„Wir möchten die Menschlichkeit in der Fotografie zurückholen“ Sebastian Gansrigler im Interview mit Christian Reister

Die erste Ausgabe des Auslöser

Christian Reister: Im März erscheint die erste Ausgabe des Magazins „Auslöser“. Braucht die Welt tatsächlich noch ein neues Fotomagazin?

Sebastian Gansrigler: Ich denke es gibt momentan genug Medien am Markt, die sich auf einer technischen und oberflächlichen Weise mit Fotografie auseinandersetzen. Also so gesehen braucht die Welt wirklich kein neues Fotomagazin. Was wir mit dem Auslöser erreichen möchten, ist die Menschlichkeit in der Fotografie zurückzuholen, die Fotografie allgemein zu entschleunigen und wirklich diese wundervollen, persönlichen Geschichten hinter den Fotos zu erzählen. Das machen sehr wenige Magazine und können auch nur wenige, und wenn dann nur in einer sehr kurzen, reduzierten Form. Das ganze Projekt hat natürlich auch alles viel mit Zeitlosigkeit zu tun. Wir bringen keine Ausstellungsnews und berichten auch nicht über die neueste Kamera und wie viele Megapixel die hat. Wir versuchen da wirklich in die Tiefe zu gehen und alles zu hinterfragen, Traditionen aufzubrechen und in einer verstaubten Medienlandschaft etwas Lebendiges, Frisches durchzusetzen.

Christian Reister: Wer ist „wir“?

Sebastian Gansrigler: Ich bin selbst Fotograf und medienübergreifend, von Webdesign bis Print, unterwegs. Arbeite hauptsächlich für Museen und Galerien in Wien, aber auch sehr gemischt Aufträge für verschiedenste Firmen. Durch den Auslöser kann ich alle diese Bereiche verbinden, was wirklich viel Spaß macht. Und dazu habe ich für den Auslöser ein kleines Team aufgebaut. Ich wollte nicht, dass die Ansichten und Aussagen alle nur an mir hängen und von mir kommen.

Mit Kay von Aspern und Niko Havranek mache ich die Auswahl und Zusammenstellung der FotografInnen, das ist schon ein langer Rechercheprozess für jede Ausgabe. Wir stellen den Inhalt sehr kontrastreich zusammen und haben kein Thema und keine Kategorien. Kay und Niko sind beide großartige Fotografen, die sich in dem Bereich auch richtig auskennen und sich damit intensiv beschäftigen. Martina Schreiner übernimmt das Marketing, Social Media und Eventplanung. Meine Schwester, Veronika Gansrigler, macht das Lektorat und die Übersetzung von Deutsch zu Englisch bzw. Englisch zu Deutsch. Das sind auch wieder zwei große Bereiche, die sehr wichtig sind. Im Grunde ist der Auslöser jetzt von einer kleinen Idee zu einem großen Team- und Communityprojekt gewachsen. Eigentlich verrückt und ich versuche das selbst noch alles zu realisieren. Das ging alles sehr schnell.

Christian Reister: Ein Verlag steht also nicht dahinter, viel mehr ein Team aus Wiener Enthusiasten.

Sebastian Gansrigler: Ja, genau.

Christian Reister: Wie finanziert ihr den Auslöser und wie wird er vertrieben?

Sebastian Gansrigler: Es war von Anfang wichtig, dass das ein unabhängiges Magazin werden soll. Natürlich, ganz unabhängig ist nie etwas. Wir sind sehr dankbar, dass wir ein paar Firmen gefunden haben, die uns finanziell unterstützen können. Die Druckkosten sind doch recht hoch. So eine sehr positive Rückmeldung habe ich mir anfangs gar nicht erwartet. Zu der Zeit war das Magazin ja noch gar nicht am Markt, trotzdem haben wir schon großartige Partner und Supporter wie z.B. in Wien das WestLicht, Kunstforum, Kunsthalle, Secession gewinnen können, die uns auch dieses Vertrauen geschenkt haben. Teilweise sind da auch größere Kooperationen geplant und teilweise sind das reine Anzeigenplatzierungen im Magazin. Also es gibt durchaus Werbung in jeder Ausgabe. Die ist sehr reduziert und einheitlich mit einem Logo gestaltet. Das fällt fast nicht als Werbung auf, weil sie sich so schön und harmonisch in das Layout einfügt. Das hat eine Zeit gedauert bis das überhaupt verstanden wurde und angekommen ist, ich glaube das ist ein sehr neues Konzept. Aber einige Indie Magazine machen das so, finde ich richtig großartig. Man liest die Werbung dann sogar gerne. Mit dem Auslöser haben wir da echt jetzt sehr viel Kontrolle über die Gesamtgestaltung, das ist weit entfernt von selbstverständlich. Wenn bei einem gedruckten Magazin schon die ersten 12 Seiten mit kunterbunter Werbung vollgestopft sind, mache ich das meistens gleich wieder zu. Da vergeht mir die Lust am Lesen.

Den Vertrieb machen wir auch selbst, über unseren Onlineshop. Wir bringen jede Bestellung selbst händisch zur Post und jede/r BestellerIn bekommt eine persönliche Notiz dazu. Immer wenn ich jetzt über den Onlineshop eine neue Vorbestellung sehe, bin ich total aufgeregt und freue mich riesig und muss gleich nachschauen, woher die Person kommt und was die macht. Das wäre bei einem großen Verlag oder Vertriebspartner gar nicht möglich. Da würde mir die persönliche Verbindung zum/r LeserIn fehlen. Wir beliefern dann auch einige ausgewählte Buchhandlungen, Galerien, Museums- und Magazinshops für den Anfang in Österreich und Deutschland, wo man den Auslöser dann auch einfach physisch ansehen und kaufen kann. In Berlin und München gibt es großartige, die speziell nur Indie Magazine verkaufen. Das ist eine sehr schöne Szene.

Christian Reister: Kommen wir zum Inhalt der ersten Ausgabe. Ihr habt vier recht unterschiedliche Fotograf*innen
im Heft, mit denen ihr Interviews geführt habt. Diese Interviews erscheinen im Heft zusammen mit Fotografien der Interviewten und haben eine Länge, die weit über den üblichen Rahmen hinausgehen.

Sebastian Gansrigler: Ja, das sind wirklich Langforminterviews. Jede/r FotografIn bekommt 26 bis 30 Seiten im Magazin. Das ist so toll, weil man dadurch wirklich in die Materie, Arbeit und Persönlichkeit eintauchen kann. Ich habe jetzt selbst durch diese Gespräche extrem viel gelernt. Das kann man gar nicht mit dem Lernstoff eines Workshops, einer Fotoschule oder Universität vergleichen. Das ist viel intensiver, was wir hier versuchen.

Christian Reister: Nach welchen Kriterien seid ihr bei der Auswahl vorgegangen?

Sebastian Gansrigler: Zur Auswahl des Inhalts fließen viele verschiedene Kriterien mit rein. Da wir keine Themenvorgaben haben, stellen wir die FotografInnen so unterschiedlich wie nur möglich zusammen. Wir mischen das auch bunt durch, was das Alter, die Herkunft, die Sprache, die Fototechnik, den Stil und den Bekanntheitsgrad betrifft. Wir setzen berühmte FotografInnen neben sehr unbekannte, sehr junge neben ältere. Dadurch entsteht ein sehr spannender Kontrast und sehr unterschiedliche Ansichten. Wir beleuchten dadurch die Fotografie aus vielen verschiedenen Perspektiven und zeigen, wie breit gefächert sie sein kann.

Wichtig ist uns, dass wir pro Ausgabe immer zwei Frauen und zwei Männer zeigen. Ich denke, dass in der Fotografieszene und generell noch immer eine größere Repräsentation von Frauen und deren Arbeiten fehlt. Gegen genau das kämpfen wir auch an. Abgesehen davon, suchen wir in erster Linien nach guten Geschichten, nicht nur guten Fotos. Der/die FotografIn muss einen bestimmten, bewussten Zugang und Reflektion über die eigene Arbeit haben. Das ist natürlich bei manchen mehr, bei anderen weniger der Fall.

Christian Reister: Wie wurden die Interviews geführt? Klassisch bei einem persönlichen Treffen oder per Email-Ping-Pong, so wie wir das gerade tun?

Sebastian Gansrigler: Unterschiedlich. Immer was zeitlich oder auf Grund der Location möglich ist. Wolfgang Zurborn, der in Köln lebt, konnten wir in Salzburg persönlich treffen. Er hat dort im Fotohof gerade sein neues Buch „Karma Driver“ vorgestellt und davor haben wir das Interview mit ihm gemacht. Das war, glaube ich, sogar das längste Gespräch von den vier. Wolfgang kann sehr gut und sehr genau über seine Arbeiten reden, und auch sehr viel, wir mussten sogar große Teile davon streichen, war sehr schade war, aber wir möchten uns natürlich auf die Essenz und die Kernaussagen fokussieren. Ich habe schon überlegt nach ein paar Jahren dann eine eigene Publikation mit den Outtakes zu machen. Das wäre sicher lustig.

Friedl Kubelka hat ihr Atelier in Wien, wir konnten sie auch persönlich treffen. Ich war jetzt sogar schon zweimal bei ihr und jedes Mal entstehen sehr schöne Gespräche. Es ist sehr unterschiedlich wie jede Person auf die Interviewfragen reagiert und antwortet. Manche introvertiert und man muss das Interview mehr lenken, andere weniger und der Redefluss entsteht von selbst. Bei unserer Recherche notieren wir viele Fragen, aber beim tatsächlichen Interview entstehen oft ganz andere Dinge, die wir vorher gar nicht absehen oder einplanen konnten, da sind wir dann auch flexibel und passen die Fragen an. Wir möchten die Gespräche auf jeden Fall als natürlich und sehr flüssig zeigen.

