„Berlin Wonderland wird nicht das einzige Buch von bobsairport bleiben.“ – Anke Fesel und Chris Keller im Interview

Fotos: Ben de Biel (1, 2, 4, 5) und Rolf Zöllner (3, 6) aus dem Buch „Berlin Wonderland“

Christian Reister: Wer ist Bob?

Anke Fesel: Bob ist die Kurzform für bobsairport, eine von uns – Anke Fesel und Chris Keller – 2007 in Berlin gegründete Fotoagentur. Der Name geht auf eine whisky-selige Anekdote von Tom Waits zurück, die er in der Bühnenshow zu „Big Time“ erzählt: „Well… I had a rough flight down here, you know. I don’t know, we came in… we didn’t come into L.A. actually, we came into Bob’s Airport! (laughter) Eh, actually my reaction was the same as yours. Eh, but when you think about it, Bob’s there all the time, you know? It’s very simple, they have a little lobster bar there and eh… I gotta introduce you to Bob, you’ll love Bob.“

Christian Reister: Aja, verstehe: der Name bobsairport gibt für eine Fotoagentur also ungefähr so viel Sinn wie Obst und Muse für einen Blog mit Gesprächen über Fotografie. Was hat euch vor acht Jahren dazu veranlasst den Fotomarkt um eine weitere Agentur zu bereichern? Wo lagen und wo liegen heute eure Schwerpunkte und was unterscheidet euch von anderen Stockagenturen?

Chris Keller: Anke hat mit ihrem Grafikbüro ja schon lange Buchcover gestaltet, für die wir auch viel selbst fotografiert haben. 2005/2006 wollte die Bildagentur photonica eine Auswahl unserer Fotos in ihr Portfolio aufnehmen. Leider wurden sie genau zu dem Zeitpunkt von Getty aufgekauft. Getty und Corbis verleibten sich damals viele der kleineren spezialisierten Agenturen ein und es wurde immer schwieriger, in diesen riesigen Archiven taugliches Bildmaterial zu finden, das sich für die Gestaltung von Buchcovern eignete. Aus dieser Situation entstand die Idee, dem Missstand mit einer eigenen Agentur zu begegnen. Der Schwerpunkt bei bobsairport liegt in der Buchcover-Fotografie, es zeigt sich aber, dass die Kollektion auch für Magazine und Feuilletons interessant ist. Wir möchten die einzelnen Fotografen und ihre Bildsprache zeigen und bieten die Bilder ausschließlich in Form von RM Lizenzen an.

Christian Reister: Eure Website listet über 80 Fotografen, die meisten sind zumindest unter Insidern in Berlin recht bekannt. Wie würdet ihr euer Spektrum beschreiben? Was muss ein Fotograf mitbringen, um bei euch aufgenommen zu werden?

Chris Keller: Unser Spektrum ist vielfältig, da wir Bildautoren mit einer eigenen fotografischen Handschrift vertreten. Die Fotografen müssen ein ausreichend großes Portfolio mitbringen, wobei egal ist, ob das Material sw oder farbig ist, analog oder digital aufgenommen wurde. Eine Besonderheit von bobsairport gegenüber anderen Bildarchiven besteht darin, daß wir keine Kollektionen vertreten, sondern uns ganz auf die Arbeit mit unseren Fotografen verlassen. Durch dieses Vorgehen und die damit verbundene Verfahrensweise, das Archiv aus handverlesenen Motiven zu bestücken, ist über die Jahre eine Sammlung mit zeitgenössischer Fotografie entstanden, die sich von gängigen Stockarchiven abhebt und Material zulässt, das mit seiner künstlerischen Position in diesem Kontext überrascht.

Christian Reister: bobsairport ist mittlerweile nicht nur als Agentur, sondern auch als Herausgeber bekannt. Oder kann man dazu schon Verlag sagen? Euer Buch „Berlin Wonderland“ über die frühen 90er in Berlin steht jedenfalls in jedem Buchladen und geht bereits in die zweite Auflage. Erzählt uns doch ein bisschen wie es dazu kam…

Anke Fesel: Die Idee zu dem Buch hatten wir schon lange. Zum einen spiegelt es unsere eigene Geschichte – wir sind beide 1990 nach Berlin gekommen und haben uns durch unsere Beteiligung an Projekten wie Tacheles, Eimer und Schokoladen kennengelernt. Zum anderen wußten wir um das großartige Bildmaterial, das sich in den Archiven verschiedener Fotografen befand. Von Ben de Biel, der ungefähr die Hälfte der Bilder zum Buch beigesteuert hat, stand eigentlich immer ein Satz Archivordner in meinem Grafikbüro, weil Ben und ich die Bilder für Flyer seines Clubs Maria am Ostbahnhof genutzt haben. Chris und er sind schon seit Schulzeiten befreundet und haben sich auch in Berlin bei vielen gemeinsamen Projekten begleitet. Hendrik Rauch, Philipp von Recklinghausen und Rolf Zöllner kannten wir durch die gemeinsame Arbeit bei der Stadtzeitung „scheinschlag“, für die ich als Gestalterin tätig war, Stefan Schilling aus dem Tacheles, Hilmar Schmundt aus dem Schokoladen und Andreas Trogisch war uns als begnadeter Gestalter vertraut.

Als es dann tatsächlich um die Realisierung des Buches ging, haben wir das Projekt verschiedenen Verlagen vorgestellt, mussten aber feststellen, dass sich niemand so recht an das Thema heranwagen wollte. Wir hatten uns fest vorgenommen, das Buch im Frühjahr 2014 und damit rechtzeitig vor dem Jubiläum zum 25-jährigen Mauerfall herauszubringen und haben es dann kurzerhand selbst verlegt.

Christian Reister: Ich würde ja mal tippen, dass eure Insidersicht genau das ist, was das Buch so faszinierend macht und von konventionellen Berlinbüchern abhebt. Man merkt einfach, dass ihr dieser Szene sehr verbunden seid, nicht zuletzt, weil eure Gesichter ja auch immer mal wieder in dem Buch auftauchen. Aber auch die Buchgestaltung ist großartig – alles selbst gemacht?

Anke Fesel: Ja, für die Gestaltung zeichnet unser Grafikbüro capa verantwortlich, es war also sozusagen eine Kooperation unserer beiden Unternehmen. Dadurch, dass wir das Buch selbst verlegt haben, hatten wir auch, was die Gestaltung betrifft, freie Hand und konnten das Buch in genau die Form bringen, die wir haben wollten.

