikationseinschränkungen darf man nicht vergessen, habe ich unterschätzt. Mit Brian Finke, aus New York, war das Interview verbal über Skype und eher kürzer und auf den Punkt gebracht. Ich denke, man merkt auch sofort wenn jemand schon öfters Interviews gegeben hat.

Christian Reister: Wer führt die Interviews? Habt ihr verschiedene Autoren?

Sebastian Gansrigler: Bis jetzt waren drei von mir geführt und eines gemeinsam mit Niko. Die Fragen recherchieren wir alle gemeinsam. Ich glaube im Laufe der nächsten Ausgaben werden wir das alles erst herausfinden, wie das am besten funktioniert. Wir sind keine Journalisten und keine Kunsthistoriker, es kommt alles aus einer persönlichen Perspektive. Erst viel später im Nachhinein ist mir bewusst geworden, dass das Interview, welches ein bis zwei Stunden dauert, die wichtigste Zeit des ganzen Projektes ist. Das ist der kürzeste Teil von allem, aber genau dieses Teil ist der wichtigste. Da wird man bisschen verrückt wenn man sich das kurz vor dem Treffen durch den Kopf gehen lässt.

Christian Reister: Neben den Interviews mit den Fotografen habt ihr auch eine Geschichte über Steidl im Heft. Wie war’s in Göttingen? War es einfach, als vollkommen neues Magazin in die heiligen Hallen der Druckerei zu kommen?

Sebastian Gansrigler: Ich war extrem überrascht, dass wir überhaupt eine Antwort, und dann sogar eine Einladung bekommen haben. Ich hatte einfach per E-Mail zweimal angefragt ob wir ein Interview machen dürften und das Konzept zum Magazin auf 12 Seiten dazugeschickt. Genau wie Friedl Kubelka gibt auch Steidl sehr wenige, nur speziell ausgewählte, Interviews, was mir stark bewusst war. Den Film „How to make a book with Steidl“ habe ich oft gesehen, der ist auch bekannt und die Reportage im New Yorker über ihn fand ich auch großartig.

Gerhard Steidl persönlich hat mich dann an einem Sonntag zu Mittag angerufen. Ich war am Telefon etwas mehr als verblüfft. Den Termin zum Besuch haben wir dann zwei Monate im Voraus ausgemacht. Wie wir dann dort in Göttingen waren, war das wie eine andere Dimension, die man betritt. Sie nennen das nicht ohne Grund „Steidlville“. Es ist alles perfekt geplant und durchdacht. Jeder einzelne Produktionsschritt von jedem Buch wird von Gerhard Steidl persönlich kontrolliert. Wir haben am Anfang eine lange Tour durch alle Gebäude und alles genau erklärt bekommen und durften alles fotografieren. Wir haben sogar einen Schlüssel bekommen und durften jederzeit überall hinein. Eine extrem sympathische, freundliche Stimmung liegt in der Luft. Es hat doch alles eine gewisse Strenge, aber dadurch erzielt man wohl diese hohe Qualität, wofür Steidl so bekannt ist. In Göttingen haben wir übernachtet und den nächsten Tag auch noch bei Steidl verbracht. Um fünf Uhr Früh waren wir dabei wie Herr Steidl die Druckerei, was er jeden Morgen macht, aufsperrt. Später kommen dann die Mitarbeiter nach und nach. Wir besuchten sogar sein Privathaus und Archiv. Wer ein Steidl Buch kennt, kennt auch diesen bestimmten Papiergeruch. Der ist auch überall in der Druckerei präsent. Man merkt, dass das eine Kultur ist, die sich um die Kunst herum bewegt, um die Liebe zur Fotografie, zum Papier und zum Handwerk. So etwas ist ganz besonders
und extrem selten.

Zum Abschied haben wir noch eine große Tasche an Steidl Büchern und Katalogen erhalten. Es war eine sehr surreale Reise, ein wunderschöner, herzlicher Aufenthalt mit vielen spannenden Gesprächen. Eine sehr besondere Erfahrung. Ich musste mich noch ein paar Tage später davon „erholen“. Im Auslöser zeigen wir davon viele Zitate begleitet von einer langen Fotostrecke.