Mit Yanina Boldyreva und Brian Finke war das etwas schwieriger. Yanina lebt in Novosibirsk, im tiefsten Russland. Ich wäre sogar gerne hingereist, aber das Reisebudget reicht noch nicht ganz aus. Mit ihr haben wir das Interview schriftlich über Skype gemacht und es wurde sehr spannend, obwohl sie viel besser Russisch als Englisch spricht und schreibt. Mir ist dann im Nachhinein bei der Übersetzung ins Deutsche und der Korrektur des englischen Textes vieles noch klarer geworden. Die Sprache und Kommunikationseinschränkungen darf man nicht vergessen, habe ich unterschätzt. Mit Brian Finke, aus New York, war das Interview verbal über Skype und eher kürzer und auf den Punkt gebracht. Ich denke, man merkt auch sofort wenn jemand schon öfters Interviews gegeben hat.

Christian Reister: Wer führt die Interviews? Habt ihr verschiedene Autoren?

Sebastian Gansrigler: Bis jetzt waren drei von mir geführt und eines gemeinsam mit Niko. Die Fragen recherchieren wir alle gemeinsam. Ich glaube im Laufe der nächsten Ausgaben werden wir das alles erst herausfinden, wie das am besten funktioniert. Wir sind keine Journalisten und keine Kunsthistoriker, es kommt alles aus einer persönlichen Perspektive. Erst viel später im Nachhinein ist mir bewusst geworden, dass das Interview, welches ein bis zwei Stunden dauert, die wichtigste Zeit des ganzen Projektes ist. Das ist der kürzeste Teil von allem, aber genau dieses Teil ist der wichtigste. Da wird man bisschen verrückt wenn man sich das kurz vor dem Treffen durch den Kopf gehen lässt.

Christian Reister: Neben den Interviews mit den Fotografen habt ihr auch eine Geschichte über Steidl im Heft. Wie war’s in Göttingen? War es einfach, als vollkommen neues Magazin in die heiligen Hallen der Druckerei zu kommen?

Sebastian Gansrigler: Ich war extrem überrascht, dass wir überhaupt eine Antwort, und dann sogar eine Einladung bekommen haben. Ich hatte einfach per E-Mail zweimal angefragt ob wir ein Interview machen dürften und das Konzept zum Magazin auf 12 Seiten dazugeschickt. Genau wie Friedl Kubelka gibt auch Steidl sehr wenige, nur speziell ausgewählte, Interviews, was mir stark bewusst war. Den Film „How to make a book with Steidl“ habe ich oft gesehen, der ist auch bekannt und die Reportage im New Yorker über ihn fand ich auch großartig.

Gerhard Steidl persönlich hat mich dann an einem Sonntag zu Mittag angerufen. Ich war am Telefon etwas mehr als verblüfft. Den Termin zum Besuch haben wir dann zwei Monate im Voraus ausgemacht. Wie wir dann dort in Göttingen waren, war das wie eine andere Dimension, die man betritt. Sie nennen das nicht ohne Grund „Steidlville“. Es ist alles perfekt geplant und durchdacht. Jeder einzelne Produktionsschritt von jedem Buch wird von Gerhard Steidl persönlich kontrolliert. Wir haben am Anfang eine lange Tour durch alle Gebäude und alles genau erklärt bekommen und durften alles fotografieren. Wir haben sogar einen Schlüssel bekommen und durften jederzeit überall hinein. Eine extrem sympathische, freundliche Stimmung liegt in der Luft. Es hat doch alles eine gewisse Strenge, aber dadurch erzielt man wohl diese hohe Qualität, wofür Steidl so bekannt ist. In Göttingen haben wir übernachtet und den nächsten Tag auch noch bei Steidl verbracht. Um fünf Uhr Früh waren wir dabei wie Herr Steidl die Druckerei, was er jeden Morgen macht, aufsperrt. Später kommen dann die Mitarbeiter nach und nach. Wir besuchten sogar sein Privathaus und Archiv. Wer ein Steidl Buch kennt, kennt auch diesen bestimmten Papiergeruch. Der ist auch überall in der Druckerei präsent. Man merkt, dass das eine Kultur ist, die sich um die Kunst herum bewegt, um die Liebe zur Fotografie, zum Papier und zum Handwerk. So etwas ist ganz besonders
und extrem selten.

Zum Abschied haben wir noch eine große Tasche an Steidl Büchern und Katalogen erhalten. Es war eine sehr surreale Reise, ein wunderschöner, herzlicher Aufenthalt mit vielen spannenden Gesprächen. Eine sehr besondere Erfahrung. Ich musste mich noch ein paar Tage später davon „erholen“. Im Auslöser zeigen wir davon viele Zitate begleitet von einer langen Fotostrecke.

Christian Reister: Letztlich gibt es dann auch noch ein wenig Kameratechnik im Heft.

Sebastian Gansrigler: Wir zeigen pro Ausgabe eine Kamera im Detail, aber da geht es gar nicht um die Technik, sondern mehr um die Ästhetik des Objekts und die Geschichte dahinter. Von den meisten Magazinen wird die Kamera immer rein technisch beschrieben, was sie aber ja nicht ist. Natürlich ist sie ein Werkzeug, genau wie für einen Tischler der Hammer und der Nagel. Aber diese Objekte haben noch ganz andere Seiten. Wir behandeln das fast so, als wäre die Kamera ein Mensch, der uns eine Geschichte erzählt, als würden wir ein Interview mit der Kamera führen.

In der ersten Ausgabe zeigen wir Susse Frères Daguerréotype, die erste kommerziell hergestellte Kamera der Welt, und die Letzte ihrer Art, die noch existiert. Dazu haben wir eine tolle Kooperation mit dem WestLicht Kameramuseum in Wien gemacht. Die Kamera ist dort im Schaudepot ausgestellt, wir durften sie herausnehmen und in unserem bestimmten Studiosetup ausleuchten. Sie feiert mit uns heuer 180 Jahre Fotografie und somit die Erfindung und Gründung des fotografischen Verfahrens, wie wir es heute kennen. Ich denke, das ist super passend für die erste Auslöser Ausgabe, auch wenn wir vom „Auslösen“ ansich sprechen.

Christian Reister: Ist zur Veröffentlichung der ersten Nummer ein Event geplant?

Sebastian Gansrigler: Da bin ich schon sehr aufgeregt. Das ist am 7. März 2019 von 18:00 bis 22:00 im VIU Store Neubaugasse in Wien. Wir werden dort eine große Magazin Release Party feiern und den Auslöser präsentieren. Es gibt Goodie Bags, Poster, Getränke und gute Musik. Ich hoffe, dass der Auslöser dadurch auch etwas beworben wird, da es ja um die Unterstützung der Community und FotografInnenszene durch diese Geschichten geht. Und diese Geschichten wollen wir verbreiten und weitererzählen. Ich freue mich schon sehr auf mehr Feedback.

Christian Reister: Gibt es schon konkrete Pläne für die zweite Ausgabe?

Sebastian Gansrigler: Wir recherchieren schon intensiv und möchten mit der zweiten Ausgabe noch verrückter und mutiger werden. Ich hoffe die Leute sehen in welche Richtung wir mit dem Auslöser mit der ersten Ausgabe gehen und diese Richtung wollen wir vertiefen und noch weiter ausbauen. Die Fotografie hat so viel zu bieten, da gibt es endlos viel Material und die Selektion und Zusammenstellung ist schwierig und spannend.

Christian Reister: Gibt es eine Art Traum-Interviewpartner, die oder den du früher oder später interviewen möchtest?

Sebastian Gansrigler: Ich denke, dass es sehr viele Traum-Interviewpartner gibt. Gerhard Steidl war ganz weit oben auf der Liste. Eine Person in der Schweiz habe ich auch interviewt, da möchte ich aber noch nicht zu viel verraten. Generell denke ich aber, dass man sich vom Status und Bekanntheitsgrad nicht ablenken lassen sollte. Ich glaube eher, dass das Entdecken des Unbekannten viel mehr Spaß macht. Und auf Langzeit gesehen, dass dadurch viel schöne Beziehungen und Freundschaften wachsen können.

Obst und Muse ist auch eine große Inspiration für den Auslöser und ich finde sehr schön was ihr macht. Ich möchte dir herzlich danken für das Interview!

Christian Reister: Mein Dank zurück und viel Erfolg mit dem Auslöser!

Sebastian Gansrigler

Sebastian Gransrigler, *1994,  ist Herausgeber des neuen Fotomagazins Auslöser. Er arbeitet als unabhängiger Fotograf und Grafikdesigner für Museen und Galerien in Wien.

gansrigler.com
ausloeser.org

„Berlin – Alles ist möglich“ – Florian Reischauer und Christian Reister im Gespräch über Pieces Of Berlin

der david und der louis

berlin – der david und der louis

der graham

berlin – der graham

die kaya

berlin – die kaya

Christian Reister: Florian, bevor wir auf deine fotografische Arbeit zu sprechen kommen, ein paar Worte zu dir. Du bist Österreicher und Ende der Nuller Jahre in Berlin aufgeschlagen. Wie alt warst du damals und warum gerade Berlin?

Florian Reischauer: 2007 bin ich in Berlin angekommen und ich war 22 Jahre alt. Berlin war für mich damals eine große Unbekannte, aber ich wollte und musste eine neue Heimat für mich finden. Mein Bild der Stadt, die ich noch nie zuvor besucht hatte und die ich ausprobieren wollte, war geprägt durch Herr Lehmann und den Leuten die sagten: „zum Geld verdienen brauchst du hier her nicht kommen, zum Leben schon.“.

Christian Reister: Hast du in Berlin angefangen zu fotografieren oder schon vorher? Was hast du in deiner alten Heimat gemacht?

Florian Reischauer: Ich hatte bereits in Wien damit angefangen und an der Graphischen Fotografie studiert. Ich bin direkt nach dem Abschluss nach Berlin mit dem Ziel als Fotograf zu arbeiten.