Christian Reister. Mir fiel auf, dass sehr bald nach der Veröffentlichung viele große Onlineportale (n-tv, Spiegel, Die Zeit, Morgenpost…) Bildergalerien zu dem Buch brachten, auch offline ist das Buch viel rezensiert und beachtet worden. Hat euch der Vertrieb – der „Gestalten Verlag“ – viel von der Pressearbeit abgenommen oder habt ihr diesen Part selbst übernommen?

Chris Keller: Unser Vertrieb Gestalten hat eine hervorragende Pressearbeit gemacht und zudem hatten wir natürlich auch einige eigene Kontakte. Es ist aber auch so gewesen, daß das Thema von der Presse sehr dankbar aufgegriffen wurde.

Christian Reister: Anke, du hast gesagt, ihr seid beide 1990 nach Berlin gekommen. Ihr wohnt noch immer in Berlin-Mitte, auch die Agentur hat ihren Sitz in Mitte. Das ist ja jetzt fast ein viertel Jahrhundert! Kriegt man da nicht auch mal den Mitte-Koller? Und hättet ihr die Wahl – würdet ihr euch die 90er zurückwünschen?

Anke Fesel: Wir sind immer noch gerne hier, auch wenn wir nicht jede Entwicklung begrüßen. Das funktioniert aber nur, weil wir auch versuchen, die Stadt so häufig wie möglich in verschiedene Richtungen zu verlassen. Das gelingt nicht immer gleich gut, während wir das Buch gemacht haben z.B. überhaupt nicht, dann droht doch Lagerkoller. Ich glaube, die 90er wünschen wir uns beide nicht pauschal zurück. Ich vermisse aber das Unfertige, Unperfekte und Improvisierte dieser Zeit.

Christian Reister: Plant ihr als bobsaiport weitere Bücher oder werdet ihr euch jetzt wieder mehr auf die Agentur konzentrieren?

Chris Keller: „Berlin Wonderland“ herauszugeben hat uns schon sehr viel Spaß gemacht. Es war ja auch eine sehr gute Gelegenheit, unsere unterschiedlichen Tätigkeitsfelder in einem Projekt zusammenzubringen. Dass das Buch mit so viel Interesse aufgenommen wurde, ist für uns natürlich zusätzlich ermutigend. Ich denke, es wird nicht das einzige Buch von bobsairport bleiben, auch wenn wir uns nun verstärkt wieder dem Tagesgeschäft der Agentur zuwenden werden.

Ausstellung

Noch bis 22.11.2014, Mo–Sa 12–18 Uhr
Gestalten Space, Sophie-Gips-Höfe, Sophienstraße 21, Berlin Mitte

What we found and what we lost

Fr 21.11.2014, 17 Uhr, Radialsystem V, Holzmarktstraße 33, 10243 Berlin
Ein langer Abend mit Filmen, Performances, Diskussion, Suppe, Ausstellung und Musik.
Filmbeiträge Klaus Tuschen und Marco Wilms
Diskussion mit Tim Renner, Dimitri Hegemann, Christoph Langscheid, Steffi Lotta, Christoph Klenzendorf, Jutta Weitz, Brad Hwang und Francesca Miazzo, Moderation Jochen Sandig und Chris Keller
Performance Marva Maschin Klan
Videoinstallation Manuel Zimmer – AK Kraak
DJ ED 2000
mehr Informationen unter www.radialsystem.de

Anke Fesel und Chris Keller, bobsairport

Die Bildagentur bobsairport wurde 2007 von der Gestalterin Anke Fesel und dem Musiker und Fotografen Chris Keller in Berlin gegründet. Das Archiv der Agentur umfasst eine hochwertige Auswahl zeitgenössischer Fotografie.
Mit dem Bildband „Berlin Wonderland“ trat bobsairport 2014 erstmals auch als Verlag in Erscheinung.

www.bobsairport.com
www.berlin-wonderland.de

My photography has always aspired to go beyond the obvious – Christian Reister im Gespräch mit Thomas Kern

Alle Fotos aus dem Buch „A Drug Free Land“ von Thomas Kern
published by Edition Partick Frey, ISBN: 978-3-905509-90-8

 

Dieses Interview aus dem Jahr 2011 ist zuvor in leicht veränderter Form auf der Seconds2Real und American Suburb X erschienen.

 

Christian Reister: Thomas, how and when did you start photographing?

Thomas Kern: I became fascinated by photography at an early age. At home, there was a camera, but it was rarely taken out of the closet, which lead to the fact that the colorfilms inside that camera were only processed after years and the pictures often had this yellow tint – hence maybe my scepticism towards color photography… When I was 15 years old my art teacher asked me if I was interested in having an enlarger. It was not even his, but belonged to an artist friend of his, who was trained as a photographer, but turned painter, which was an early hint at me that photography was not a mean in itself, but rather another way of expressing yourself through art. I gracefully accepted the gift and set up my first darkroom in the laundry room of my parents house. There was a light tight closet under the basement stairs where I could fill my rolls into the tank.

I was immediately hooked and fascinated by what happened in the darkroom. The reappearence of things I had seen or imagined and the combination of the two whenever holding up a camera still amazes me until today. After highschool I applied for entry to the photography department of the Kunstgewerbeschule in Zürich. I wasn’t accepted and subsequently started working as an assistant to a fashion photographer, later more studio and stillife. Later I entered an apprenticeship, still taking classes at the Kunstgewerbeschule. During this time I learnt the whole craft side of photography. At the end of my education I knew that it wasn’t advertising and the world of fashion that would give me the kick. I was already on track to get into the world of photojournalism. At the time I was also working as a camera assistant for documentary film projects and as camera man for some television productions.

In 1989 I started working full time as a photojournalist and one year later I was the co-founder of the photographers agency lookat photos, a project that acoompanied me for the next 15 years. My first subject of choice was the situation in Northern Ireland. From there on I embarked on a journey through most of the Middle East and from there closer to home back to the Balkans, work that resulted in my first collaboration fort he Swiss monthly cultural magazin DU. Three ways to Isfahan was the next, a joint project with fellow photographers Samer Mohdad and Daniel Schwartz. Then came Haiti fort he first time, something I continue working on up until today. From 1998 until 2006 I lived in San Francisco, that’s where my answer to your next question starts…

Christian Reister: What led you to your book “A Drug Free Land”? Why America?

