„Ich baue an einer Bibliothek“ – Christian Reister im Gespräch mit Josef Chladek über sein Virtual Bookshelf

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Christian Reister: Josef – dein Virtual Bookshelf umfasst mittlerweile über 1800 Fotobücher. Jedes einzelne hast du in Auszügen fotografiert, kategorisiert und beschrieben. Unter Fotobuchliebhabern ist deine Website so zu einem wichtigen Recherchetool geworden. Erzähl doch mal, wie das ganze anfing.

Josef Chladek: Angefangen hat das in Wahrheit vor mehr als 20 Jahren. Ich hatte schon sehr früh begonnen, meine Bücher zu erfassen, in erster Linie Literatur und Politik, weniger Kunst und Fotografie. Über die Jahre hat sich dann der Fokus immer stärker zu Fotobüchern verlagert, ohne zu wissen, dass das ein eigenes Genre ist. Anfänglich war das eine rein textbasierte Datenbank, die aber für das schnelle Nachschlagen durchaus ausreichend war. Mit der Zeit wurden jedoch die Computer leistungsfähiger und damit auch mein Wunsch, die Bücher online zu sehen. Zuerst war es nur das jeweilige Cover, das ich mit ablegte, aber das ist natürlich zu wenig „Buch“; also begann ich systematisch die Bücher auch mit Rückseite und Rücken zu scannen. Von da an war es nur mehr ein kleiner Schritt, um eine adäquate Repräsentation zum echten Regal zu finden. Programmierung und Umsetzung der Offline-Datenbank zu der nun laufenden Seite waren dann in knapp zwei Wochen realisiert.

Christian Reister: Alle Bücher im Virtual Bookshelf sind also auch physisch in deinem realen Buchregal vorhanden? Und andersrum: sind alle deine Fotobücher in der Online-Datenbank archiviert oder ist das nur ein ausgewählter Teil? Falls ja, nach welchen Kriterien wählst du sie aus?

Josef Chladek: Bis auf etwa 30, 40 Bücher sind sie auch im echten Regal vorhanden. Ich hinke mit dem Erfassen immer etwas hinterher, auch habe ich eine sogenannte Halde, wo ich die mir wichtigeren Bücher zurückhalte und je nach Freude dann beim Veröffentlichen einstreue. Wie überhaupt es keinen Plan gibt. Welches Buch wann drankommt ist einfach eine Sache der Tagesverfassung. Manchmal ergibt sich ein inhaltlicher Faden, aber oft ist das pure Anarchie. Und ich habe zwar alle Bücher in der Datenbank, aber nur knapp die Hälfte ist online sichtbar, die Fotobücher jedoch beinahe komplett. Literatur und andere Sparten harren noch der Veröffentlichung.

Christian Reister: Nach welchen Kriterien sammelst du Fotobücher?

Josef Chladek: Ich mag ja den Begriff sammeln weniger; ich würde eher sagen, ich baue an einer Bibliothek. Und die Kriterien sind da ganz einfach: das persönliche Gefallen steht im Vordergrund. Das kann auf der gestalterischen Seite das Layout, das Papier und der Druck sein, es kann rein fotografisch sein oder einfach dann, wenn das Buch eine gute Geschichte erzählt. Es gibt da also kein Patentrezept, wiewohl mein Fokus immer schon auf ausdrucksstarker oder auch dreckiger Schwarz/Weiss Fotografie lag und liegt.

Christian Reister: …wo sich unsere Vorlieben überschneiden: Ich habe mich gefreut wie in Kind, als ich bei dir letztes Jahr Originalausgaben von William Klein und von den Japanern der Provoke-Ära durchblättern durfte. Das sind ja zum Teil recht teure Stücke, die es nicht an jeder Straßenecke gibt. Verrätst du uns ein paar Quellen, woher du deine Bücher beziehst?

Josef Chladek: Das sind endlos viele Quellen: das geht von klassischen Auktionen und Internet-Auktionen, da auch ebay oder yahoo in Japan, über Antiquariats-Plattformen, Such-Agenten (auch selbst programmierte), bis hin zu Händlern des Vertrauens, Freunden oder zufällige Facebook- oder Instagram-Bekanntschaften. Alles ist dabei. Und gekauft wird nur, wenn der Preis auch durch eigenes Know-How abgesichert ist. Die ganzen Phantasiepreise, die auch für neue und neueste Bücher, aber vor allem bei älteren Büchern verlangt werden, da gibt es ja praktisch nie Käufer für.