Christian Reister: Nun, das klingt nun wirklich nach Herrn Lehmann: mit dem Ziel, als Fotograf zu arbeiten, bist du ausgerechnet in die Stadt gezogen, von der man dir erzählt hat, dass es hier kein Geld zu verdienen gibt. Wie einfach war es für dich, hier Fuß zu fassen? Was waren die ersten Jobs?

Florian Reischauer: Nun ja, ich wollte mich von diesen Stimmen nicht beirren lassen, und dachte mir, dass schon irgendwie alles klappen wird. Nach dem Motto: Berlin – alles ist möglich. Ich hatte gleich anfangs die Chance für eine Künstlerin zu arbeiten. Neben Dunkelkammer, Lichtbestimmen, Kommunikation und Ausstellungsvorbereitungen bekam ich da einen tollen und inspirierenden Einblick in den Künstleralltag. Gleichzeitig hatte ich eine Assistenz für einen Fotografen begonnen und nebenbei entwickelten sich eigene Fotojobs und es blieb eben auch noch Zeit eigene Projekte zu realisieren.

Christian Reister: …und eines dieser freien Projekte war dann „Pieces Of Berlin“, ein Langzeitprojekt, das ich damals zuerst über deinen Blog kennengelernt habe. Es gab dort Stadtansichten, aber hauptsächlich immer wieder neue Porträts von Menschen auf der Straße, kombiniert mit kurzen Texten, in denen du die Person beschreibst. Wie ist die Idee für das Projekt entstanden und wie wichtig war von vornherein der Blog, der ja sehr bekannt wurde und über den man das Wachstum der Serie quasi „live“ verfolgen konnte?

Florian Reischauer: Als ich hier ankam war vieles neu für mich. Der ganze Platz, die urbanen Wastelands, die vielen Möglichkeiten, das unvergleichbar Improvisierte. Da mir am Anfang auch noch nicht klar war, wie lange ich wohl in Berlin bleiben würde, hatte ich immer meine alte Kamera dabei, um für mich, etwas tagebuchartig, die Stadt zu erkunden beziehungsweise zu dokumentieren. Schnell wurde mir klar, dass gerade solche Brachen sehr schnell verschwinden und wie rasant sich sowieso alles verändert in Berlin. So begann das Sammeln. Durch die Neugier nach mehr und auch wegen des gewonnen Bewusstseins, eine neue Heimat gefunden zu haben, wollte ich die Stadt vor allem durch ihre Einwohner kennen lernen. Der Blog war natürlich in dem Sinne wichtig, da es eine einfache Methode war etwas zu publizieren und es für alle zugänglich zu machen.

Christian Reister: Die Porträtierten sind in der Regel Zufallsbekanntschaften von der Straße, richtig? Nach welchen Kriterien gehst du vor, wenn du Menschen ansprichst?

Florian Reischauer: Genau, hier spielt der Faktor Zufall eine große und wichtige Rolle. Ich spreche im Prinzip jede*n an, und versuche so uneingenommen wie möglich zu sein. Für jeden Spaziergang nehm ich mir in der Regel einen Rollfilm mit, 12 Fotos, pro Person auch nur ein Bild. Das Einzige auf das ich bei der Auswahl jedoch achte, ist ein ausbalanciertes Geschlechterverhältnis der Porträtierten.

Christian Reister: Gibt es viele Ablehnungen?

Florian Reischauer: Im Schnitt würde ich sagen, dass ca. die Hälfte der Leute mitmacht. Aber es kommt natürlich auch auf Faktoren wie Wetter und Jahreszeit an. Generell ist es einfacher junge und alte Menschen davon zu überzeugen. Das „Mittelalter“ ist da bei weitem nicht so offen, bzw. auch oft sehr misstrauisch. Im Grunewalder Villenviertel ist es zum Beispiel auch schwieriger, in Kreuzberg oder Nordneukölln deutlich einfacher. Man kann da natürlich Tendenzen aufzeigen, aber im Endeffekt wird man sehr oft überrascht, und das ist das spannende und schöne daran. Man muss halt hartnäckig bleiben.

Christian Reister: Lässt du dir ein Model Release für die Veröffentlichung unterschreiben?

Florian Reischauer: Nein, es gibt tatsächlich kein Model Release. Es basiert quasi alles auf Vertrauen. Ganz am Anfang hatte ich eins mit, aber das war zumindest für mich eine unangenehme Situation, jemanden dem man gerade kennen gelernt hat, eben das Vertrauen gewonnen hat, ein Formular unter die Nase zu halten.

Christian Reister: Apropos Vertrauen: 2013 hast du dein erstes Buch über Crowdfunding finanziert. Erzähle doch mal, wie das lief – wie viele haben mitgemacht, um welche Summe ging es und wie hast du die Supporter erreicht? Von deinem Blog haben wir schon gesprochen, das Projekt hatte offensichtlich schon eine gewisse Fanbase.

Florian Reischauer: Das Crowdfunding hatte sehr gut funktioniert. Ich hatte dazu lediglich eine eigene Seite am Blog online gestellt mit allen Infos und Unterstützungsmöglichkeiten, wie Pre-orders usw. Das Ganze lief so zusagen autark ohne einer der bekannten Crowdfunding-Plattformen. Auch ein Experiment so zu sagen, da ich damit überhaupt keine Erfahrung hatte.

Voraussetzung, dass es geklappt hat, waren natürlich die vielen Follower, die sich in den 5 Jahren davor gesammelt hatten und der Zeitpunkt war auch nicht verkehrt, da die Kampagne kurz vor der Einführung der „sponsored posts“ auf Facebook gelaunched wurde. Man konnte daher noch eine sehr hohe Reichweite mit der Facebook Fanpage generieren. Am Ende waren es über 100 Unterstützer und eine Summe von ca. 5000 € die das erste Buch möglich gemacht haben, bzw. einen Großteil des ganzen Budgets eingespielt haben.

Christian Reister: Das Buch ist gestalterisch nichts von der Stange. Offene Fadenbindung, Graukarton-Cover mit ausgepartem Rahmen für ein Bild, das dahinter eingeklebt ist. Ich glaube das ist sogar ein Original-Fotoprint? Außerdem gestempelt, nummeriert, signiert, alles mit sehr viel Liebe gemacht. Das ist alles sehr stimmig bis ins Detail, weshalb das Buch auch zu Recht für den Deutschen Fotobuchpreis nominiert wurde. Wie bist du damals an die Gestaltung rangegangen und wo hast du das Buch drucken lassen?

Florian Reischauer: Das Buch kam tatsächlich quasi als „Rohling“ von der Druckerei (Livonia Print in Riga) und ich habe den „Cover Print“ dann selbst reingeklebt. Ich mochte den Gedanken, jedes einzelne Buch noch in der Hand zu haben und selbst das i-Tüpfelchen draufzumachen – sprich nach der maschinellen Erzeugung noch bisschen eigene Handarbeit. Das hat Spaß gebracht. Beide Bücher sind mit dem Wiener Gestalter Stefan Bauernberger (http://stefanbauernberger.com/) entstanden. Das Erste hatte ich ganz am Anfang schon sehr klar im Kopf wie es aussehen sollte, Stefan hat alles verfeinert und sich vor allem dann um die Typo und Textlayout gekümmert.

Das zweite Buch war deutlich herausfordernder. Die Frage war, wie schafft man eine intensive Weiterentwicklung, packt symbolisch Stadtentwicklungen mit rein und wie kann man den Wiedererkennungswert der Serie beibehalten. Wie kann man Kontraste, die das Berliner Stadtbild so stark bietet, auch gestalterisch mit einfließen lassen – usw.! Gleichzeitig hatte ich mir vorgenommen, viel freier und frecher zu agieren. Auch der Fotografie oder dem Foto an sich gegenüber: weg vom starren 6×6 Quadrat, das für mich vor 5 Jahren und im ersten Buch quasi noch unantastbar war.

Am Ende war es viel Recherche und ein geniales Ping-Pong Spiel, in dem wir uns Ideen und Vorschläge permanent hin und her geschickt hatten, bis das Buch immer klarer wurde. Eine inspirierende und spannende Zusammenarbeit.

Christian Reister: Wie im ersten Buch, das die Jahre 2009-2013 umfasst, sind auch im zweiten (2014 – 2018) die Themen der Protagonisten breit gefächert. Es fällt aber auf, daß sich jetzt viele um die steigenden Mieten und generell um die Gentrifizierung Berlins große Sorgen machen. Zu diesem Thema hast du auch mehrere Texte verschiedener Autoren mit aufgenommen, u.a. von Andrej Holm und Michael Prütz, einem Vertreter der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“. Damit beziehst du klar Stellung. Wie wichtig ist dir die gesellschaftspolitische Komponente des Buchs? Und generell in deiner Arbeit als Künstler?

Florian Reischauer: Die rasant steigenden Mieten, Angst aus dem Kiez verdrängt zu werden, usw. waren mit Abstand die am häufigsten genannten Sorgen der porträtierten Berliner*innen. Das war eben der Anlass diese Themen zu vertiefen und dazu wollte ich Experten aus dem wissenschaftlichen, aktivistischen und juristischen Bereich zu Wort kommen lassen. Ziel war es den Status Quo zu erörtern, Möglichkeiten zur Veränderung aufzuzeigen und einen Ausblick in die Zukunft zu geben. Es war ein Versuch einer positiven Herangehensweise an dieses Problem und auch das Herausstreichen einer Berliner Tugend bzw. eines Zeitgeistes der meiner Meinung nach noch immer gültig ist: “Berlin – Alles ist möglich” Die Stadt beheimatet eine ausgeprägte kritische Masse wie keine andere, und die ist auch das A und O in dieser Frage. Mir persönlich ist es wichtig, dass das Buch diesbezüglich zu Diskussionen anregt und Inputs gibt.

Christian Reister: Ein anderes großes Thema der letzten Jahre waren natürlich „die Flüchtlinge“. Du hast einen Extra-Teil im Buch mit kurzen Interviews, die du zusammen mit Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien gemacht hast. Wie kam das?