Thomas Kern: Early 2001 the dotcom bubble popped. Living in San Francisco, at the door step of Silicon Valley, this immediately translated into a loss of assignments, The bread and butter jobs I needed were gone from one day to the other. San Francisco was expensive enough, I was struggling to make ends before, but without these jobs the situatione became critical. In September followed the attack on the Twin Towers, and the America I believed to know started falling apart. At this point I was determined to start a personal project somehow built on the experiences and years we had already spent in the United States, 9/11 – with all it’s well known and widely discussed consequences, the subsequent war on terrorism and the far-reaching restrictions on civil liberties, changed everything.

I was appalled at a self-censoring press and by the almost undisputed acceptance of embedded journalism. I was disgusted at Abu Ghraib, even if it did not reflect what Americans think America is really about, it still did reflect what hundreds of millions of other people thought America is about, and that matters. America – 37 millions live in poverty; 60 millions simply get by just above the poverty line. 50 million people are without health-care. Yet at the same time the United States invests 713 billions in the military, including a nuclear arsenal and the ongoing operations in Iraq and Afghanistan. All this weighed heavily on the land.

My photography has always aspired to go beyond the obvious and to somehow capture the invisible. The photographs I was searching for were documentary but rest ambiguous and inconclusive at the same time. I was not trying to make a final statement. The images come from heart and mind alike. They are wrought from strong convictions shaped by my own experience of living in the midst of a sometimes deceitfully familiar America – a very personal departure point to explore a very public subject. There was no common language for the confusions and fears triggered by 9/11, the ongoing wars and a crumbling economy. It was my ambition to give this America a face, to create a document, a visual commentary on the state of the nation. I was interested in the cracks between the personal experience and the state rhetoric, between the individual and the national order of things. I tried to find my images in the fabric of daily American life. I photographed people at their homes, at work, together with their friends, captured them shopping and while walking the streets. It was all out there. The strength and relevance is in the ability to select the permanent from among everyday reality.

Christian Reister: Some of your photographs are taken in a more reportage-like style, most of them more in the tradition of Street Photography – the scenes seem unstaged and rather found than wanted. How would you describe your approach?

Thomas Kern: To a certain extend my images are all found. At an early stage there is always some planning. I am a strong believer in research. Reading is important. The entire body of work in front of us somehow goes back to a text passage I found in a travelogue written by Alexis de Tocqueville in 1834. When working for A DRUG FREE LAND there was usually a rough itinerary or some kind of a destination, those way points I mostly chose according to historical significance, sometimes for their geographical location and sometimes just for their names, but that’s when I am already on my way. The research, the reading and the practical preparations must fade away into the background, once I have entered the picture making mode, it is the subconscious that finally triggerst the alarm when an image presents itself before me. It is as much seeing as recognizing the scene. When actually taking images I like to be slow. Driving is nice, the windshield can act as a frame and help you to see the images, but usually driving is too fast and the images gone by to quick. I prefer walking, when staying in Flint, Michigan for a while, I bought a bike in a pawnshop. That’s good transport too.

Again, I prefer to find my images as opposed to searching for them. I like to be surprised, as a photographer I don’t like to control a situation. I also could never work digital on such a project. I don’t want to see what I am doing, I like get up in the morning and see the world untainted. The images I do have to settle down to the unconscious, where they mingle and mix with the research, the reading, my memories and experiences while traveling.

Christian Reister: You are a Swiss citizen, you travelled countless states of America and you are taking your photographs with a Leica, black and white and analogue. Over fifty years ago there was another Swiss, Robert Frank, who has set cornerstones for generations of photographers with his book „The Americans“. Where do you see parallels and differences?

Thomas Kern: Of course I did all this to become a future inspiration to generations of photographers to come. Just like Robert Frank… Seriously, when starting out as a photographer I was interested in a socially conscious and advocating photography, I was much more drawn towards people like Gilles Peress, Philip Jones Griffiths, Eugene Richards. I considered Robert Franks photography (maybe more so it’s perception) as too artsy, maybe too poetic. I was maybe much closer to his photography when I really started out working with the media, just exploring, working in the darkroom, of course not closer to his quality of work, but closer to the concept.

I somehow feel like I have done a full circle. I had to abandon that poetic quality and the openness in order to make my photography useable. Most of my photographer’s life I have worked as a photojournalist. This has certainly made an imprint on me and my way of seeing. But the past few years I have discovered the need to make images with less obvious statements and giving them a much more universal and timeless quality. In this sense I feel like I have come much closer again to Frank’s photography. Today I look at my book and I see very little resemblance with Franks work, but I do see a frightening similarity of the undelying subjects we are both treating, loneliness, the american dream, racism… and maybe a certain melancholy too.

Christian Reister: The big American cities like San Francisco, Los Angeles or New York play only a marginal role in your book. Why did you focus on the rural regions?

Thomas Kern: It is a conscious decision. I lived in San Francisco, a beautiful city, cosmopolitain, open and politically liberal. Most of these qualities are not necessarily representative of the rest of America. The two coasts, San Francisco, Los Angeles and on the East coast New York and maybe Boston are totally over represented in our perception of America. It is also not my love for landscapes, but it was the idea to visualize how the majority of Americans live.

Christian Reister: Do you always have a camera with you and are you photographing on the streets anyway or are you only working with a clear concept or targed in mind?

Thomas Kern: I used to always have a camera with me. But gradually less and less, Although lately I am making an effort to go back to that habit again. I am sure it has to do with the kind of work I’ve been doing over the past twenty years, photojournalism was of course mostly project oriented. But I suspect there are also other reasons, more to do with my self image, my identity as a photographer. When starting out, it was good to always carry a camera, because therefore I was a photographer…

Today I know photography is my profession, I haven’t done anything else for the past two decades. Even DRUG FREE LAND was mostly done in a project oriented way. I have a family, responsibilities and a life apart from photography which forces me to find some kind of a balance and efficiency in my work. I can’t afford to aimlessly wonder around and I do not subscribe to esoteric theories of how to get to my images. I talked about this before, the whole framework I need to go out in order to be able to find my images.

Christian Reister: Is there a new project you are currently working on?

Thomas Kern: I am still not sure whether I have come to an end with America after having published the book. Maybe yes, maybe no. I also keep on working in Haiti, especially now, after the earthquake of last January, a whole new chapter has opened itself in front of me. To publish Haiti is much more difficult. Working with Patrick Frey for A DRUG FREE LAND was great and a wonderful experience. The fact that this is a small publisher with a limited distribution was not so relevant for DRUG FREE LAND. It is a much more personal goal to have this published, and I am happy with it, as it is.

