„Die Taktung in Moskau ist härter als in anderen Metropolen“ – Ein Gespräch mit Andreas Herzau über Moskau, Straßenfotografie und seine Fotobücher
Andreas Herzau ist einer der bekanntesten Vertreter der Straßenfotografie in Deutschland. Anlässlich der Veröffentlichung seines Buchs “Herzau | Moscow | Street” haben wir uns im März 2012 in seiner Wohnung in Hamburg getroffen. Das Interview wurde damals auf der Website von Seconds2Real veröffentlicht.
Christian Reister: Dein neues Buch „Herzau | Moscow | Street“ führt uns durch Moskau, eine Metropole, die wie du im Vorwort zum Buch schreibst, auch über zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs den meisten aus dem Westen noch recht unbekannt ist. Wie kam es zu dem Buch?
Andreas Herzau: Nun, die ehrlichste Antwort ist: ich war einfach neugierig. Ich wollte Moskau kennenlernen, auch ein bisschen als Pendant zu New York. Das erste mal war ich für dieses Projekt alleine in Moskau, ohne Anlass, einfach um mich der Stadt anzunähern. Dann fügte sich irgendwie alles: ich hatte zu der Zeit ein Arbeitsstipendium in Sibirien und kam auf meinen Wegen immer über Moskau. So konnte ich Moskau als neues Terrain für mich erschließen. Ein Ansporn für das Buch war auch, dass es über Moskau nicht meterweise Bildbände gibt, im Gegensatz zu beispielsweise New York.
Christian Reister: Du hast dann mehrere Jahre an dem Projekt gearbeitet?
Andreas Herzau: Nein, ich habe das sehr konsequent innerhalb von ca. eineinhalb Jahren fotografiert. Ich bin bei einer solchen Arbeit sehr fleißig. Ich gehe da hin und arbeite 10 Tage von morgens bis nachts. Ich mache da sonst nichts anderes. Insgesamt waren es fünf Aufenthalte von unterschiedlicher Länge.
Christian Reister: Wie fühlt es sich an, in Moskau auf der Straße zu fotografieren? Hast du dich manchmal unsicher gefühlt?
Andreas Herzau: Nun – ich bin ein Kind des Kalten Krieges. Ich habe gelernt, dass alles was östlich der Elbe liegt suspekt und böse ist. Das ist natürlich – auch wenn man sich offen macht – in einem drin. Wir sind es auch nicht gewohnt, die Mimik und die Gesten zu lesen und zu verstehen, die die Leute, die in Moskau leben, an den Tag legen. Die sind einfach anders als hier. Verhaltener und für unseren Geschmack wirken sie teilweise ruppig oder unfreundlich, was aber nicht so gemeint ist. Das ist eher eine Art von Zurückhaltung oder Skepsis.
Als Europäer ist man in Moskau eingeschüchtert aufgrund der Größe der Stadt, aber auch weil man die Zeichen und die Schrift nicht lesen kann. Man spricht die Sprache nicht und man kann nicht mit vielen Konversation auf englisch betreiben. Man ist sehr allein.
Insgesamt ist natürlich auch aufgrund der wirtschaftlichen Situation die Taktung in Moskau härter als in Berlin, New York oder anderen Metropolen. Die Leute, die in Moskau leben, kämpfen ums Überleben. Sie kämpfen für ihr Dasein, für ihre Arbeit. Und die Wege sind irrsinnig weit. Man muss als Moskauer jeden Morgen mit hundertaused Anderen, die die Gänge verstopfen, eine Dreiviertel Stunde mit dreimal Umsteigen durch diese Metro hindurch. Das ist einfach anstrengend. Das prägt die Atmosphäre. Ich habe aber bis auf einen durchgeknallten Typen, der mich als Spion verhaften lassen wollte, keine negativen Erfahrungen gemacht.
Christian Reister: 2003 erschien das Buch „New York“ von dir, es gab „Istanbul“ (2010), ein „Deutschland-Buch“ (2006) – mehrere Bücher, die Städte oder Länder zum Thema haben. Sind sie als eine Art Serie zu sehen oder eher „so entstanden“? Gibt es eine Masterplan und Pläne für weitere Städte?
Andreas Herzau: Es gibt eher den Masterplan, keine Städte mehr zu machen…
Nein – jedes Buch ist mit einem ganz anderen Hintergrund entstanden. Nach New York war ich z.B. von der Zeitschrift art zu einem Streitgespräch zu Sinn und Unsinn von über die Zukunft des Fotojournalismus mit Gilles Peress eingeladen. Da war ich das erste Mal in New York und fand das spannender als gedacht. Ich habe dort angefangen zu fotografiere und hatte das für mich als Projekt zuerst auf ungefähr 10 Jahre angelegt. Durch die Anschläge vom 11. September wurde mir ein Strich durch die Rechnung gemacht und aus dem Projekt wurde etwa ganz anderes als ursprünglich geplant – ich konnte dann nicht mehr einfach weiter als Flaneur durch die Staßen gehen. Es war für mich eine Herausforderung, mich mit diesen vorhandenen Bildern von der meistfotografierte Stadt der Welt, die jeder kennt, auseinander zusetzen und mich daran zu reiben. Die ersten Bilder haben damals sehr viel Zuspruch erfahren, auch in Form von Printverkäufen, was dem Projekt enormen Rückenwind gab.