Florian Reischauer: Wir hatten Workshops für minderjährige unbegleitete geflüchtete Kids organisiert. Die waren voller Datendrang und natürlich sehr neugierig. Wir sind in kleinen Gruppen los, wie Reporterteams. Sie haben sich vorher Fragen überlegt, die sie ihren quasi neuen Mitmenschen in Berlin stellen möchten. So haben wir nach dem „Pieces Of Berlin-Schema“ zufällig Leute auf der Straße angesprochen, porträtiert und interviewt. Den Kids hat das sehr viel Freude bereitet und es war toll mal den Spieß umzudrehen, sprich, nicht über Geflüchtete zu berichten sondern umgekehrt Geschichten zu erzählen.

Christian Reister: Es fällt auf, dass der „normale Berliner“ unter deinen sonstigen Protagonisten ein recht entspanntes Verhältnis zur Zuwanderung hat. Man sieht das eher gelassen oder auch durchaus positiv. Nun kann ich mir aber schwerlich vorstellen, dass dir nicht auch der ein oder andere AfD-Wähler oder sonstige zumindest latent rassistische Berliner vor die Kamera gekommen ist. Was machst du mit solchen Positionen? Einfach weglassen, weil du solchen Stimmen kein Sprachrohr liefern willst?

Florian Reischauer: Das ist ein sehr interessantes Thema, und hat mich in den letzten Jahren auch sehr beschäftigt. Also wie gehe ich damit um, wenn jemand etwas Menschenverachtendes sagt. Da ich die Texte nicht kommentiere, habe ich mich dazu entschlossen derartiges nicht zu publizieren. Aus dem einfachen Grund, da es sonst solchen Aussagen eine offene Bühne bietet und noch mehr zur Normalität wird.

Das Interessante ist jedoch, dass es in all den Jahren nie zu so einem Fall gekommen ist, und ich muss auch dazu sagen, dass ich bei den Interviews sehr neugierig sein kann, und ich keineswegs versuche, Themen zu umgehen, sondern das Gegenteil. Ich kann mir das nur so erklären, dass dieser Prozentsatz an Menschenfeinden in unserer schönen Stadt sich in den ca. 50% verbergen muss, der auf meine Anfragen hin nicht mitmachen will. Es ist halt einfacher, feige im Netz zu haten.

Christian Reister: letzte Frage: Seite 89 sieht aus wie ein Fehler – wo sonst das Porträt ist, ist ein weißer Freiraum. Hat sich der namenlose 23jährige, dessen Zitat daneben abgebildet ist, nicht fotografieren lassen wollen?

Florian Reischauer: Genau, er wollte sich nicht fotografieren lassen, hat mir aber sehr viel aus seinem Leben erzählt. Großteils Lebensgeschichten die man niemanden wünschen möchte. Ich wollte keinenfalls im Buch darauf verzichten und fand gestalterisch die weiße Seite sehr stark und aussagekräftig. Beim Durchblättern wird man dadurch irritiert und es werden auch Fragen aufgeworfen bezüglich dem sich fotografieren lassen.

Florian Reischauer, porträtiert von Christian Reister

Florian Reischauer, geb. 1985 in Ried im Innkreis (Österreich)
Seit 2007 als Fotograf in Berlin tätig.

www.piecesofberlin.com
www.florianreischauer.com

„Ich baue an einer Bibliothek“ – Christian Reister im Gespräch mit Josef Chladek über sein Virtual Bookshelf

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Christian Reister: Josef – dein Virtual Bookshelf umfasst mittlerweile über 1800 Fotobücher. Jedes einzelne hast du in Auszügen fotografiert, kategorisiert und beschrieben. Unter Fotobuchliebhabern ist deine Website so zu einem wichtigen Recherchetool geworden. Erzähl doch mal, wie das ganze anfing.

Josef Chladek: Angefangen hat das in Wahrheit vor mehr als 20 Jahren. Ich hatte schon sehr früh begonnen, meine Bücher zu erfassen, in erster Linie Literatur und Politik, weniger Kunst und Fotografie. Über die Jahre hat sich dann der Fokus immer stärker zu Fotobüchern verlagert, ohne zu wissen, dass das ein eigenes Genre ist. Anfänglich war das eine rein textbasierte Datenbank, die aber für das schnelle Nachschlagen durchaus ausreichend war. Mit der Zeit wurden jedoch die Computer leistungsfähiger und damit auch mein Wunsch, die Bücher online zu sehen. Zuerst war es nur das jeweilige Cover, das ich mit ablegte, aber das ist natürlich zu wenig „Buch“; also begann ich systematisch die Bücher auch mit Rückseite und Rücken zu scannen. Von da an war es nur mehr ein kleiner Schritt, um eine adäquate Repräsentation zum echten Regal zu finden. Programmierung und Umsetzung der Offline-Datenbank zu der nun laufenden Seite waren dann in knapp zwei Wochen realisiert.

Christian Reister: Alle Bücher im Virtual Bookshelf sind also auch physisch in deinem realen Buchregal vorhanden? Und andersrum: sind alle deine Fotobücher in der Online-Datenbank archiviert oder ist das nur ein ausgewählter Teil? Falls ja, nach welchen Kriterien wählst du sie aus?

Josef Chladek: Bis auf etwa 30, 40 Bücher sind sie auch im echten Regal vorhanden. Ich hinke mit dem Erfassen immer etwas hinterher, auch habe ich eine sogenannte Halde, wo ich die mir wichtigeren Bücher zurückhalte und je nach Freude dann beim Veröffentlichen einstreue. Wie überhaupt es keinen Plan gibt. Welches Buch wann drankommt ist einfach eine Sache der Tagesverfassung. Manchmal ergibt sich ein inhaltlicher Faden, aber oft ist das pure Anarchie. Und ich habe zwar alle Bücher in der Datenbank, aber nur knapp die Hälfte ist online sichtbar, die Fotobücher jedoch beinahe komplett. Literatur und andere Sparten harren noch der Veröffentlichung.

Christian Reister: Nach welchen Kriterien sammelst du Fotobücher?

Josef Chladek: Ich mag ja den Begriff sammeln weniger; ich würde eher sagen, ich baue an einer Bibliothek. Und die Kriterien sind da ganz einfach: das persönliche Gefallen steht im Vordergrund. Das kann auf der gestalterischen Seite das Layout, das Papier und der Druck sein, es kann rein fotografisch sein oder einfach dann, wenn das Buch eine gute Geschichte erzählt. Es gibt da also kein Patentrezept, wiewohl mein Fokus immer schon auf ausdrucksstarker oder auch dreckiger Schwarz/Weiss Fotografie lag und liegt.

Christian Reister: …wo sich unsere Vorlieben überschneiden: Ich habe mich gefreut wie in Kind, als ich bei dir letztes Jahr Originalausgaben von William Klein und von den Japanern der Provoke-Ära durchblättern durfte. Das sind ja zum Teil recht teure Stücke, die es nicht an jeder Straßenecke gibt. Verrätst du uns ein paar Quellen, woher du deine Bücher beziehst?

Josef Chladek: Das sind endlos viele Quellen: das geht von klassischen Auktionen und Internet-Auktionen, da auch ebay oder yahoo in Japan, über Antiquariats-Plattformen, Such-Agenten (auch selbst programmierte), bis hin zu Händlern des Vertrauens, Freunden oder zufällige Facebook- oder Instagram-Bekanntschaften. Alles ist dabei. Und gekauft wird nur, wenn der Preis auch durch eigenes Know-How abgesichert ist. Die ganzen Phantasiepreise, die auch für neue und neueste Bücher, aber vor allem bei älteren Büchern verlangt werden, da gibt es ja praktisch nie Käufer für.

Christian Reister: Handelst du selbst auch? Man könnte ja fast meinen, das sei dein Hauptjob.

Josef Chladek: Nein, die Site ist eine reine Präsentations-Plattform. Da ich auch niemals ein Buch doppelt kaufe, gibt es auch keine Absicht, das in der Zukunft zu ändern.

Christian Reister: Du bekommst auch Bücher geschickt. Vor allem von Self-Publishern schätze ich. So kommt es, dass ehrwürdige Klassiker direkt neben ganz jungen Fotografen in deinem virtuellen Regal stehen. Sicher wählst du auch dort nach eigenen Gusto aus, was präsentiert wird und was nicht. Kannst du sagen, was besonders willkommen ist und was nicht?

Josef Chladek: Das Online-Stellen jedes einzelnen Buches, Zines oder Heftes nimmt doch sehr viel Zeit in Anspruch, Scannen, Spreads abfotografieren, bibliografische Details in der Datenbank erfassen – ganz egal wie erfolgreich, neu, teuer, rar, gut oder schlecht ein Werk auch sein mag, jedes benötigt ca. die gleiche Zeit bzw. Aufmerksamkeit. Ich ertappe mich natürlich dabei, die Besseren lieber zu machen. Schlussendlich entfaltet das Shelf, glaube ich, seine Stärke durch die Vielfalt und nicht durch meine subjektive Auswahl. Gut, es gibt sicher Bücher, die es nicht schaffen online gestellt zu werden, aber da müssen sie schon echt erbärmlich sein. Von daher ist praktisch alles willkommen, was das Stadium des selbstgebauten Dummys verlassen hat und eine professionelle Linie in der Buchgestaltung genommen hat. Blurb-Bücher mag ich jedoch so gar nicht, wiewohl ich da auch Großartiges erhalten habe. Das sind dann aber eher konzeptionelle Arbeiten.

Christian Reister: Vorhin hast du deine Vorliebe für dreckige Schwarz/Weiss-Fotografie angesprochen. Wie definierst du in diesem Zusammenhang dreckig? Wie erklärst du dir deine besondere Vorliebe für Bücher dieser Art und welche sind für dich ganz persönlich die wichtigsten dieser Art?