Christian Reister: If you could chose three photobooks for a residence on a lonely island – which ones would you choose?

Thomas Kern: FAIT by Sophie Ristelhueber

BELGICUM by Stephan Vanfleteren

ANTLITZ DER ZEIT by August Sander

Frank Schirrmeister

Thomas Kern wurde 1965 in Brugg/Schweiz geboren. 1984-1987 Ausbildung als Fotograf, 1988-89 Kamaeraassistent beim Fernsehen DRS, Besuch der Fotografieklasse der Kunsthochschule Zürich. 1990 Mitbegründer der Fotoagentur Lookat in Zürich, 1998-2006 als freiberuflicher Fotograf in San Francisco. Lebt und arbeitet in Möriken / Schweiz (Quelle: Fotografenwiki.org)

www.thomaskern.ch

 

 

„I am rather interested in Berlin on the fringe, beyond the cool downtown districts.“ – Interview mit Frank Schirrmeister

Fotos oben: aus der Serie „Sonntags in Berlin“ von Frank Schirrmeister

 

Dieses Interview wurde im Frühjahr 2011 in englisch geführt. Die am Ende des Gesprächs angekündigte Serie „Beyond Crises“ ist mittlerweile abgeschlossen.

Christian Reister: You graduated at Ostkreuzschule für Fotografie und Gestaltung in Berlin in 2007. Was it important for you to study there and not elsewhere? Have the academic studies been important for you to define yourself as a photographer?

Frank Schirrmeister: For me, the Ostkreuz School was a stroke of luck. It was founded by exactly those people I had adored since adolescence, that is, Sibylle Bergemann, Ute Mahler etc. Another godsend was that the school was founded at the time when I was ready to become photographer. I belonged to the first class that graduated from the newly-founded school. Thus, we were kind of guinea pigs, which created a special and very close relationship between lecturers and students. Having studied at the Ostkreuz School was a formative time and the experience of intense discussions about images, photography and life in general has definitely shaped my idea of photography.

Christian Reister: When did you start photographing? Can you recall the first photo you took that made you go WOW and can we show it here?

Frank Schirrmeister: I have always been fascinated by photography but it took a long way until I realized that I could do it by myself! Surely, this was a matter of being grown-up (which took a while) and a kind of inner maturity that lead me to the point when I had the world to tell something. This started to become serious about eight years ago. However, I do not want to be remembered of my first attempts expressing myself by photography. To a certain extent, photography is a simple craft that needs some skills or has to be trained. That´s why I wouldn´t present my early pre-Ostkreuz works.

Christian Reister: Please tell us about the genesis of SUNDAYS IN BERLIN, which is currently exhibited at FENSTER61 in Berlin.

Frank Schirrmeister: A formative impression for me was the East German photography that mostly dealt with ordinary men in an unpretentious way. Let me mention as an example (beside the famous Ostkreuz names) Gundula Schulze-Eldowy and her great work BERLIN IN EINER HUNDENACHT. Inevitably, I soon turned to this kind of street photography by myself. My diploma work LAND OF FEAST (FEIERLAND in German) was already an extensive observation of people on public festivals and funfairs.

The approach of my new work is similar in its idea. For SUNDAYS IN BERLIN I have been exploring the leisure activities of ordinary Berliners, avoiding the big fuss in order to find the unspectacular “real” Berlin. Again, I am rather interested in Berlin on the fringe, beyond the cool downtown districts, to approach the essence of the town, to scrutinize the popular image of Berlin. My procedure is to study the calendar of events at weekends and to select any events that sound promising, strange, even a little bit obscure and beyond the things I usually do on a Sunday. Then I go there and watch the fuss and with some fortune I arrive back home with an useful image or two.

Christian Reister: Do you talk to the people you photograph and ask for permission?

Frank Schirrmeister: No, since the result would be a staged image, not an observed one.

Christian Reister: How often did you attend an event without getting a good picture for the series?

Frank Schirrmeister: This happens of course, but normally there are at least one or two pictures as a result of an afternoon out that satisfy me. Even so, very few of them made it in the final round. After three years of work I have now made a selection of 50 images. You can imagine how many pictures are left in the shelf.

Christian Reister: Another series of yours, PLAIN CITY, is currently on exhibition at Robert-Morat-Gallery in Hamburg. Are you constantly working with that gallery? If yes – how did you get in contact with them?

Frank Schirrmeister: The exhibition of my PLAIN CITY is the first one at Robert Morat´s gallery. I do not know yet if subsequently a constant collaboration will result from that. I would like to since Robert is an open-minded gallery owner with a vision and, not the least, with a good standing on the art market. It was Arno Fischer who brought us together. He recommended me to Morat when he saw my diploma work. However, from the suggestion to the final exhibition it took three years! This lead time seems to be quite normal for a gallery in this league.

Christian Reister: PLAIN CITY – in contradiction to SUNDAYS IN BERLIN – never shows people. They have a very formal style of classical architecture photography. What is the idea behind this series and what technique did you use for it?

Frank Schirrmeister: Since 2006 I have wandered Berlin with a Sinar large format camera, always during the weekend, always at dawn. The reason for getting up that early: the emptiness. Reducing the city to its plain, naked existence is for me a way to approach the essence of the place. Although the streets are devoid of people, traces of everyday life and activity are found everywhere. In the sallow morning light, Berlin’s makeup seems about to crumble, and a transformation happens: things, buildings, places you have seen a thousand times before appear strange and new. In a while, nothing will look the same. The urban landscapes in these photographs are mostly places in transition, waiting for their reshaping. This leaves the chance for a sequel: how will these places look in a conceivable future?

Actually, PLAIN CITY is for me the contrary as well as the complement to SUNDAYS IN BERLIN, different in its method but similar in its mental and intellectual approach of delving into the deeper layers of the metropolis Berlin.

Christian Reister: Is there a new project you are currently working on?

Frank Schirrmeister: This year I will take a time out and cross throughout Europe in an old VW bus for three months. Of course, I will not forget my camera. My plan is to do a project whose working title is BEYOND CRISIS. I will try to find a middle course between pure street photography and the more conceptual photography as in PLAIN CITY. In any case, I will return for this project to conventional analog film and medium format.

Christian Reister: Which photographers inspired you the most?

Frank Schirrmeister: Still, my favourite inspiration is the East German photography in general with its idea of humanity and its reservation against false tinsel and its attempt to get beyond the surface.