Christian Reister: Handelst du selbst auch? Man könnte ja fast meinen, das sei dein Hauptjob.

Josef Chladek: Nein, die Site ist eine reine Präsentations-Plattform. Da ich auch niemals ein Buch doppelt kaufe, gibt es auch keine Absicht, das in der Zukunft zu ändern.

Christian Reister: Du bekommst auch Bücher geschickt. Vor allem von Self-Publishern schätze ich. So kommt es, dass ehrwürdige Klassiker direkt neben ganz jungen Fotografen in deinem virtuellen Regal stehen. Sicher wählst du auch dort nach eigenen Gusto aus, was präsentiert wird und was nicht. Kannst du sagen, was besonders willkommen ist und was nicht?

Josef Chladek: Das Online-Stellen jedes einzelnen Buches, Zines oder Heftes nimmt doch sehr viel Zeit in Anspruch, Scannen, Spreads abfotografieren, bibliografische Details in der Datenbank erfassen – ganz egal wie erfolgreich, neu, teuer, rar, gut oder schlecht ein Werk auch sein mag, jedes benötigt ca. die gleiche Zeit bzw. Aufmerksamkeit. Ich ertappe mich natürlich dabei, die Besseren lieber zu machen. Schlussendlich entfaltet das Shelf, glaube ich, seine Stärke durch die Vielfalt und nicht durch meine subjektive Auswahl. Gut, es gibt sicher Bücher, die es nicht schaffen online gestellt zu werden, aber da müssen sie schon echt erbärmlich sein. Von daher ist praktisch alles willkommen, was das Stadium des selbstgebauten Dummys verlassen hat und eine professionelle Linie in der Buchgestaltung genommen hat. Blurb-Bücher mag ich jedoch so gar nicht, wiewohl ich da auch Großartiges erhalten habe. Das sind dann aber eher konzeptionelle Arbeiten.

Christian Reister: Vorhin hast du deine Vorliebe für dreckige Schwarz/Weiss-Fotografie angesprochen. Wie definierst du in diesem Zusammenhang dreckig? Wie erklärst du dir deine besondere Vorliebe für Bücher dieser Art und welche sind für dich ganz persönlich die wichtigsten dieser Art?

Josef Chladek: Ich mag es unscharf, körnig, in Bewegung, ich mag die Nacht, Randthemen, Unbeachtetes, setze keinen Fokus auf Perfektion und Technik, suche Ausdruck und Kraft statt übertriebene Ästhetik. Warum das jedoch so ist, kann ich schwer beantworten, aber es zieht mich meist mehr an als das perfekte Großformat-Bild. Und natürlich muss man da die Provoke-Era und deren Protagonisten nennen, aber auch William Klein, Moi Ver und viele andere, die für mich mitunter aber nicht auschließlich die besten Bücher gemacht haben. Doch vorneweg wird wohl immer „For a Language to Come“ von Takuma Nakahira von mir genannt werden, das Buch ist einfach unerreicht.

Christian Reister: Fotografierst du auch selber? Die meisten Fotobuchfreaks sind ja selbst mehr oder weniger mit dem Buchmachen zugange.

Josef Chladek: Nein, ich hatte vor beinahe 30 Jahren eine intensive Phase wo ich sehr viel in der Dunkelkammer stand, Schwarz/Weiss und Farbe. Ich hatte aber das Gefühl gehabt, dass andere das weitaus besser können und habe dann lieber mein Physik-Studium fertig gemacht. Seitdem ist die aktive Fotografie kein Thema mehr für mich.

Christian Reister: Welche neuen Bücher sind deine persönlichen Highlights vom diesjährigen Vienna Photobook Festival?

Josef Chladek: Speziell gefallen haben mir Robert Zhao Renhui mit „Mynas“, Christine Miess mit „Time Collapsing“, John Gossage mit „A Dozen Failures“, Arthur Bondar mit „Shadows of Wormwood“, Florian van Roekel mit „Le Collège“ sowie Michel Mazzoni mit „Collisions“. Und mit van Roekel ist sogar ein Buch in Farbe dabei.

Christian Reister: Josef, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg beim Ausbau des Virtual Bookshelf.

Klaus Honnef

Das Gespräch wurde 2016 per Email geführt.
Das Virtual Bookshelf findet sich unter josefchladek.com
Besonders imposant ist die Ansicht des kompletten Regals

Fotos: Kay von Aspern