Josef Chladek: Ich mag es unscharf, körnig, in Bewegung, ich mag die Nacht, Randthemen, Unbeachtetes, setze keinen Fokus auf Perfektion und Technik, suche Ausdruck und Kraft statt übertriebene Ästhetik. Warum das jedoch so ist, kann ich schwer beantworten, aber es zieht mich meist mehr an als das perfekte Großformat-Bild. Und natürlich muss man da die Provoke-Era und deren Protagonisten nennen, aber auch William Klein, Moi Ver und viele andere, die für mich mitunter aber nicht auschließlich die besten Bücher gemacht haben. Doch vorneweg wird wohl immer „For a Language to Come“ von Takuma Nakahira von mir genannt werden, das Buch ist einfach unerreicht.

Christian Reister: Fotografierst du auch selber? Die meisten Fotobuchfreaks sind ja selbst mehr oder weniger mit dem Buchmachen zugange.

Josef Chladek: Nein, ich hatte vor beinahe 30 Jahren eine intensive Phase wo ich sehr viel in der Dunkelkammer stand, Schwarz/Weiss und Farbe. Ich hatte aber das Gefühl gehabt, dass andere das weitaus besser können und habe dann lieber mein Physik-Studium fertig gemacht. Seitdem ist die aktive Fotografie kein Thema mehr für mich.

Christian Reister: Welche neuen Bücher sind deine persönlichen Highlights vom diesjährigen Vienna Photobook Festival?

Josef Chladek: Speziell gefallen haben mir Robert Zhao Renhui mit „Mynas“, Christine Miess mit „Time Collapsing“, John Gossage mit „A Dozen Failures“, Arthur Bondar mit „Shadows of Wormwood“, Florian van Roekel mit „Le Collège“ sowie Michel Mazzoni mit „Collisions“. Und mit van Roekel ist sogar ein Buch in Farbe dabei.

Christian Reister: Josef, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg beim Ausbau des Virtual Bookshelf.

Klaus Honnef

Das Gespräch wurde 2016 per Email geführt.
Das Virtual Bookshelf findet sich unter josefchladek.com
Besonders imposant ist die Ansicht des kompletten Regals

Fotos: Kay von Aspern

„Wenn ich an einem Projekt arbeite, dann gibt es nur das Projekt und nichts anderes“ – Christian Reister interviewt Klaus Pichler

Foto: Klaus Pichler - aus Golden Days before they end

Christian Reister: Klaus, wir haben uns vor einem Jahr auf dem Vienna Photobook Festival kennengelernt, wo du mir zu später Stunde Bilder deiner Arbeit „Golden Days Before They End“ auf dem iPad gezeigt hast. Fotos aus einfachen Wiener Kneipen, die nach und nach aus der Stadt verschwinden. Vor kurzem ging das diesjährige Vienna Photobook Festival zu Ende und das Buch liegt fertig vor, erschienen in der Edition Patrick Frey. Gratulation! Erzähle doch mal, wie es zu der Arbeit kam, wann die Idee zum Buch entstand und wie es zu der Zusammenarbeit mit dem Verlag kam.

Klaus Pichler: Danke! Ich kann mich noch gut an unser Treffen am beim Festival erinnern und freue mich sehr, dass jetzt, ein Jahr später, das Buch wirklich fertig geworden ist. An dem Projekt haben Clemens Marschall, der für die Texte verantwortlich ist, und ich Anfang 2012 zu arbeiten begonnen. Die ursprüngliche Idee kam von Clemens, weil er seit Jahren in solchen Lokalen unterwegs ist und gemerkt hat, dass immer mehr davon zusperren. Er hat mich irgendwann gefragt, ob ich Interesse hätte, mit ihm gemeinsam was darüber zu machen und nach ein paar ersten Besuchen war ich recht schnell begeistert von der Idee. Zu Beginn habe ich ehrlich gesagt nicht dran geglaubt, dass unser Vorhaben realisierbar ist, weil ich einerseits überhaupt keinen Blick dafür hatte, wie viele derartige Lokale es noch gibt und andererseits auch nicht daran glaubte, dass ich dort fotografieren darf. Das hat sich zum Glück recht schnell als Irrtum herausgestellt und so ist das Projekt mehr und mehr gewachsen.

Anfang 2015 hatten Clemens und ich das Gefühl, dass wir mit dem Projekt langsam auf der Zielgerade ankommen und sind auf die Suche nach einem geeigneten Verlag gegangen. Wir haben rund 15 Verlage, die uns sympathisch waren, mit einem PDF angeschrieben und das Team von Edition Patrick Frey hat sofort geantwortet und uns nach Zürich eingeladen. Beim ersten Termin in Zürich haben wir dann gemerkt, dass die Chemie stimmt und wir ähnliche Vorstellungen haben, was das Buch betrifft, und als Patrick Frey uns dann eine Zusammenarbeit angeboten hat, haben wir nicht lange überlegt und zugesagt.

Christian Reister: Die „Beisln“, in denen du fotografiert hast, würde man in Berlin wahrscheinlich „Eckkneipe“ nennen. Ein trinkfreudiges Stammpublikum aus der Nachbarschaft, ein eher derber Umgang, jeder kennt jeden, vielleicht so was wie eine eingeschworene Familie – hart aber herzlich. Wie wurde dort reagiert, als ihr dort als Außenstehende aufgetaucht seid, um zu fotografieren und Texte zu machen? Musstet ihr erst ein paar Schnäpse mit trinken oder wie muss man sich das vorstellen?

Klaus Pichler: Wir haben uns beim ersten Besuch eines Lokals noch vor dem Bestellen bei der Person vorgestellt, die hinter dem Tresen arbeitete – wir sind also quasi mit dem Herz auf der Zunge reingekommen und haben unser Projekt vorgestellt. Da die Lokale alle sehr klein sind und neue Gesichter eher selten, haben alle Gäste genau mitgehört, was wir gesagt haben und oft waren wir nach den ersten paar Sätzen schon akzeptiert und unser Vorhaben wurde unterstützt. Das ging manchmal so schnell, dass ich die Kamera noch gar nicht ausgepackt hatte, als die ersten Gäste schon in Fotolaune waren. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal nach 5 Minuten in einen Ehestreit hineingezogen wurde, weil beide mir hintereinander ihr Problem mit dem jeweils anderen vorgebracht haben und ich dann vermittelnd eingreifen sollte. Es hat dann fast zwei Stunden gedauert, bis das Problem ausdiskutiert war. Solche Momente empfand ich als großen Vertrauensbeweis und ich habe mich deshalb immer bemüht, diesem Vertrauen gerecht zu werden – oft auch, indem ich die Kamera den ganzen Abend in der Tasche gelassen und einfach zugehört und mitgeredet habe.

Getrunken habe ich übrigens nur Mineralwasser – ich trinke eher wenig Alkohol und hätte es daher als Anmaßung empfunden, wenn ich mit Leuten, die ein Alkoholproblem haben, mitgetrunken hätte, nur um näher an sie ranzukommen. Ich habe mir immer gedacht, dass das auch anders gehen muss und ich dafür keinen Alkohol brauche. Das wurde von den Gästen meistens auch akzeptiert und manchen hat das sogar imponiert.

Christian Reister: Du hast mir auch mal erzählt, dass jedes Bild in dem Buch von dem Abgebildeten freigegeben wurde. Das finde ich sehr erstaunlich, zumal die meisten ja nicht gerade in den vorteilhaftesten Posen abgebildet sind. Gab es auch viele Ablehnungen und wie erklärst du dir, dass so viele zugestimmt haben?

Klaus Pichler: Also wie eine klassische Freigabe mit Model Release und Unterschrift darf man sich das nicht vorstellen, denn die Gäste in den Lokalen haben durch ihre Lebenswege meist eine gesunde Abneigung gegen alles vertragliche und ‚offizielle‘ – stattdessen habe ich geschaut, dass ich die ausgedruckten Fotos so bald wie möglich in den Lokalen vorbeibringe und den Leuten gebe. Einerseits war das ein Weg, mich zu bedanken, andererseits konnte ich so Fotos, die den Abgebildeten nicht recht waren, gleich eliminieren. Zu den Posen kann ich nur sagen, dass das auf den Fotos vielleicht manchmal nicht rüberkommt, dass es sich aber in den meisten Fällen um Selbstinszenierungen der Abgebildeten handelt, die ohne mein Zutun entstanden sind. Die Leute haben mit der Kamera gespielt und große Freude daran gehabt, vor mir quasi ‚Improtheater‘ zu spielen – meistens geht es in den Lokalen ja sehr humorvoll zu und die Inszenierungen und der Galgenhumor gehören einfach dazu. Deshalb haben sich die Leute, wenn sie ihre Fotos sahen, auch meistens sehr amüsiert und waren glücklich damit – die wissen ja ganz genau, aus welcher Schicht sie kommen, welche Lokale sie da frequentieren und welches Bild nach außen sie von sich selbst zeichnen. Dass da miteinander und auch mit sich selbst oft nicht eben schonungslos umgegangen wird, das ist auch klar. Ich denke, wenn man die Texte im Buch liest, merkt man, dass das ein gewisser ‚Wahnsinn mit System‘ ist und wenig zufällig oder unkontrolliert passiert.

Christian Reister: Ich denke, das hat hier auch mit einem gewissen Stolz und einem Selbstbewusstsein zu tun, das ich total schätze. Sicher hätte man bei einer ähnlichen Geschichte in gehobeneren Lokalen ständig damit zu tun, dass sich irgend jemand nicht gut getroffen findet oder sowieso nicht in diesem Kontext öffentlich gezeigt werden möchte.