Christian Reister: Any young photographers who impress you?

Frank Schirrmeister: I don´t know why I should distinguish between young and mature photographers? Important is the idea behind and if the person has to tell me something or not. The latter is unfortunately quite often the case.

 

 

Aus der Reihe
Aus der Reihe
Aus der Reihe

Fotos oben: aus der Serie „Leere Stadt“ von Frank Schirrmeister

 

 

Frank Schirrmeister

Frank Schirrmeister ist Fotograf und Bildredakteur in Berlin.

www.bildstelle.net

 

“Paris was visually a very boring city for me.” – Ein Interview mit Michael Wolf

Michael Wolf - aus Architecture Of Density

Michael Wolf – aus Architecture Of Density

 

Diese Interview wurde 2011 im Rahmen einer Buchpräsentation bei 25books, Berlin, auf englisch geführt und ursprünglich auf der Seconds2Real Website veröffentlicht.

Christian Reister: When and how did you start photographing?

Michael Wolf: I started taking photographs when I was thirteen or fourteen years old. I lived in America and my parents gave me a camera. I just started experimenting and I found that I really enjoyed it. I enjoyed taking pictures and I enjoyed even more going into the dark room and developing the films, seeing the pictures come up and editing and cropping things.

In 1972 a friend of my father came for a visit. He saw my pictures and he said „I teach at the Folkwang School in Essen and there is a very famous professor named Otto Steinert“, whom I’ve never heard of before. And he said „Why don’t you apply?”. That’s exactly what I did and six months later I received a postcard from the admissions office that said “You’ve been admitted to study photo journalism with Otto Steinert”. So I went over there in October 1973. I never went there with the intention of becoming a photo journalist. I went there to take a time-out year from studying in California. But I suddenly realised that photo journalism was such an interesting thing to do. It gave me an excuse to go out and sniff into other people’s experiences and lives. So I thought „Wouldn’t it be great to do this and be able to earn money with it?”

Christian Reister: …but after years of photo journalism work you moved on to the art world…

Michael Wolf: Yes, I haven’t done an assignment since 2003 when I decided to quit doing editorial assignment work and only to work on my own projects. The reason for this was that the conditions for working as a photo journalist have changed tremendously since the year 2000. Until the year 2000 when there was the big dotcom crash, there were still very good assignments to get. You could work for Stern magazine or GEO for four, six or eight weeks on a topic, travel extensively, taking an assistant. So you could really go into depth. That was a very rewarding thing to do. But after the dotcom crash the magazines lost advertising customers and suddenly realised that they had to save. So the assignments became shorter, you had much less time to work on them and you had very clear art directors who told you “We need three pictures and that’s it”. So while I was getting older and more demanding in what I wanted to do, what I was doing was actually getting stupid and boring. So I decided I don’t want to end my life this way and rather do something else. For me the alternative was to only work on my own projects. But then the question is how to earn money with your own projects. The only way I found for myself is through the art world. Find galleries and sell your work at the art fairs through gallerists. I was fortunate enough that this way worked out for me.

Michael Wolf: aus Tokyo Compression
Michael Wolf: aus Tokyo Compression

aus: Tokyo Compression

Christian Reister: Let’s talk about your work Tokyo Compression which is very successful as a book and in exhibitions as well. It deals with the daily hell in the subway of Tokyo. How long did you work on it and what triggered you to do it?

Michael Wolf: The first time that I became aware of this situation was in 1997, I think. I was working on an story for Stern magazine in Tokyo. This is how I happened to be on this one train station. The peculiar thing about this station is that there is only one track and not two. So when the people get in on one side of the train I can get right up next to the window of the other side. There’s no track separating me from the train. So I took a series of five pictures at that time. When I got back to Hongkong and looked at the developed Kodachromes they were so powerful, the way these people were looking out of the window so I filed them away in my folder for future reference with topics I want to do at some point. In 2008/2009 I went back and spent a total of thirty days there. Always from Monday to Friday, always during rush hour in the morning from 7.30 until about 8.45. Every thirty seconds a train would roll in, I would take my pictures and at 8.45 I would go back to the hotel.

Christian Reister: You worked very close, but in the book the images are cropped, right?

Michael Wolf: Yes, I worked extremely close. I could get up to 3 or 4 inches away. In the beginning I wasn’t really sure how I was going to solve this problem conceptionally. I had photographed a lot of total windows and inside of each window of the train there would be three, four or five faces. In-between I would go up closer. When I was editing the project and thinking about how I was going to show it and how I was going to publish it I realized that conceptionally it would work best if they are all cropped very close to the faces. So I basically took every picture and set my crop tool to 8 by 10 inches. Of course some of the files are a bit smaller and I would need to make a big – say 30 by 40 inch – print. But what I realised is that by printing them with an inkjet printer on a hahnemühle rag paper you get an almost painterly quality which really endorses what the images have to say.

Christian Reister: Another work of yours that is extremely successful is your Google Street View project. What was your intention for taking photographs from a computer screen and where do you think is the difference in your approach to other artists working with Google Street View like Jon Rafman or Doug Rickard?

Michael Wolf: First of all, let’s get to the genesis of me photographing Google Street View. This happened when my wife moved to Paris in 2008 after we had been living in Hongkong for 16 years. I realised quite quickly that Paris was visually a very boring city for me. I was very unhappy. I had no idea what to photograph. The problem was on the one hand that Paris has been photographed millions of times and there are so many clichés out there that I felt overwhelmed. The other problem is that the law in France is quite strict. You can not photograph people in groups less than five without risking a lawsuit. So in August 2008 I had the first idea to look at Street View and to use this new technology to take a different picture of Paris than that which had existed.

 

Michael Wolf - from Paris Street View

Michael Wolf – from Paris Street View

 

Until then I haven’t been aware of anyone’s work – it was when I put my work up on my website that friends send me a few links, e.g. to Jon Rafman. I’ve been following his work but I think our work is entirely different. He is usually using the whole street view scene including all the tool bars so it’s more a documentation of what Google sees. What I’m doing is interpreting the Google pictures making my own narratives and my own pictures out of them by doing extreme crops, sometimes of only a foot or of a hand disappearing behind a tree. That’s one approach I take. Another one is that I work in typologies as I do all the “Fuck Yous” as a comparative series or a whole series of portraits of people whose faces have been blurred by the Google technology.

So I think there are many of different approaches to Street View just as there are many different approaches to any photographic project.