Das Buch „Calcutta Bombay / Eight days by Taxi“ war eigentlich ein Auftrag für die Zeitschrift Brigitte, aus dem dann auch ein Buch wurde.
„Deutschland“ wiederum war der Startschuß für meine Idee gewesen, mich mit Europa auseinander zusetzen. Ich wollte bewusst erst mal vor der eigenen Haustüre kehren, weil das immer das schwierigste ist. Daraus sind dann die Ideen zu „Istanbul“ als Stadt an der Schnittgrenze Europas und Moskau als Stadt hinter der Grenze entstanden. Ich wollte mich auf Europa eher von den Rändern aus hinbewegen. Es gibt also ein paar lose Ideen, die die Bücher zusammenhalten, aber keinen Masterplan.
Christian Reister: Auch schon mal über ein Hamburg-Buch nachgedacht? Du wohnst in dieser Stadt ja seit über 20 Jahren. Fotografierst du hier viel auf der Straße?
Andreas Herzau: Ich finde Hamburg eher langweilig. Hamburg ist so… (überlegt) …behäbig, rundgelutscht und sozialdemokratisch weichgespült.
Ich bin einmal spät – so gegen halb elf, elf – alleine, mit Zeit und mit der Kamera durch die Stadt gelaufen und habe dort fotografiert. Ich bin sonst nie nachts in der Innenstadt. Das fand ich ziemlich spannend – diese Zwischenzeit: Verkäuferinnen gehen nach hause, die Leute räumen auf, dazwischen ein paar Fetengänger, die ersten Straßenreinigungsarbeiten. Das ist jetzt aber nicht speziell Hamburg – eher „die Stadt bei Nacht“. In der Straßenfotografie kommt das in einzelnen Bildern zwar immer mal wieder vor, aber nicht als konzeptionelle Arbeit. Etwas in die Richtung würde mich reizen, aber Hamburg im speziellen interessiert mich nicht so sehr.
Christian Reister: Was ist deine Auffassung von guter (Straßen-) Fotografie und was fasziniert dich so an ihr?
Andreas Herzau: Diese Städtethemen machen mir großen Spaß, weil das Machen an sich so toll ist. Ich mache das einfach mit einer unglaublichen Begeisterung, komme da ein bisschen in einen anderen Aggregatzustand, sauge alles in mich auf. Zu gestalten, zu formen, in dieses Rechteck zu pressen, auch das was ich empfinde – diese Übersetzungsleistung. Das funktioniert für mich so reibungslos, so dass mir das einfach großes Vergnügen macht.
Es ist auch eine Methode, mich mit der Fragestellung auseinander zusetzen: Wie fotografiere ich als dokumentarischer Fotograf, der überwiegend an gesellschaftlichen Zuständen interessiert ist, heute bestimmte Themen, die gesellschaftliche Relevanz haben? Die Street Photography in der Art wie ich sie mache, ist da eine Antwort darauf, wobei sie aber sehr allgemein bleibt. Die Bilder spiegeln eine gewisse gesellschaftliche Realität wider und jedes mal, wenn ich auf die Straße gehe, bin ich mit der Jetztzeit konfrontiert. Die Straße ist die Bühne und die Stadt bildet die Kulisse für ein zeitgemäßes Stück.
Aber: es bleibt auch ein bisschen undefiniert. Und ich habe das Gefühl, dass es für Dokumentarfotografen wichtig geworden ist, wieder mehr Stellung zu beziehen. Straßenfotografie ist sehr feuilletonistisch und ich habe manchmal das Gefühl, man ist mit diesem – ich nenne es jetzt einfach mal Fotojournalismus – ein bisschen am Ende. Jedenfalls mit so ganz bodenständigen Themen wie z.B. Armut. Wie fotografiere ich heute Armut, ohne einer 80er-Jahre-Betroffenheitsfotografie zu verfallen sondern einen intelligenten Beitrag zu leisten und etwas sichtbar macht, was heutzutage nicht mehr so einfach sichtbar ist? Oder: wie fotografiere ich Krieg?
Christian Reister: Stilistisch fallen an deinen Arbeiten zwei Stilmittel auf, die für dich sehr markant sind: Die oft geringen Tiefenschärfen und der Mix aus Farbe und Schwarzweiß. Gerade letzteres ist gemeinhin eher verpönt, funktioniert aber in deinen Büchern als wäre das die normalste Sache der Welt. Ist das ein bewusstes Verweigern von Konventionen?
Andreas Herzau: Ich unterscheide zwischen Buntfotografie und Farbfotografie. Farbfotografie ist für mich eine Fotografie, in der Farbe als bewusstes Gestaltungsmittel eingesetzt wird. Bilder, die in Schwarzweiß keinen Bestand hätten. So wie es auch Schwarzweißfotos gibt, die durch die Abstraktion ins schwarzweiße nur als Schwarzweißfoto funktionieren.