Klaus Pichler: …wobei das natürlich ein generelles Problem in der dokumentarischen Fotografie ist: an Menschen aus den weniger gut abgesicherte sozialen Schichten kommt man viel leichter ran als an Menschen aus der Oberschicht. Die gehobene Gesellschaft, vor allem die reichsten Kreise, sind relativ hermetisch und man findet nur schwer Zugang, vor allem, wenn man nicht den selben Habitus hat. In den ‚unteren‘ Schichten ist das Miteinander ganz anders organisiert. Zugang findet, wer sich zu benehmen weiss, ganz egal, wie er aussieht oder wie viel oder wenig Geld er hat. Da war der Zugang für mich natürlich viel einfacher. Außerdem, und das sage ich jetzt wertfrei, gibt es in der Oberschicht viel weniger Freiheit, weil es viel um Repräsentation, in der Rolle bleiben und das Gesicht wahren geht – man kann es sich schlicht nicht leisten, sich unverstellt zu geben, da man den Status repräsentieren muss. Deshalb gibt es hier viel klarere Grenzen, was geht und was nicht, was für einen Fotografen natürlich um einiges uninteressanter ist, weil es eben nur ein Blick auf die Fassade, und nicht einen dahinter gibt.

Der Stolz und das Selbstbewusstsein der Leute im Buch hat mir immer sehr imponiert – da gibt es kein Verstecken oder Verstellen, da regiert der schonungslose Umgang, auch mit sich selbst. Hinter jeder vermeintlich rauen Aussage steckt viel Zuneigung und menschliche Wärme. Wenn man das erstmal verstanden hat, dann dringt man zum Kern der Menschen durch und lernt sie von ihrer durchaus stolzen Seite kennen. In den meisten Fällen waren das Leute im letzten Lebensdrittel, die sich meistens vom Wunschdenken, ein neues Leben zu beginnen, verabschiedet hatten und sich deshalb mit ihrem Lebensweg, der oft von Brüchen und Rückschlägen gekennzeichnet war, identifizierten.

Christian Reister: Da ich mich gerade mit einem Wiener unterhalte: wie war das diesjährige Vienna Photobook Festival? Letztes Jahr habe ich immer wieder Stimmen gehört, die meinten, dass der Zenit des Fotobuchbooms so langsam überschnitten sei und zu viele Festivals um das selbe Publikum buhlen.

Klaus Pichler: Für mich hat es sich ein wenig angefühlt wie ein ‚Familientreffen‘, weil sehr viele Leute da waren, die ich kenne und schon lange nicht mehr gesehen habe, was ich sehr genossen habe. Ich finde die Stimmung beim Festival jedes Jahr so angenehm international – man kommuniziert viel offener als im Rest des Jahres und es gibt immer viel zu entdecken, menschlich und inhaltlich. Zum Fotobuch selbst: ich hatte am Festival ein Gespräch mit einem sehr bekannten Fotografen, der seit 25 Jahren Fotobücher veröffentlicht und ich habe ihn gefragt, was der Unterschied in seiner Arbeitsweise und in seiner Art Fotobücher zu gestalten ist, seit es den Boom gibt und die Fotobücher als Objekte konzeptioneller und künstlerischer designed sind. Er meinte, dass der wichtigste Unterschied zu früher für ihn ist, dass die Fotos selbst nicht mehr so gut sein müssen, weil man das mit dem Buchdesign kaschieren und dadurch auch aus mittelmäßigen Fotos schöne Doppelseiten und Bücher gestalten kann. Ich denke, das trifft den Kern des Problems ziemlich genau – es gibt zu viele Bücher mit zu wenig echter Substanz, fotografisch wie inhaltlich, und dadurch fällt es schwer, den Überblick zu behalten und wirklich gute Bücher zu finden. Das bringt eine gewisse Resignation mit sich, und darunter leidet das Medium Fotobuch ganz bestimmt. Ob das längerfristig zu einem Rückgang führen wird, wage ich zu bezweifeln, was aber ganz bestimmt passiert, ist, dass gute Bücher übersehen werden.

Christian Reister: Die familiäre Stimmung in Wien fiel mir letztes Jahr auch auf. Gerade im direkten Vergleich zu Kasseler Festival war das ein großer Unterschied. Und in Berlin gibt es nichts vergleichbares – da verzettelt sich alles in sehr viele verschiedene Grüppchen und Kreise. Die Wiener Fotografenszene scheint mir viel überschaubarer und gut vernetzt. Da kennt irgendwie jeder jeden, man scheint sich Erfolge zu gönnen, statt zu neiden, und wenn einer ein neues Buch macht, kauft man das allein schon aus Solidarität. Ich übertreibe jetzt ein wenig, und wahrscheinlich sieht es hinter den Kulissen dann auch etwas anders aus?

Klaus Pichler: Wien ist eine Ansammlung von vielen Dörfern, sagt man, und deshalb kennt auch jeder jeden. Ich finde die gegenseitige Unterstützung in Fotografenkreisen generell sehr angenehm – das ist etwas, was die Fotografieszene meiner Meinung nach sehr auszeichnet. Natürlich teilt es sich auch hier in verschiedene Grüppchen und Szenen auf, aber die Vernetzung funktioniert sehr gut. Ich denke, es liegt auch daran, dass es nicht die eine, große Institution gibt, die alles dominiert, sondern eine Vielzahl von Einzelinitiativen und kleineren Orten oder Festivals, die das Feuer beständig am Brennen halten. Das reißt mit und hält die Begeisterung am Leben.

Christian Reister: Welcher Bereich hat für dich den größeren Stellenwert: redaktionelles Arbeiten, Auftragsarbeiten oder die freie Kunst?

Klaus Pichler: Für mich macht es die Mischung aus allen drei Betätigungsfeldern aus, die das Feuer am Brennen hält. In den künstlerischen Arbeiten steckt natürlich am meisten Herzblut, weil es meistens Serien sind, an denen ich jahrelang gearbeitet habe. Die Kombination von künstlerischen Projekten und Aufträgen ist eine ganz bewusste Entscheidung, weil ich weiß, dass ich, wenn ich mich nur den künstlerischen Arbeiten widmen würde, über kurz oder lang irgendwas zwischen seltsam und wahnsinnig werden würde .Wenn ich an einem Projekt arbeite, dann gibt es nur das Projekt und nichts anderes, und das geht manchmal ganz schön an die Substanz. Deshalb ist es ganz angenehm, zwischendrin immer wieder Aufträge zu machen, weil sie mich irgendwie erden. Deshalb schätze ich die Aufträge sehr, weil ich dabei flexibel sein muss, mit Menschen in Kontakt komme und als angenehmer Nebeneffekt auch noch eine ständige technische Weiterentwicklung stattfindet. Am schönsten ist es natürlich, wenn irgendjemand eine künstlerische Arbeit von mir sieht und auf diesem Weg meine Auftragsarbeiten entdeckt und mich bucht. Da ist dann meistens die Freiheit sehr groß und ich kann meine Vorstellungen umsetzen, ohne große Kompromisse eingehen zu müssen.

Christian Reister: Eine Auftragsarbeit, die erst vor kurzem weit über den eigentlichen Kontext heraus Aufsehen erregt hat, war die Serie für Schock, eine Firma, die Küchen-Spülen herstellt. Sie lebt von verrückten, surrealen, fast psychedelisch anmutenden Bildideen und wilden Kombinationen aus „echter“ Fotografie und Photoshop-Geniestreichen. Schon die Idee, ein Küchenthema mit Pudeln und in derart schrillen Farben zu illustrieren, ist ja nicht ganz naheliegend. Wie wurdest du hier gebrieft? Sind die Bildideen im Team entstanden, waren sie exakt vorgegeben oder ist das auf deinem eigenen Mist gewachsen?

Klaus Pichler: Die Zusammenarbeit mit Schock ist genau so ein Idealfall wie gerade beschrieben. Sie haben mich vor zwei Jahren wegen ‚Just the two of us’, meiner Serie über Menschen und ihre Verkleidungen, kontaktiert, weil sie den Wahnsinn der Serie ähnlich in ihre Werbelinie integriert haben wollten. Ich habe dann noch Katharina Schaffer an Bord geholt, eine befreundete Stylistin und Grafikerin, weil ich im lieber im Team arbeite und gewusst habe, dass sie ein gutes Gefühl für Farben und Requisiten hat. Die Zusammenarbeit mit Schock geht mittlerweile ins dritte Jahr, derzeit bin ich wieder mit neuen Bildern für den Katalog 2016/2017 beschäftigt. Beim Brandbook des Vorjahres gab es kaum ein Briefing, außer, dass die Bilder der Spülen mit Tieren, bunt und positiv irritierend sein sollten – ansonsten bekamen wir völlig freie Hand. Wir haben dann, aufbauend auf die Markenwerte, vier Tiere ausgewählt (Pudel, Flamingo, Waschbär, Schildkröte), die die Hauptdarsteller der Bilder werden sollten und ein paar Skizzen gemacht – der Rest ist dann recht intuitiv entstanden. Wir haben dafür ein Kellerlokal gemietet, in dem wir unser Studio aufgebaut und uns drei Monate lang so richtig ausgetobt haben – mit Farben, Tieren, Requisiten etc. Es war eine sehr lustvolle und kreativ fordernde Aufgabe, die Spülen zu inszenieren und mit Tieren zu bespielen, und wir sind dabei definitiv Meister an der Stichsäge und am Farbroller geworden.

Christian Reister: Es steckt da, wie bei deinen freien Arbeiten, ein immenser Aufwand dahinter. Irgendwo habe ich mal über die Entstehung deiner Serie „One Third“ gelesen – Stillleben verdorbener Lebensmittel. Das ist ja nicht nur technisch und von der Inszenierung her auf höchstem Niveau – auch der ganze Aufwand drum herum mit den ganzen verschimmelten Lebensmitteln kann man sich kaum vorstellen. Die Lagerung, der Verwesungsprozess etc. Erzähl mal…

Klaus Pichler: Ich bin ja eigentlich gerne faul und denke mir bei jeder neuen Projektidee, dass ich es diesmal mit weniger Aufwand angehe, aber dann passiert es jedes Mal, dass der Ehrgeiz mit mir durchgeht und ich mir denke, wenn ich es jetzt schon mache, dann ordentlich, und dann ufert es aus. Das gehört mittlerweile zu meiner Arbeitsweise irgendwie dazu und ich mag das auch, weil ich eben vorher nie genau weiss, was hinterher rauskommt und durch die lange Arbeit dann immer ein Punkt erreicht wird, an dem ich es fast als Befreiung empfinde, wenn ich beschließe, dass ich fertig bin.