Christian Reister: You are featured in the Street Photography Now book. Do you consider yourself a street photographer? What does that term mean to you?

Michael Wolf: I don’t consider myself a street photographer at all. I come from photo journalism which of course has many aspects of street photography but I think the traditional street photographer would be someone like Garry Winogrand who basically walked the streets and looked for interesting moments which he could photograph. I dont think I’ve walked the streets for random images in at least ten years.

On the other hand you could call my Google Street View project a form of street photography and of course it is very directly tied to the street because what Google is doing is it’s only photographing everything one can see from the car. So in that sense I would say I’m a very contemporary virtual street photographer.

Christian Reister: You said that you didn’t have an idea what to photograph in Paris because there are millions of pictures already taken in Paris. Do you think this is a key problem in street photography or in photography in general – the fact that “Every picture has been done before”?

Michael Wolf: I think we have to be very careful because iconic pictures tend to ingrain themselves in the collective consciousness of all photographers and it’s very easy to fall into a trap and repeat things. I remember when I was studying I fell in love with cars parked which had a huge tarp over them. And of course Robert Frank was the first person who took this picture and whenever you do something like that, its derivative. There are thousands of examples like that. The question is how we can discover new images. That’s the challenge what every artist goes through. You always have to evaluate what you are doing and measure it against what has been done because to simply repeat something is a boring exercise. It’s a much greater challenge to find a new way to express things or pushing the idea of photographs and their limits farther.

For me for instance in Hongkong I had the good fortune of photographing my Architecture Of Density series in a way which hadn’t been done before that rigorously. I cropped every building that there was no sky and no horizon so the result was that you had a very tight picture which could be credibly large because you had no idea where the building ended on the sides and on the top. If you looked at it from far away hanging on a wall it looked very abstract. But when you came up close you suddenly realised that this was a huge building and it had life inside. You saw the details on it so it suddenly became a statement on how we live in mega cities. The good fortune on this was that I found this formal solution which made these pictures suddenly look different and interesting and I think one can find the same in street photography. One just has to go out and do it.

A good example concerning the image of Paris is William Eggelston who came here and did his Paris book with Steid. This is suddenly a totally different view on Paris that I think is very exciting. Details of plastic bags and things like that. So you see – you can always develop something further.

When I studied in the Seventies with Otto Steinert I was h4ly influenced by the formal classics like Eugene Smith or Catier-Bresson. These were very important people for us. But then along came someone like Eugene Richards who did this incredible work which was formally very different – everything was mixed up and you had no idea really where the middle point of the photograph was and thereby it became much more interesting. Someone had suddenly discovered a new way of looking and a new way of framing things and thereby people looked again!

Then you had Sebastiano Salgado, then James Nachtway – you have a whole bunch of photographers who make it their trademark to have a very unique style and try to intentionally look very different to anyone else because you need to have a trademark that makes you look different to be successful.

Christian Reister: Which comtemporary or emerging photographers impress you?

Michael Wolf: I don’t care about the age of a photographer, I just look if their work interests me or not. I like the works of Sebastian Girard, Olaf Unverzart and Raimond Wouda.

Christian Reister: Any new projects intended that you could tell us about?

Michael Wolf: At the moment I still have this huge amount of work to do with Street View. I’m planning a book in 2012. It’s quite a challenge to sit in front of the monitor every day and photograph for three or four hours so I’m doing it piece by piece. Otherwise I’m always going back and forth between Europe and Asia and there are several things I’m working on in China. But that will be a surprise.

Christian Reister: Thank you very much, Michael, for taking your time for this interview.

 

 

Michael Wolf - Foto: Christian Reister

Michael Wolf wuchs in Kalifornien auf, studierte in Berkeley und an der Folkwang-Hochschule in Essen. 1994 ging er für den Stern als Fotoreporter nach Hongkong. Wolf lebte zehn Jahre in China. Seit einigen Jahren lebt er mit seiner Familie in Paris. Er arbeitet als freier Fotograf. (Quelle: wikipedia)

Michael Wolf hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, vor allem bei Peperoni Books.

Website des Fotografen

 

left: Michael Wolf – Photo by Christian Reister

„Die Taktung in Moskau ist härter als in anderen Metropolen“ – Ein Gespräch mit Andreas Herzau über Moskau, Straßenfotografie und seine Fotobücher

Alle Fotos zu diesem Interview sind dem Buch “Herzau | Moscow | Street” entnommen. © Andreas Herzau

Alle Fotos zu diesem Interview sind dem Buch “Herzau | Moscow | Street” entnommen. © Andreas Herzau

Andreas Herzau ist einer der bekanntesten Vertreter der Straßenfotografie in Deutschland. Anlässlich der Veröffentlichung seines Buchs “Herzau | Moscow | Street” haben wir uns im März 2012 in seiner Wohnung in Hamburg getroffen. Das Interview wurde damals auf der Website von Seconds2Real veröffentlicht.

Christian Reister: Dein neues Buch „Herzau | Moscow | Street“ führt uns durch Moskau, eine Metropole, die wie du im Vorwort zum Buch schreibst, auch über zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs den meisten aus dem Westen noch recht unbekannt ist. Wie kam es zu dem Buch?

Andreas Herzau: Nun, die ehrlichste Antwort ist: ich war einfach neugierig. Ich wollte Moskau kennenlernen, auch ein bisschen als Pendant zu New York. Das erste mal war ich für dieses Projekt alleine in Moskau, ohne Anlass, einfach um mich der Stadt anzunähern. Dann fügte sich irgendwie alles: ich hatte zu der Zeit ein Arbeitsstipendium in Sibirien und kam auf meinen Wegen immer über Moskau. So konnte ich Moskau als neues Terrain für mich erschließen. Ein Ansporn für das Buch war auch, dass es über Moskau nicht meterweise Bildbände gibt, im Gegensatz zu beispielsweise New York.

Christian Reister: Du hast dann mehrere Jahre an dem Projekt gearbeitet?

Andreas Herzau: Nein, ich habe das sehr konsequent innerhalb von ca. eineinhalb Jahren fotografiert. Ich bin bei einer solchen Arbeit sehr fleißig. Ich gehe da hin und arbeite 10 Tage von morgens bis nachts. Ich mache da sonst nichts anderes. Insgesamt waren es fünf Aufenthalte von unterschiedlicher Länge.

Christian Reister: Wie fühlt es sich an, in Moskau auf der Straße zu fotografieren? Hast du dich manchmal unsicher gefühlt?