Christian Reister: Letztlich gibt es dann auch noch ein wenig Kameratechnik im Heft.

Sebastian Gansrigler: Wir zeigen pro Ausgabe eine Kamera im Detail, aber da geht es gar nicht um die Technik, sondern mehr um die Ästhetik des Objekts und die Geschichte dahinter. Von den meisten Magazinen wird die Kamera immer rein technisch beschrieben, was sie aber ja nicht ist. Natürlich ist sie ein Werkzeug, genau wie für einen Tischler der Hammer und der Nagel. Aber diese Objekte haben noch ganz andere Seiten. Wir behandeln das fast so, als wäre die Kamera ein Mensch, der uns eine Geschichte erzählt, als würden wir ein Interview mit der Kamera führen.

In der ersten Ausgabe zeigen wir Susse Frères Daguerréotype, die erste kommerziell hergestellte Kamera der Welt, und die Letzte ihrer Art, die noch existiert. Dazu haben wir eine tolle Kooperation mit dem WestLicht Kameramuseum in Wien gemacht. Die Kamera ist dort im Schaudepot ausgestellt, wir durften sie herausnehmen und in unserem bestimmten Studiosetup ausleuchten. Sie feiert mit uns heuer 180 Jahre Fotografie und somit die Erfindung und Gründung des fotografischen Verfahrens, wie wir es heute kennen. Ich denke, das ist super passend für die erste Auslöser Ausgabe, auch wenn wir vom „Auslösen“ ansich sprechen.

Christian Reister: Ist zur Veröffentlichung der ersten Nummer ein Event geplant?

Sebastian Gansrigler: Da bin ich schon sehr aufgeregt. Das ist am 7. März 2019 von 18:00 bis 22:00 im VIU Store Neubaugasse in Wien. Wir werden dort eine große Magazin Release Party feiern und den Auslöser präsentieren. Es gibt Goodie Bags, Poster, Getränke und gute Musik. Ich hoffe, dass der Auslöser dadurch auch etwas beworben wird, da es ja um die Unterstützung der Community und FotografInnenszene durch diese Geschichten geht. Und diese Geschichten wollen wir verbreiten und weitererzählen. Ich freue mich schon sehr auf mehr Feedback.

Christian Reister: Gibt es schon konkrete Pläne für die zweite Ausgabe?

Sebastian Gansrigler: Wir recherchieren schon intensiv und möchten mit der zweiten Ausgabe noch verrückter und mutiger werden. Ich hoffe die Leute sehen in welche Richtung wir mit dem Auslöser mit der ersten Ausgabe gehen und diese Richtung wollen wir vertiefen und noch weiter ausbauen. Die Fotografie hat so viel zu bieten, da gibt es endlos viel Material und die Selektion und Zusammenstellung ist schwierig und spannend.

Christian Reister: Gibt es eine Art Traum-Interviewpartner, die oder den du früher oder später interviewen möchtest?

Sebastian Gansrigler: Ich denke, dass es sehr viele Traum-Interviewpartner gibt. Gerhard Steidl war ganz weit oben auf der Liste. Eine Person in der Schweiz habe ich auch interviewt, da möchte ich aber noch nicht zu viel verraten. Generell denke ich aber, dass man sich vom Status und Bekanntheitsgrad nicht ablenken lassen sollte. Ich glaube eher, dass das Entdecken des Unbekannten viel mehr Spaß macht. Und auf Langzeit gesehen, dass dadurch viel schöne Beziehungen und Freundschaften wachsen können.

Obst und Muse ist auch eine große Inspiration für den Auslöser und ich finde sehr schön was ihr macht. Ich möchte dir herzlich danken für das Interview!

Christian Reister: Mein Dank zurück und viel Erfolg mit dem Auslöser!

Sebastian Gansrigler

Sebastian Gransrigler, *1994,  ist Herausgeber des neuen Fotomagazins Auslöser. Er arbeitet als unabhängiger Fotograf und Grafikdesigner für Museen und Galerien in Wien.

gansrigler.com
ausloeser.org