Bei „One Third“ hat es auch harmlos begonnen, ich habe halt zwei Plastikkisten für die verschimmelnden Nahrungsmittel in meiner Toilette gestapelt und gewartet, was sich bei den darin gelagerten Sachen so tut. Ich habe dann recht bald gemerkt, dass der Faktor Zeit wichtig ist und dass manches nicht so wird, wie ich das wollte und ich deshalb neu starten muss. Deshalb waren es am Schluss 13 Kisten und zwei blockierte Räume, dazu kamen ungefähr eine Million Mücken, eine ausgewachsene Paranoia und leichter Putzzwang. Ich habe mir damals gedacht, dass ich, wenn ich das Projekt für mich selbst glaubwürdig umsetzen will, auch mit den Nahrungsmitteln koexistieren muss – deswegen der ganze Wahnsinn. Insgesamt aber eine bereichernde Erfahrung, die ich – jetzt mit ausreichend Sicherheitsabstand – nicht missen möchte.

Christian Reister: Wer organisiert das alles? Assistenten? Ein Pichler-Büro?

Klaus Pichler: Haha, nein, das mache ich alles selbst. Ich mag es, eine One-Man-Show zu sein und alles klein und überschaubar zu halten, mir aber für Sachen, die ich nicht alleine machen kann oder will, Leute zu suchen, mit denen ich dann kooperiere. Für mich ist das zentrale Element rund um die Fotografie immer noch die Leidenschaft und die Freude daran, und deshalb schaue ich, dass ich immer den Überblick behalte und so viel wie möglich selbst erledige. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeuten ja immer auch Verantwortung, weil es eben Leute sind, die von einem abhängig sind, und deshalb habe ich mich bewusst dagegen entschieden, mit Gewalt zu expandieren – so kann ich auch garantieren, dass jedes Projekt und jeder Job, den ich mache, mit voller Konzentration entsteht und ich nichts machen muss, das ich nicht machen will.

Christian Reister: Spontan: drei Fotobücher oder -ausstellungen, die dich in letzter Zeit beeindruckt haben?

Klaus Pichler: Ich bleib mal bei den Büchern, weil die eher mein Metier sind als Ausstellungen. Meine drei ewigen Fotobuch-Lieblinge, die mich seit Jahren begleiten und die ich immer wieder mal ansehe sind ‚Das Land‘ von Manfred Willmann, ‚Office‘ von Lars Tunbjörk und ‚Ray’s a laugh’ von Richard Billingham. Diese drei Bücher ziehen mich auch nach dem hundertsten Ansehen immer noch in ihren Bann, weil sie alle etwas haben, das ich ‚Melodie‘ nennen würde, also eine Dramaturgie und einen Sog, der etwas mit einem anstellt, während man die Bücher ansieht. Außerdem habe ich gerade einen schon älteren Roman gelesen, der mich durch seine eindringlichen Beschreibungen und die Originalität der Sprache sehr beeindruckt hat, nämlich ‚Verlorene‘ von Cormac McCarthy.

Christian Reister: Gib uns doch zum Abschluss noch einen Ausblick, was als nächstes von dir zu erwarten ist.

Klaus Pichler: Derzeit stecke ich mitten in den Arbeiten zum nächsten Buch, das programmgemäß im September erscheinen wird. Fotos und Texte sind schon fertig, jetzt geht es ums Layout und um die Auswahl der passenden Materialien. Thematisch und auch ästhetisch wird es wieder völliges Neuland werden, wie man es von mir kennt – ich mag es ja, mich mit jedem Projekt quasi neu zu erfinden, aber trotzdem einen roten Faden erkennbar werden zu lassen. Mehr mag ich noch nicht verraten, weil ich es für das Projekt am besten finde, wenn es ohne vorauseilende Erklärung erscheint, aber so lange ist es ja nicht mehr hin bis September.

Danke jedenfalls für das Interview und die spannenden Fragen, hat mir sehr viel Freude gemacht.

Christian Reister: Und mir erst, vielen Dank zurück!

Klaus Picher fotografiert von Florian Rainer

Klaus Pichler ist Fotograf und lebt in Wien. In den letzten Jahren hat er mehrere erfolgreiche Fotobücher veröffentlicht, zuletzt „Golden Days Before They End“ (Edition Patrick Frey, 2016), „Dust“ (Anzenberger Edition, 2015) und „Just The Two Of Us“ (self-published, 2014).

www.kpic.at

Foto links: Klaus Pichler, fotografiert von Florian Rainer

„In the end the book is the thing that lasts“ – Christian Reister in conversation with Ken Schles

Ken Schles, Book trailer for „Night Walk“

Christian Reister: The photographs in your current exhibition at Deichtorhallen, Hamburg, were taken in New York’s East Village in the 1980s. They’ve been published in your books Invisible City (1988, re-published 2014 and reprinted 2016) and Night Walk (2014, 2016). What are the main differences in the editing of these books?

Ken Schles: I made the book Invisible City when I still lived in the East Village. I was 28 when the book came out. It was a hard time for me, a difficult place to live with the crime: …junkies …drug dealers …going to court with the landlord after he abandoned the building …having difficulties with police …all the senseless violence …the deaths from AIDS, suicides, drug overdoses. I don’t talk about any of this in the book(s) specifically, but I think there’s a mood, a sensibility that comes across.

Night Walk had a different genesis. I made that book as a look back at that time and place and those people. In Invisible City I was conscious not to repeat images of people, not to have the same person recognizable in more than one photograph. I didn’t want the book to feel like it was telling the story of any one person. But Night Walk —I wanted the images of certain individuals to repeat, to have stories interweave. I liked that in Night Walk you saw some of the same characters over and over again.

The two books also have different structures. The structure of Invisible City is not linear. The pictures are taken in different places, at different times, day to night, night to day, back and forth. There really isn’t an implied line of time running though the book. It’s almost as if everything is happening all at once, all at the same time. But Night Walk is structured as an extended, almost excessively long evening. I remember at that time for me in New York the evenings would go on seemingly forever… I’d go out and maybe see a performance or go to a gallery opening. Then there’d be dinner or a party afterwards. Then a walk through the streets – I’d go from one place to another, into a club or then to a bar, and on to the next place… by the end of the night you might end up in a quiet place, alone or in someone’s apartment. The cover image on the book shows a person walking away with the title Night Walk above him – it’s as if the’s walking into the book and it’s the beginning of his journey – but I end the book with this same image, which shifts its meaning. Now you feel like the night is over and you’re walking away into the morning light, into some unknown future. So, in editing and sequencing, Night Walk is very different from Invisible City. It’s built upon a very different kind of narrative structure.

Poster

Christian Reister: In the exhibition at the Deichtorhallen images that form the books Invisible City and Night Walk are mixed together. We don’t see just one book and then the other. It creates a third story…

Ken Schles: Yes, I think the exhibition has become a third story. It’s neither Invisible City nor Night Walk. I wanted to mix it up.

In a gallery space or in a museum you don’t necessarily go straight from one picture to the other like you might in a book. I wanted to play some pictures against others in new or unexpected ways. It’s another way to tell my story. An exhibition is very experiential. It’s about how you move through space and connect one image to the next or a group of images on one wall to another and what you might see when you turn a corner. The space here is configured like a spiral. I wanted to take advantage of that. The first big picture (of a woman passed out on a toilet) announces the exhibition and sets the tone. We painted the first wall behind it black with a small bit of text to give an introduction and further set the mood. Then there’s the main wall in a big open space that’s clad in metal. It becomes sculptural, monumental. There’s another black wall at the end. This acts like a coda, but refers to that first black wall in scale and it has a short poem by Kathy Acker applied to it in large type. Just before that wall we have the biggest image that was ever printed and mounted for exhibition in the Deichtorhallen, which you see only if you turn the corner. It comes as a surprise and takes up an entire wall. Because the Deichtorhallen is so soaring an exhibition space you can experiment with it in dramatic ways.

Christian Reister: The wall covered with aluminum plates with color stains on them: I see you’ve mounted the pictures rather classically with mats in black wooden frames on the metal. What’s the idea behind it?

Ken Schles: It was a way for me to formally change the museum space and bring another sensibility to the exhibition. There are several references here: The metal plates are used printing plates. I love books so there’s the reference to my books and to the printing process. But the initial question was how can we map this museum space and connect it to my New York of the 80s? I was thinking about Andy Warhol’s Factory – he had aluminum foil and silver paint covering the walls of his studio. Also, in New York during the 80s, the „industrial look“ was big. Many spaces were repurposed factories or slaughterhouses and some bars and club spaces would have metal walls. At the time it was installed as commentary or was simply an easy and cheap method to cover up crumbling walls. There’s also another reference for me (that I just remembered). When I moved into my place on Avenue B, I put a steel plate and deadbolt lock on the door of a room I eventually made into my darkroom. It effectively made the room into a safe. I kept all my valuables in it. Even when my apartment was broken into whatever was inside that room was kept safe. The window in that room had already been boarded over with plywood and reinforced with steel pipes. Nobody could get in there.

Christian Reister: At the official artist talk at Deichtorhallen you showed book trailer videos. Again, another way of dealing with the same images. Now combined with music and text. This adds even more layers to the work.