Andreas Herzau: Nun – ich bin ein Kind des Kalten Krieges. Ich habe gelernt, dass alles was östlich der Elbe liegt suspekt und böse ist. Das ist natürlich – auch wenn man sich offen macht – in einem drin. Wir sind es auch nicht gewohnt, die Mimik und die Gesten zu lesen und zu verstehen, die die Leute, die in Moskau leben, an den Tag legen. Die sind einfach anders als hier. Verhaltener und für unseren Geschmack wirken sie teilweise ruppig oder unfreundlich, was aber nicht so gemeint ist. Das ist eher eine Art von Zurückhaltung oder Skepsis.

 

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Als Europäer ist man in Moskau eingeschüchtert aufgrund der Größe der Stadt, aber auch weil man die Zeichen und die Schrift nicht lesen kann. Man spricht die Sprache nicht und man kann nicht mit vielen Konversation auf englisch betreiben. Man ist sehr allein.

Insgesamt ist natürlich auch aufgrund der wirtschaftlichen Situation die Taktung in Moskau härter als in Berlin, New York oder anderen Metropolen. Die Leute, die in Moskau leben, kämpfen ums Überleben. Sie kämpfen für ihr Dasein, für ihre Arbeit. Und die Wege sind irrsinnig weit. Man muss als Moskauer jeden Morgen mit hundertaused Anderen, die die Gänge verstopfen, eine Dreiviertel Stunde mit dreimal Umsteigen durch diese Metro hindurch. Das ist einfach anstrengend. Das prägt die Atmosphäre. Ich habe aber bis auf einen durchgeknallten Typen, der mich als Spion verhaften lassen wollte, keine negativen Erfahrungen gemacht.

 

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Christian Reister: 2003 erschien das Buch „New York“ von dir, es gab „Istanbul“ (2010), ein „Deutschland-Buch“ (2006) – mehrere Bücher, die Städte oder Länder zum Thema haben. Sind sie als eine Art Serie zu sehen oder eher „so entstanden“? Gibt es eine Masterplan und Pläne für weitere Städte?

Andreas Herzau: Es gibt eher den Masterplan, keine Städte mehr zu machen…

Nein – jedes Buch ist mit einem ganz anderen Hintergrund entstanden. Nach New York war ich z.B. von der Zeitschrift art zu einem Streitgespräch zu Sinn und Unsinn von über die Zukunft des Fotojournalismus mit Gilles Peress eingeladen. Da war ich das erste Mal in New York und fand das spannender als gedacht. Ich habe dort angefangen zu fotografiere und hatte das für mich als Projekt zuerst auf ungefähr 10 Jahre angelegt. Durch die Anschläge vom 11. September wurde mir ein Strich durch die Rechnung gemacht und aus dem Projekt wurde etwa ganz anderes als ursprünglich geplant – ich konnte dann nicht mehr einfach weiter als Flaneur durch die Staßen gehen. Es war für mich eine Herausforderung, mich mit diesen vorhandenen Bildern von der meistfotografierte Stadt der Welt, die jeder kennt, auseinander zusetzen und mich daran zu reiben. Die ersten Bilder haben damals sehr viel Zuspruch erfahren, auch in Form von Printverkäufen, was dem Projekt enormen Rückenwind gab.

Das Buch „Calcutta Bombay / Eight days by Taxi“ war eigentlich ein Auftrag für die Zeitschrift Brigitte, aus dem dann auch ein Buch wurde.

„Deutschland“ wiederum war der Startschuß für meine Idee gewesen, mich mit Europa auseinander zusetzen. Ich wollte bewusst erst mal vor der eigenen Haustüre kehren, weil das immer das schwierigste ist. Daraus sind dann die Ideen zu „Istanbul“ als Stadt an der Schnittgrenze Europas und Moskau als Stadt hinter der Grenze entstanden. Ich wollte mich auf Europa eher von den Rändern aus hinbewegen. Es gibt also ein paar lose Ideen, die die Bücher zusammenhalten, aber keinen Masterplan.

Christian Reister: Auch schon mal über ein Hamburg-Buch nachgedacht? Du wohnst in dieser Stadt ja seit über 20 Jahren. Fotografierst du hier viel auf der Straße?

Andreas Herzau: Ich finde Hamburg eher langweilig. Hamburg ist so… (überlegt) …behäbig, rundgelutscht und sozialdemokratisch weichgespült.

Ich bin einmal spät – so gegen halb elf, elf – alleine, mit Zeit und mit der Kamera durch die Stadt gelaufen und habe dort fotografiert. Ich bin sonst nie nachts in der Innenstadt. Das fand ich ziemlich spannend – diese Zwischenzeit: Verkäuferinnen gehen nach hause, die Leute räumen auf, dazwischen ein paar Fetengänger, die ersten Straßenreinigungsarbeiten. Das ist jetzt aber nicht speziell Hamburg – eher „die Stadt bei Nacht“. In der Straßenfotografie kommt das in einzelnen Bildern zwar immer mal wieder vor, aber nicht als konzeptionelle Arbeit. Etwas in die Richtung würde mich reizen, aber Hamburg im speziellen interessiert mich nicht so sehr.

 

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Christian Reister: Was ist deine Auffassung von guter (Straßen-) Fotografie und was fasziniert dich so an ihr?

Andreas Herzau: Diese Städtethemen machen mir großen Spaß, weil das Machen an sich so toll ist. Ich mache das einfach mit einer unglaublichen Begeisterung, komme da ein bisschen in einen anderen Aggregatzustand, sauge alles in mich auf. Zu gestalten, zu formen, in dieses Rechteck zu pressen, auch das was ich empfinde – diese Übersetzungsleistung. Das funktioniert für mich so reibungslos, so dass mir das einfach großes Vergnügen macht.

Es ist auch eine Methode, mich mit der Fragestellung auseinander zusetzen: Wie fotografiere ich als dokumentarischer Fotograf, der überwiegend an gesellschaftlichen Zuständen interessiert ist, heute bestimmte Themen, die gesellschaftliche Relevanz haben? Die Street Photography in der Art wie ich sie mache, ist da eine Antwort darauf, wobei sie aber sehr allgemein bleibt. Die Bilder spiegeln eine gewisse gesellschaftliche Realität wider und jedes mal, wenn ich auf die Straße gehe, bin ich mit der Jetztzeit konfrontiert. Die Straße ist die Bühne und die Stadt bildet die Kulisse für ein zeitgemäßes Stück.