Buntbilder hingegen sind eher langweilig. Da ist zwar Farbe drin, es ist aber egal, ich nehme sie nicht wahr. Aus diesen Standpunkten heraus gibt es in meinen Serien Bilder, die nur mit oder nur ohne Farbe funktionieren.
Die Fotos im Moskau sind noch analog entstanden. Ich habe mit zwei Gehäusen gearbeitet – eins mit Schwarzweiß-, eins mit Farbfilm. Das wurde nicht nachträglich umgewandelt und entstand aus dem Bedürfnis heraus, beide Möglichkeiten bewusst einzusetzen und es nicht als Gegensatz zu empfinden.
Es gibt auch einen inhaltlichen Aspekt: in Moskau z.B. ist es sehr interessant, wie ich um eine Ecke biege und mich wie in der tiefsten Sowjetunion fühle, um die nächste Ecke habe ich aber plötzlich das Gefühl, in Paris oder Mailand gelandet zu sein. Das Schwarzweiße steht für eine Referenz in die Vergangenheit, die Farbe für die Jetztzeit.
Letztlich ist die Mischung aber auch ein Spaß am Scratchen. Denn das ist es letzlich: wie das Scratchen in der Musik.
Christian Reister: Welche zeitgenössischen Fotografen haben dich in letzter Zeit beeindruckt?
Andreas Herzau: Aktuell gibt es immer wieder einzelne Arbeiten, die ich sehr spannend finde und wo ich merke, da ist klug nachgedacht worden. Wenn professionelle, lang arbeitende Fotografen klug nachdenken, kommen in der Regel auch kluge Fotos dabei raus. Pieter Hugos „Permanent Error“ hat mich zum Beispiel sehr begeistert. Ein interessantes Thema, auf eine Art und Weise fotografiert, die nicht auf Emotionen abzielt, sondern mir einfach etwas klar macht.
Christian Reister: Die Straßenfotografie war ja recht lange eher eine Nische, wenn nicht sogar als altmodisch und überholt angesehen. In den letzten Jahren ist das Genre wieder sehr populär geworden. Es gibt immer mehr, die sich Straßenfotograf nennen und eigentlich nur Klischees reproduzieren. Siehst du dich als Teil des Genres oder gehst du lieber auf Abstand?
Andreas Herzau: Ich sehe mich schon als Teil dieses Genres. Ich bin – zumindest in Deutschland – recht bekannt für das was ich tue und das war auch vor zwanzig Jahren der Beginn meiner Karriere: ich bin einfach vor die Tür gegangen, habe fotografiert und habe diese Fotos angeboten. Sie sind gedruckt worden. So konnte ich bald besser davon leben als vom Schreiben, was ich zuvor gemacht habe. Erst als ich für die Magazine gearbeitet habe, wurden es Themen. Davor bin ich durch die Gegend gelaufen und habe fotografiert, was bei drei nicht auf den Bäumen war.
Für unseren Blog „Hello New York Hello Hamburg“, den ich mit Stefan Falke zusammen betreibe, erhalten wir viele Einsendungen von Fotografen. Manches ist gut, aber es kommt da auch unglaublich viel Scheiß. All diese Motive „alte Oma auf dem Balkon mit Lockenwickler“, „kleine Kinder mit Wasserspritzpistole“, angeschnittene Hundeschwänze… Fotos, die nett sind, aber eine flache ästhetische Oberfläche sind, nichts mehr. Das Problem bei vielen dieser Fotos, die ich sehe, ist die enorme Beliebigkeit. Ich kucke mir das an, weil irgendjemand „Straßenfotografie“ drübergeschrieben hat und bin dann bitter enttäuscht. Es gibt da ja auch ein paar Hyperaktivisten, die jeden Furz, den sie machen twittern, posten, facebooken… unerträglich finde ich das.
Christian Reister: Was gibt es als nächstes von dir zu erwarten? Ausstellungen, sonstige Projekte?
Andreas Herzau: Jetzt kommt erstmal das neue Moskau Buch in die Läden, dann wird es im Sommer (Eröffnung 22.Juni 2012) bei meinem Galeristen Robert Morat eine Ausstellung mit neuen Arbeiten aus den letzten 4 Jahren geben. Für das kommende Jahr 2013 habe ich nun eine Anfrage für eine Werkschau …. also es gibt viel zu tun, aber es sind alles Projekte auf die ich mich sehr freue und in solchen Fällen kann ja Arbeit auch richtig Spaß machen.
Christian Reister: Besten Dank für das Gespräch.
Andreas Herzau, * 1962 in Mainz, lebt in Hamburg und ist ein deutscher Fotograf und Dozent für Fotografie.
Website | Blog | Intragram
Weitere Links
Trailer zum Buch„Herzau Moskow Street“
„Herzau Moskow Street“ bei BRAUS