Ken Schles: I think all these approaches offer different entry points to the work. Different ways for someone to make contact, to make a connection. The books are a good place for the work to end. But you can enter the work from any number of points: maybe you’ve seen a video online, maybe one picture piqued your interest, or maybe you’ve read a text about it or heard a story of what New York was like at that time. You might become interested, maybe Google my name, and more images pop up. Maybe you’ll go the exhibition to see the pictures on the wall or become curious about the wall itself… or pick up a book.

They’re all different points of entry. Different ways to get to that place, to evoke that time. It allows me raise issues about being in that particular time and place, and pose the question of what it was to be and struggle and live in such a harsh place; to love and feel loss and to discover the world. They’re multiple ways to engage the viewer, points of seduction, if you will. Different ways in which the work might penetrate someone.

Ken Schles, Book trailer for „Invisible City“

Christian Reister: Have you lived in New York your whole life?

Ken Schles: I was born in Brooklyn [in NYC], we moved to Queens [also in NYC] when I was 5 years old, then we moved to the suburbs when I was 12. As soon as I got out of high school I ran straight back to the city with a couple of friends. I moved to the East Village when I was still just 17. All within a 50 mile radius, but mostly within a 20 mile radius.

I was very young when I moved to the East Village, so in a lot of ways I feel like I grew up in the Village. I started taking pictures for Invisible City in 1983. By then I had lived in the neighborhood for 5 years.

The City was a mess at the time. It was very dangerous, the neighborhood I was living in was one of the worst in the city. I wanted to photograph full-time but couldn’t find enough work. So I worked as a photographic printer to stay connected to it, but also had many other jobs. Jobs like the ones one has when one first is getting started. I worked as a bus boy in a restaurant, as a photographer’s assistant. For a while I drove a truck and moved art work. It was great to see how other artists worked, I met everyone from Richard Serra to Robert Longo and many, many, many other artists. I was very connected to the art scene in the East Village and documented other artist’s work for the galleries or the artists. I photographed one of Jeff Koons’ early solo shows at International with Monument on 7th Street and documented work for my friends Group Material, started by a fellow classmate of mine, Doug Ashford. Julie Ault was also a founding member. She was in a relationship with Andres Serrano, so we met before his career blew up.

Christian Reister: For a photographer I can’t imagine a better place to be than New York at the time. The „New York School“, Robert Frank, Diane Arbus, Winogrand, Meyerowitz, the ICP, Magnum etc. Did you feel connected to the „scene“?

Ken Schles: I did feel connected to the scene and this history of photography.

Christian Reister: To the history only or to the „community“ also?

Ken Schles: Both. I was working with Gilles Peress quite intimately (in a very literal sense, as the dark room in his loft on the Bowery was next to his bed). His loft apartment was in the same small building as Lenny Kaye’s place. Lenny is perhaps best known as Patti Smith’s guitarist. They lived a block down the street from CBGBs (which was around the corner from Robert Frank’s apartment – though we didn’t meet until several years later). …I felt a great connection to Gilles. I started working for him while I was still in school and continued after I graduated. It felt more like a peer relationship, not a professor/student relationship like I had with Lisette Model, for instance.

Gilles Peress was a good transition for me to see how to make one’s work in the world. He also hooked me up to some of the other Magnum photographers, so I worked as their printers too: Burt Glinn, Elliot Erwitt, Erich Lessing. And of course, in New York photography was always there – in the book stores, at the galleries and in the museums.

There was a lot of photography happening for sure, and several scenes were going on simultaneously but none of it really fit what I was doing. I was a bit of an outsider everywhere. At the time the art photography scene was heavily influenced but what was called „set up photography“ where people would use tableaux and there was also a big push to appropriate or subvert images or use them in conceptual or political practice. I’m thinking of Louise Lawler, Laurie Simmons, Sherrie Levine, Cindy Sherman, Lorna Simpson, artists like that. There were artists that were doing portraiture: Robert Mapplethorpe or Peter Hujar, Avedon. And then there were traditional documentary and editorial photographers, I think of the many artists showing with Aperture at the time, like Danny Lyon or Chris Steele-Perkins or the Magnum roster of photographers. Or photographers who might be documenting the scene and photographing in the clubs – Wolfgang Wesener, and Volker Heinze comes to mind, for example, he came here to the opening at Deichtorhallen. He did a couple of books on the a big nightclub at the time in NYC that had a connection to the art scene. A place called Area. But I wasn’t interested in using my images to promote particular venues, celebrities or any of the „scene.“ I was very careful about how my work was shown and in what context. Even in this here at the Deichtorhallen exhibit I don’t caption the images. It’s seems to me in this instance that they’re not necessary to understand the work, but at the time, what information captions contained became the primarily reason people showed interest in the work.

I was known in the community and showed my work in local galleries in the neighborhood. But it wasn’t necessarily with other photographers. At the time neb-expressionist work was big, not photography. It was the work of painters and sculptors. And then also performance artists. Graffiti artists, musicians.

The music scene was getting huge. It was the first to cross over into mainstream culture. Punk rock. No Wave. New Wave. Hip Hop was just beginning. You’d see breakdancers on the street, heard early rap music on the streets and in the clubs. „The Message“ by Grand Master Flash was the first rap song. Run-DMC, The Beastie Boys. A friend of mine had a painting studio with the graffiti artist Fab 5 Freddy. There wasn’t this separation of the different genres yet. Everybody downtown was mixing together. Gay culture, punks, artists. It wasn’t until later that these groups started isolating themselves within their own communities.

Christian Reister: Talking about the music scene – I have read somewhere that there are more than a hundred album covers with your photos in them. Alicia Keys, Lou Reed, Green Day, Spin Doctors, Dream Theatre and lots more. Did they use photos form your existing work or did you do assignments for them?

Ken Schles: Yes, but that came a little later. I was commissioned by the bands and record labels. For Lou Reed they wanted to see some personal things, pictures I shot in the neighborhood. Naked City, the avant-garde jazz group headed by John Zorn, Fred Frith and Bill Frisell, were probably the first group to get in touch with me… but most of that work came after Invisible City was out. Some creative directors at the big record labels became aware of what I was doing. One day this agent from Los Angeles called me and said „Your work is so hard …but I absolutely love it. The next time when I’m in New York we should get together and talk.“ Afterwards the music work came.

That started around 1990. I was dead broke at the time, there was a recession hitting. The art market bubble burst and the East Village gallery scene was collapsing so I jumped into the music world. It was a ton of fun because I worked with creative directors who said „we love your work, we think it’s a great match for this band or such and such an artist.“ Sometimes I would hang out with the artists and we’d develop ideas together. There was lots of travel – New York, Seattle, Los Angeles, wherever. Those may have been assignments, but they were very creative, not to mention fun to produce.

Christian Reister: So you finally made your living as a commercial photographer?

Through the years I’ve done a lot of commercial work. I’ve always loved the collaborative aspect of it. And it wasn’t just straight commercial work that I was doing. I was shooting a lot of documentary and portraiture. I’ve had six covers of Newsweek, I’ve done feature stories for the New York Times Magazine or FAZ and Tempo here in Germany. It was a big range of work. I was always excited to find myself in new situations. I think it’s broadened my world view and given me insight to people and places I would’ve never had access to.

Now I try to focus mostly on my own work – to write, to do books and exhibitions. It’s a good thing for me to focus on right now. I see now how so much of the commercial and editorial work was utterly disposable.

Christian Reister: As you know, I live in Berlin and we have this very successful photography exhibition venue called c|o Berlin. You did a solo show there when they were still located at Linienstraße, Mitte, before they moved to the much bigger Postfuhramt, Oranienburger Straße, right?

Ken Schles: Yes, it was the first time I was in Berlin. Markus Schaden hooked me up with Markus Hartmann at Hatje Cantz for my book The Geometry of Innocence, published in 2001. The exhibition at c|o Berlin was around 2002. I met Stefan (Erfurt, head of c|o Berlin) about a year before that. He told me he was in New York for a short period of time in the 1980s. He had a real affection for my work and what it depicted. At first we were talking about showing Invisible City but by the time we met, I was already working on The Geometry of Innocence for 12 years. So when that book was published it seemed to make the most sense.

Christian Reister: How is it working with Steidl?

Ken Schles: Oh! I’ve had the whole Steidl experience. In more than one way too… (laughs). We were supposed to have reprints of my books ready for the opening here at Deichtorhallen but… but… I mean, even saying that, I really respect what he does and how he does it! For Gerhard there are always openings here and there and so, because of that, there’s often deadlines everywhere. Yes we should try to meet those deadlines, of course, but in the end the book is the thing that lasts. Forever. And I have always felt that as well.

In the end it’s the book that matters and things that really matter shouldn’t be rushed. One needs to be precise about it. To go to Göttingen and stay at Steidlville was like going on a spiritual retreat, except it’s a retreat for photobooks. Gerhard (Steidl) has done tens of hundreds of books at this point and he has more than a thousand in his library. If it takes a couple of more weeks to make a book right – take a couple of more weeks. Don’t compromise the book. Because once it’s done, you can’t go back and fix it. There’s no fixing it.

I think that’s something that’s missing in much of the contemporary photobook world. There’s a sense of – well, you can produce books pretty easily now, the technology is easily accessible. You can show things in process too. I understand that desire and understand that the technology and all the various platforms allows us – even encourages us – to take that kind of approach. But I don’t know if it’s always the right solution. The technology, the platforms, social media – they open us up to new avenues for thinking and allow us to explore ideas in new ways, but we have to decide whether we want to go down those avenues. We have to decide and ask ourselves – especially if we have a statement to make: “Should this be the final form? Is this really the best way to say what I have to say?” We have to take care.

Christian Reister: Thank you very much, Ken, for taking your time.

Ken Schles, Portrait by Christian Reister

Ken Schles (* 1960) is a photographer based in Brooklyn, New York.

Photobooks: Invisible City (1988, 2014, 2016), The Geometry of Innocence (2001), A New History of Photography: The Word outside and the Picture in our Hands (2008), Oculus (2011), Night Walk (2014, 2016).

www.kenschles.com

Portrait by Christian Reister