Aber: es bleibt auch ein bisschen undefiniert. Und ich habe das Gefühl, dass es für Dokumentarfotografen wichtig geworden ist, wieder mehr Stellung zu beziehen. Straßenfotografie ist sehr feuilletonistisch und ich habe manchmal das Gefühl, man ist mit diesem – ich nenne es jetzt einfach mal Fotojournalismus – ein bisschen am Ende. Jedenfalls mit so ganz bodenständigen Themen wie z.B. Armut. Wie fotografiere ich heute Armut, ohne einer 80er-Jahre-Betroffenheitsfotografie zu verfallen sondern einen intelligenten Beitrag zu leisten und etwas sichtbar macht, was heutzutage nicht mehr so einfach sichtbar ist? Oder: wie fotografiere ich Krieg?

 

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Christian Reister: Stilistisch fallen an deinen Arbeiten zwei Stilmittel auf, die für dich sehr markant sind: Die oft geringen Tiefenschärfen und der Mix aus Farbe und Schwarzweiß. Gerade letzteres ist gemeinhin eher verpönt, funktioniert aber in deinen Büchern als wäre das die normalste Sache der Welt. Ist das ein bewusstes Verweigern von Konventionen?

Andreas Herzau: Ich unterscheide zwischen Buntfotografie und Farbfotografie. Farbfotografie ist für mich eine Fotografie, in der Farbe als bewusstes Gestaltungsmittel eingesetzt wird. Bilder, die in Schwarzweiß keinen Bestand hätten. So wie es auch Schwarzweißfotos gibt, die durch die Abstraktion ins schwarzweiße nur als Schwarzweißfoto funktionieren.

Buntbilder hingegen sind eher langweilig. Da ist zwar Farbe drin, es ist aber egal, ich nehme sie nicht wahr. Aus diesen Standpunkten heraus gibt es in meinen Serien Bilder, die nur mit oder nur ohne Farbe funktionieren.

Die Fotos im Moskau sind noch analog entstanden. Ich habe mit zwei Gehäusen gearbeitet – eins mit Schwarzweiß-, eins mit Farbfilm. Das wurde nicht nachträglich umgewandelt und entstand aus dem Bedürfnis heraus, beide Möglichkeiten bewusst einzusetzen und es nicht als Gegensatz zu empfinden.

Es gibt auch einen inhaltlichen Aspekt: in Moskau z.B. ist es sehr interessant, wie ich um eine Ecke biege und mich wie in der tiefsten Sowjetunion fühle, um die nächste Ecke habe ich aber plötzlich das Gefühl, in Paris oder Mailand gelandet zu sein. Das Schwarzweiße steht für eine Referenz in die Vergangenheit, die Farbe für die Jetztzeit.

Letztlich ist die Mischung aber auch ein Spaß am Scratchen. Denn das ist es letzlich: wie das Scratchen in der Musik.

Christian Reister: Welche zeitgenössischen Fotografen haben dich in letzter Zeit beeindruckt?

Andreas Herzau: Aktuell gibt es immer wieder einzelne Arbeiten, die ich sehr spannend finde und wo ich merke, da ist klug nachgedacht worden. Wenn professionelle, lang arbeitende Fotografen klug nachdenken, kommen in der Regel auch kluge Fotos dabei raus. Pieter Hugos „Permanent Error“ hat mich zum Beispiel sehr begeistert. Ein interessantes Thema, auf eine Art und Weise fotografiert, die nicht auf Emotionen abzielt, sondern mir einfach etwas klar macht.

Christian Reister: Die Straßenfotografie war ja recht lange eher eine Nische, wenn nicht sogar als altmodisch und überholt angesehen. In den letzten Jahren ist das Genre wieder sehr populär geworden. Es gibt immer mehr, die sich Straßenfotograf nennen und eigentlich nur Klischees reproduzieren. Siehst du dich als Teil des Genres oder gehst du lieber auf Abstand?

Andreas Herzau: Ich sehe mich schon als Teil dieses Genres. Ich bin – zumindest in Deutschland – recht bekannt für das was ich tue und das war auch vor zwanzig Jahren der Beginn meiner Karriere: ich bin einfach vor die Tür gegangen, habe fotografiert und habe diese Fotos angeboten. Sie sind gedruckt worden. So konnte ich bald besser davon leben als vom Schreiben, was ich zuvor gemacht habe. Erst als ich für die Magazine gearbeitet habe, wurden es Themen. Davor bin ich durch die Gegend gelaufen und habe fotografiert, was bei drei nicht auf den Bäumen war.

Für unseren Blog „Hello New York Hello Hamburg“, den ich mit Stefan Falke zusammen betreibe, erhalten wir viele Einsendungen von Fotografen. Manches ist gut, aber es kommt da auch unglaublich viel Scheiß. All diese Motive „alte Oma auf dem Balkon mit Lockenwickler“, „kleine Kinder mit Wasserspritzpistole“, angeschnittene Hundeschwänze… Fotos, die nett sind, aber eine flache ästhetische Oberfläche sind, nichts mehr. Das Problem bei vielen dieser Fotos, die ich sehe, ist die enorme Beliebigkeit. Ich kucke mir das an, weil irgendjemand „Straßenfotografie“ drübergeschrieben hat und bin dann bitter enttäuscht. Es gibt da ja auch ein paar Hyperaktivisten, die jeden Furz, den sie machen twittern, posten, facebooken… unerträglich finde ich das.

 

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Christian Reister: Was gibt es als nächstes von dir zu erwarten? Ausstellungen, sonstige Projekte?

Andreas Herzau: Jetzt kommt erstmal das neue Moskau Buch in die Läden, dann wird es im Sommer (Eröffnung 22.Juni 2012) bei meinem Galeristen Robert Morat eine Ausstellung mit neuen Arbeiten aus den letzten 4 Jahren geben. Für das kommende Jahr 2013 habe ich nun eine Anfrage für eine Werkschau …. also es gibt viel zu tun, aber es sind alles Projekte auf die ich mich sehr freue und in solchen Fällen kann ja Arbeit auch richtig Spaß machen.

Christian Reister: Besten Dank für das Gespräch.

Andreas Herzau, * 1962 in Mainz, lebt in Hamburg und ist ein deutscher Fotograf und Dozent für Fotografie.
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Trailer zum Buch„Herzau Moskow Street“
„Herzau Moskow Street“ bei BRAUS